Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.05.2007
Aktenzeichen: 8 U 4/06
Rechtsgebiete: BGB, SGB XI, ProdHaftG


Vorschriften:

BGB § 426
BGB § 670
BGB § 677
BGB § 683
BGB § 823
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 840
BGB § 1004
SGB XI § 40 Abs. 3 S. 3
ProdHaftG § 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 08.11.2005 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte und die Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 259.229,78 €.

Gründe:

A.

Die Klägerin verlangt aus eigenem und abgetretenem Recht von der Beklagten als Herstellerin Aufwendungsersatz für die Nachrüstung von Pflegebetten, die nach ihrer Behauptung Konstruktionsfehler aufgewiesen hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat die Klage mit näherer Begründung abgewiesen.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerechte Berufung der Klägerin, die ihr Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens weiter verfolgt.

Ihr stehe ein Aufwendungsersatzanspruch für die Nachrüstung der Betten zu. Die Beklagte sei zu Rückruf und kostenloser Reparatur der Betten verpflichtet gewesen.

Die Klägerin behauptet, die Pflegebetten der Baureihe "..." hätten Konstruktionsfehler aufgewiesen. Ein gefahrloser Gebrauch der Betten sei deshalb nicht möglich gewesen.

Das Landgericht habe seiner Entscheidung einen falschen Prüfungsmaßstab zugrunde gelegt; eine ernst zu nehmende Gefahr für eine unbestimmte Anzahl der Patienten genüge. Diese habe angesichts der Untersuchungen und Ergebnisse, die zu dem Schreiben der obersten Landesbehörde vom 22.5.2001 und der Stellungnahme des TÜV vom 19.3.2004 geführt hätten, vorgelegen. Zudem habe die Beklagte prüfen müssen, ob weitere Risiken vorhanden und weitere Maßnahmen erforderlich gewesen seien.

Das Landgericht habe übersehen, dass es hier um den Ersatz des Integritätsinteresses wegen einer Gefährdung der Patienten und nicht nur um den Ersatz des Äquivalenzinteresses wegen der Mangelhaftigkeit der Betten gehe.

Ferner sei die Auffassung des Landgerichts unzutreffend, es fehle an Schadensfällen aufgrund der Konstruktionsmängel. Es sei durch Fehlfunktionen an Kranken- und Pflegebetten seit 1998 in Deutschland zu mehreren Todesfällen gekommen. Dabei sei zwar kein Fall im Zusammenhang mit einem von der Beklagten hergestellten Bett "..." bekannt geworden. Die Verpflichtung des Herstellers eines Produkts, Gefahren abzuwenden, bestehe allerdings unabhängig davon. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass es bereits zu Bränden an den fraglichen Betten ohne Personenschäden gekommen sei und diese deswegen nicht bekannt geworden seien.

Weiter sei die Warnung vor den - von Anfang an bestehenden - Konstruktionsfehler kein geeignetes, milderes Mittel zur Abwehr der hier in Rede stehenden Gefahren.

Ein Rückruf sei jedenfalls dann geboten, wenn es dem Produktbenutzer unmöglich sei, auf die Benutzung zu verzichten. Hierzu behauptet die Klägerin, sie sei zwingend auf den ständigen Gebrauch der Betten angewiesen und ein Austausch nicht möglich gewesen, weil keine ausreichende Anzahl von Betten zur Verfügung gestanden habe. Der mechanische Betrieb ohne Einsatz der elektrischen Bauteile sei zudem unzureichend, weil dann die Liegeposition nicht ständig hätte verändert werden können. Bei einer mechanischen Bedienung sei zudem die von den Seitengittern ausgehende Gefahr nicht behoben.

Die Klägerin beantragt:

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 259.229,78 € nebst Zinsen in Höhe von 8 % über dem Basiszinssatz aus 177.547,62 seit dem 25.05.2003 und aus 81.682,16 € seit dem 27.01.2005 zu zahlen.

Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholen und vertiefen ihren erstinstanzlichen Sachvortrag.

Die Betten seien fehlerfrei gewesen und hätten dem Stand der Technik entsprochen. Sie, die Beklagte, habe allenfalls die Benutzer warnen müssen. Die Klägerin sei spätestens mit dem Schreiben der Obersten Landesbehörden vom 22.05.2001 hinreichend informiert gewesen. Selbst im Falle eines Konstruktionsfehlers hätte eine Pflicht zum Rückruf und zur Nachbesserung außerhalb der kaufvertraglichen Gewährleistungspflichten nur bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben bestanden, die nicht vorgelegen habe.

Ein Anspruch auf Aufwendungsersatz scheitere auch daran, dass sie, die Beklagte, ausdrücklich die kostenlose Nachbesserung verweigert habe.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Im Wesentlichen zutreffend hat das Landgericht der Klägerin den geltend gemachten Aufwendungsersatzanspruch aus eigenem und abgetretenem Recht (§ 398 BGB) nicht zuerkannt.

I.

Ein vertraglicher Anspruch oder ein Anspruch aus kaufrechtlicher Gewährleistung scheidet mangels vertraglicher Beziehung der Parteien aus.

II.

Zu Recht hat das Landgericht auch einen Aufwendungsersatzanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 683, 677, 670 BGB verneint, weil die Klägerin und die Zedentin mit der Nachrüstung der Pflegebetten kein objektiv fremdes Geschäft (der Beklagten) geführt haben. Sie haben vielmehr ihre Pflichten gegenüber ihren Versicherungsnehmern aus § 40 Abs. 3 S. 3 SGB XI erfüllt, die den Patienten zur Verfügung gestellten Betten zu warten und instand zu halten.

Dies wäre nur dann auch ein Geschäft der Beklagten gewesen, wenn diese zum Rückruf und zur kostenlosen Nachrüstung der Betten verpflichtet gewesen wäre. Daran fehlt es hier.

1.

Eine behördliche Anordnung des Rückrufs für die Betten des Typs "..." nach den Vorschriften des ProdSG (in der bis zum 30.04.2004 gültigen Fassung) fehlt (vgl. dazu Foerste, VersR 1999, 2199, 2200 f; Beck'scher Online-Kommentar / Spindler, § 823 BGB, Rn. 522).

2.

Da hier kein Schadenseintritt an Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 BGB in Frage steht, kann ein deliktischer Anspruch auf Rückruf und Umrüstung der Betten nur aus einer Gefährdung eines solchen Rechtsguts hergeleitet werden. Das Vermögen der Klägerin gehört allerdings nicht zu den geschützten Rechtsgütern. Deshalb kommt nur eine Pflicht der Beklagten gegenüber den Benutzern der Betten in Betracht, deren Leib und Leben nach der Behauptung der Klägerin gefährdet gewesen sei.

Nach teilweise vertretener Meinung (vgl. insbesondere Produkthaftungshandbuch/Foerste, 2. Aufl., § 32 Rn. 2 f. m. w. N.; derselbe in DB 1999, 2199 f.; zum Streitstand MüKo-Wagner, 4. Auflage, § 823 BGB, Rn. 603 ff. m. w. N.) besteht ein Gefahrenbeseitigungsanspruch nur, wenn die aus dem Produktmangel resultierende Gefahr für die Rechtsgüter des Produktbenutzers droht, ohne dass er sich durch zumutbare Ausweichalternativen davor schützen kann, etwa indem er den Gebrauch der Sache einstellt.

Hier ist es allerdings die erfolgte Warnung ausreichend. Dies hat bereits das Landgericht Arnsberg in dem den Parteien bekannten Urteil vom 06.05.2003 (5 S 176/02) und auch das Landgericht Bielefeld in dem hier angefochtenen Urteil im Wesentlichen zutreffend ausgeführt; zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierauf verwiesen.

