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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.01.2004
Aktenzeichen: 9 U 143/03
Rechtsgebiete: BGB, PflichtVG
Vorschriften:
BGB § 831 | |
PflichtVG § 3 Nr. 1 |
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 2. Juni verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgericht Essen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Die Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen eines Sturzes während ihrer praktischen Motorradausbildung bei der Fahrschule T GmbH in F, die bei dem Beklagten haftpflichtversichert ist.
Am 06. Mai 2002 gegen 16.00 Uhr kam die Klägerin während einer Übungsfahrt mit dem Fahrschulmotorrad auf dem Vorplatz des H-Stadions an der I-Straße in F zu Fall und zog sich einen Schienbeinkopfbruch zu. Ausbildender Fahrlehrer war der bei der Versicherungsnehmerin angestellte Zeuge I. Vor dieser Übungsfahrt hatte die Klägerin bereits am 08. April, 22. April, 24. April und am 29.April praktische Doppelstunden absolviert.
Die Klägerin hat behauptet, der Zeuge I habe sie angewiesen, zwischen aufgestellten Pylonen einen Slalomkurs mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h zu durchfahren, am Endpunkt der Pylonen um 180 o Grad zu wenden und anschließend wiederum im Slalomkurs durch die Pylonen hindurchzufahren, wobei der Zeuge mit ihr in Funkkontakt gestanden habe. Zum Unfallzeitpunkt habe es stark geregnet und die Fahrbahnoberfläche sei sehr nass gewesen. Sie habe sich überfordert gefühlt und sei ohnehin eine ängstliche Fahrschülerin gewesen. Daher habe sie den Zeugen ausdrücklich gebeten, die Übung abzubrechen, was dieser aber abgelehnt habe. Bei dem Wendemanöver sei es dann zu dem Sturz gekommen. Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin ein Schmerzensgeld von 5.000,00 Euro sowie die Feststellung einer Schadenersatzpflicht des Beklagten für sämtliche künftigen Schäden aus dem Unfall begehrt.
Der Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten. Er hat behauptet, die Klägerin habe lediglich eine Kreisfahrtübung mit einfachem Wendemanöver um den Fahrleh-rer herum ausführen sollen, ohne dass dabei Pylone für eine Slalomfahrt aufgestellt worden seien. Die Klägerin habe die Vorderradbremse unvorhersehbar und grundlos zu stark betätigt, so dass sie wegen Überbremsung gestürzt sei. Es habe sich um einen typischen Anfängerfehler gehandelt. Es habe keine Anweisung gegeben, mit 35 km/h zu fahren. Die Straße sei auch nicht nass gewesen. Die Klägerin habe auch nicht darum gebeten, die Übungsfahrt abzubrechen.
Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen, weil ein schuldhafter Vorwurf an den Zeugen I nicht zu machen sei. Eine Sorgfaltspflichtverletzung könne nicht festgestellt werden, weil die Klägerin beweisfällig geblieben sei.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Anträge weiter. Sie rügt, dass die Kammer vertragliche Ansprüche nicht geprüft und § 831 BGB übersehen habe. Weiter greift sie die Beweiswürdigung des Landgerichts an.
Die Klägerin trägt ergänzend zu ihrem Ausbildungsstand vor, dass sie folgende Übungen absolviert habe:
- Motorrad schieben und nach rechts und links beugen - Erklärung über Funktion des Motorrades; - auf dem Motorrad sitzen, während es auf dem Ständer steht; - anfahren nur mit Kupplung, Stopp and go mit Kupplung, später mit eingelegtem 1.Gang; -Fahren eines großen Kreises, Versuch eine 8 zu fahren (=Wenden nach rechts und links); - Stopp and go bis zum zweiten Gang; - In großem Abstand aufgestellte Pylone umfahren; - Am Unfalltag: Stopp and go, Blinken beim Kreisfahren, Umfahren von eng aufgestellten Pylonen mit einer Geschwindigkeit von möglichst 35 km/h
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Er bestreitet, dass die Klägerin aufgefordert worden sei, eine Slalomstrecke mit 35 km/h zu fahren. Die Klägerin sei in einem über die Grundstufe hinausgehendem Ausbildungsstadium gewesen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld zu.
a) Schmerzensgeldansprüche wegen einer vertraglichen Pflichtverletzung gemäß §§ 280, 253 Abs. 2 BGB n.F. sind nicht gegeben. Der Unfall ereignete sich am 6. Mai 2002. Insoweit findet § 253 Abs. 2 BGB n.F. keine Anwendung. Gemäß Art. 229, § 8 Abs. 1 EGBGB gilt § 253 Abs. 2 BGB n.F. nur für solche Schadensereignisse, die sich nach dem 31. Juli 2002 ereignet haben.
