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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: 9 U 239/08
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839 a
ZPO § 139 Abs. 1
ZPO § 139 Abs. 4
Bei der Inanspruchnahme eines gerichtlichen Sachverständigen, der im vorausgegangenen Arzthaftungsprozess des Klägers gegen den behandelnden Arzt als Gutachter tätig gewesen war, ist die Substantiierungslast des Klägers im Schadensersatzprozess aus § 839 a BGB anders als im Arzthaftungsprozess nicht herabgesetzt. Der Kläger muss also die Umstände, die eine grobe Fahrlässigkeit des Gutachters begründen sollen, darlegen und unter Beweis stellen.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 24. Oktober 2008 verkündete Urteil der

1. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsmittels werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in der selben Höhe Sicherheit leistet.

Gründe:

A.

Der Kläger hatte nach zwei Bandscheibenoperationen der Halswirbelsäule am 28.12.2000 und 23.2.2001 in der Neurochirurgischen Klinik der Krankenanstalten C H den Krankenhausträger und die behandelnden Ärzte in dem Rechtsstreit 4 O 637/02 LG Bielefeld durch zwei Instanzen erfolglos auf Schadensersatz verklagt. Seinen dort erhobenen Vorwurf eines ärztlichen Behandlungsfehlers hatte er auf das Privatgutachten des Oberarztes Dr. I vom 27.7.2002 (Bl. 67 ff GA) gestützt. In jenem Rechtsstreit ist der Beklagte als gerichtlich bestellter Sachverständiger beauftragt gewesen und hat jedenfalls bei seinen mündlichen Gutachtenergänzungen das Vorliegen von Behandlungsfehlern verneint, nachdem er in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 21.7.2003 (Bl. 29 ff GA) die bei der ersten Operation gewählte Methode "Frykholm" des dorsalen Zugangs zum Operationsbereich noch als ungeeignet zur Dekompression der eingeklemmten Nervenwurzel C 7 und zur Beseitigung des Bandscheibenvorfalls angesehen hatte. Von Anfang an hatte er diese Operation aber als für vom Kläger seither geklagte Gesundheitsbeschwerden nicht ursächlich festgestellt. Die Abweisung der Schadensersatzklage im Arzthaftungsprozess und die Zurückweisung der Berufung des Klägers beruhen auf den sachverständigen Feststellungen des Beklagten. Der Kläger nimmt mit der vorliegenden Klage den Beklagten auf den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch, den er in dem Arzthaftungsprozess vergeblich eingeklagt hatte. Er stützt den Vorwurf grob fahrlässig unrichtiger Begutachtung durch den Beklagten auf den Widerspruch zwischen dessen Gutachtenergebnis und den Feststellungen des Dr. I.

Das Landgericht hat die Klage als schon zum Grunde unschlüssig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, selbst bei unterstellter objektiver Unrichtigkeit des Gutachtens des Beklagten sei der Verschuldensvorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht substanziiert vorgetragen, weil er nicht allein mit dem Widerspruch zu dem Parteigutachten I begründet werden könne. Die im Übrigen nur pauschale und formelhafte Kritik an dem Sachverständigengutachten des Beklagten sei auch inhaltlich unzutreffend. Da der Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht mit konkretem Sachvortrag untermauert worden sei, habe eine weitere Beweisaufnahme darüber als unzulässige Ausforschung unterbleiben müssen. Die im letzten Verhandlungstermin beantragte weitere Stellungnahmefrist sei dem Kläger nicht mehr zu gewähren gewesen, nachdem die Frage des hinreichenden Sachvortrags zur Anspruchsvoraussetzung der groben Fahrlässigkeit bereits in der Klageerwiderung ausführlich thematisiert worden sei und der Kläger seither ausreichend Zeit zur Ergänzung seines Vortrags gehabt habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil einschließlich seiner Entscheidungsgründe Bezug genommen.

Mit der Berufung beantragt der Kläger in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Urteils wegen eines vermeintlichen wesentlichen Verfahrensmangels. Hilfsweise verfolgt er seine erstinstanzlichen Anträge weiter.

Er rügt als schwerwiegenden Verfahrensfehler des Landgerichts, auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Klage im Sinne einer fehlenden Substanziierung des Verschuldensvorwurfs gegen den Beklagten nach zweijähriger Verfahrensdauer erstmals in der dem Urteil unmittelbar vorausgehenden (ersten) mündlichen Verhandlung hingewiesen und gleichwohl den Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist zur ergänzenden Stellungnahme zurückgewiesen zu haben. Die vom Prozessgegner schriftsätzlich erhobene Rüge unzureichender Substanziierung könne den gebotenen Hinweis seitens des Gerichts nicht ersetzen.

