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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 22.12.2008
Aktenzeichen: 8 U 65/01
Rechtsgebiete: GmbHG, DÜG, StGB, InsO, ZPO, BGB


Vorschriften:

GmbHG § 43 Abs. 4
GmbHG § 64
GmbHG § 64 Abs. 2
GmbHG § 64 Abs. 2 S. 3
DÜG § 1
StGB § 266 a
InsO § 17
InsO § 60
ZPO § 521
ZPO § 522 a a.F.
ZPO § 530 a.F.
BGB § 195
BGB § 199
BGB § 291
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten wird das am 15. Februar 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Bochum abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, an den Beklagten 56.794,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04. Februar 2002 zu zahlen. Im übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger zu 11 % und der Beklagte zu 89 %. Die Kosten der Beweisaufnahme erster Instanz trägt der Beklagte, die übrigen Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 57 % und der Beklagte zu 43 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen ihn aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger war seit dem 11. November 1999 Geschäftsführer der L GmbH in E2. Mit Beschluss vom 04. Oktober 2000 hat das Amtgericht Bochum auf Antrag des Klägers vom 17. August 2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet und den Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt. Am gleichen Tag kündigte der Beklagte das Geschäftsführerdienstverhältnis des Klägers fristlos.

Mit der bereits in erster Instanz zurückgenommenen Klage hat der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung sowie die Abgabe einer Insolvenzgeldbescheinigung gegenüber dem Arbeitsamt J begehrt.

Der Beklagte hat den Kläger widerklagend auf Ersatz eines Betrages von 190.195,70 DM in Anspruch genommen, gestützt auf eine Überweisung von Sozialversicherungsbeiträgen für Juli 2000 an die B, die aufgrund eines Überweisungsauftrags der Insolvenzschuldnerin vom 10. August 2000 am 14. August 2000 (Wertstellung zum 15. August 2000) von einem debitorisch geführten Konto der Gesellschaft bei der Deutschen Bank ausgeführt wurde. Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Kläger hafte gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG auf Rückzahlung des Betrages. Hierzu hat er behauptet, die Insolvenzschuldnerin sei zum Zeitpunkt der Überweisung überschuldet und zahlungsunfähig gewesen.

Der Beklagte hat beantragt,

den Kläger auf die Widerklage zu verurteilen, an ihn 97.245,52 € (190.195,70 DM) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes vom 09. Juni 1998 seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Er hat eine Insolvenzreife der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Überweisung bestritten. Eine Überschuldung habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen, Zahlungsunfähigkeit sei erst nach Kündigung des Kreditengagements des Bankenpools der Insolvenzschuldnerin eingetreten, nachdem die U GmbH & Co. KG eine nach einem abgestimmten Sanierungskonzept in Aussicht gestellte Patronatserklärung wider Erwarten abgelehnt habe. Der entsprechende Beschluss der Gesellschafterversammlung der U GmbH & Co. KG sei erst am Abend des 14. August 2000 gefasst worden, die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge sei zu diesem Zeitpunkt nicht mehr rückgängig zu machen gewesen. Ferner hat der Kläger die Ansicht vertreten, die Überweisung der fälligen Sozialversicherungsbeiträge, zu deren Begleichung er gesetzlich verpflichtet gewesen sei, habe der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes entsprochen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat den Kläger nach Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen X antragsgemäß auf die Widerklage verurteilt mit der Begründung, die Insolvenzschuldnerin sei bereits Ende Juni 2000 bilanziell überschuldet gewesen. Auch die erwartete Patronatserklärung der Muttergesellschaft sei nicht geeignet gewesen, die Überschuldung zu beseitigen. Ferner sei es dem Kläger nicht gelungen, die von ihm behauptete feste Zusage der Patronatserklärung zu beweisen. Der Kläger habe ferner angesichts der ihm bekannten verheerenden Monatsabschlüsse für Juni und Juli 2000 nicht weiter auf die Erteilung der Patronatserklärung vertrauen dürfen. Die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers nicht vereinbar gewesen, weil er angesichts der Insolvenzreife nicht verpflichtet gewesen sei, die Beiträge abzuführen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens seinen Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter verfolgt. Er macht im Wesentlichen geltend, er habe die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge nicht persönlich veranlasst. Buchhaltung und Zahlungsverkehr seien vielmehr extern von der Muttergesellschaft bearbeitet worden. Ferner habe das Landgericht fehlerhaft eine Überschuldung der Gesellschaft angenommen und zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass mit Rücksicht auf den Straftatbestand des § 266 a StGB die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge mit der Sorgfalt eine ordentlichen Kaufmanns vereinbar gewesen sei. Ein Schaden sei nicht entstanden, weil dem Beklagten das Recht zugestanden hätte, den Betrag im Wege der Insolvenzanfechtung von der B zurückzufordern. Zudem sei eine Masseverkürzung schon deshalb nicht feststellbar, weil die Überweisung unstreitig zu Lasten des debitorischen Kontos erfolgt sei. Hilfsweise erklärt der Kläger die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch aus § 60 InsO, weil der Beklagte von dem ihm gegen die B zustehenden Anfechtungsrecht keinen Gebrauch gemacht habe.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.

