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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.09.2008
Aktenzeichen: 8 W 50/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 183
ZPO § 184
ZPO § 567 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Klägers vom 14. Juli 2008 wird der Beschluss des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2008 abgeändert.

Es wird angeordnet, dass das Versäumnisurteil, welches das Landgericht ohne mündliche Verhandlung unter dem 11. Juni 2008 erlassen hat, im Wege der Auslandszustellung gemäß § 183 ZPO zugestellt werden soll.

Eine Gebühr für das Beschwerdeverfahren ist nicht zu erheben

Gründe:

I. Der Kläger hat ein Versäumnisurteil gegen die Beklagte mit Sitz in der Türkei erwirkt. Das Landgericht hatte zuvor der Beklagten eine Anordnung des Inhalts, dass diese einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen habe, falls sie nicht einen Prozessbevollmächtigten bestelle, und einen Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens einer solchen Benennung zusammen mit der Klageschrift förmlich im Wege der Auslandszustellung zustellen lassen. Die Beklagte benannte weder einen Zustellungsbevollmächtigten noch bestellte sie einen Prozessbevollmächtigten. Das Landgericht veranlasste daraufhin die Zustellung des zuvor erlassenen Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post gemäß § 184 ZPO.

Der Kläger hat anschließend beantragt, das Versäumnisurteil im Wege der Auslandszustellung der Beklagten zuzustellen. Sie führen dazu aus, die Anerkennung des Urteils in der Türkei stehe in Zweifel, nachdem in Parallelfällen zumindest das erstinstanzlich zuständige türkische Gericht eine Anerkennung unter Hinweis auf die fehlende Zustellung abgelehnt habe.

Das Landgericht hat die erneute Zustellung mit dem angefochtenen Beschluss abgelehnt, wogegen sich der Kläger mit ihrer sofortigen Beschwerde wendet.

II. Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch ansonsten zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

1. Die vorliegende Entscheidung erfordert nicht eine Beantwortung der Frage, ob die Zustellung des gegen die Beklagte ergangenen Versäumnisurteils erneut veranlasst werden muss, weil es bisher an einer wirksamen Zustellung fehlt. Der Senat neigt allerdings wie das Landgericht zu der Annahme, dass das Landgericht mit der Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post gemäß § 184 ZPO hier eine ordnungsgemäße Zustellung nach den deutschen Zivilrechtsvorschriften, aber auch den deutschen Regelungen des internationalen Zivilprozessrechts und der hier anzuwendenden internationalen Abkommen bewirkt hat. Es entspricht auch der ganz herrschenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der auch der Senat folgt, dass es sich bei der Zustellung gemäß § 184 ZPO nicht um eine Auslandszustellung handelt, sondern um eine Zustellung, die im Inland bewirkt wird. Der hoheitliche Akt ist mit der Übergabe an die Post beendet, eine Wahrnehmung von hoheitlichen Befugnissen im Ausland ist damit nicht verbunden. Daraus folgt, dass die Regeln des internationalen Zivilprozessrechts und das im Verhältnis zur Türkei geltende Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November 1965 (HZÜ) nicht anwendbar sind. Zu dem Anwendungsbereich dieses Übereinkommens heißt es in dessen Artikel 1, das Übereinkommen sei in allen Fällen anzuwenden, in denen ein Schriftstück "zum Zweck der Zustellung in das Ausland zu übermitteln ist". Eben daran fehlt es nach der oben dargestellten herrschenden Auffassung und der des Senats im Fall einer Zustellung nach § 184 ZPO.

Vor diesem Hintergrund spricht auch alles dafür, dass der Vorbehalt gegen die in Art. 10 HZÜ bezeichneten Zustellungen - u.a. lit. a: unmittelbare Übersendung durch die Post -, den sowohl die Türkei wie auch die Bundesrepublik Deutschland erklärt haben (vgl. für die Türkei Bekanntmachung über den Geltungsbereich des Haager Übereinkommens vom 23. Juni 1980, veröffentlicht im BGBl. 1980 Teil II Seite 907 ff; für die Bundesrepublik Deutschland § 6 des Ausführungsgesetzes vom 22. Dezember 1977 zum HZÜ, veröffentlicht im BGBl. 1977 Teil I S. 3105 und BGBl. 1979, Teil II S. 779 f) nicht einschlägig sind, weil sie nur die Auslandszustellungen betreffen. Die Zustellungen im Inland folgen in Deutschland allein den Regelungen der Zivilprozessordnung, darunter u.a. auch § 184 ZPO. Diesen Gesichtspunkt lassen die Kläger bei ihrem Hinweis auf den seitens der Türkei erklärten Widerspruch zu Art. 10 HZÜ außer Acht.

