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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.05.2008
Aktenzeichen: 8 U 23/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 522 Abs. 1 S. 2
ZPO § 520 Abs. 2 S. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag der Beklagten auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 14. Dezember 2007 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

I.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die beklagte Genossenschaft verurteilt, Zug um Zug gegen Übertragung der von ihm erworbenen Genossenschaftsanteile an den Kläger 5.160 € zu zahlen, die dieser zur Finanzierung seiner Einlage als Genosse der Beklagten aufgewandt hatte. Weiterhin hat es festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme der ihr zu übertragenden Beteiligungen in Verzug befand und der Beklagten keine weiteren Ansprüche gegen den Kläger zustanden.

Das Urteil ist der Beklagten zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 19. Dezember 2007 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2008, der am 14. Januar 2008 bei dem Oberlandesgericht Hamm eingegangen ist, hat die Beklagte Berufung eingelegt. Unter dem 27. Februar 2008, per Fax am selben Tag bei dem Oberlandesgericht Hamm eingegangen, hat die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Die Berufungsbegründung hat sie am 28. Februar 2008 per Fax vorgelegt. Sie strebt damit die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und Abweisung der Klage an.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt die Beklagte vor:

Nach Zustellung des Urteils am 19. Dezember 2007 habe der sachbearbeitende Rechtsanwalt W gemeinsam mit seiner Sekretärin, der Rechtsanwaltsfachangestellten G, die Berufungs- sowie die Berufungsbegründungsfristen und die jeweiligen Vorfristen berechnet. Die Mitarbeiterin G habe in seinem Beisein auf dem Urteil handschriftlich vermerkt:

"Berufung: 21. 1. 08

Berufungsbegründung: 19. 2. 08

Fr. not. Fi"

Die zutreffend vermerkten Fristen seien von der seit nahezu 9 Jahren fehlerfrei arbeitenden und zuverlässigen Mitarbeiterin G nicht vollständig richtig in das Fristenbuch übertragen worden. Vermutlich infolge des vor den Weihnachtsfeiertagen besonders hohen Arbeitsanfalls habe die Sekretärin G die Vorfrist für die Berufungsbegründung auf den 19. Februar 2008 und die Berufungsbegründungsfrist für den 29. Februar 2008 eingetragen. Die Akten seien dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt W erst am Freitag, dem 22. Februar 2008 vorgelegt worden, der bei Bearbeitung der Angelegenheit am Montag, dem 25. Februar 2008 das Fristversäumnis festgestellt habe.

Die Beklagte meint, die Berufungsbegründungsfrist sei ohne ihr Verschulden versäumt worden und beruhe allein auf einem Versehen der Rechtsanwaltsfachangestellten G, das ihr, der Beklagten, nicht zuzurechnen sei. Ein Fehlverhalten des Rechtsanwalts W habe nicht vorgelegen, da dieser bei Fertigung des Berufungsschriftsatzes überprüft habe, dass die Berufungsbegründungsfrist in der Akte, nämlich auf der Urteilsausfertigung, notiert und die notierte Frist auch richtig berechnet sei.

Die Beklagte hat zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten G sowie Ablichtungen der ersten Seite der Urteilsausfertigung sowie mehrerer Seiten des Fristenkalenders vorgelegt.

Der Kläger tritt dem Antrag auf Wiedereinsetzung entgegen. Er meint, auch den Prozessbevollmächtigten treffe ein Verschulden an der Fristversäumung, das der Partei zugerechnet werden müsse.

II.

1.

Die Berufung war gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO zu verwerfen, da die Beklagte nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO die Berufungsbegründung vorgelegt hat. Die mit der Zustellung des Urteils am 19. Dezember 2007 in Lauf gesetzte Frist von zwei Monaten endete am 19. Februar 2008 und konnte mit dem Begründungsschriftsatz vom 28. Februar 2008 nicht gewahrt werden. Da Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden kann, wie den folgenden Ausführungen zu entnehmen sein wird, war die Berufung daher zu verwerfen.

2.

Der Beklagten war nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung u. a. wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da die Fristversäumung auch auf einem schuldhaften Verhalten des Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt W beruht, das sich die Beklagte zurechnen lassen muss, § 85 Abs. 2 ZPO.

Der Prozessbevollmächtigte muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird (z. B. BGH, Beschluss vom 28. 9. 1989, VII ZR 115/89; Beschluss vom 21. 4. 2004, XII ZB 243/03). Er hat zur Erfüllung dieser Pflicht die Anbringung von Erledigungsvermerken über die Notierung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist anzuordnen und nach diesen Erledigungsvermerken zu forschen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden (ständige Rechtsprechung des BGH, z. B. Beschluss vom 11. 2. 1992, VI ZB 2/92; Beschluss vom 21. 4. 2004, XII ZB 243/03, Juris-Rdnr. 5).