Im Wege der Anschlussberufung hat er die Widerklage auf Zahlung weiterer 56.794,10 € (111.079,60 DM) erweitert, gestützt auf die Gutschrift eines am 16. August 2000 eingereichten Verrechnungsschecks auf dem debitorisch geführten Konto der GmbH. Hierzu vertritt er die Ansicht, auch der Einzug des Verrechnungsschecks auf das Bankkonto der GmbH stelle eine zur Ersatzpflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG führende Zahlung dar, da der Bank damit ermöglicht werde, eine Verrechnung mit dem Debetsaldo vorzunehmen.

Mit der Anschlussberufung beantragt der Beklagte,

den Kläger zu verurteilen, an ihn weitere 56.794,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 04. Februar 2002 zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Er behauptet, er habe die Scheckeinreichung nicht persönlich veranlasst und keine Kenntnis von dem Vorgang gehabt. Ferner verweist er auch insoweit darauf, dass der Beklagte die Gutschrift auf dem Konto habe anfechten können.

Mit Schriftsatz vom 07. September 2007 stützt der Beklagte den mit der ursprünglichen Widerklage geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 97.245,52 € (190.195,70 DM) nunmehr auch auf weitere Zahlungseingänge im Zeitraum vom 01. August bis zum 20. August 2000 auf dem debitorisch geführten Konto der Insolvenzschuldnerin bei der Deutschen Bank in Höhe von insgesamt 968.949,94 DM. Unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH II ZR 310/05) vertritt er die Ansicht, der Kläger hafte auch mit Rücksicht auf diese Zahlungseingänge mindestens in Höhe der Widerklageforderung nach § 64 Abs. 2 GmbHG, weil er es schuldhaft versäumt habe, angesichts der Insolvenzreife der Gesellschaft ein neues, kreditorisch geführtes Konto bei einer Bank zu eröffnen und den aktuellen Gesellschaftsschuldnern die geänderte Bankverbindung unverzüglich bekannt zu geben. Die Einführung dieser Zahlungseingänge in den Rechtsstreit stelle keine Klageerweiterung dar, da es sich lediglich um andere rechtliche Aspekte des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Lebenssachverhalts handele und kein neuer Streitgegenstand im prozessualen Sinne geltend gemacht werde. Auf den Hinweis des Senats, dass nach den konkreten Umständen des hier zu entscheidenden Falles möglicherweise zwei unterschiedliche Streitgegenstände anzunehmen seien, hat der Beklagte klargestellt, dass die mit Schriftsatz vom 07. September 2007 dargelegte Anspruchsbegründung hilfsweise zur Auffüllung des Antrags auf Zahlung von 97.245,52 € (190.195,70 DM) erfolge.

Der Beklagte hat der hilfsweisen Erweiterung der Widerklage widersprochen und gegen die auf die Zahlungseingänge gestützte Forderung die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags in zweiter Instanz wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gemäß Beweisbeschluss vom 04. November 2002, abgeändert durch Beschluss vom 28. Juli 2003, hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. H, das dieser in der mündlichen Verhandlung vom 05. April 2006 ergänzt und erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens vom 07. März 2005 sowie der ergänzenden schriftlichen Stellungnahme vom 10. Oktober 2005 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05. April 2006 Bezug genommen. Der Senat hat weiter Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D, Petra G und Walburga I. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zur mündlichen Verhandlung vom 20. November 2006 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 09. Mai 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten haben beide Erfolg und führen zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang.

