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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.06.2008
Aktenzeichen: 9 U 229/07
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 242 | |
BGB § 253 Abs. 2 | |
BGB § 254 | |
BGB § 833 |
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 24. September 2007 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die gegen ihn gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagte als Halterin des Pferdes "T" Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche (im wesentlichen für behaupteten Verdienstausfallschaden) aus einem Unfallereignis vom 23.10.2006 geltend.
Die Beklagte hatte ihr Pferd -ein 700 kg wiegender, 10jähriger Araber- auf dem Hof des Zeugen C abgestellt. Am 23.10.2006 gg. 17.30 h wurde der Kläger als Tierarzt bei dem Versuch einer mit der linken Hand geführten rektalen Fiebermessung von dem Pferd vor den rechten Daumen getreten, der dabei einen Trümmerbruch erlitt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung bezug genommen.
Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe von 2.750,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 52.425,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 17,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da das Schadensereignis bereits nicht vom Schutzbereich des § 833 BGB umfasst sei. Insoweit wird auf die Urteilsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Der Kläger meint, das Landgericht habe die Voraussetzungen des § 833 BGB verkannt. Der Schutzbereich des § 833 BGB sei vorliegend berührt. Es liege auch kein konkludenter Ausschluß der Tierhalterhaftung vor. In tatsächlicher Hinsicht vertieft der Kläger seinen Vortrag, daß er die Untersuchung des Pferdes mit der gebotenen Eigensorgfalt durchgeführt habe und mit dem Tritt des Pferdes nicht zu rechnen gewesen sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat den Kläger persönlich angehört. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11.3.2008 nebst Berichterstattervermerk Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus § 833 BGB (i.V.m. 253 Abs. 2 BGB), der insoweit allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.
Zwar hat sich in dem plötzlichen Tritt des Pferdes gegen den Daumen des Klägers eine typische Tiergefahr verwirklicht. Daraus folgt aber nicht automatisch eine Bejahung des klägerischen Anspruchs. Im vorliegenden Fall treffen die Tierhalterhaftung (Gefährdungshaftung) und die berufsspezifischen Risiken eines Tierarztes aufeinander, so daß sich die Frage nach einem Interessenausgleich stellt. Dabei geht es letztlich um eine "gerechte Zuweisung des Zufallsschadens" (BGH, NJW 1974, S. 234; OLG Celle, VersR 1990, S. 794). Hierzu hat die Rechtsprechung unterschiedliche Ansätze entwickelt, die gegebenenfalls zu einer Einschränkung der Haftung des Tierhalters führen können, wobei jedoch die dogmatische Einordnung in der Literatur als unklar und zum Teil umstritten bezeichnet wird (Palandt-Sprau, 67. Aufl., § 833 Rn 8).
So soll eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des "Schutzbereichs der Norm" ausscheiden, wenn der Verletzte die Herrschaft über das Tier in Kenntnis der damit verbundenen besonderen Tiergefahr vorwiegend im eigenen Interesse übernommen hat (BGH, NJW 1974, S. 234; OLG Nürnberg VersR 1999, S. 140; OLG Zweibrücken, MDR 1996, S. 264). Andererseits dürfe der Gedanke, den Umfang der Haftung einer Norm nach ihrem Schutzbereich zu begrenzen, nicht zu einer Aufweichung der Gefährdungshaftung führen. Daher soll schon eine gleiche Interessenlage nicht mehr ausreichen (BGH, NJW 1977, S. 2159), zumal eine derartige, im Einzelfall oft schwer zu treffende Wertung nach der Interessenlage , wenn sie sich nicht ausnahmsweise geradezu aufdränge, nicht verallgemeinert werden dürfe (BGH, NJW 1977, S. 2159). So soll etwa ein Reiter, auch wenn er sich aus eigenem Interesse auf ein Pferd setzt, nicht schon deshalb außerhalb des Schutzbereichs des § 833 BGB stehen (BGH, NJW 1993, S. 2611). Ausdrücklich entgegen der eingangs genannten Entscheidung des OLG Nürnberg (VersR 1999, s. 140) sieht auch das AG Rotenburg (RdL 2006, S. 266) den Schaden, den ein ausschlagendes Pferd in einer Tierklinik anrichtet, als vom Schutzbereich des § 833 BGB umfasst an.
