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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.11.2006
Aktenzeichen: 8 U 139/06
Rechtsgebiete: EuGVVO, BGB


Vorschriften:

EuGVVO Art. 5 Nr. 1a
EuGVVO Art. 22 Nr. 2
BGB § 269 Abs. 1
1. Der ausschließliche Gerichtsstand des Art 22 Nr. 2 EuGVVO erfasst nicht eine Klage, die ein aus einer BGB-Gesellschaft ausgeschiedener Gesellschafter gegen einen in einem Mitgliedsstaat lebenden früheren Mitgesellschafter auf Erfüllung von Verpflichtungen erhebt, die im Rahmen des Ausscheidens vertraglich begründet wurden.

2.

a)

Die Frage nach dem Erfüllungsort i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVVO richtet sich nach den materiell-rechtlichen Regelungen, die nach dem Kollisionsrecht des Gerichtsstaates für die streitige Verpflichtung maßgebend sind.

b)

Haben die bei Vertragsschluss in Deutschland lebenden Parteien, die z. T. nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, einen Auseinandersetzungsvertrag in deutscher Sprache in Deutschland geschlossen, folgt daraus die konkludente Wahl deutschen Rechts.

c)

Macht ein aus einer GbR ausgeschiedener Gesellschafter gegen einen früheren Mitgesellschafter Ansprüche geltend, folgt nicht aus der Natur der Sache, dass Leistungsort i. S. d. § 269 I BGB der (frühere) Sitzt der Gesellschaft ist.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

8 U 139/06 OLG Hamm

Verkündet am 13. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 31. Mai 2006 verkündete Urteil der Zivilkammer I des Landgerichts Detmold aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Berufungsinstanz an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Parteien betrieben gemeinsam mit einem Herrn C seit dem 1. Oktober 1997 eine zahnärztliche Gemeinschaftspraxis in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts in P. Mit "Auseinandersetzungsvertrag" aus Dezember 2000 vereinbarten die Gesellschafter die "Beendigung" der Gemeinschaftspraxis zum 30. Juni 2001. Nach Ziffer 4 a) dieses Vertrages sollte der Kläger von dem Beklagten und Herrn C zur Abgeltung seines immateriellen Wertanteils einen Betrag von 4.000,00 DM erhalten. Ziffer 5. Absatz 3 des Vertrages sah vor, dass der Beklagte und Herr C den Kläger aus jeglicher Haftung aus der gesamten Praxistätigkeit freistellten. Dies galt nach Ziffer 5. Absatz 4 des Vertrages insbesondere im Hinblick auf Ansprüche der Krankenkassen und Kassenzahnärztlichen Vereinigung, die in der Sphäre des Beklagten und Herrn C begründet waren. Regresse auf das Honorar des Klägers sollte dieser zu 45 % tragen.

Vereinbarungsgemäß verließ der Kläger die Gemeinschaftspraxis zum 30. Juni 2001, der Beklagte veräußerte das Praxisvermögen in der Folgezeit und verlegte seinen Wohnsitz von P in die Niederlande. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dies im Juli 2001 oder erst zu Beginn des Jahres 2002 geschehen ist.

Der Kläger leistete in der Folgezeit auf entsprechende Regressforderungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung vom 14. Dezember 2004 und 27. Oktober 2005 Zahlungen in Höhe von insgesamt 13.646,68 €.

Mit der vor dem Landgericht Detmold erhobenen Klage verlangt der Kläger von dem Beklagten Erstattung eines Teilbetrages hiervon in Höhe von 7.866,66 € sowie Zahlung des Abfindungsbetrages in Höhe von 2.045,17 € (4.000,00 DM).

Das Landgericht Detmold hat die Klage als unzulässig abgewiesen, da es an der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts fehle. Weder sei der Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach Art. 5 Ziff. 1 EuGVVO noch der Gerichtsstand für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten gem. Art. 22 EuGVVO gegeben. Da der Beklagte seinen Wohnsitz in den Niederlanden habe, müsse die Klage dort erhoben werden.

Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er meint, das Landgericht Detmold sei nach Art. 5 Nr. 1 a EuGVVO zuständig, weil Erfüllungsort der streitgegenständlichen Forderungen der Sitz der Gesellschaft in P und damit im Bezirk des Landgerichts Detmold sei. Dort habe der Beklagte auch bei Entstehen des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz gehabt. Es entspreche der Natur des Schuldverhältnisses, dass Zahlungen auf die Freistellungsverpflichtung am Sitz der früheren Gesellschaft zu erfolgen hätten.

Der Beklagte verteidigt das Urteil und meint, die Gesellschaft sei bereits im Jahre 2001 voll beendet worden.

II.

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat zu Unrecht seine internationale Zuständigkeit verneint. Der Senat hat, da der Rechtsstreit in der Sache noch nicht entscheidungsreif ist, auf den Hilfsantrag des Klägers das Urteil nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

1.

Der ausschließliche Gerichtsstand nach Art. 22 Nr. 2 EuGVVO ist zwar nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift sind ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschließlich zuständig für Klagen, die u.a. die Gültigkeit, die Nichtigkeit oder die Auflösung einer Gesellschaft zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitgliedsstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Gesellschaft ihren Sitz hat. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob unter Klagen, die die Auflösung einer Gesellschaft zum Gegenstand haben, auch solche verstanden werden können, die im Rahmen der Liquidation einer Gesellschaft erhoben werden (so die wohl herrschende Auffassung in der Literatur, z.B. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2. Aufl. Art. 22 EuGVVO Rdn. 17; MünchKomm (ZPO)-Gottwald, 2. Aufl. Art. 16 EuGVÜ Rdn. 21; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. Art. 22 EuGVVO Rdn. 37). Die mit der vorliegenden Klage verfolgten Ansprüche werden nämlich nicht im Rahmen der Liquidation einer Gesellschaft und mit dem Ziel verfolgt, deren Beendigung herbeizuführen. Vielmehr ist der Kläger durch den "Auseinandersetzungsvertrag" aus der Gesellschaft ausgeschieden, ohne dass diese in dem Zusammenhang liquidiert wurde. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich erklärt. Abfindungsansprüche eines ausgeschiedenen Gesellschafters sind jedoch auch bei weiter Auslegung nicht unter Art. 22 Nr. 2 S. 1 EuGVVO zu subsumieren. Auf die Frage, ob heute noch ein Gesellschaftssitz festzustellen ist, der für die internationale Zuständigkeit maßgeblich wäre, kommt es danach nicht an.

2.

Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts Detmold folgt aus Art. 5 Nr. 1 a EuGVVO (Gerichtsstand des Erfüllungsortes). Nach dieser Vorschrift kann, wenn Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes geklagt werden, an dem die Verpflichtung zu erfüllen wäre. Sowohl die geltend gemachte Verpflichtung zur Zahlung der Abfindung in Höhe von 4.000,00 DM als auch die Pflicht zur Erstattung der Regressforderungen ist in P und damit im Landgerichtsbezirk Detmold zu erfüllen.

a)

Der Vertragsbegriff i.S.d. Art. 5 Nr. 1 a EuGVVO wird weit ausgelegt und erfasst jede freiwillig eingegangene Verpflichtung. Somit sind auch Ansprüche aus dem "Auseinandersetzungsvertrag" zwischen den Parteien hierunter zu fassen.

b)

Die Frage nach dem Erfüllungsort i.S.d. Art. 5 Nr. 1 a EuGVVO richtet sich nach den materiell-rechtlichen Regelungen, die nach dem Kollisionsrecht des Gerichtsstaates für die streitige Verpflichtung maßgebend sind (EuGH NJW 1977, 491; NJW 2000, 719), vorliegend also nach deutschem Kollisionsrecht. Nach der Regelung des Art. 27 Abs. 1 S. 1 EGBGB unterliegt das Vertragsstatut der Parteiautonomie. Hinsichtlich des Auseinandersetzungsvertrages aus dem Jahre 2000 haben die Parteien konkludent die Anwendung deutschen Rechts gem. Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB gewählt. Dies folgt daraus, dass der Vertrag zwischen den seinerzeit im Inland wohnhaften Gesellschaftern in deutscher Sprache in Deutschland geschlossen worden ist. Der Erfüllungsort bestimmt sich somit nach den Regelungen der §§ 269, 270 BGB. Da ein Leistungsort von den Parteien weder vertraglich vorgesehen noch ein solcher gesetzlich ausdrücklich bestimmt ist, richtet dieser sich in erster Linie nach den Umständen, insbesondere der Natur des Schuldverhältnisses (§ 269 Abs. 1 2. Fall BGB), hilfsweise nach dem Wohnsitz des Schuldners im Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses (§ 269 Abs. 1 3. Fall BGB).