A.

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Beklagte hat gegen den Kläger keinen durchsetzbaren Anspruch auf Zahlung des mit der Widerklage geforderten Betrages von 97.245,52 € (190.195,70 DM) aus § 64 Abs. 2 GmbHG.

I.

Das Hauptbegehren, gestützt auf die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge für Juli 2000 an die AOK Westfalen Lippe vom debitorisch geführten Konto der Gesellschaft, ist unbegründet. Die Voraussetzungen des Ersatzanspruchs nach § 64 Abs. 2 GmbHG sind insoweit unabhängig von der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Insolvenzreife der Gesellschaft eingetreten ist, nicht erfüllt. Es fehlt an der nach dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift vorausgesetzten Benachteiligung der Gesamtheit der Gesellschaftsgläubiger.

1.

Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 26. März 2007, II ZR 310/05, NJW-RR 2007, 984) stellen Überweisungen von einem debitorisch geführten Bankkonto der Gesellschaft an einzelne Gesellschaftergläubiger keine nach § 64 Abs. 2 GmbHG zu ersetzenden Zahlungen dar, wenn die Bank über keine die Forderung aus dem Kontokorrent absichernden Gesellschaftssicherheiten verfügt. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des in § 64 Abs. 2 GmbHG zum Ausdruck kommenden Zahlungsverbots, der darin besteht, die verteilungsfähige Vermögensmasse der insolvenzreifen Gesellschaft im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Zahlungen von einem debitorischen Konto an einzelne Gesellschaftsgläubiger berühren, wenn die Bank über keine Gesellschaftssicherheiten verfügt, weder die verteilungsfähige Vermögensmasse noch gehen sie zum Nachteil der Gläubigergesamtheit. Es handelt sich vielmehr um Zahlungen mit Kreditmitteln, die einen bloßen Gläubigeraustausch zur Folge haben, da an die Stelle der mit den Kreditmitteln erfüllten Forderung des einzelnen Gesellschaftsgläubigers eine entsprechend höhere Gesellschaftsverbindlichkeit gegenüber der Bank tritt, was allein zu deren Nachteil geht. Soweit durch die Erhöhung des Debet eine entsprechend erhöhte Zinsschuld der Gesellschaft gegenüber der Bank entsteht, stellt dies keine Zahlung i.S.d. § 64 Abs. 2 GmbHG dar (vgl. schon BGHZ, 143, 184, 187 f.). Ansonsten werden durch die Zahlung mit Kreditmitteln weder die Masse vermindert noch die Gesellschaftsverbindlichkeiten erhöht, so dass dadurch auch keine Quotenverringerung der Gläubiger eintritt.

2.

Der Senat folgt den überzeugenden Argumenten des Bundesgerichtshofs. Angesichts des Umstandes, dass die streitgegenständliche Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge an die B von dem Konto Nr. #### bei der E-Bank E erfolgte, das sich vor Ausführung der Überweisungen, wie sie auf dem zur Akte gereichten Kontoauszug Nr. 160 dargestellt werden, im Soll befand, ist auch hier von einem bloßen Gläubigeraustausch auszugehen, der sich nicht zum Nachteil der Gläubigergesamtheit auswirkt. Dass die hierdurch erhöhte Forderung der Bank aus dem Kontokorrent von Sicherheiten erfasst worden wäre, die der Bank in Höhe der Klageforderung ein Absonderungsrecht gewährten, hat der Beklagte trotz entsprechenden Hinweises des Senats nicht vorgetragen. Anders als vom Senat zunächst angenommen, kann daher in diesem Zusammenhang offen bleiben, zu welchem Zeitpunkt die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet war. Entgegen vorheriger Einschätzung des Senats ist ebenso die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt die Überweisung der Sozialbeiträge an die B rückgängig gemacht werden konnte, die Gegenstand des erhobenen Zeugenbeweises war, für die Entscheidung ohne Belang. Offen bleiben kann auch die zwischen den Parteien streitige Frage, inwieweit die Überweisung der gesamten Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) im Fall der Insolvenzreife einer GmbH mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar ist (bzgl. der Arbeitnehmeranteile vgl. nunmehr Urteil des BGH vom 14. Mai 2007, II ZR 48/06, NJW 2007, 2118).

II.

