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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.09.2004
Aktenzeichen: 9 U 107/04
Rechtsgebiete: BGB, StrWG NW, GG


Vorschriften:

BGB § 839
StrWG NW § 9
StrWG NW § 9a
GG Art. 34
Eine Sichtprüfung von hohen Straßenbäumen mit großer Krone (hier: 26 m hohe Linde mit schwerer Krone mit spitzwinkligen Gabelungen) nach der sog. VTA-Methode genügt den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht dann nicht, wenn sie aus einem mit 20 km/h fahrenden Fahrzeug allein durch den Fahrzeugführer erfolgt.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten (Fiskus) gegen das am 16. Februar 2004 verkündete Urteil der 11 Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe: I. Der Kläger stellte am Morgen des 22.7.2002 seinen PKW Golf auf dem Parkplatz der Firma X in der S-Straße in X ab. An der Straße J (L 551) steht südlich der Einmündung der S-Straße eine Linde, deren Äste z.T. auf den vorgenannten Parkplatz hinüberragen. Von diesem Baum brach ein gut armdicker und unbelaubter etwa 3,40 m langer Ast ab, fiel auf den Pkw des Klägers, zerbrach dabei in mehrere Teile und führte zu Schäden an Heckklappe und Heckfenster des Fahrzeuges. Der Kläger behauptet, die Baumkontrolle sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden; anderenfalls die Bruchgefahr des Astes erkennbar gewesen. Dies folge daraus, dass der abgebrochene Ast morsch und erkennbar bereits seit längerem abgestorben gewesen sei. Mit seiner Klage begehrt der Kläger Ersatz seines mit 1.075,32 Euro bezifferten Schadens (Selbstbeteiligung Kasko: 511,00 Euro; Wertminderung: 250,00 Euro; Nutzungsausfallentschädigung 6 x 34 = 204,00 Euro; Auslagenpauschale: 25,00 Euro). Der beklagte Fiskus tritt diesem Begehren entgegen. Er behauptet, er habe die Linde zweimal im Jahr in belaubtem und unbelaubtem Zustand, zuletzt am 18.07.2002, kontrollieren lassen. Dabei hätten keine Umstände vorgelegen, die z.B. auf einen trockenen Ast oder sonstige eine Bruchgefahr anzeigende Auffälligkeiten hingewiesen. Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer eingehenden Untersuchung hätten nicht vorgelegen. Das Landgericht hat nach Zeugenvernehmungen und Einholung eines baumfachmännischen Sachverständigengutachtens der Klage stattgegeben. Es hat eine hinreichende Sichtkontrolle der schadenursächlichen Linde (durch bloße Beobachtung aus einem fahrenden Fahrzeug) verneint und als bewiesen angesehen, dass der abgebrochene Ast aufgrund seiner Defektsymptome bei Durchführung der gebotenen Sichtprüfung (mit einem Fernglas) als bruchgefährdet hätte erkannt werden können. Abgesehen von dieser Feststellung hat es bezüglich der Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden eine Beweislastumkehr zu Lasten des Beklagten (anlog zum sog. groben ärztlichen Behandlungsfehler) bejaht. Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seinen bisherigen Klageantrag in vollem Umfang weiter. Er rügt die vom Landgericht geforderte Art und Weise der Sichtprüfung (Beobachtung durch Fernglas) und beanstandet die erstinstanzliche Beweiswürdigung, soweit eine Erkennbarkeit der Bruchgefahr des unfallursächlichen Astes festgestellt worden ist. Schließlich hält er die vom Landgericht angenommene Beweislastumkehr zu seinen Lasten für rechtlich unzutreffend. II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Beklagte haftet dem Kläger wegen Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht nach § 839 BGB i.V.m. §§ 9, 9a StrWG NW, Art. 34 GG für den durch den abgebrochenen Ast entstandenen Schaden. 1. Zu Recht hat das Landgericht die von Bediensteten des Beklagten durchgeführten Kontrollen der schadenursächlichen Linde als unzureichend bewertet. Nach gefestigter Rechtsprechung, die auch von den Parteien nicht in Frage gestellt wird, reicht zur Kontrolle im Regelfall zwar eine in angemessenen Abständen vorgenommene äußere Sichtprüfung, bezogen auf die Gesundheit und Standsicherheit des Baumes aus, wenn dabei keine konkreten Defektsymptome des jeweiligen Baumes - wie etwa spärliche oder trockene Belaubung, dürre Äste, äußere Verletzungen, Wachstumsauffälligkeiten oder Pilzbefall - erkennbar sind (vgl. etwa Senat Urt. vom 04.02.2003 - 9 U 144/02, VersR 2003, 1452 m.w.N.; vgl. auch BGH VersR 2004, 877 - 878 - m.w.N.). OLGR 1997, 67 = VersR 1997, 1148 m.w.N.). Diese Sichtprüfung muss jedoch in Form einer fachlich qualifizierten Inaugenscheinnahme des Baumes vom Boden aus durchgeführt werden, wobei sich die seit 1991 bekannte VTA-Methode ("Visual Tree Assessment" bewährt hat (vgl. Hötzel, Agrarrecht 1996, 76 ff.). Diesen Anforderungen hat die im Streitfall durchgeführte Sichtprüfung nicht genügt, da die betreffende - ca. 26 m hohe - Linde nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei dem letzten Kontrollzeitpunkt vor dem Schadenfall (18. Juli 2002) nicht zu Fuß, sondern aus einem langsam fahrenden Fahrzeug heraus kontrolliert worden war. Der Zeuge T, Straßenwärter des Beklagten, hat vor dem Landgericht ausgesagt, die standardgemäße Baumkontrolle finde aus dem Fahrzeug heraus statt, das mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h fahre. Das Kontrollfahrzeug sei bei der Überprüfung vom 18. Juli 2002 nur mit ihm besetzt gewesen. Dieses Verfahren war nicht sachgerecht, da etwaige Defekte in Anbetracht der Größe des Baumes und seiner dichten Belaubung nur bei "fußläufiger" Betrachtung feststellbar waren. Es kommt hinzu, dass der Baum nach den insoweit plausiblen Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. I eine schwere Krone mit spitzwinkligen Gabelungen aufwies, die in zunehmendem Alter infolge der Kallusbildung bruchgefährdet sind. 2. Der Kontrollmangel des Beklagten (Fiskus) war für den Schadenseintritt auch ursächlich. Der Sachverständige Dipl.-Ing. I hat in dem Berufungstermin überzeugend ausgeführt, dass der abgebrochene Ast aufgrund seiner Größe und seines auffälligen (weitgehend unbelaubten) Zustandes am 18. Juli 2002 bereits bei einer einfachen Sichtkontrolle vom Boden aus und ohne Fernglas hätte wahrgenommen werden können. Dieser Zustand des Astes hätte den Beklagten zu einer eingehenderen Überprüfung des Baumes veranlassen müssen, bei der seine Bruchgefahr deutlich geworden wäre und Veranlassung zu seiner Beseitigung gegeben hätte. Soweit das Landgericht dieses Beweisergebnis hilfsweise auch auf eine Beweislastumkehr - zu Ungunsten des Beklagten - gestützt hat, weist der Senat auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin (BGH NJW 1983, 2241 - 2242 -). Da für ein anspruchsminderndes Eigenverschulden des Klägers keine sachlich durchgreifenden Anhaltspunkte ersichtlich sind, hat der Beklagte den der Höhe nach unstreitigen Schaden von 1.075,32 Euro in vollem Umfang zu ersetzen. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

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