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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.11.2004
Aktenzeichen: 9 U 203/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 842
BGB § 254 Abs. 2
ZPO § 287
1.

Die Kausalität eines Unfalls für einen Erwerbsschaden durch bisher gescheiterte Wiedereingliederungs in das Erwerbsleben kann zu verneinen sein, wenn die Lage des Arbeitsmarktes eine gesundheitlich mögliche und zumutbare Arbeitsaufnahme verhindert (Differenzierung zu BGH VersR. 1991, 703).

2.

Zwar trägt der Schädiger grundsätzlich die Beweislast dafür, dass der Geschädigte zur Verwertung der ihm verbliebenen Arbeitskraft das ihm Zumutbare getan hat; jedoch hat der Geschädigte im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht darzulegen, was er zur Erlangung einer ihm zumutbaren Arbeitsstelle unternommen hat.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 1. Oktober 2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass von dem ausgeurteilten Betrag folgende Einzelbeträge an die Stadt Bochum zu zahlen sind:

- für Dezember 2002 ein Betrag von 786,51 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 95,98 Euro,

- für Januar 2003 ein Betrag von 839,25 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 111,86 Euro,

- für Februar 2003 ein Betrag von 839,25 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 111,86 Euro,

- für März 2003 ein Betrag von 839,25 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 119,51 Euro,

- für April 2003 ein Betrag von 839,25 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 114,41 Euro,

