Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.04.2005
Aktenzeichen: 9 U 194/04
Rechtsgebiete: BGB, BauO NW


Vorschriften:

BGB § 253
BGB § 823
BGB § 823 Abs. 2
BauO NW § 36 Abs. 6
BauO NW § 36 Abs. 7
BauO NW § 36 Abs. 8
BauO NW § 36 Abs. 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23. Juli 2004 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Amsberg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

I.

Am Abend des 21.11.2002 kam der Kläger nach einer von dem Beklagten ausgerichteten Feier auf dem an einem Hang gelegenen Grundstück des Beklagten aus streitigen Gründen zu Fall und zog sich Verletzungen zu. Er hatte an dieser Feier in einer Gartenhütte des Beklagten teilgenommen und sich gegen 23.30 Uhr auf den Heimweg begeben. Dabei hatte er die von der Gartenhütte in Richtung zur Straße hin führende zehnstufige Natursteintreppe benutzt, die weder Geländer noch Handlauf aufwies. Im weiteren Verlauf des Abends wurde der Kläger von weiteren Gästen der Feier drei Meter vom Fuße der Treppe entfernt und etwa rechtwinklig zum Treppenende verletzt auf dem Boden liegend angetroffen. Nach seiner Einlieferung in ein Krankenhaus wurde bei ihm eine spastische Querschnittlähmung, eine Blasen- und Mastdarmlähmung und Stuhllinkontinenz festgestellt.

Der Kläger behauptet, er sei im oberen Bereich der Treppe nach einem Fehltritt ins Stolpern geraten, habe sich mangels Geländers oder Handlaufs nicht abfangen können und sei die gesamte Treppe vornüber hinabgestürzt. Nach dem Sturz sei er vom Fuß der Treppe gesehen weg in Richtung Garage des Wohnhauses "gerobbt", um seine Ehefrau in dem dort vorhandenen Lichtschatten mit seinem Handy anzurufen. Bereits unmittelbar nach dem Sturz seien bei ihm Lähmungserscheinungen aufgetreten, die es ihm unmöglich gemacht hätten, aufzustehen oder zu gehen. Die jetzt vorhandenen Lähmungen seien allein auf diesen Sturz zurückzuführen. Er ist der Ansicht, der Beklagte habe wegen des Fehlens eines Geländers die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt. Mit der vorliegenden Klagen hat der Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in der Größenordnung von 175.000,00 € sowie die Feststellung einer Haftung des Beklagten für sämtliche ihm entstandenen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall begehrt.

Der Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten. Er meint, er sei zum Anbringen eines Geländers an der Gartentreppe nicht verpflichtet gewesen. Desweiteren hat er einen Sturz des Klägers auf der Treppe wie auch die Möglichkeit einer Verhinderung des behaupteten Sturzes durch ein Geländer bestritten. Schließlich hat er einen Ursachenzusammenhang zwischen dem behaupteten Sturz und den Lähmungserscheinungen bestritten, erhebliche gesundheitliche Vorschädigungen des Klägers behauptet und hilfsweise ein Mitverschulden des Klägers eingewandt.

Das Landgericht hat nach persönlicher Anhörung des Klägers die Klage abgewiesen. Dabei hat es einen Treppensturz des Klägers und die Ursächlichkeit des Fehlens eines Geländers für den Sturz als nicht hinreichend sicher feststellbar angesehen.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine bisherigen Klageanträge in vollem Umfang weiter, wobei er insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts angreift.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten wegen seines Unfalles vom 21. November 2001 ein Schadenersatzanspruch nach §§ 823, 253 BGB nicht zu.

1.

Ein solcher Anspruch lässt sich zunächst nicht darauf stützen, dass an der Gartentreppe zum Unfallzeitpunkt unstreitig kein Geländer angebracht war.

a)

Dieses Versäumnis ist allerdings als schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung zu bewerten. Zum einen stellt § 36 Abs. 6 bis 9 BauO NW, wonach auch bei einer Gartentreppe mit mehr als fünf Stufen ein Geländer bzw. einen Handlauf vorgeschrieben ist, ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, gegen das der Beklagte verstoßen hat. Zum anderen weist die Treppe zehn Stufen auf und ist nach den zu den Akten gereichten Lichtbildern verhältnismäßig steil, sodass dort aus diesen Gründen typischerweise eine Sturzgefahr besteht, die durch ein Geländer zumindest abgemildert werden kann. Demnach war der Beklagte ganz unabhängig von dem Vorliegen einer ordnungsbehördlichen Sicherungsvorschrift verpflichtet, die von ihm geschaffene Gefahrenquelle, auf der er einen Verkehr eröffnet hatte, durch eine besondere Schutzmaßnahme zu sichern.

b)

Der Kläger hat jedoch nicht bewiesen, dass das Fehlen des Treppengeländers für seinen Sturz ursächlich geworden ist.

aa)

Dabei kann schon nicht hinreichend sicher festgestellt werden, dass der Unfall sich überhaupt auf der Treppe zugetragen hat.