2. Auch wenn nicht wegen Wirksamkeitsbedenken gegen die nach § 184 ZPO

erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils eine erneute Zustellung erforderlich ist, so ist es gleichwohl geboten, eine erneute Zustellung nach § 183 ZPO anzuordnen. Das folgt aus dem Anspruch des Klägers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist durch das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten auch der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz garantiert. Dieser Anspruch umfasst nicht nur die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Erkenntnisverfahrens und - bei einem Zivilprozess im Erfolgsfall auch - der Herbeiführung eines vollstreckbaren Titels, der notfalls mit staatlichen Zwangsmitteln durchsetzbar ist. Wenn der effektive Rechtsschutz einschließlich der zwangsweisen Durchsetzung die Anerkennung des Urteils durch einen anderen Staat erfordert, umfasst der Anspruch außerdem zumindest die Berücksichtigung der Anforderungen, von denen dieser Staat die Anerkennung des Urteils als Vollstreckungstitel abhängig macht. Diese Berücksichtigung ist insbesondere geboten, wenn konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Anerkennung trotz Wahrung der deutschen Verfahrensvorschriften nicht erfolgen könnte. Wenn unter solchen Umständen mit bestimmten Maßnahmen, z.B. durch eine erneute Urteilszustellung, die Wahrscheinlichkeit der Anerkennung durch den fremden Staat deutlich erhöht werden kann, ohne dass damit eine Verletzung deutscher Verfahrensgarantien einhergeht, hält es der Senat für angezeigt, dass auf entsprechenden Antrag der interessierten Prozesspartei eine solche Maßnahme, hier die Zustellung des Urteils auf dem der Anerkennung dienlichen Weg der Auslandszustellung, vom Gericht angeordnet wird, selbst wenn sie nach nationalen Bestimmungen nicht erforderlich wäre. Eine Verletzung deutscher Verfahrensgarantien ist mit einer neuen Zustellung nicht verbunden. Soweit nach der neuen Zustellung sich die Frage stellen wird, ob damit auch Rechtsmittelfristen erneut in Lauf gesetzt werden, mag eine rechtliche Ungewissheit entstehen, die aber in dem dafür vorgesehenen Verfahren geklärt werden kann. Eine Verletzung von Verfahrensrechten tritt damit nicht ein. Wegen der im Falle postalischer Zustellung nicht zu vermeidenden Ungewissheit darüber, ob der Empfänger vom zugestellten Schriftstück tatsächlich Kenntnis erlangt, hätte der Vorteil, den die Ablehnung der erneuten Zustellung insoweit bietet, angesichts der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines erfolgreichen Wiedereinsetzungsgesuchs ohnehin einen eingeschränkten Wert. Für eine Anordnung der erneuten Zustellung spricht auch, dass nur so das Interesse der Bundesrepublik Deutschland daran, dass die im Rahmen ihrer internationalen Zuständigkeit durch deutsche Gerichte gefällten Entscheidungen eine möglichst weitgehende Anerkennung im Ausland finden. Diesem Interesse liefe es zuwider, wenn eine solche Anerkennung an relativ leicht zu behebenden Verfahrenshindernissen scheitern würde.

Der Senat sieht sich in dieser Auffassung gestützt durch mehrere namhafte Stimmen in der Literatur zum Internationalen Zivilprozessrecht (u.a. Geimer, IZPR, 5. Aufl., Rdnr. 68; Schack, IZVR, 4. Aufl., Rdnr. 613; Hausmann, IPRax 1988, 140, 143/144; Nagel/Gottwald, IZPR, 6. Aufl., § 7, Rdnr. 12; Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl., § 276, Rdnr. 5). Auch das OLG München hat in einer Entscheidung vom 30.12.1986 (IPRax 1988, 163, 164) zwar in concreto die Anordnung einer erneuten Zustellung über den Weg der Auslandszustellung nach Italien (nach zuvor erfolgter Zustellung gemäß § 175 Abs. 1 ZPO a.F.) abgelehnt, hat aber zugleich angemerkt, anderes könne gelten, wenn begründete Anzeichen dafür vorhanden seien, dass die Vollstreckbarerklärung im Ausland an Bedenken des ausländischen Gerichts hinsichtlich der ordnungsgemäßen Zustellung des Urteils scheitern könnte. Anders als in jenem Fall liegen hier begründete Anzeichen in dieser Hinsicht vor. Es hat wiederholt in vergleichbaren Fällen ablehnende Entscheidungen der türkischen Gerichte gegeben. Das hat der Kläger durch Vorlage solcher Entscheidungen glaubhaft gemacht. Nach diesen Entscheidungen wird die "fingierte Inlandszustellung" nach § 184 ZPO entgegen der h.M. zum deutschen Recht nicht als eine Inlandszustellung bezeichnet und diese Zustellung im Postweg deshalb als unvereinbar mit dem durch die Türkei erklärten Widerspruch gegen die Auslandszustellungen gemäß Art. 10 HZÜ angesehen. Diesem Bedenken könnte, selbst wenn es im türkischen Rechtszug Bestand hätte, durch eine erneute Zustellung abgeholfen werden. Der Senat hält es nicht für angezeigt, den Kläger zunächst auf die Ausschöpfung des Rechtswegs vor den türkischen Gerichten zu verweisen, bevor eine erneute Zustellung angeordnet wird. Damit bliebe der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz auf eine aus deutscher Sicht unabsehbare Zeit, die durch deutsche Gerichte oder Behörden auch nicht zu beeinflussen ist, unerfüllt. Das würde dem Rang dieses Anspruchs nicht gerecht.

Ende der Entscheidung

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