b) Aus den gleichen Gründen scheitern auch Schmerzensgeldansprüche aus Gefährdungshaftung nach dem StVG.
c) Eine Haftung des Beklagten kommt ferner nicht nach §§ 823, 847 BGB a.F. i.V.m. § 3 Nr. 1 PflichtVG in Betracht. Zwar galt der Zeuge I gemäß § 2 Abs. 15 Satz 2 StVG als Fahrer des von der Klägerin benutzten Ausbildungsmotorrades und war daher bei dem Beklagten mitversichert. Die Klägerin hat jedoch eine haftungsbegründende Pflichtverletzung dieses Zeugen nicht feststellen können.
aa) Dem Fahrlehrer obliegen nach §§ 2 Abs. 15 StVG, 6 FahrlG, 1, 3, 5 FahrschAubO gegenüber dem Fahrschüler Sorgfaltspflichten, die er zu beachten hat und bei deren Verletzung er schadensersatzpflichtig ist. Zu den Pflichten gehört, dass dem Fahrschüler keine Aufgaben gestellt werden, die er nicht oder noch nicht bewältigen kann, weil sie seinem Ausbildungsstand noch nicht entsprechen (OLG Celle, OLGR Celle, 2001, 115; OLG Hamm, VersR 1998, 910; KG VerkMitt, 2004, 4). An die Erfüllung dieser Pflicht ist ein strenger Maßstab anzulegen, insbesondere wenn es sich um einen Zweiradfahrschüler handelt. Die Verschärfung ist daraus gerechtfertigt, dass bei der Zweiradausbildung der Fahrlehrer nicht jederzeit in das Fahrgeschehen einzugreifen vermag, sondern den Fahrschüler lediglich beobachten und über Funk Anweisungen erteilen kann. Ziel und Inhalt der Ausbildung ist die "Hinführung zum sicheren Fahrzeugführer". Die Ausbildung muss deshalb dem Fahrschüler die zur Führung eines Kraftfahrzeuges im Verkehr erforderlichen Fähigkeiten vermitteln, er soll nach einer ungeschriebenen Regel "von Bekanntem zum Unbekanntem, von Leichtem zu Schwierigem" geführt werden. Der Ablauf des praktischen Unterrichts lässt sich aus § 5 FahrschAusbO im Zusammenhang mit Anlage 3 entnehmen. Dort ist unter Ziffer 18 der zusätzliche Ausbildungsstoff für die Klasse A genannt. Daraus folgt, dass ein hierauf basierender Stufenlehrplan dem Schüler zunächst die elementaren Grundbegriffe vermitteln muss, bevor er diesen eigenverantwortlich im öffentlichen Verkehrsbereich fahren lässt. Insbesondere soll der Fahrlehrer den Schüler ständig begleiten und erst dann aus seinem unmittelbaren Eingriffsbereich entlassen, wenn dieser sicher in der Bedienung von Kupplung, Bremse und Gas sowie auf das Fahren von Kurven durch Vorübungen wie Kreisfahren, Wenden oder langsamen Slalom vorbereitet ist (OLG Celle a.a.O; OLG Hamm a.a.O).
bb) Nach diesem Maßstab ist keine Pflichtverletzung des Zeugen I darin zu sehen, dass er mit der Klägerin auf dem Stadionvorplatz die Übungsfahrt durchgeführt hat. Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hatte sie bereits einige Übungen absolviert und befand sich in der fünften Ausbildungsdoppelstunde. Nach der vorgelegten Ausbildungsdiagramkarte, deren Richtigkeit nicht im Streit ist und die nach dem curicularen Leitfaden der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände entwickelt worden ist, hat die Klägerin die Grundstufe der Ausbildung im wesentlichen abgeschlossen und auch schon Übungen der Aufbaustufe, insbesondere auch Wenden, absolviert. Damit hat die Klägerin bereits die elementaren Grundbegriffe erlernt. In diesem Ausbildungsstadium sind Übungsfahren auf öffentlichen Verkehrsflächen mit geringen fließendem Fahrzeugverkehr normal.
