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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.12.2007
Aktenzeichen: 9 U 129/06
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 253 Abs. 2 | |
BGB § 254 | |
BGB § 280 Abs. 1 | |
BGB § 823 Abs. 1 |
2.) Ein willkürlich angelegter Sprunghügel in einer Hallenrodelbahn stellt eine a-typische Gefahr für den Rodelnden dar, vor der der Betreiber der Anlage zu Beginn der Abfahrt zu warnen hat.
3.) Der Rodelnde ist gehalten - erst recht auf einer unbekannten Piste - so angepasst zu fahren, dass er notfalls vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis abbremsen und ggf. anhalten kann, andernfalls trifft ihn bei einem Unfall ein Mitverschulden.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 12. April 2006 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Essen unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 1.788,07 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Januar 2004 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 31. Januar 2004 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall vom 31. Januar 2004 im Alpincenter C zu 1/3 bzw. unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Klägers von 1/3 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
4. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei kann die gegen sie gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe:
(gem. § 540 ZPO)
I.
Am 31. Januar 2004 befuhr der Kläger in der Skihalle der Beklagten eine Rodelbahn, in deren Verlauf sich ein künstlich aufgeschütteter Hügel befand, der als Sprunghügel gedacht war. Der Kläger behauptet, er sei auf der vereisten Rodelpiste immer schneller geworden und habe den Sprunghügel als Bremshügel angesehen, ähnlich der -unstreitig vorhandenen- Bremshügel aus lockerem Schnee im Bereich einer gesonderten Kinderrodelpiste. Tatsächlich aber hob der Kläger nach dem Überfahren des Hügels mit dem Schlitten ab und brach sich beim Aufsetzen den zweiten Lendenwirbelkörper. In der Folge wurde u.a. ein überbrückender Fixateur eingebaut, der vom ersten bis zum dritten Lendenwirbelkörper reicht. Der Kläger behauptet, dass daraus auch heute noch Bewegungseinschränkungen und Schmerzen resultieren würden.
Das Landgericht hat die auf materiellen Schadensersatz (3.007,90 Euro), Schmerzensgeld (vorgestellt mindestens 10.000,00 Euro) und Feststellung der künftigen Ersatzpflicht gerichtete Klage abgewiesen. Insoweit wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter. Er macht insbesondere geltend, dass das Landgericht bei der Prüfung einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten die Besonderheiten einer innerhalb einer Halle gelegenen Rodelpiste nicht berücksichtigt habe.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat den Kläger und den Vertreter des Beklagten, B, angehört. Insoweit wird auf den Berichterstattervermerk vom 28. November 2006 Bezug genommen. Sodann hat der Senat Beweis zu den unfallbedingten Verletzungen, Verletzungs- und Dauerfolgen erhoben durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. L. Insoweit wird auf das Sachverständigengutachten vom 02. Mai 2007 (Bl. 217 d.A.) Bezug genommen. Im Senatstermin am 27. November 2007 haben die Parteien unter Aufrechterhaltung ihrer widerstreitenden Ansichten zum Anspruchsgrund die Höhe des dem Kläger entstandenen materiellen Schadens mit 2.682,10 Euro unstreitig gestellt.
II.
Die Berufung hat im tenorierten Umfang Erfolg.
1.
Die Beklagte haftet dem Kläger gemäß § 280 Abs. 1 bzw. § 823 Abs. 1 BGB, jeweils in Verbindung mit § 253 Abs. 2 BGB auf materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld:
Die einem Anspruch der vorliegenden Art zugrunde liegende Rechtslage ist vom Landgericht grundsätzlich zutreffend dargestellt worden; insoweit wird auf die Urteilsgründe Bezug genommen.