Das Landgericht hat sich im vorliegenden Fall der o.g. Argumentation des OLG Nürnberg mit der Überlegung angeschlossen, daß das eigene Interesse des Tierarztes an der Erzielung von Einkünften jedenfalls das altruistische Interesse an der Heilung des kranken Geschöpfes beziehungsweise ein dahingehendes Interesse des Halters überwiege. Dem kann nicht gefolgt werden. Das pekuniäre Interesse des Tierarztes und das Interesse des Halters an der Heilung seines Pferdes sind nach Ansicht des Senats solange gleichwertig, als sich -wofür hier nichts ersichtlich ist- eine andere Wertung wie vom BGH gefordert nicht geradezu aufdrängt. Den Schutzbereich der Norm schon dann zu verneinen, wenn ein Anspruchsteller an einer im Zusammenhang mit dem Tier übernommenen Verpflichtung Geld verdient, würde zu einer nicht vertretbaren Aufweichung der Gefährdungshaftung aus § 833 BGB führen.
Hinzu kommt: Der Tritt eines Pferdes ist geradezu die typische Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr, für die die spezielle Bestimmung des § 833 BGB vom Gesetzgeber geschaffen worden ist. Auch wenn der Senat im Ergebnis der Auffassung ist, daß § 833 BGB im Fall des vorliegenden Konflikts der Tierhalterhaftung mit berufsspezifischen Risiken eines Tierarztes einer Einschränkung bedarf -hierauf wird noch einzugehen sein- kann die Lösung des Problems nach Auffassung des Senats nicht darin liegen, daß man vorliegend die gesamte Norm entgegen ihrem Wortlaut von vornherein für unanwendbar erklärt.
Darüber hinaus soll es nach einer Ansicht im Rahmen der vom Verletzten übernommenen "eigenen Herrschaft" über das Tier einschränkend darauf ankommen, ob der Tierhalter noch die Möglichkeit eigener Einflussnahme hatte (OLG Nürnberg, VersR 1999, S. 240; OLG Celle, VersR 1990, S. 794; dort wird die übernommene Herrschaft über das Tier auch als "Risikobereich" bezeichnet). Soweit die Parteien hierzu im vorliegenden Fall darüber streiten, inwieweit der Zeuge C bei der Untersuchung anwesend war, kommt es auf diesen tatsächlichen Streit indes ebensowenig an wie auf die Rechtsfrage, welche Rechtsposition der Zeuge im Verhältnis zur Beklagten innehatte, ob diese also gleichsam eine Möglichkeit der Ausübung eigener Einflußnahme auf das Pferd über den Zeugen C hatte. Denn der Senat hält das Abgrenzungskriterium der Möglichkeit eigener Einflußnahme als Maßstab für eine Haftungsbeschränkung im Rahmen des § 833 BGB für insgesamt untauglich:
Regelmäßig ist es in Fällen der vorliegenden Art gänzlich irrelevant, ob der Tierhalter bzw. wer auch immer an seiner Stelle zugegen ist. Die Möglichkeit der Einflußnahme endet in dem Moment, in dem das Tier -wie auch hier- schreckartig bzw. reflexartig zutritt. Es handelt sich gerade nicht um eine willensgesteuerte und durch den danebenstehenden Tierhalter überhaupt beeinflußbare Handlung. Zu recht weist die Berufung in diesem Zusammenhang darauf hin, daß das immerhin 700 kg schwere Araber-Pferd selbst bei Anwesenheit noch weiterer Helfer nicht an dem Tritt gehindert worden wäre, zumal wenn dieser unerwartet kam. Weder der Verletzte, noch der (unterstellt) anwesende Tierhalter können in einem solchen Fall an dem Handlungsablauf irgendetwas ändern, so daß es darauf, wer im Moment des Trittes die "Herrschaft" oder "Möglichkeit der Einflußnahme" auf das Tier hatte, nicht ankommen kann.