Die Klägerin hat auch nicht bewiesen, dass der Zeuge I von ihr gefordert hat, eine Slalomstrecke mit 35 km/h zu durchfahren. Eine solche Übung ist im Rahmen der Ausbildung weder in der Aufbaustufe, noch in der Leistungsstufe vorgesehen. Weil die von der Klägerin geschilderte Aufgabenstellung auch keine Prüfungsaufgabe ist, wäre die Aufforderung eine derartige Übung zu fahren, eine Pflichtverletzung. Der Zeuge I hat die Behauptung der Klägerin nicht bestätigt. Der Senat verkennt nicht, dass der persönliche Eindruck des Zeugen den der Senat bei der Beweisaufnahme gewonnen hat, geeignet ist, Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit begründen. Aber trotz dieser Zweifel ist der Beweis für die behauptete Aufforderung nicht erbracht. Denn auch die Schilderung der Klägerin begegnet Bedenken. Die Behauptung der Klägerin, sie habe mit einer Geschwindigkeit von 35 km/h eine Slalomstrecke durchfahren sollen, ist nicht glaubhaft. Eine solche Übungskonstellation ist, wie auch der Zeuge I plausibel bekundet hat, fahrphysikalisch nicht ausführbar.
d) Der Klägerin steht gegen den Beklagte schließlich auch kein Anspruch gemäß § 831 S. 1 BGB i.V.m. § 3 PflichtVG zu.
Der Geschäftsherr haftet für vermutetes eigenes Verschulden bei der Auswahl oder Leitung seiner Hilfsperson. Diese Haftung tritt bereits ein, wenn die Hilfsperson in Ausführung der Verrichtung einem Dritten widerrechtlich einen Schaden zugefügt hat. Die Widerrechtlichkeit wird durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert und ein Verschulden der Hilfsperson ist nicht erforderlich.
Der als Fahrlehrer angestellte Zeuge I war den Weisungen der Fahrschule T GmbH unterworfen und daher deren Verrichtungsgehilfe. Er hat die Gesundheitsschädigung der Klägerin durch die von ihm gegebenen Fahranweisungen auch in Ausführung der ihm obliegenden Verrichtung im naturwissenschaftlichen Sinne (condicio sine qua non) mitverursacht. Nach der Beurteilung des Senats fehlt es jedoch bei wertender Betrachtung an einem rechtlichen Zurechnungszusammenhang zwischen den Anweisungen des Zeugen I und dem Sturz der Klägerin. Denn die Klägerin hat ihre zu dem Sturz führende Übungsfahrt aus eigener Entscheidung durchgeführt, obwohl sie sich nach ihrem Vorbringen überfordert fühlte. Zwar unterbricht das eigene Fehlverhalten des Geschädigten den Zurechnungszusammenhang zwischen einem Kausalbeitrag des Schädigers und dem Schadeneintritt nicht in jedem Fall. Eine solche Unterbrechung ist jedoch dann zu bejahen, wenn das eigene Fehlverhalten des Geschädigten den Schadeneintritt derart prägt, dass demgegenüber der mittelbar geleistete Kausalbeitrag des Schädigers vollständig zurücktritt. So liegt der Fall hier. Die Klägerin hat die Fahrschulübungen als erwachsene Frau aus eigener Entscheidung absolviert und war jederzeit in der Lage, diese Übungen von sich aus abzubrechen. Sie selbst war auch am ehesten in der Lage zu entscheiden, ob das zu ihrem Sturz führende Wendemanöver für sie zu riskant war oder nicht. Nachdem sie die vorangegangenen Übungen schadlos bewältigt hatte, konnte der Zeuge I auch bei verbal geäußerten Bedenken der Klägerin davon ausgehen, dass diese bei wirklichen und ernsthaften Problemen von der Weiterfahrt Abstand nehmen würde. Dies gilt insbesondere für solche Schwierigkeiten, die nur von der Klägerin selbst unmittelbar wahrgenommen werden konnten, wie die Sichtbehinderung durch niedergehenden Regen. Wenn sie trotz einer solchen Sichtbehinderung weitergefahren ist, wie sie bei ihrer Anhörung im Senatstermin selbst eingeräumt hat, hat sie bewusst und ohne Not ein Unfallrisiko auf sich genommen, für das sie selbst einstehen muss. Aus diesem Grunde ist der Zurechnungszusammenhang zwischen den Übungsanweisungen des Zeugen I als mittelbarem Kausalbeitrag und dem Sturz der Klägerin zu verneinen.
2. Der Klägerin steht auch kein Feststellungsanspruch gegen den Beklagten zu. Eine deliktische Haftung für die durch den Sturz verursachten Zukunftsschäden scheidet aus den bereits dargelegten Erwägungen aus. Vertragliche Ansprüche wegen der materiellen Schäden gemäß § 280 BGB n.F. scheitern an dem fehlenden Beweis einer Pflichtverletzung des Zeugen I und Ansprüche aus § 18 Abs. 1 StVG an der Ausschlussregelung des § 8 2. Alternative StVG a.F.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I S. 1 ZPO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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