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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.03.2000
Aktenzeichen: 8 W 6/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485
Leitsätze

1. Sachgesamtheiten wie Unternehmen werden vom Sachbegriff in § 485 Abs. 2 ZPO nicht erfasst.

2. Die Überprüfung konzerninterner Verrechnungspreise auf Angemessenheit und Üblichkeit durch ein Sachverständigengutachten kann deshalb nicht nach dieser Vorschrift zum Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens gemacht werden.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

8 W 6/00 OLG Hamm 3 OH 22/99 LG Paderborn

In dem selbständigen Beweisverfahren

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 22.12.1999 am 8. März 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Frey, die Richterin am Oberlandesgericht Betz und den Richter am Oberlandesgericht Lehmann

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Wert von 800.000,00 DM.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist als Kommanditist Minderheitsgesellschafter in einem Getränkeproduktionsunternehmen. Weitere Kommanditisten sind die Antragsgegner zu 1) und 2), Komplementärin ist die Antragsgegnerin zu 3). Diese Gesellschaft ist mit zahlreichen anderen Tochter- und Schwesterfirmen, die als Abnehmer- und Vertriebsgesellschaften tätig sind, personell und geschäftlich verbunden. An der Komplementärin der eigenen KG und an allen diesen Gesellschaften ist der Antragsteller nicht Beteiligt; Gesellschafter sind ausschließlich oder überwiegend die Antragsgegner zu 1) und 2).

Der Antragsteller macht geltend, dass die Produktionsgesellschaft der Vertriebsgruppe unangemessen geringe Verrechnungspreise in Rechnung stellt und andererseits von den Abnehmer- und Vertriebsgesellschaften mit Kosten belastet wird, die branchenüblich jene Gesellschaften zu tragen hätten.

Diese Behauptungen möchte er durch ein Sachverständigengutachten im Wege des selbständigen Beweisverfahrens geklärt haben.

Die Antragsgegner halten das Verfahren mit diesen Beweisthemen für unzulässig. Sie haben ergänzend die Einrede der Schiedsgerichtsvereinbarung erhoben.

Das Landgericht hat den Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen.

II.

Die nach § 567 Abs. 1 ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Denn das Landgericht hat zu Recht die Voraussetzungen des § 485 ZPO für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens verneint.

Die Voraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO sind nicht glaubhaft gemacht (§ 487 Nr. 4 ZPO). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegner Beweismittel beiseite schaffen könnten, sind nicht ersichtlich, worauf schon das Landgericht in seiner Nichtabhilfeentscheidung zutreffend hingewiesen hat. Eine Zustimmung der Antragsgegner liegt gleichfalls nicht vor.

Es liegt aber auch keiner der Fälle des § 485 Abs. 2 ZPO vor:

Bei der Überprüfung von konzerninternen Verrechnungspreisen auf ihre wirtschaftliche Angemessenheit handelt es sich nicht um die Feststellung des Zustands oder Werts einer Sache im Sinne von § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Zwar kann sich die Vereinbarung unüblich niedriger Lieferpreise innerhalb eines Konzerns aufgrund dadurch bedingter Gewinnverschiebungen u. U. auf den Wert der beteiligten Konzernunternehmen auswirken. Jedoch handelt es sich dabei nur um einen von zahlreichen Faktoren der Unternehmensbewertung, die insgesamt einen komplexen Vorgang darstellt. Unter dem Wert einer Sache ist ihr Verkehrswert zu verstehen. Für diesen hat die Ertragsfähigkeit als wertbildender Faktor lediglich Indizcharakter, ist aber mit ihm nicht gleichzusetzen. Zu Recht verneint deshalb die überwiegende Meinung in der Rechtsprechung mit entsprechenden Argumenten die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete einer Wohnung (LG Braunschweig, WuM 1996, 291; LG Köln; WuM 1996, 484; LG Freiburg; WuM 1997, 337; LG Berlin, NJW-RR 1997, 585; ebenso Musielak - Huber, § 485 ZPO Rn 12; a. A. Zöller Herget, § 485 ZPO, Rn 9; Scholl, WuM 1997, 307).

Ebenso beschreibt die behauptete Nichtausschöpfung der Ertragsfähigkeit im Konzern nicht einen "Zustand" des Unternehmens und stellt unmittelbar keinen Schaden des Unternehmens im Sinne eines Sachschadens dar. Ein Unternehmen wird durch Vereinbarung bestimmter Lieferpreise mit seinen Abnehmern in seiner Substanz überhaupt nicht unmittelbar berührt. Der Begriff des Sachschadens passt insoweit nicht auf eine Sachgesamtheit wie ein Unternehmen.

Nach Auffassung des Senats wird hier noch deutlicher als in den Fällen des Mietwerts einer Wohnung, dass der Gesetzgeber derart komplexe Bewertungen, wie sie aufgrund der Beweisanträge des Antragstellers erforderlich wären - immerhin müssen hier viele konzerninterne Faktoren berücksichtigt und bewertet werden -, bei der Neufassung des § 485 Abs. 2 ZPO nicht im Auge gehabt hat. Der Zweck der Regelung liegt erkennbar darin, zur Entlastung der Gerichte eine schnelle Feststellung von Tatsachen zu ermöglichen, wenn der Streit der Parteien mehr auf tatsächlichem als auf rechtlichem Gebiet liegt. Bei der beantragten Ermittlung angemessener oder branchenüblicher Verrechnungspreise zur mittelbaren Aufklärung der Ertragsfähigkeit eines Unternehmens werden Tatsachenfragen jedoch in hohem Maße durch Bewertungen überlagert.

Dies alles spricht dafür, dass der Gesetzgeber in § 485 Abs. 2 ZPO bei dem Zustand oder Wert einer Sache entsprechend dem Wortlaut nur körperliche Sachen und nicht Sachgesamtheiten wie ein Unternehmen im Auge gehabt hat.

Da der Antrag schon aus diesem Grunde zurückzuweisen ist, kann die Frage, ob die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts in der Hauptsache auch dessen ausschließliche Zuständigkeit für das selbständige Beweisverfahren begründet, offen bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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