Der Senat neigt nicht zu der vom Kläger vertretenen Auffassung, aus der Natur des Schuldverhältnisses ergebe sich, dass der Leistungsort der frühere Sitz der Gemeinschaftspraxis in P sei. Zwar wird überwiegend angenommen, dass bei Sozialansprüchen und -verbindlichkeiten aus der Natur des Schuldverhältnisses in aller Regel folge, dass der Leistungsort der jeweilige Sitz der Gesellschaft sei (MünchKomm (BGB)-Krüger, 4. Aufl. § 269 Rdn. 47; Erman-Kuckuck, BGB, 11. Aufl. § 269 Rdn. 15; Soergel-Wolf, 12. Aufl. § 269 Rdn. 37). Im Streitfall handelt es sich jedoch um Ansprüche eines Gesellschafters gegen seinen früheren Mitgesellschafter und nicht um Sozialverbindlichkeiten. Zudem existiert kein Gesellschaftssitz mehr, auf den abgestellt werden könnte. Der frühere Sitz einer Gesellschaft, die heute allenfalls noch als Liquidationsgesellschaft besteht und an der der Kläger nicht mehr beteiligt ist, kommt als Ansatz für die Bestimmung des Leistungsortes hinsichtlich der aus dem "Auseinandersetzungsvertrag" zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht in Betracht.

Gleichwohl liegt der gesetzliche Leistungsort in P, weil der Beklagte als Schuldner der zu erfüllenden Ansprüche zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung des Schuldverhältnisses dort seinen Wohnsitz hatte (§ 269 Abs. 1 3. Fall BGB). Der Auseinandersetzungsvertrag zwischen den Parteien und Herrn C, der das für die Beurteilung des Leistungsortes maßgebliche Schuldverhältnis darstellt, ist bereits im Jahre 2000 geschlossen worden, wie im Senatstermin ausdrücklich klargestellt worden ist. Zu dem Zeitpunkt hatte der Beklagte seinen Wohnsitz in P. Selbst wenn man auf den Zeitpunkt abstellen wollte, zu dem die Rechte und Pflichten aus dem Vertrag wirksam werden sollten, das wäre der 30. Juni 2001, änderte sich nichts, da der Beklagte nach eigener Darstellung seinen Wohnsitz erst im Juli 2001 in die Niederlande verlegt hat.

Für die hier zu beurteilende Frage ist unerheblich, dass der Kläger die Forderungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung erst zu einem Zeitpunkt erfüllt hat, als der Beklagte unstreitig bereits in den Niederlanden wohnte. Zwar ist der geltend gemachte Erstattungsanspruch in dieser Form erst zu dem Zeitpunkt fällig geworden. Mit dem Begriff "Schuldverhältnis" i.S.d. § 269 BGB ist aber nicht der einzelne Anspruch gemeint. Vielmehr ist der Begriff des Schuldverhältnisses umfassender und meint die Gesamtheit der Rechtsbeziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner (Palandt-Heinrichs, BGB, 65. Aufl. Einl. v. § 241 Rdn. 3). Die vertragliche Grundlage besteht in dem Auseinandersetzungsvertrag, aus dem sämtliche Klageforderungen abgeleitet werden.

3.

Nach alledem ist ein Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Detmold eröffnet. Das angefochtene Urteil war deshalb nach § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben wird.

Ende der Entscheidung

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