Soweit der Beklagte sein Begehren auf Zahlung von 190.195,70 DM erstmals mit Schriftsatz vom 27. September 2007 auch auf vom Kläger im Zeitraum vom 01. August bis zum 20. August 2000 veranlasste oder zugelassene Zahlungen von Gesellschaftsschuldnern in Höhe von insgesamt 968.949,94 DM (1.080.029,54 DM abzüglich der mit der Anschlussberufung geltend gemachten Scheckeinzahlung von 111.079,60 DM) auf das genannte debitorisch geführte Konto der Gesellschaft stützt, stellt dies prozessual eine Erweiterung des ursprünglichen Widerklageantrags um einen (verdeckten) Hilfsantrag dar. Diese Erweiterung der Widerklage ist zwar zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Hierbei kann offen bleiben, inwieweit zum Zeitpunkt der Zahlungen der Gesellschaftsschuldner eine Insolvenzreife der Gesellschaft bestanden hat und inwieweit die weiteren Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 GmbHG bezüglich dieser Zahlungen erfüllt sind. In diesem Zusammenhang denkbare Ansprüche des Beklagten sind nämlich jedenfalls verjährt.

1.

Mit der Einführung der weiteren, von der Anschlussberufung nicht umfassten Zahlungseingänge auf dem debitorisch geführten Konto in den Rechtsstreit stützt sich der Beklagte entgegen seiner Ansicht nicht lediglich auf andere rechtliche Aspekte eines dem Rechtsstreit bereits zugrunde liegenden Lebenssachverhalts. Er stützt die Widerklageforderung vielmehr (hilfsweise) auf einen anderen Klagegrund im prozessualen Sinne.

Ein Wechsel im Streitgegenstand liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshof unter anderem vor, wenn der Kläger bei gleich bleibendem Antrag den Sachverhalt, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (Klagegrund), ändert. Zum Klagegrund sind hierbei alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören (BGH, NJW 1992, 1172; NJW 1991, 1046; jeweils m.w.N.).

Mit der Widerklage hat der Kläger sein Zahlungsbegehren ursprünglich ausschließlich auf einen einzelnen Abbuchungsvorgang, nämlich die Überweisung der Sozialversicherungsbeiträge für Juli 2000 an die B, gestützt. Bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise ist nicht ersichtlich, dass mit der ursprünglich erhobenen Widerklage auch weitere Überweisungen oder gar Zahlungseingänge zu dem durch den Vortrag des Beklagten und Widerklägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehörten.

Erst durch die im Wege der Anschlussberufung vorgenommene Klageerweiterung hat der Kläger einen Zahlungseingang, nämlich die Gutschrift des am 16. August 2000 eingelösten Schecks i.H.v. 111.079,60 DM , zur Entscheidung gestellt. Auch hier ist aber lediglich dieser einzelne Vorgang Gegenstand des Beklagtenvortrags. Weitere Zahlungsbewegungen auf dem Konto hat der Kläger nicht zum Gegenstand seiner Widerklage gemacht. Im Gegenteil hat er mit Schriftsatz vom 02. April 2004 vorgetragen, neben der Überweisung des Betrages von 190.480,80 DM und der Einreichung des Schecks über 111.079,60 DM hätten weitere Geschäftsvorgänge, durch welche sich der Vermögensstatus der Insolvenzschuldnerin nennenswert hätte verändern können, nicht mehr stattgefunden.

Auch der Umstand, dass der Beklagte mit Schriftsatz vom 06. November 2003 eine Dokumentation der Zahlungsbewegungen auf dem Konto der E-Bank für den Zeitraum vom 01.08.2000 bis zum 15.08.2000 sowie die dazu gehörenden Kontoauszüge (vgl. Anlagen 2 u. 3 des genannten Schriftsatzes) zu den Akten gereicht hat, rechtfertigt keine anderweitige Beurteilung des Streitgegenstandes. Der Beklagte hat diese Unterlagen nämlich allein aufgrund der Aufforderung des Sachverständigen unter ausdrücklichem Protest gegen die Erheblichkeit für den Rechtsstreit (vgl. S. 1 des genannten Schriftsatzes) eingereicht. Bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise kann daher auch insoweit nicht davon ausgegangen werden, dass damit weitere Zahlungsbewegungen auf dem Konto zur Entscheidung gestellt werden sollten.