Angewandt auf den vorliegenden Fall führen die in den vom Landgericht zutreffend zitierten Entscheidungen (BGH NJW 71, S. 1093; BGH VersR 85, S. 64; OLG München, VersR 91, S. 1389; OLG Köln, MDR 94, S. 455; OLG Hamm, MDR 2000, S. 161; OLG Hamm, NJW-RR 2000, S. 102) zum Ausdruck kommenden Grundsätze jedoch zu einer Abänderung des landgerichtlichen Urteils. Allen vorgenannten Entscheidungen gemein ist eine Trennung zwischen solchen Gefahren, die gleichsam natürlichen Ursprungs sind bzw. durch die Benutzung einer Piste entstehen (natürliche Geländeunebenheiten, Witterungsverhältnisse, in eine Piste hineingefahrene Buckel usw.) von a-typischen Gefahren, die von Menschenhand geschaffen werden und nicht dem natürlichen Geländeverlauf entsprechen. So hat der BGH (NJW 71, S. 1093) hierzu u.a. ausgeführt, dass Skipisten von Skiläufern unterschiedlichen Könnens zu Abfahrten benutzt werden, die schon ihrer Natur nach mit gewissen Gefahren verbunden sind, so dass umso mehr Veranlassung besteht, vermeidbare zusätzliche Gefahrensituationen zu beseitigen. Als a-typische Gefahr einer Piste hat der BGH (VersR 85, 64) eine solche angesehen, die nicht pistenkonform ist.
Gerade um eine solche a-typische Gefahr handelt es sich jedoch bei dem von Menschenhand geschaffenen Sprunghügel. Dieser ist - wenn auch mit dem gut meinenden Ziel mit einer besonderen Herausforderung das Rodelvergnügen zu erhöhen - künstlich in den Verlauf der Hallenrodelbahn eingebaut worden. Damit braucht der Nutzer einer Hallenrodelbahn ohne natürliche Unebenheiten nicht zu rechnen bzw. muss dies nur dann bei der Abfahrt (etwa bei der Wahl seiner Geschwindigkeit oder der Entscheidung für diese Abfahrt überhaupt) in seine Überlegungen einbeziehen, wenn zu Beginn des Abfahrtshangs eine entsprechende Warnung bzw. ein Hinweis auf den im Verlaufe der Abfahrt befindlichen Sprunghügel vorhanden ist. Ein solcher Hinweis wurde im vorliegenden Fall jedoch unstreitig nicht gegeben, obwohl es erforderlich gewesen wäre; denn ausweislich der Lichtbilder von der Halle (Hülle Bl. 97 d. A.) und nach der Aussage des bei der Beklagten beschäftigt gewesenen Skilehrers C war die rechtzeitige und problemlose Erkennbarkeit des Schanzenhügels nicht gesichert.
Der Sprunghügel verliert im vorliegenden Fall seine Gefährlichkeit auch nicht dadurch, dass sich - die Angaben des Vertreters der Beklagten im Senatstermin am 28. November 2006 insoweit als zutreffend zugrunde gelegt - seitlich des künstlichen Buckels an der äußersten seitlichen Begrenzung der Rodelpiste zur Skipiste hin eine kleine Furt zum Durchfahren befunden haben mag. Jedenfalls für Rodler, die wie der Kläger die Abfahrt erstmals benutzen, und auch angesichts der auf Rodelpisten erreichbaren Geschwindigkeiten, ist nicht gewährleistet, dass diese kleine Furt als Umfahrung noch rechtzeitig erkannt und gleichsam als Fluchtmöglichkeit vor der Gefahr genutzt werden kann. Dies zeigt letztlich auch der vorliegende Unfall.
2.
Den Kläger trifft jedoch gemäß § 254 BGB ein Mitverschulden an dem Unfall.
Nach seinen eigenen Angaben trug er normale Straßenschuhe. Mit diesen lässt sich jedoch gerichtsbekannt ein Rodelschlitten nicht ausreichend lenken bzw. abbremsen. Insoweit ist genauso wie auf einer Piste im Freien auch bei einer Hallenpiste vom Benutzer einer Rodelbahn unter Eigensicherungsgesichtspunkten zu fordern, dass er wintertaugliches Schuhwerk mit entsprechenden Profilsohlen an den Füßen trägt.