Nach einer weiteren Ansicht soll eine in Fällen der vorliegenden Art als notwendig angesehene Haftungsbeschränkung im Rahmen der Beweislast erfolgen (OLG Zweibrücken, MDR 1996, S. 264; ähnlich OLG Nürnberg a.a.O. zu Ziff. 3.). Danach müsse der Tierarzt darlegen und beweisen, was sich in seinem Herrschaftsbereich zugetragen habe. Es sei unbillig, dem Tierhalter insoweit Vorbringen abzuverlangen, vielmehr müsse der Tierarzt darlegen und nachweisen, daß er die ihm nach dem Vertrag obliegende Sorgfalt beachtet habe; erbringe er diesen Nachweis nicht, soll ihm gegen den Tierhalter kein Anspruch zustehen (OLG Zweibrücken a.a.O.). Der Senat schließt sich auch dieser Ansicht nicht an, da es sich bei der Frage eines eventuellen Sorgfaltsverstoßes des Tierarztes im Rahmen der von ihm durchgeführten Behandlung der Sache nach um einen Mitverschuldenseinwand (§ 254 BGB) handelt, für den derjenige darlegungs- und beweisbelastet ist, der sich auf ein Mitverschulden beruft; d.h. gerade nicht der Tierarzt, sondern sein Anspruchsgegner.
Schließlich kann auch die Berücksichtigung des Behandlungsvertrages im Rahmen der Tierhalterhaftung im vorliegenden Fall nicht zu eine Haftungsbeschränkung führen. Zwar ist es rechtlich grundsätzlich möglich, daß eine vertragliche Haftungsbeschränkung auch auf außervertragliche Ansprüche durchschlagen kann. Jedoch wird man nicht davon ausgehen können, daß jedem entgeltlichen Vertrag über eine Tätigkeit an einem Tier von vornherein ein vertraglicher Haftungsausschluß zugunsten des Tierhaltes innewohnt (BGH VersR 1968, S. 797 für den Hufbeschlagsvertrag eines Hufschmieds; OLG Zweibrücken, MDR 1996, S. 264 für -wie vorliegend- einen Tierarzt).
Die Annahme eines solchen generellen, gleichsam vertragsimmanenten Haftungsausschlusses ist nach Ansicht des Senats auch nicht nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB wegen eines wirtschaftlichen Gefälles zwischen Tierarzt und Tierhalter geboten, da auf Seiten des Tierhalters als des vermeintlich wirtschaftlich schwächeren Vertragspartners -wenn das im Falle der privaten Pferdehaltung überhaupt angenommen werden kann- regelmäßig anstelle des Tierhalters eine Haftpflichtversicherung im Rahmen des § 833 BGB die Schadensregulierung übernimmt (so z.B. auch im vom BGH VersR 2006, S. 416 entschiedenen Fall eines Bockrichters bei einem Kutschen-Geländefahrturnier).