Insoweit weicht die hier zu beurteilende Fallkonstellation wesentlich von derjenigen ab, die der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. März 2007 (II ZR 310/05, NJW-RR 2007, 984) zugrunde lag. Dort war die Klage von vornherein auf verschiedene Kontenbewegungen in einem Zeitraum von mehreren Monaten gestützt, während die Widerklage hier auf eine einzelne konkrete Überweisung gestützt wurde.

2.

Die Erweiterung der Widerklage um den (verdeckten) Hilfsantrag in zweiter Instanz ist zulässig.

Gemäß Art. 26 Nr.5 EGZPO ist die Zulässigkeit der (Wider-)Klageerweiterung hier nach den Vorschriften der ZPO in der am 31. Dezember 2001 geltenden Fassung zu beurteilen. Hierbei kann offen bleiben, ob die Erweiterung der Widerklage in der Berufungsinstanz nach § 530 ZPO a.F. oder allein nach §§ 523, 263 ZPO a.F. zu beurteilen ist, denn die Voraussetzungen für die Zulässigkeit, nämlich Einwilligung des Gegners oder Sachdienlichkeit, sind in beiden Fällen identisch (vgl. BGH NJW 1998, 2058).

Mangels Einwilligung des Klägers kommt es hier auf die Sachdienlichkeit der Erweiterung der Widerklage an. Diese Voraussetzung ist erfüllt.

Der Begriff der Sachdienlichkeit ist nach der Rechtsprechung des BGH weit auszulegen. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist die Prozesswirtschaftlichkeit. Die Änderung ist sachdienlich, wenn der bisherige Streitstoff eine verwertbare Entscheidungsgrundlage auch für die geänderten Anträge darstellt und wenn deren Zulassung einen sonst zu erwartenden neuen Prozess verhindert (vgl. BGH, WM 1981, 657 m.w.N.). Danach ist eine Klageänderung nicht sachdienlich, wenn ein völlig neuer Streitstoff zur Beurteilung und Entscheidung gestellt wird, ohne dass dafür das Ergebnis der bisherigen Prozessführung verwertet werden könnte. Dagegen ist Sachdienlichkeit zu bejahen, wenn durch die Zulassung der (Wider-) Klageänderung ein neuer Prozess vermieden wird. Der Sachdienlichkeit steht dann nicht entgegen, dass aufgrund der Klageänderung neue Parteierklärungen und Beweiserhebungen nötig werden und die Erledigung des Prozesses verzögert wird. Ebenso ist nicht entscheidend, dass eine Tatsacheninstanz verloren geht (vgl. zum Ganzen BGH, MDR 1983, 1017 m.w.N.).

Bei Zugrundelegung dieser weiten Auffassung zum Begriff der Sachdienlichkeit war die Erweiterung der Widerklage hier zuzulassen. Das Begehren des Klägers führt keinen völlig neuen Streitstoff ein. Die für die Entscheidung maßgebenden Kernfragen (Zeitpunkt der Insolvenzreife; Verantwortlichkeit des Klägers für den Zahlungsverkehr auf dem debitorisch geführten Konto) bleiben auch dann von Bedeutung, wenn die Widerklage auf den neuen Anspruchsgrund gestützt wird.

3.

Der verdeckte Hilfsantrag ist jedoch unbegründet. Der Beklagte hat gegen den Kläger auch unter dem Gesichtspunkt der im Zeitraum vom 01. August bis zum 20. August 2000 auf dem debitorischen Konto eingegangenen Zahlungen keinen durchsetzbaren Ersatzanspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG.

Allerdings sind nach der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 26.03.2007, II ZR 310/05, NJW-RR 2007, 984; vgl. auch Urteil vom 29.11.1999, II ZR 273/98, NJW 2000, 668) auch vom Geschäftsführer veranlasste oder zugelassene Zahlungen von Gesellschaftsschuldnern auf ein debitorisch geführtes Bankkonto im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft als ihm zuzurechnende, gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG verbotene Zahlungen zu qualifizieren, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zu Lasten ihrer Gläubigergesamtheit und zum Vorteil der Bank geschmälert wird.

Der Senat kann hier gleichwohl offen lassen, zu welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen der Insolvenzreife erfüllt waren und ab welchem Zeitpunkt der Kläger die Masseverkürzungen aufgrund der Zahlungen auf das debitorische Konto zu vertreten hat. Denn die auf den neuen Klagegrund gestützte Widerklageforderung ist jedenfalls verjährt. Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 10. September 2008 ausdrücklich auf Verjährung berufen.