- für Mai 2003 ein Betrag von 839,25 Euro zuzüglich Krankenversicherungsbeitrag von 114,41 Euro.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger seinerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe: I. Der 1969 geborene Kläger erlitt am 12. Oktober 1985 als Motorradsozius einen Verkehrsunfall, für dessen Folgen die Beklagte dem Grunde nach unstreitig voll haftet. Der Kläger trug bei dem Unfall insbesondere eine dislozierte Oberschenkeltrümmerfraktur links mit der Entwicklung eines Kompartmentsyndroms sowie eine Verletzung der Halswirbelsäule in Form eines Dornfortsatzabrisses C 6/C 7 davon. Er musste sich wegen dieser Verletzungen wiederholt - zum Teil langandauernden - Krankenhausaufenthalten mit zahlreichen Operationen unterziehen. Nach amtsärztlicher Beurteilung vom 19. Mai 1992 sind für ihn nur "leichte bis mittelschwere Tätigkeiten, halb- bis untervollschichtig (5 Std. täglich), witterungsgeschützt, mit der Möglichkeit der wechselnden Körperhaltung am Arbeitsplatz" zumutbar. Der zum Zeitpunkt des Unfalls in der Ausbildung zum Betriebsschlosser befindliche Kläger schulte in der Folgezeit zum Industriekaufmann um und beendete diese Ausbildung mit einem Abschlusszeugnis. Eine Arbeitsstelle hat er während des streitgegenständlichen Zeitraumes (Dezember 2001 bis Mai 2003) nicht erhalten. Die Beklagte hat den Verdienstausfall des Klägers einschließlich Krankenversicherungsbeiträgen bis November 2001 - im Einverständnis mit dem Kläger - auf der Grundlage des Einkommens eines bei der Fa. F GmbH arbeitenden "Vergleichsmanns" berechnet und ersetzt. Zwischen den Parteien besteht Einigkeit, dass dem Kläger auf dieser Berechnungsgrundlage für den Zeitraum von Dezember 2001 bis Mai 2003 ein Nettoverdienstausfall in Höhe von 27.360,32 Euro entstanden ist. Der Kläger behauptet, dieser Ausfallschaden beruhe auf der unfallbedingten Minderung seiner Erwerbsfähigkeit. Mit der vorliegenden Klage begehrt er Ersatz seines in dieser Höhe bezifferten Erwerbsschadens. Die Beklagte tritt diesem Begehren entgegen. Sie bestreitet eine zu dem geltend gemachten Verdienstausfallschaden führende Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers und behauptet ferner, der Kläger habe die ihm obliegende Schadenminderungspflicht verletzt, indem er sich nicht in dem gebotenen Maße um eine Arbeitsstelle bemüht habe. In erster Instanz hatte sie darüber hinaus behauptet, der Schaden des Klägers sei dadurch verringert worden, dass er als Mietwagenfahrer für die Fa. I OHG gearbeitet habe. Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen zur Frage einer verheimlichten entgeltlichen Beschäftigung des Klägers der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat eine solche Beschäftigung als nicht bewiesen angesehen und die Verletzung einer Schadensminderungspflicht mangels substantiierten Vortrages der Beklagten zu der von ihr behaupteten unzureichenden Arbeitsplatzsuche des Klägers verneint. Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, wobei sie die Verneinung einer Verletzung der Schadensminderungspflicht angreift und wegen erfolgter Sozialhilfeleistungen (Dezember 2001 bis Mai 2003) insoweit die Aktivlegitimation des Klägers bestreitet. Der Kläger hat daraufhin seinen Klageantrag nach Maßgabe des Tenors des Senatsurteils abgeändert. II. Die zulässige Berufung ist - auch in der wegen (teilweiser) gewillkürter Prozessstandtschaft für die Stadt C nach § 263 ZPO geänderten Antragsfassung - unbegründet. Die Beklagte hat gemäß §§ 823 Abs. 1, 842 BGB in Verb. mit § 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz den mit der Klage geltend gemachten Erwerbsschaden aus dem Verkehrsunfall vom 12. Oktober 1985 in vollem Umfang zu ersetzen, und zwar in Höhe der im Tenor bezifferten Teilbeträge an die Stadt C und im Übrigen an den Kläger. 1. Der Fahrer des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw hat durch den von ihm verschuldeten Unfall den mit der Klage geltend gemachten Erwerbsschaden des Klägers verursacht. Für diesen Ursachenzusammenhang ist nach den allgemeinen Grundsätzen der Geschädigte als Anspruchsteller darlegungs- und beweispflichtig, wobei ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute kommt (haftungsausfüllende Kausalität) Dieser Ursachenzusammenhang ist für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom Dezember 2001 bis Mai 2003 zu bejahen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kläger in diesem Zeitraum bereits wieder so weit hergestellt war, dass gesundheitliche Gründe der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr entgegenstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein ersatzpflichtiger Erwerbsschaden des Verletzten nicht einmal von dem Zeitpunkt vollständiger gesundheitlicher Wiederherstellung an notwendigerweise zu verneinen, sondern kommt auch dann in Betracht, wenn der Verletzte seine Arbeitskraft trotz Erwerbsfähigkeit wegen ungünstiger Arbeitsmarktlage nicht nutzen kann (BGH VersR 1991, 703 <704>). Dies gilt erst recht dann, wenn die Erwersbsfähigkeit des Verletzten