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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.11.2007
Aktenzeichen: 8 W 40/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 78
ZPO § 78 Abs. 1
ZPO § 78 Abs. 5
ZPO § 569 Abs. 2 S. 2
ZPO § 569 Abs. 3 Nr. 1
ZPO § 572 Abs. 2 S. 2
ZPO § 920 Abs. 3
ZPO § 936

Entscheidung wurde am 04.02.2008 korrigiert: der Entscheidung wurde ein Leitsatz hinzugefügt
Das Verfahren über den Erlass eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung ist grundsätzlich ein Anwaltsprozess, auch wenn die Antragstellung vom Anwaltszwang befreit ist. Die Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen eine im Beschlusswege getroffene Entscheidung unterliegt deshalb dem Anwaltszwang.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26. Juni 2007 gegen den seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Beschluss des Landgerichts Münster vom 08. Juni 2007 wird verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Streitwert von 10.000,- €.

Gründe:

Die vom Antragsteller selbst eingelegte sofortige Beschwerde war wegen fehlender Postulationsfähigkeit gemäß § 572 Abs.2 S.2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

Der Antragsteller ist nicht postulationsfähig, weil sich die Parteien gemäß § 78 Abs.1 ZPO vor den Oberlandesgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (Anwaltsprozess). Dies hat der Antragsteller nicht beachtet.

Der Ausnahmetatbestand nach § 78 Abs. 5 ZPO greift hier nicht ein. Der Anwaltszwang gilt danach nicht für Prozesshandlungen, die vor dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgenommen werden können. Zu diesen Handlungen gehört gemäß § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO unter anderem die Einlegung einer sofortigen Beschwerde, wenn der Rechtsstreit im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess zu führen ist oder war. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

Allerdings kann der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im ersten Rechtszug beim Landgericht gemäß §§ 936, 920 Abs.3 i.V.m. § 78 Abs.5 ZPO auch ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt wirksam erklärt werden. Soweit das Landgericht über den Antrag - wie hier - im Beschlussverfahren ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 937 Abs.2, 936, 922 Abs.1 Satz 1 2.Fall ZPO), kann das Verfahren dann in erster Instanz zulässigerweise ohne anwaltliche Beteiligung abgeschlossen werden.

Aus diesem Grund wird in Rechtsprechung und Schrifttum zum Teil die Ansicht vertreten, die Befreiung vom Anwaltszwang nach § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO i.V.m. § 78 Abs.5 ZPO finde auch für die Beschwerde gegen die Ablehnung einer einstweiligen Verfügung durch das Landgericht im Beschlussverfahren Anwendung (so etwa: OLG München, BauR 1995, 875; OLG Karlsruhe, GRUR 1993, 697; KG, NJW-RR 1992,576; OLG Köln, NJW-RR 1988, 254; OLG Frankfurt a.M. (6. ZS), NJW-RR 1987, 1257; OLG Düsseldorf (5. ZS), FamRZ 1987, 611; Zöller/Vollkommer, 26. Aufl., § 922 ZPO Rn.13; sämtlich mit weiteren Nachweisen).

Nach anderer Auffassung ändert demgegenüber die nur für den Arrest- oder Verfügungsantrag als einzelne Prozesshandlung geltende Befreiung vom Anwaltszwang gemäß §§ 936, 920 Abs.3 ZPO nichts daran, dass das Verfahren über den Erlass eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung, wenn es vor dem Landgericht anhängig sei, gemäß § 78 Abs.1 ZPO grundsätzlich ein Anwaltsprozess sei und deshalb von § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO nicht erfasst werde (so etwa: OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 611; OLG Frankfurt a.M. (17. ZS), MDR 1983, 233; OLG Hamm (6. ZS), NJW 1982, 1711, OLG Düsseldorf (9. ZS), OLGZ 1983, 358; Zöller/Gummer, 26. Aufl., § 569 Rn.14; Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, Bd. II, 3. Aufl., § 569 ZPO Rn.20; Bergerfurth NJW 1981, 353).