Ansprüche aus § 64 Abs. 2 GmHG verjähren gemäß § 64 Abs. 2 S. 3 i.V.m. § 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren, beginnend mit der Anspruchsentstehung (vgl. Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 18. Aufl., § 43 GmbHG Rn. 57 m.w.N.).

Der Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG ist mit der Gutschrift der Zahlungen auf dem debitorischen Konto entstanden. Auf Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Gesellschaft bzw. des Insolvenzverwalters von den den Anspruch begründenden Umständen kommt es - anders als bei der Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB - nicht an (Baumbach/Hueck, a.a.O. m.w.N.). Aus diesem Grund ist es für die Beurteilung der Verjährung unerheblich, dass der Beklagte vor dem Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26. März 2007 möglicherweise keinen Anlass zur nunmehr vorgenommenen Erweiterung der Widerklage gesehen hat.

Der Lauf der Verjährungsfrist hat demnach im Jahr 2000 begonnen und war im Jahr 2005 vollendet.

Die Erhebung der Widerklage am 14.12.2000 hat ebenso wenig wie die in der mündlichen Verhandlung vom 04. Februar 2002 erklärte Anschlussberufung eine Unterbrechung/Hemmung der Verjährung (§ 209 BGB a.F.; § 204 BGB n.F.) bewirkt. Der Umfang der Unterbrechung/Hemmung wird nämlich durch den Streitgegenstand bestimmt. Andere Ansprüche im Sinne des Prozessrechts werden von der Unterbrechungs-/Hemmungswirkung nicht erfasst (allg. Ansicht, vgl. Palandt/Heinrichs, 67. Aufl., § 204 BGB Rn. 13 m.w.N.). Wie oben gezeigt, liegt hier eine Erweiterung des Streitgegenstandes vor, die erst nach Ablauf der Verjährungsfrist in das Verfahren eingeführt worden ist.

B.

Die Anschlussberufung des Beklagten vom 04. Februar 2002 ist zulässig und begründet.

I.

Die Anschlussberufung ist nach §§ 521, 522 a ZPO a.F. zulässig. Da die Anschlussberufung keine Beschwer voraussetzt, konnte sich der mit der Widerklage in erster Instanz voll durchgedrungene Beklagte auch, wie geschehen, zulässigerweise allein zur Erweiterung der Widerklage der Berufung des Klägers anschließen (vgl. BGH Z 4, 234).

II.

Die Anschlussberufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Beklagte hat gegen den Kläger einen Anspruch auf Ersatz des dem debitorischen Konto der Gesellschaft aufgrund des am 16. August 2000 eingereichten Schecks gutgeschriebenen Betrages von 111.079,60 DM (56.794,10 €) aus § 64 Abs. 2 BGB.

1.

Der von dem Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH veranlasste oder zugelassene Einzug eines Kundenschecks auf ein debitorisches Bankkonto der GmbH ist, wie gezeigt, als eine ihm zuzurechnende, gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG verbotene Zahlung zu qualifizieren, weil dadurch das Aktivvermögen der Gesellschaft zu Lasten ihrer Gläubigergesamtheit und zum Vorteil der Bank geschmälert wird. Die den Geschäftsführer in dieser Situation treffende Masseerhaltungspflicht gebietet es, zugunsten der Gesellschaft bei einer anderen Bank ein neues, kreditorisch geführtes Konto zu eröffnen und den Scheck auf dieses Konto einzulösen (vgl. BGH, Urteil vom 26. März 2007, II ZR 310/05, NJW -RR 2007, 984; Urteil vom 29. November 1999, II ZR 273/98, NJW 2000, 668).

2.

Zum Zeitpunkt der Gutschrift des Scheckbetrages auf dem debitorisch geführten Konto am 16. August 2000 war die GmbH zahlungsunfähig i.S.d. § 64 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 17 InsO. Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senates fest.

