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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 8 U 89/05
Rechtsgebiete: HGB, ZPO, BGB


Vorschriften:

HGB § 140
HGB § 140 Abs. 2
ZPO § 520 Abs. 3 Nr. 2
BGB § 158
BGB § 163
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 26. Januar 2005 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Für die Kosten der Berufungsinstanz gilt folgende Regelung:

Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagte zu 1) 30 %, die Beklagte zu 2) 60 % und die Beklagte zu 3) 10 %.

Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin, die im Wege der Vereinigung Rechtsnachfolgerin der H geworden ist, verfolgt deren Ansprüche als frühere Gesellschafterin der B GmbH (künftig: B) auf Zahlung der Abfindung gegen die Beklagten als frühere Mitgesellschafterinnen. Allein im Streit zwischen den Parteien ist insoweit, ob die der Klägerin zustehenden Abfindungsbeträge zum Stichtag 31. Dezember 1999 oder 31. Dezember 2000 zu ermitteln sind.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils. Das Landgericht hat der Klage mit Ausnahme eines geringfügigen Teils der Zinsforderung stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, der maßgebliche Stichtag für die geltend gemachte Abfindung sei der Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Ausscheidens der H aus der B. Dies sei der 31.12.2000 gewesen. Es entspreche der allgemeinen Auffassung, dass auf den Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen sei. § 140 Abs. 2 HGB regele einen Ausnahmefall, der hier nicht vorliege. Auch die Satzung der B enthalte keine anderweitige Bestimmung. Wegen der Begründung des Landgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung streben die Beklagten weiterhin Klageabweisung an. Sie wiederholen und vertiefen ihre Auffassung, wonach die Berechnung der Abfindung auf den 31.12.1999 vorzunehmen sei.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. Januar 2005 dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Berufung mangels konkreter Auseinandersetzung mit dem landgerichtlichen Urteil für unzulässig und verteidigt im Übrigen das Urteil in der Sache mit näheren Ausführungen.

II.

Die Berufungen der Beklagten sind zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

1.

Die Berufungsbegründungen genügen den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, so dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rechtsmittel nicht bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine Berufungsbegründung auf den Streitfall zugeschnitten sein und erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig ist (BGH NJW 1990, 2628). Werden nur Rechtsausführungen des erstinstanzlichen Urteils angegriffen, muss der Berufungsführer seine eigene Rechtsansicht darlegen (BGH NJW 1984, 177) und das Urteil im Einzelnen diskutieren (BGH NJW-RR 1992, 383).

Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung gerecht. Den Ausführungen ist zu entnehmen, welche Rechtsansichten im angefochtenen Urteil für unzutreffend gehalten werden. Dabei ist es unschädlich, wenn die jeweils angegriffene Rechtsauffassung nicht immer konkret zitiert wird. Erkennbar rügen die Beklagten jedoch bereits die Annahme des Landgerichts, die gesetzliche Grundentscheidung gehe von dem Zeitpunkt des materiellen Ausscheidens als maßgeblichem Stichtag für die Abfindungsberechnung aus. Auch die Darlegungen zur Auslegung der Satzung und zur Interessenlage der Gesellschafter wenden sich ersichtlich gegen die entsprechenden Urteilsbegründungen (Entscheidungsgründe Ziff. 3 und 4). Dies genügt zur Zulässigkeit der Berufung.

2.

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, da das Landgericht die allein streitige Frage, auf welchen Stichtag bei der Berechnung des Abfindungsbetrages abzustellen ist, zutreffend beantwortet und den 31.12.2000 zu Grunde gelegt hat. Die dagegen gerichteten Einwendungen der Beklagten rechtfertigen im Ergebnis keine andere Beurteilung.

a)

Der Senat kann offen lassen, ob der Auffassung des Landgerichts zu folgen ist, wonach nach dem Leitbild der Gesellschaft bürgerlichen Rechts die Abfindung auch bei Ausscheiden aus einer GmbH regelmäßig auf den Stichtag des Ausscheidens aus der Gesellschaft zu berechnen ist. Dies könnte zweifelhaft sein, weil überwiegend zum Recht der GmbH angenommen wird, dass im Fall der Kündigung oder Austrittserklärung der Zeitpunkt des Zugangs der entsprechenden Erklärung für die Berechnung des Abfindungsbetrages maßgeblich sei (vgl. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbH-Gesetz, 18. Aufl., Anhang § 34 Rdnr. 25 m. w. N.). Im Fall der Ausschließung wird auf den Tag der Klageerhebung abgestellt (Baumbach/Hueck/Fastrich, a.a.O., Anhang § 34 Rdnr. 11 m. w. N.).

Auch wenn danach im Regelfall der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung maßgeblich sein sollte, gilt das nicht für den Fall, dass - wie im Streitfall - die Kündigung nur befristet zulässig und die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist. In dem Fall tritt die Gestaltungswirkung der Kündigungserklärung erst mit Ablauf der Frist ein, §§ 163, 158 BGB. Es ist deshalb gerechtfertigt, die Abfindung auf diesen Zeitpunkt zu berechnen.

Entsprechend wird für den Fall der Ausschließung angenommen, dass dann, wenn der Ausschließungsgrund während des laufenden Ausschließungsrechtsstreits eintritt, der maßgebliche Zeitpunkt nicht derjenige der Klageerhebung, sondern der des Eintritts der Tatsache, die die Ausschließung rechtfertigen kann, ist (Scholz-Westermann, GmbH-Gesetz, 9. Aufl., § 15 Rdnr. 150).