Der Senat folgt in Fortsetzung seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. Beschluss vom 29. April 1996, 8 W 8/96, NJW-RR 1997, 763) aus folgenden Gründen der letzteren Auffassung:

Der Begriff des Anwaltsprozesses ist in § 78 Abs.1 ZPO gesetzlich definiert. Er umfasst danach alle Verfahren vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten. Dieser Charakter des Verfahrens vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten als Anwaltsprozess ändert sich nicht dadurch, dass für einzelne Prozesshandlungen, die in den Verfahrensablauf eingebettet sind, Ausnahmen vom Anwaltszwang vorgesehen sind. Die auf einzelne Prozesshandlungen beschränkte Befreiung vom Anwaltszwang verwandelt den Rechtsstreit nicht in einen Parteiprozess. Das muss auch dann gelten, wenn die Freistellung vom Anwaltszwang die das Verfahren einleitende Erklärung betrifft und das Verfahren, wenn das Gericht von einer mündlichen Verhandlung absieht, im schriftlichen Verfahren beendet wird, ohne dass auf Seiten der antragstellenden Partei ein Anwalt beteiligt werden müsste. Ob das Gericht eine mündliche Verhandlung anberaumt oder nicht, ist nämlich von Umständen abhängig, die nicht notwendig im inneren Zusammenhang mit der Frage des Anwaltszwanges stehen.

Auch der Sinn und Zweck der Regelung in §§ 569 Abs.3 Nr.1, 78 ZPO spricht für das dargelegte Verständnis dieser Vorschriften. Der Anwaltszwang dient einer geordneten Rechtspflege und der Sorge für eine interessengerechte Geltendmachung der Parteibelange. Beide Gesichtspunkte kommen auch in der vorliegenden Konstellation zum Tragen und sprechen für die Geltung des Anwaltszwanges im vorliegenden Fall.

Dieses Verständnis der in § 569 Abs.3 Nr.1 ZPO enthaltenen Regelung wird schließlich auch gestützt durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Sie entspricht inhaltlich der vor der Reform der Zivilprozessordnung bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Vorschrift des § 569 Abs.2 S.2 ZPO in der Fassung der Familienrechtsnovelle vom 14. Juni 1976. Vor dieser Novelle ordnete § 569 Abs.2 S.2 ZPO eine Ausnahme vom Anwaltszwang für die Einlegung der Beschwerde nur an, "wenn der Rechtsstreit bei einem Amtsgericht anhängig ist oder anhängig war". Der Anwaltszwang für Beschwerden gegen die im Beschlusswege ergangenen, ablehnenden Entscheidungen der Landgerichte in Arrest- oder Verfügungsverfahren war demzufolge außer Streit. Mit der Familienrechtsnovelle ist § 569 Abs.2 S.2 ZPO in die inhaltlich bis heute geltende Fassung geändert worden, weil die Zuweisung der Familiensachen zum Amtsgericht statt zum Landgericht dies wegen der unverändert beabsichtigten Ausklammerung dieser Sachen aus den in § 569 Abs.2 S.2 ZPO geregelten Ausnahmen vom Anwaltszwang erforderlich machte. Die Gesetzesänderung bezweckte also die unveränderte Aufrechterhaltung des Anwaltszwangs in Beschwerdesachen auch in den Familiensachen. Dazu musste der Anwaltszwang auch auf Beschwerden in diesen nunmehr vor dem Amtsgericht durchzuführenden Verfahren ausgedehnt werden. Eine Einengung des Anwaltszwanges in Beschwerdesachen war mit der Gesetzesänderung demgegenüber gerade nicht beabsichtigt. Eine Auslegung der Vorschrift, die in Teilbereichen eine Einengung des Anwaltszwanges zur Folge hätte, ist daher mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren.

Nach alledem bleibt es dabei, dass der Anwaltszwang auch für Beschwerden gegen die Ablehnung einer einstweiligen Verfügung im Beschlussverfahren durch das Landgericht gilt.

Die Verpflichtung des Antragstellers, die Kosten der unzulässigen Beschwerde zu tragen, folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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