Der Senat teilt - ebenso wie die beiden vorgenannten Urteile der Landgerichte Arnsberg und Bielefeld - nicht die von Wagner (MüKo-Wagner, 4. Auflage, § 823 BGB, Rn. 605 m. w. N.) vertretene Ansicht, eine Pflicht zur kostenlosen Beseitigung der Gefahr bestehe immer dann, wenn bereits zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts (hier der Pflegebetten) ein Konstruktionsfehler vorgelegen habe. Dieser begründet seine Auffassung wie folgt:

"Eine bloße Warnung des Verkehrs vor der Gefahr reicht in solchen Fällen anfänglicher Konstruktions- und Fabrikationsfehler schon deshalb nicht aus, weil die Instruktion des Erwerbers auch ex ante, im Zeitpunkt des Inverkehrbringens, die fehlerhafte Konstruktion und Fabrikation der Ware nicht zu heilen vermag. Dann wäre es aber inkonsistent, einem Hersteller, der unter Verstoß gegen seine Pflichten zu sorgfältiger Konstruktion und Fabrikation ein gefährliches Produkt auf den Markt gebracht hat, zu erlauben, eine Warnung nachzuschieben, um auf diese Weise die Haftung abzuschütteln. Wäre dies möglich, bestünde für den Hersteller ein starker Anreiz, bei den Entwicklungs- und Herstellungskosten zu sparen, die Vermarktung fehlerhaft konstruierter oder fabrizierter Produkte in Kauf zu nehmen und sich der Einstandspflicht für etwaige Schäden durch Nachschieben einer Warnung zu entledigen. Hat der Hersteller die ihm obliegenden Pflichten zu gefahrloser Konstruktion und Fabrikation verletzt, ist er folglich zu Rückruf und Reparatur auf eigene Kosten verpflichtet."

Diese Argumentation setzt allerdings unzulässig den Konstruktionsfehler an die Stelle der Rechtsgutverletzung und berücksichtigt nicht ausreichend, dass Anknüpfungspunkt die Gefährdung eines Rechtsguts ist. Wagner ersetzt letztlich das Erfordernis einer Rechtsgutverletzung durch eine Pflicht zur gefahrlosen Konstruktion und Fabrikation.

III.

Zutreffend verneint das Landgericht auch einen Anspruch aus § 1 Produkthaftungsgesetz. Dieser setzt nicht nur eine Gefährdung, sondern einen tatsächlichen Personenschaden (Verletzung oder Tötung) oder die Beschädigung einer anderen Sache durch das fehlerhafte Produkt voraus. Die Klägerin trägt selbst vor, dass es daran fehlt.

IV.

Zutreffend hat das Landgericht ferner einen Schadensersatzanspruch aus dem Gesichtpunkt der unerlaubten Handlung (§ 823 BGB) verneint; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

V.

Aus den oben zu Gliederungspunkt II. genannten Gründen kann die Klägerin die geltend gemachten Ansprüche auch nicht auf eine Schadensverhinderungspflicht mit der möglichen Folge eines Nachrüstungsanspruchs in entsprechender Anwendung der §§ 1004, 823 BGB (vgl. hierzu Beck`scher Onlinekommentar, § 823 BGB, Rn. 519; Schwenzer JZ 1987, 1059 f.; Hager VersR 1984, 799, 802) oder auf einen Gesamtschuldnerausgleich nach §§ 840, 426 BGB (dazu z. B. Müller/Dörre, VersR 1999, 1333, 1334 ff. m. w. N.) stützen.

VI.

Auch ein Rückgriffsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) kommt nicht in Betracht. Unter Gliederungspunkt II. wurde bereits ausgeführt, dass die Klägerin und die Zedentin die Beklagte nicht von einer Verbindlichkeit gegenüber den Benutzern der Pflegebetten befreit haben.

VII.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

VIII.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar, die der Senat auf der Grundlage vertretener und anerkannter Auffassung in der Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, und der Literatur getroffen hat. Die Rechtssache besitzt weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Ende der Entscheidung

Zurück