Damit müßte eine vertragliche Haftungsbeschränkung im konrekten Fall ausdrücklich vereinbart oder zumindest im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung begründbar sein. Für letzteres -nur diese Alternative käme vorliegend überhaupt in Betracht- reicht es aber nicht aus, daß eine entsprechende haftungsbeschränkende Vereinbarung nur nicht getroffen worden ist. Vielmehr bedarf es nach Ansicht des Senats insbesondere angesichts der Tragweite einer solchen vertraglichen Haftungsbeschränkung -immerhin kann dadurch ggf. die vom Gesetzgeber nach § 833 BGB als Leitbild vorgesehene Haftung des Tierhalters ganz oder teilweise ausgeschlossen werden- besonderer Umstände, die nach allgemeinen Grundsätzen der Vertragsauslegung eine Vertragsergänzung zulassen. Hierzu ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich. Dann aber kann auch ein entsprechender -fiktiver- übereinstimmender Parteiwille nicht ohne weiteres unterstellt werden (a. A. OLG Celle, VersR 1990, S. 794 im Falle eines von einem Pferd gebissenen Pferdetrainers mit der dortigen Hilfserwägung, daß dieser sich, hätten die Parteien bei Vertragsschluß die Haftungsfrage diskutiert, nach Treu und Glauben wegen des erhaltenen Entgelts für die Ausbildung des Pferdes auf einen Haftungsausschluß hätte einlassen müssen).
Indes ist einen Haftung der Beklagten aus § 833 BGB hier ausgeschlossen, weil der Kläger auf eigene Gefahr gehandelt hat:
Nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr ist es nicht zulässig, daß der Geschädigte den beklagten Schädiger in Anspruch nimmt, wenn der Geschädigte sich bewusst in eine Situation drohender Eigengefährdung begeben hat. Bei derartiger Gefahrexponierung kann von einer bewussten Risikoübernahme mit der Folge eines vollständigen Haftungsausschlusses für den Schädiger ausgegangen werden (BGH VersR 2006, S. 416). Bei der Tierhalterhaftung kommt eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, wenn beispielsweise der Geschädigte sich mit der Übernahme des Pferdes oder der Annäherung an ein solches bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise mit dem Reiten oder der Nähe zu einem Pferd verbundenen Gefahr hinausgeht. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Tier erkennbar böser Natur ist oder erst zugeritten werden muss oder wenn der Ritt als solcher spezifischen Gefahren unterliegt, wie beispielsweise beim Springen oder bei der Fuchsjagd (BGH VersR 2006, S. 416). Nicht anders verhält es sich, wenn -wie hier- die mit der Nähe zu einem Pferd verbundene übliche Gefahr durch die Tätigkeit des Geschädigten gesteigert oder gar erst provoziert wird. Der Kläger hat als dem Tier zumindest relativ fremde Person -für Vertrautheit ist nichts ersichtlich- ein Fieberthermometer in den After des Pferdes einführen wollen. Dazu musste er von der Kruppe her und also im kritischen Bereich der Hinterläufe zunächst den Schweif erreichen, um den After für die Einführung des Thermometers zugänglich zu machen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Pferde darauf abwehrend und dabei auch noch schreckhaft reagieren können, weil die natürliche Scheu ein derartiges auch instinkthaftes Verhalten begünstigt. Deshalb war das Prozedere des Klägers besonders geeignet, die mit dem Umgang von Pferden verbundene gewöhnliche Gefahr herauszufordern; dass diese sich dann in einem spontanen Tritt nach hinten äußern mochte, lag auf der Hand und kann dem Kläger als ambulant auf dem Lande tätigen, also vielfach mit der Tierhaltung konfrontierten Tierarzt nicht verborgen geblieben sein. Wenn er sich unter solchen Umständen zur Behandlung von "T" entschloss, übernahm er damit auch das mit der Ausübung seines Berufes typische Risiko. Dann aber muss er für die daraus resultierenden Folgen selbst einstehen, zumal er der selbst aktualisierten Tiergefahr durch entsprechende tatsächliche wie finanzielle Vorsorge, etwa durch Abschluss einer entsprechenden Versicherung hätte begegnen können.
Nach alledem kommt es auf den Streit der Parteien über ein eventuelles Mitverschulden des Klägers am Schadenseintritt im Rahmen der von ihm an dem Pferd vorgenommenen Untersuchung ebensowenig mehr an wie auf den weiteren Streit zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche.
II.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 711 ZPO, die Zulassung der Revision auf § 543 Abs. 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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