Im Streitfall hatte der Prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt W die Pflicht zur Kontrolle der zutreffenden Fristennotierung bei Vorlage der Akten zur Fertigung der Berufungsschrift, bei der es sich um eine fristgebundene Prozesshandlung handelte. Wird die Handakte im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt, erstreckt sich die Kontrollpflicht des Rechtsanwalts auch auf die Erledigung der Notierung der Berufungsbegründungsfrist (BGH, Beschluss vom 21. 4. 2004, XII ZB 243/03).

Soweit die Beklagte behauptet, Rechtsanwalt W habe die entsprechende Kontrolle durchgeführt, den Fehler aber nicht erkennen können, da die Frist in den Handakten, nämlich auf der Urteilsausfertigung, zutreffend notiert gewesen sei, kann ihn dies nicht entlasten.

Entscheidend für die Beachtung von Fristen ist nicht deren Notierung in den Handakten, sondern in dem Fristenkalender, der die Grundlage für Vorlagen an den Rechtsanwalt darstellt. Von der Überprüfung der zutreffenden Eintragung von Fristen kann dann abgesehen werden, wenn ein zuverlässiger Mitarbeiter oder eine zuverlässige Mitarbeiterin in den Handakten vermerkt hat, die entsprechende Notierung vorgenommen zu haben. Auf dieser Überlegung beruht die Forderung des Bundesgerichtshofs, der Rechtsanwalt müsse nach einem Vermerk forschen, der die Erledigung der Notierung in dem Fristenkalender dokumentiert.

In den Handakten, die Rechtsanwalt W im Zusammenhang mit der Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt wurden, befand sich ein solcher Erledigungsvermerk, wie die Beklagte dargelegt und glaubhaft gemacht hat. Allerdings war dieser Vermerk von der Mitarbeiterin G auf der Urteilsausfertigung angebracht worden, bevor die Frist im Kalender notiert worden war, was Rechtsanwalt W bekannt war. Sämtliche handschriftlichen Notizen auf der Urteilsausfertigung sind während eines gemeinsamen Gesprächs zwischen dem Rechtsanwalt und seiner Mitarbeiterin niedergeschrieben worden, nachdem gemeinsam die Fristen berechnet worden waren. Dies hat die Beklagte auf entsprechende Nachfrage des Senats ausdrücklich bestätigt. Danach enthielt der Vermerk "Fr. not.", versehen mit dem Namenskürzel der Mitarbeiterin G, für den Rechtsanwalt ersichtlich nicht die Dokumentation der entsprechenden Eintragung im Fristenkalender. Diese musste erst noch künftig vorgenommen werden. Unter diesen Umständen war der Vermerk zum Nachweis einer ordnungsgemäßen Notierung im Fristenkalender nicht geeignet, sondern gab allenfalls die Absicht der Mitarbeiterin wieder, die Frist entsprechend notieren zu wollen. Ob diese Absicht korrekt umgesetzt wurde oder ob angesichts des jahreszeitlich bedingten hohen Arbeitsanfalls für die Mitarbeiterin G insoweit versehentlich die Notierung unterblieb oder fehlerhaft ausgeführt wurde, ließ sich der zuvor gefertigten Notiz nicht entnehmen.

Zwar wird man dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten möglicherweise nicht vorwerfen können, er hätte sich an die Umstände der Entstehung des Vermerks erinnern und erkennen müssen, dass dieser Erledigungsvermerk entgegen seinem Inhalt nicht das Notieren der Frist im Kalender dokumentierte. Bei der Vielzahl von Vorgängen, die ein Anwalt zu bearbeiten hat, kann die Erinnerung an derartige Einzelheiten nach mehreren Wochen verblassen. Rechtsanwalt W hätte jedoch dafür Sorge tragen müssen, dass es erst gar nicht zu der Situation kommen konnte, dass er einem unzutreffenden Vermerk vertraute.

Er hätte deshalb darauf hinwirken müssen, dass ein Erledigungsvermerk unterblieb, bis die dokumentierte Handlung, das Notieren der Frist im Fristenkalender, auch tatsächlich vorgenommen worden war. Nur dann wäre der Vermerk bei der nächsten Befassung des Rechtsanwalts mit der Angelegenheit geeignet gewesen, als Nachweis für das Notieren der Frist im Kalender zu dienen.

Ob entsprechende allgemeine Weisungen in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten bestanden, ist nicht dargelegt worden. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, musste Rechtsanwalt W am 19. Dezember 2007 erkennen, dass seine Mitarbeiterin in seinem Beisein den Vermerk fertigte, obwohl die Eintragung noch nicht erfolgt sein konnte. Er nahm damit in Kauf, später einem Vermerk zu vertrauen, der für ihn erkennbar seiner Dokumentationsfunktion entkleidet war. Das Dulden der Anfertigung eines zu jenem Zeitpunkt unzutreffenden Vermerks stellt ein schuldhaftes Verhalten im Sinne des § 233 ZPO dar.

3.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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