in dem streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls in einem gewissen Maße gemindert war, wie auch die Beklagte selbst nicht in Abrede stellt. In einem solchen Fall spricht bei lebensnaher Betrachtungsweise die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Verbindung von gesundheitlich bedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit und schwieriger Arbeitsmarktsituation eine erfolgreiche Arbeitsplatzsuche des Klägers verhindert hat. Denn es ist realistischerweise davon auszugehen, dass die teilweise geminderte Erwerbsfähigkeit des Klägers in dem fraglichen Zeitraum für die Erfolglosigkeit seiner Bewerbungen mitursächlich geworden ist. Aus diesem Grunde war die von der Beklagten beantragte Klärung des genauen Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch einen Arbeitsmediziner nicht erforderlich. Allerdings ist bei lebensnaher Prognose für die Zukunft zu erwarten, dass in Anbetracht der sich noch weiter zuspitzenden Lage auf dem Arbeitsmarkt und fehlender Zusatzqualifikationen des Klägers sich dessen Einstellungschancen bereits aufgrund des allgemeinen Konkurrenzkampfes deutlich verschlechtern werden und seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Entscheidung über eine Einstellung kein entscheidendes Gewicht mehr zukommen wird. Demzufolge muss der Kläger künftig damit rechnen, dass es ihm mit zunehmender Zeit immer schwerer fallen wird, den Ursachenzusammenhang zwischen Unfall und Verdienstausfall nachzuweisen. 2. Soweit die Beklagte im ersten Rechtszug den Wegfall oder die Verminderung eines Erwerbsschadens des Klägers infolge einer vor ihr verheimlichten entgeltlichen Tätigkeit bei der Firma I oHG behauptet hat, ist diese Behauptung nach der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz nicht mehr wiederholt worden. 3. Die Beklagte hat schließlich auch nicht den Beweis geführt, dass der Kläger gegen die ihm nach § 254 Abs. 2 BGB obliegende Schadenminderungspflicht verstoßen hat. Die Schadenminderungspflicht des Verletzten begrenzt die Haftung für den ihm entstandenen Schaden auf dasjenige, was nach möglicher und zumutbarer Minderung verbleibt. In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass der Verletzte die ihm verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich verwerten muss (BGH VersR 1991, 437 <438>; 1997, 1158 <1159> jew. m.w.N.). Dabei trägt der Schädiger die Beweislast dafür, dass der Geschädigte zur Verwertung der ihm verbliebenen Arbeitskraft nicht das ihm Zumutbare getan hat (BGH VersR 1997, 1158 <1159>; OLG Köln VersR 2000, 239). Jedoch ist der Verletzte im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflichten gehalten darzulegen, was er zur Erlangung einer ihm zumutbaren Arbeitsstelle unternommen hat. Dieser Darlegungspflicht ist der Kläger nach der Beurteilung des Senats in ausreichendem Maße nachgekommen. Er hat für die Zeit von 2001 bis 2003 eine Vielzahl schriftlicher Dokumente über Bewerbungen und Absagen in dem von ihm erlernten Berufsbereich - als Industriekaufmann - vorgelegt. Da er verpflichtet war, seine Behinderung mitzuteilen, waren seine Einstellungschancen in dem von Rationalisierungsmaßnahmen besonders stark betroffenen und damit besonders stark umkämpften "Innendienstbereich" nach aller Erfahrung schon aus diesem Grunde von vornherein überaus gering. Daneben stellte seine mangelnde Berufserfahrung sicherlich ein weiteres Handicap dar. Des weiteren waren in Anbetracht seiner langen ununterbrochenen Arbeitslosigkeit (seit 1986) Zweifel an seiner Einordnung in einen geregelten und straffen Arbeitsablauf nicht fernliegend. Mithin kann aus den Absagen nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger sich nicht nach Kräften bemüht hätte. Soweit der Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht lückenlos Bewerbungen dargelegt hat, ist dies unschädlich, da in Anbetracht seiner zahlreichen vorgelegten Bewerbungen davon ausgegangen werden kann, dass auch hinreichend intensive Anstrengungen für die nicht durch konkrete Bewerbungen abgedeckte Zeit erfolglos geblieben wären. Die Beklagte hat die Vornahme der von dem Kläger im einzelnen dargelegten Bewerbungsbemühungen des Klägers nicht widerlegen können. Sie ist daher für ihre Behauptung beweisfällig geblieben, dass der Kläger zur Verwertung der ihm verbliebenen Arbeitskraft nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen und damit gegen § 254 Abs. 2 BGB verstoßen hat. 4. Die nach dem Maßstab des "Vergleichsmannes" für den Zeitraum Dezember 2001 bis Mai 2003 unstreitig entstandenen Einkommenseinbußen von 27.360,32 Euro sind von der Beklagten in vollem Umfang zu ersetzen. Dabei ist aufgrund der von dem Kläger unter dem 10. April 2003 abgegebenen - und von der Stadt C konkludent angenommenen - Abtretungserklärung die Abtretungsempfängerin in Höhe der im Urteilstenor aufgeführten Einzelbeträge anspruchsberechtigt. Der übrige ausgeurteilte Ersatzbetrag steht dem Kläger zu. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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