Der Sachverständige Dr. H hat in seinem Gutachten vom 07. März 2005 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. Oktober 2005 und seinen mündlichen Erläuterungen im Senatstermin vom 05. April 2006 nachvollziehbar und überzeugend dargestellt, dass die GmbH jedenfalls nach Bekanntgabe des die Patronatserklärung verweigernden Gesellschafterbeschlusses der Muttergesellschaft an die poolführende, die Finanzierung der GmbH sichernde E-Bank am Vormittag des 15. August 2008 zahlungsunfähig im Sinne des § 17 InsO war. Der Senat schließt sich dieser Beurteilung nach eigener Prüfung an. Die Einwendungen des Klägers gegen die Feststellungen des Sachverständigen vermögen nicht zu überzeugen. Insbesondere geht die Auffassung des Klägers fehl, Zahlungsunfähigkeit könne erst nach der Kündigung der Kreditengagements am 16. August 2008 festgestellt werden. Dem Kündigungsschreiben vom 16. August 2008 kommt vielmehr, wie der Sachverständige nachvollziehbar erläutert hat, für den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit keine eigenständige Bedeutung mehr zu. Denn mit der Bekanntgabe der Verweigerung der Patronatserklärung an die E-Bank stand fest, dass das Sanierungskonzept gescheitert war und die GmbH mangels weiterer Kredite ihre fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr bedienen konnte.

Ob Zahlungsunfähigkeit bereits mit der Beschlussfassung der Gesellschafterin am Abend des 14. August 2000 anzunehmen ist, kann dahinstehen.

3.

Der Kläger hat den Einzug des Verrechnungsschecks am 16. August 2000 schuldhaft zugelassen.

Nach allgemeiner Ansicht setzt der Anspruch aus § 64 Abs. 2 GmbHG schuldhaftes Handeln des Geschäftsführers voraus, wobei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, hinsichtlich sämtlicher anspruchsbegründender Tatsachen Fahrlässigkeit genügt (vgl. BGHZ 143, 184, 185; 126, 181, 199; 75, 97,111). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

Die Umstände, die die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft begründeten, waren dem Kläger positiv bekannt.

Ferner hat der Kläger den Einzug des Kundenschecks auf das debitorisch geführte Konto jedenfalls fahrlässig zugelassen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger selbst oder ein Mitarbeiter der Muttergesellschaft den Einzug des Schecks auf das Konto der E-Bank veranlasst hat. Zwar durfte der Kläger das Tagesgeschäft der Buchhaltung auf die zuständige Abteilung der Muttergesellschaft delegieren. Seine Pflicht war es aber, die Entscheidung zu treffen und durch entsprechende Weisungen durchzusetzen, dass nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Leistungshandlungen auf das debitorische Konto unterbleiben. Ferner oblag es ihm, die Befolgung seiner Weisungen durch geeignete organisatorische Maßnahmen zu kontrollieren und sicher zu stellen. Indem der Kläger dies unterlassen hat, hat er seine Sorgfaltspflicht verletzt.

4.

In der Folge ist der Kläger verpflichtet, der Masse zu Händen des Beklagten den dem debitorischen Konto gutgeschrieben Scheckbetrag von 111.079,60 DM (56.794,10 €) zu ersetzen. Da der Anspruch aus § 64 GmbHG kein Schadensersatzanspruch ist und dem Zweck dient, die Masse aufzufüllen, kann dem Anspruch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, der Insolvenzverwalter habe auch mit einer Anfechtungsklage gegen den durch die Zahlung begünstigten Gläubiger durchdringen können. Dies gilt selbst dann, wenn der Anfechtungsanspruch verjährt ist (Vgl. BGH, NJW 1996, 850). Ausgeschlossen ist zudem eine Kürzung des Anspruchs um eine Insolvenzquote, die der begünstigte Gläubiger hätte erlangen können. Dem Beklagten bleibt allerdings vorbehalten, seinen Gegenanspruch, der sich nach Rang und Höhe mit dem Betrag deckt, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte, nach Erstattung an die Masse gegen den Beklagten zu verfolgen (vgl. BGH NJW 2001, 1280).

5.

Der Zinsanspruch des Klägers ist aus § 291 BGB begründet.

C

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92, 269 ZPO. Bei der Bildung der Kostenquote für die zweite Instanz war der erfolglose verdeckte Hilfsantrag mit einem Streitwert von 968.949,94 DM (495.416,23 €) zu berücksichtigen (§ 45 Abs. 1 S. 2 GKG). Bei Bildung der Kostenquote für die erste Instanz war zu berücksichtigen, dass die Kosten der Beweisaufnahme dort nur für die Widerklage entstanden sind.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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