Der Senat vermag auch keine Rechtsfertigung dafür zu sehen, dass der ausscheidende Gesellschafter während des Laufs der Kündigungsfrist nicht mehr an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft teilnehmen soll. Wollte man der Auffassung der Beklagten folgen, wäre ein Gesellschafter auch im Fall der ordentlichen Kündigung während der dann nach § 12 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages geltenden Kündigungsfrist von 36 Monaten von der Teilhabe an der weiteren Entwicklung des Gesellschaftsvermögens ausgeschlossen. Dies erscheint unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen unbillig. Da das Ruhen der Gesellschafterrechte nach § 12 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages nur für die letzten 12 Monate vor Wirksamwerden der Kündigung festgelegt worden ist, wäre im letztgenannten Beispiel der kündigende Gesellschafter nach Zugang seiner Kündigungserklärung 2 Jahre lang vollwertiger Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten. Dann aber ist es nicht zu rechtfertigen, dass er an der Entwicklung des Gesellschaftsvermögens auch während dieser Zeit nicht teilhaben soll.

b)

Eine andere Beurteilung folgt nicht aus dem Rechtsgedanken des § 140 Abs. 2 HGB. § 140 HGB beschränkt sich auf den Fall der Ausschließungsklage und beruht vor allem auf dem Interesse an Rechtsklarheit bei einem nicht absehbaren Ende des Ausschließungsprozesses sowie der Notwendigkeit, als Stichtag einen Zeitpunkt vor Urteilserlass anzunehmen (BGHZ 9, 157, 176). Dieser Gesetzeszweck trifft für die vorliegende Fallgestaltung nicht zu, in der der Stichtag des Ausscheidens ohne weiteres durch die im Gesellschaftsvertrag vorgegebene Kündigungsfrist berechnet werden kann.

c)

Eine anderweitige Regelung lässt sich auch dem Gesellschaftsvertrag nicht entnehmen. Insbesondere die von den Beklagten herangezogene Regelung in § 12 Abs. 3 S. 2 des Gesellschaftsvertrages, wonach während der letzten 12 Monate vor Wirksamwerden der Kündigung alle Gesellschafterrechte des kündigenden Gesellschafters mit Ausnahme des Dividendenbezugsrechts ruhen, spricht nicht für die von den Beklagten befürwortete Auslegung. Wenn der ausscheidende Gesellschafter bis zum Eintreten der Gestaltungswirkung seiner Kündigung das Dividendenbezugsrecht behält, spricht dies eher dafür, dass er auch im Übrigen an der wirtschaftlichen Entwicklung der Gesellschaft bis zum Ablauf der Kündigungsfrist teilhaben soll, sein Abfindungsanspruch also auch diesen Zeitraum mit erfasst. Den Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass unter Wirksamwerden der Kündigung im Sinne von § 12 Abs. 3 S. 2 des Gesellschaftsvertrages nicht der Ablauf der Kündigungsfrist, sondern der Zugang der Kündigungserklärung zu verstehen sei. Diese Auslegung hätte zur Folge, dass die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten rückwirkend unwirksam würde, was nicht nur sehr ungewöhnlich, sondern auch mit unübersehbaren Problemen hinsichtlich der Entscheidungsfindung während des letzten Jahres verbunden wäre. Auch der Wortlaut der Klausel lässt sich mit einem solchen Verständnis nur schwer in Einklang bringen.

Der Senat kann auch nicht der Auslegung der Beklagten folgen, die Kündigungsfrist in § 12 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages sei lediglich als Stundung des Abfindungsanspruchs zu verstehen. Auch hier steht bereits der Wortlaut der Regelung einem solchen Verständnis entgegen. Zudem spricht die Systematik des Vertrages dagegen. Das Interesse der Mitgesellschafter, die Abfindungen nicht sofort zahlen zu müssen, wird nämlich an anderer Stelle des Gesellschaftsvertrages ausdrücklich durch eine Ratenregelung mit 1- bzw. 2jähriger Stundung gewahrt (§ 13 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages). Soweit die Beklagten unter Zeugenbeweis stellen, welches Ziel die Verfasser des Gesellschaftsvertrages verfolgt hatten, war dem nicht nachzugehen. Satzungen von Kapitalgesellschaften sind objektiv auszulegen, also orientiert am Vertragstext, ohne dass außerhalb der Urkunde liegende Umstände berücksichtigt werden können.

d)

Soweit die Beklagten im Senatstermin hervorgehoben haben, ein ausreichender Gerechtigkeitsgehalt wäre bei einem Verzinsungsmodell zu erzielen gewesen, d. h. bei Berechnung des Abfindungsguthabens auf das Ende des Jahres, in dem die Kündigung erklärt werde, mit einer anschließenden angemessenen Verzinsung, bedarf es dazu keiner Entscheidung. Eine solche Gestaltung ist nicht Inhalt des Gesellschaftsvertrages geworden, wie zuvor dargestellt worden ist. Allgemeine Gerechtigkeitserwägungen geben keine Handhabe, ein anderweitiges Ergebnis zu begründen.

3.

Nach alledem ist maßgeblich für die Berechnung des Abfindungsanspruchs das Auslaufen der Kündigungsfrist zum 31.12.2000. Dies gilt jedenfalls für den hier gegebenen Fall, dass die Anteilsübertragung vom 12. Januar 2000 ebenfalls mit Wirkung zum 31.12.2000 vereinbart worden ist. Ob der 31.12.2000 auch dann als maßgeblicher Stichtag zu gelten hätte, wenn das Ausscheiden der H zum 31.12.2000 noch nicht vollzogen gewesen wäre, braucht deshalb nicht entschieden zu werden.

4.

Die Berechnung der Abfindungsforderungen gegen die Beklagten ist unstreitig. Auch die vom Landgericht zuerkannten Zinsen werden mit der Berufung nicht angegriffen.

5.

Die Kostenentscheidung ergeht nach §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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