Augenzeugen des Sturzes sind ebenso wenig vorhanden wie hinreichende Indizien - z.B. Blutspuren oder Fußabdrücke -, aus denen mit einiger Verlässlichkeit auf den genauen Unfallort geschlossen werden könnte. Gegen einen Treppensturz spricht vielmehr die Feststellung, dass der Kläger nach dem Unfall nicht unmittelbar an dem unteren Treppenende, sondern von dort etwa drei Meter entfernt und etwa rechtwinklig versetzt aufgefunden worden ist. Während der Kläger dies erstinstanzlich damit erklärt hat, er sei dorthin "gerobbt", um im Licht der dort installierten Lichtquelle seine Ehefrau per Handy anzurufen, hat er bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat erklärt hat, er habe sich von der Sturzstelle deshalb fortbewegt, weil die Beleuchtung vom Haus aus möglicherweise so stark gewesen sei, dass er die Anzeige auf dem Display seines Handys nicht habe erkennen können. Auch diese Widersprüchlichkeit der Begründungsversuche begründet Zweifel an der Sturzversion des Klägers. Ferner erscheint in hohem Maße zweifelhaft, dass er sich nach seinen schweren Verletzungen noch von der Stelle rühren konnte.

Schließlich ist auch die eigene Darstellung des Klägers nicht geeignet, dem Senat die Überzeugung zu vermitteln, dass der Unfall sich auf der Treppe ereignet hat. Zwar hat der Kläger angegeben, auf der obersten Treppenstufe einen Fehltritt getan zu haben. Er hat aber nicht plausibel erklären können, warum es zu diesem Fehltritt gekommen sein soll. Dabei erscheint zweifelhaft, ob der Kläger selbst überhaupt eine konkrete unmittelbare Erinnerung an den genauen Unfallort hat. Es spricht vielmehr einiges dafür und wird auch von ihm selbst nicht in Abrede gestellt, dass er nachträglich - auch mit Hilfe von Bekannten - versucht hat, den genauen Unfallhergang zu rekonstruieren, und dass er aufgrund dieser Rekonstruktion zu der Annahme eines Fehltritts gelangt ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger beim Verlassen der von dem Beklagten ausgerichteten Feier eine Abkürzung zum Ausgang über den Hang gewählt hat und dabei zu Fall gekommen ist. Denn er kannte die Örtlichkeit und hatte unstreitig innerhalb von drei Stunden Alkohol - unstreitig mindestens drei Flaschen Bier und drei Gläser Schnaps - konsumiert, so dass seine Bereitschaft zum Eingehen eines für ihn nicht ohne weiteres abschätzbaren Risikos möglicherweise erhöht war.

bb)

Ganz unabhängig von der Frage des genauen Unfallortes ist auch nicht bewiesen, dass ein Treppengeländer den von dem Kläger angegebenen Sturz verhindert oder in seinen Folgen wesentlich abgemildert hätte. Der Kläger könnte sich auch dann nicht auf die Regeln des Anscheinsbeweises berufen, wenn er gemäß seinem Vorbringen tatsächlich auf der Treppe gestürzt und vornüber gefallen wäre. Es gibt nämlich keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der beim Hinabsteigen auf einer Treppe strauchelt und in Gehrichtung stürzt, den Sturz in aller Regel und ungeachtet der ihn auslösenden Umstände mit Hilfe eines Treppengeländers hätte abfangen oder doch entscheidend hätte mildern können. Die Vielgestaltigkeit der möglichen Geschehensabläufe lässt es nicht zu, von einem Regelsachverhalt zu sprechen, auf den die Grundsätze über den Anscheinsbeweis anwendbar wären. Von einem entsprechenden Erfahrungssatz könnte nur dann ausgegangen werden, wenn feststünde, dass der Verunglückte seitlich von der Treppe an einer Stelle herabgestürzt ist, an der sich das Geländer hätte befinden müssen. Derartige Stürze stehen tatsächlich typischerweise in einem ursächlichen Zusammenhang mit den Gefahren, denen durch das Geländer vornehmlich begegnet werden soll (BGH VersR 1974, 263 <264>; 1974, 972). Im vorliegenden Fall ist der Kläger, sein Vorbringen als richtig unterstellt, aber nicht zur Seite hinab, sondern nach vorn in den weiteren Treppenbereich gestürzt. Seine Reflexbewegung ging daher nach vorn in Richtung der Gefahr und nicht zur rechten Seite, wo sich das Geländer hätte befinden müssen. Deshalb kann in solchen Fällen nicht davon ausgegangen werden, dass die durch das Fehlen des Geländers hervorgerufene besondere Gefahrenquelle allein schon deshalb, weil der Verunglückte auf der Treppe gestürzt ist, im Einwirkungsbereich des Unfallgeschehens gelegen hat (BGH VersR 1974, 263 (264); 1974, 972). .

2.

Soweit der Kläger seinen Anspruch auf das Fehlen einer hinreichenden Beleuchtung stützt, hat er gleichfalls keinen Erfolg. Eine schuldhafte Verletzung der insoweit bestehenden Verkehrssicherungspflicht ist nicht bewiesen. Der Treppenbereich war unstreitig nicht vollständig dunkel, sondern durch eine Lampe an der Treppe selbst und auch durch Außenleuchten am Wohnhaus und das eingeschaltete Licht im Wohnhaus beleuchtet. Damit ist ein den Sturz verursachender Mangel der Beleuchtung des Treppenbereiches nicht festzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück