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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 17.01.2006
Aktenzeichen: 9 U 102/05
Rechtsgebiete: BGB, GG, StrWG NW


Vorschriften:

BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34
StrWG NW § 9
StrWG NW § 9a
Die Gemeinde verletzt ihre Verkehrssicherungspflicht, wenn die zeitweilige Abschaltung der Straßenbeleuchtung aus Gründen der Ersparnis dazu führt, dass Pflanzkübel auf dem Gehweg, die verkehrstechnische Aufgaben oder dekorative Zwecke erfüllen sollen, für Fußgänger des Nachts nicht mehr hinreichend erkennbar sind und deshalb eine Verletzungsgefahr darstellen.

Allerdings muss sich ein geschädigter Fußgänger, der über einen solchen Kübel zu Fall gekommen ist, ein Mitverschulden entgegen halten lassen, wenn er sich bei tiefer Dunkelheit ohne ausreichende Sicht nicht vorsichtig seinen Weg ertastet.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2. Mai 2005 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 234,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 10. Dezember 2003 zu zahlen.

Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

(abgekürzt gem. § 540 ZPO)

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte anlässlich eines Unfalls am 20. Oktober 2003 gegen 1.00 Uhr auf der C-Straße in N auf Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Anspruch. Die Klägerin ist auf dem Nachhauseweg von einer Feier zusammen mit ihrem Ehemann über einen auf dem Gehweg befindlichen Pflanzkübel (1 m x 1 m und ca. 60 cm hoch; nach Angaben der Beklagten 70 cm x 70 cm x 45 cm) aus Holz gestürzt und auf das Pflaster aufgeschlagen. Sie erlitt dabei eine Verletzung im Bereich des linken Auges und am Auge selbst.

Zum Unfallzeitpunkt war die Straßenbeleuchtung entsprechend einem Beschluss des Rates der beklagten Stadt zum Zwecke der Einsparung von Ausgaben ausgeschaltet. Der Pflanzkübel war an der Einmündung der C-Straße in die L-Straße aufgestellt worden, um ein Parken von Kraftfahrzeugen auf dem Gehweg zu unterbinden und eine ansonsten gegebene Behinderung des Schulbusses beim Einbiegen von der L-Straße in die C-Straße zu vermeiden. Zum Unfallzeitpunkt befand sich der Kübel nicht an der hierfür vorgesehenen Stelle am Rande des Gehweges zur Fahrbahn der C-Straße hin, sondern mitten auf dem Gehweg. Die Beklagte macht geltend, dass ihr die veränderte Position des nicht am Boden befestigten Kübels, die offensichtlich durch Unbefugte erfolgt sei, nicht bekannt gewesen sei.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Zahlung von insgesamt 703,52 € (152,00 € Kosten neue Brille, 26,52 € für 3 Fahrten von N nach E zum Arzt, 500,00 € Schmerzensgeld und 25,00 € Kostenpauschale). Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein Verstoß der Bekl. gegen eine Verkehrssicherungspflicht nicht festgestellt werden könne. Die Bekl. sei nicht gehindert gewesen, die Straßenbeleuchtung nachts abzuschalten, da eine besondere Gefahrenquelle wie etwa bei einer Baustelle auf der Straße, die eine Beleuchtung erfordere, nicht bestanden habe. Soweit der Pflanzkübel von dem hierfür bestimmten Platz durch Unbefugte verrückt worden sei, hafte die Bekl. für den hierdurch hervorgerufenen Zustand nicht.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung den bisherigen Antrag weiter. Sie ist der Auffassung, dass die Beklagte durch das Aufstellen des Pflanzkübels und das Abschalten der Straßenbeleuchtung eine besondere Gefahrenquelle geschaffen habe, für deren Absicherung sie habe Sorge tragen müssen, da von keinem Fußgänger zu erwarten sei, dass er nachts eine Taschenlampe bei sich führe. Sie selbst habe zwar eine Taschenlampe bei sich gehabt, jedoch in der Dunkelheit nicht gewusst, wie sie eingeschaltet werde. Gegen ein Umstellen des Kübels durch Unbefugte habe die Beklagte Vorkehrungen durch Befestigung am Boden treffen müssen.

II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

Die Beklagte haftet der Klägerin aus § 839 Abs.1 BGB i.V.m. §§ 9, 9 a StrWG NRW, Art. 34 GG für die Folgen des Unfalls vom 20. Oktober 2003. Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landgerichts, dass der Sturz der Klägerin nicht auf einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte beruhe.

Bei der Beurteilung des Sachverhalts ist auf den auch vom BGH anerkannten Grundsatz abzustellen, dass der Verkehrssicherungspflichtige solche Gefahrenquellen zu beseitigen bzw. vor ihnen zu warnen hat, die für die Verkehrsteilnehmer trotz Anwendung der von ihnen zu erwartenden Eigensorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar sind oder auf die sie sich nicht rechtzeitig einzustellen vermögen (BGH VersR1979, 1055). Dabei ist ein generell-abstrakter Maßstab, d.h. unter Einbeziehung der denkbar ungünstigsten Wahrnehmungsbedingungen anzulegen, da der Verkehrssicherungspflichtige auch für diese möglichen Situationen Vorsorge treffen muss. Dabei muss insbesondere auch die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, dass ein Fußgänger den auf dem Gehweg an der ursprünglichen Stelle unmittelbar neben der Fahrbahn aufgestellten nur 60 cm (nach Angaben der Beklagten sogar nur 45 cm) hohen Pflanzkübel bei Dunkelheit und fehlender Beleuchtung nicht rechtzeitig erkennt, und zwar sowohl beim Gehen auf dem Gehweg entlang der Straße als auch beim Überqueren der Straße. Ist eine Gefahrenquelle vom Verkehrssicherungspflichtigen selbst geschaffen worden, so ist an die Sicherungspflicht ein besonders strenger Maßstab anzulegen (Urt. des Senats vom 19.7.1996 - 9 U 108/96, NJW 1997, 749 <LS> = MDR 1996, 1131 = ZfS 1996, 442). Zu den der Beklagten in Erfüllung ihrer nach §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW als Amtspflicht obliegenden Aufgaben als Trägerin der Straßenbaulast gehört daher auch die Verpflichtung, keine verkehrsgefährdenden Hindernisse zu errichten. Weil jedes auf dem Weg befindliche Hindernis eine Gefahrenquelle darstellen kann, sind Wege von Hindernissen möglichst freizuhalten (Urt. das Senats vom 9. 11. 2001 - 9 U 252/98, MDR 2002, 643 für den Fall des Aufstellens eines Sperrpfostens auf einem Fuß- und Radweg neben der Fahrbahn). Lässt sich das Errichten eines Hindernisses auf einem Gehweg nicht vermeiden oder ist es im Einzelfall aus verkehrstechnischen Gründen sogar geboten, dann muss das Hindernis für die Benutzer des Weges rechtzeitig erkennbar sein, weil sie gewöhnlich mit einem derartigen Hindernis nicht rechnen müssen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Pflanzgefäße wie der Kübel im vorliegenden Fall nicht selten im Verkehrsraum zu Dekorations- bzw. Verkehrsberuhigungszwecken aufgestellt werden. Sie sind weder notwendiger Bestandteil von Fahrbahnen bzw. Gehwegen noch sind sie auch im innerstädtischen Bereich so häufig, dass die Passanten überall mit ihnen rechnen müssen. Solange bei Dunkelheit die Straßenbeleuchtung eingeschaltet war, war die Gefahrenstelle hinreichend gesichert. Durch das Ausschalten der Straßenbeleuchtung hat die Beklagte ihre Sicherungspflicht verletzt. Dies war ursächlich für den Unfall der Klägerin, da diese den Kübel aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse nicht erkannt hat und zu Fall gekommen ist. Der Umstand, dass sich der Kübel nicht an seinem ursprünglichen Platz befand, sondern womöglich von Dritten in die Mitte des Gehweges gerückt worden war, ändert hieran nichts, da hierdurch die bestehende generelle Gefahrensituation allenfalls erhöht, aber nicht erst geschaffen worden ist. Die im Senatstermin erörterte Frage, ob die Beklagte zur Abschaltung der in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle befindlichen Straßenlaterne ohne eine Kennzeichnung nach § 42 StVO Zeichen 394 befugt war und die Klägerin aus der fehlenden Kennzeichnung Rechte herleiten kann, kann bei dieser Sachlage dahinstehen.

Die somit dem Grunde nach gegebene Haftung der Beklagten führt jedoch nur zu einer teilweisen Einstandspflicht für die Unfallfolgen. Im Rahmen der nach § 254 Abs.1 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge, bei der ausschließlich die zur Unfallzeit konkret herrschenden Bedingungen berücksichtigt werden dürfen, ist der Klägerin ein erhebliches Eigenverschulden zuzurechnen. Aufgrund der von ihr beschriebenen Sichtverhältnisse, bei denen man sozusagen die Hand nicht vor Augen sehen konnte, war sie zusammen mit ihrem sie begleitenden Ehemann zu äußerster Vorsicht gehalten, d.h. sie hätte sich bei fehlender Sicht notfalls nur vorsichtig vortasten dürfen. Dass sie dies nicht getan hat, belegen der Sturz und seine Folgen. Auf Seiten der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass die Gefahrensituation durch das von ihr nicht zu vertretene Verrücken des Pflanzkübels durch Unbekannte auf die Mitte des Gehweges verschärft worden ist. Das von der Klägerin insoweit geforderte Befestigen des Pflanzkübels am Boden übersteigt nach Auffassung des Senats die Anforderungen an die Sicherungspflicht, soweit nicht konkrete Hinweise auf eine Gefahrenerhöhung aufgrund vorangegangener ähnlicher Vorfälle bestanden. Hierzu ist nichts bekannt. Insgesamt sieht der Senat den überwiegenden Verursachungs- und Verschuldensanteil bei der Klägerin selbst, da sie auf die konkrete Gefahrensituation falsch reagiert hat, während die Beklagte als die für die abstrakte Gefährdung Verantwortliche hierauf keinen Einfluss nehmen konnte. Ihr, der Klägerin, Verursachungsanteil ist mit 2/3 gegenüber einem Haftungsanteil von 1/3 der Beklagten zu bemessen. Die geltend gemachten Ansprüche sind daher nur zu 1/3 begründet. In diesem Umfang ist der Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils stattzugeben.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92, 708 Nr.10 ZPO.

Die Voraussetzungen der Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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