Darüber hinaus hat der Kläger angegeben, dass die Halle schummrig gewesen sei und dass er die Abfahrt erstmalig und gleich nach dem Betreten der Halle durchgeführt habe. Dabei habe er die Füße hoch genommen und den Schlitten "gehen lassen", nach 50 bis 70 m Fahrstrecke hätten sein vor ihm sitzender Sohn und er schon "richtig Tempo drauf" gehabt, als plötzlich unvermittelt der Sprunghügel aufgetaucht sei. Hier hätte der Kläger angesichts der von ihm selbst angegebenen schlechten Sichtverhältnisse und der erstmaligen Nutzung der Abfahrt Veranlassung gehabt, zumindest bei dieser -ersten- Fahrt ein in der Weise angepasstes Tempo zu wählen, dass ihm ein Abbremsen - zumal mit dem vorgenannten unzureichenden Schuhwerk - vor etwa plötzlich auftauchenden Hindernissen möglich gewesen wäre.
3.
Bei der sodann vorzunehmenden Abwägung ist zu berücksichtigen, dass die verkehrssicherungspflichtige Beklagte das Hindernis künstlich geschaffen hat, was nach ständiger Rechtsprechung des Senats gegenüber etwa im Laufe der Zeit durch natürliche Einflüsse entstandene Gefahren verschuldenserhöhend zu berücksichtigen ist. Auf der anderen Seite hatte der Kläger es in der konkreten Situation in der Hand, durch angepasstes Fahrverhalten der Gefahr zu begegnen. Insgesamt gelangt hier der Senat zu einer Haftungsquote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten der Beklagten.
4.
Dies ergibt bezüglich des unstreitigen Sachschadens von 2.682,10 Euro den ausgeurteilten Betrag von 1.788,07 Euro.
5.
Bezüglich des Schmerzensgeldes hält der Senat unter Berücksichtigung des den Kläger treffenden Mitverschuldens einen Betrag von 7.000,00 € für angemessen.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. L im Gutachten vom 02. Mai 2007, die von keiner der Parteien angegriffen worden sind, hat der Kläger nach dem unfallbedingten Bruch des zweiten Lendenwirbelkörpers eine aufwendige Operation hinter sich und muss eine dauerhafte Teilversteifung der unteren Wirbelsäule erdulden. Der Sachverständige diagnostiziert darüber hinaus ein "Postfusionssyndrom", das er als unangenehme Folgeerscheinung nach Bandscheibenoperationen beschreibt, wobei es kaum ein orthopädisches Krankheitsbild der Wirbelsäule gebe, das mit derart unangenehmen, schmerzhaften und beeinträchtigenden Irritationserscheinungen der Nervenwurzeln einhergehe. Hinzu kommt, dass beim Kläger unfallbedingt eine Störung der Wirbelsäulenstatik eingetreten ist, die zu einer vermehrten Kyphorisierung geführt hat. Der Kläger ist zudem infolge des Unfalls Einschränkungen in seinem Alltag, inbesondere auch bei seiner Tätigkeit als Elektroinstallateur ausgesetzt. So darf er keine Lasten über 20 kg mehr tragen und keine die Wirbelsäule belastenden Tätigkeiten mehr ausführen. Außerdem finden die Unfallfolgen Niederschlag in lokaler Schmerzhaftigkeit und eingeschränkter Beweglichkeit mit Rotationsschmerzen und lokalen Druckschmerzhaftigkeiten.
6.
Auch der Feststellungsantrag ist unter Berücksichtigung eines Mitverschuldensanteils des Klägers von 1/3 begründet. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass er es für die Zukunft als möglich ansehe, dass durch die Mehrbelastung der benachbarten Bewegungssegmente ein vorzeitiger Verschleiß der lasttragenden Bandscheibenstrukturen resultieren könnte, mit den sich daraus ergebenden Schmerzbildern. Schon dies lässt die Entstehung weiterer materieller und immaterieller Schäden des Klägers in der Zukunft als offen, aber möglich erscheinen.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Ziffer 10, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.
Ende der Entscheidung
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