Unabhängig davon sei das Urteil materiellrechtlich falsch, indem es das vom Beklagten erstattete Gutachten als jedenfalls nicht grob vorwerfbar unrichtig und unvertretbar erachte, ohne dessen objektive Unrichtigkeit überhaupt zuvor zu prüfen. Vor Allem habe dem Erstrichter die erforderliche eigene Sachkunde für seine - deshalb misslungene - Auseinandersetzung mit dem Gutachten des Beklagten einerseits und dem zu gegenteiligen Ergebnissen gelangenden des Dr. I andererseits gefehlt. Dazu wiederholt der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag zu behaupteten Fehlern des Sachverständigengutachtens des Beklagten, die in dessen Widersprüchen zum Parteigutachten I zu Tage träten. Er meint, es habe der Beweisaufnahme durch Einholung des beantragten weiteren Sachverständigengutachtens sowohl zur Fehlerhaftigkeit der Begutachtung des Beklagten als auch zum Ausmaß deren Vorwerfbarkeit bedurft, ohne dass ihm eine weitere Substanziierung seines Verschuldensvorwurfs, die für einen medizinischen Laien gar nicht zu leisten sei, abzuverlangen gewesen wäre. Es müsse insoweit die Erleichterung der Substanziierungspflicht wie im originären Arzthaftungsprozess gelten.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und tritt der Auffassung der Berufung entgegen, dem Kläger seien für den von ihm vorzutragenden Verschuldensvorwurf die gleichen Substanziierungserleichterungen zuzubilligen wie im Arzthaftungsprozess. Im Übrigen hält er daran fest, sein Gutachten sei schon nicht unrichtig - solches vom Kläger auch gleichfalls nicht substanziiert vorgetragen - und verweist auf seinen erstinstanzlichen Vortrag, wonach die Klage auch hinsichtlich der Kausalität zwischen einer - unterstellten - Unrichtigkeit des Gutachtens bezüglich der Wahl der Operationsmethode und dem Verlust des Vorprozesses unschlüssig sei, weil die Abweisung der Arzthaftungsklage auch auf das Fehlen der Ursächlichkeit zwischen einem Behandlungsfehler und den fortdauernden Beschwerden gestützt sei.

Schließlich hält der Beklagte an seinem Bestreiten der Höhe des geltend gemachten Schadens fest.

B.

I. Die Berufung ist mit dem Hauptantrag auf Aufhebung und Zurückverweisung unbegründet. Dabei kann dahinstehen, ob das Verfahren des Landgerichts mit einem wesentlichen Mangel behaftet ist, indem es entgegen § 139 I, IV ZPO auf die vermeintlich unzureichende Darlegung der groben Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten erst im letzten Verhandlungstermin hingewiesen und keine Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag gegeben hat, obwohl die Kammer mit Verfügung vom 27.12.2006 die Parteien aufgefordert hatte, nicht weiter schriftsätzlich vorzutragen, und die Erteilung der erforderlichen Hinweise zu gegebener Zeit angekündigt hatte. Ein darin begründeter Verfahrensfehler ist nämlich für die Entscheidung nicht ursächlich geworden. Der Kläger hätte selbst nach entsprechendem Hinweis nicht ergänzend vorgetragen. Dies zeigt die Berufungsbegründung, in der er seinen Vortrag trotz des nunmehr deutlichen Hinweises in dem erstinstanzlichen Urteil noch immer nicht in der vom Landgericht vermissten Form weiter substanziiert, sondern nur seine Auffassung vertieft, außer der Divergenz zwischen dem von ihm vorgelegten Privatgutachten und dem gerichtlichen Sachverständigengutachten nichts weiter vortragen zu müssen. Damit kommt es auf allein die Frage an, ob der Kläger auch zum Verschulden des Beklagten mit der Darlegung der abweichenden Ergebnisse seines Privatgutachters I für die Schlüssigkeit ausreichend vorgetragen hat.

II. Die Berufung ist aber auch mit dem Hilfsantrag nicht begründet, weil die vom Landgericht abgewiesene, nur aus § 839 a I BGB herzuleitende Klageforderung nicht besteht. a) Der Kläger behauptet eine Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens des Beklagten - nur - in zwei Punkten:

1. Der Beklagte habe verkannt, dass die Operationsmethode Frykholm (dorsaler Zugang) unvertretbar und ihre Wahl für die erste Operation beim Kläger deshalb ein Behandlungsfehler gewesen sei. 2. Die Fraktur des Dornfortsatzes bei HWK 7 anlässlich der ersten OP habe der Beklagte übersehen.

Es ist schon zu bezweifeln, dass diese vermeintliche Unrichtigkeit des Gutachtens des Beklagten allein mit dem Festhalten am Gutachten I ausreichend vorgetragen ist, nachdem der Beklagte sich mit diesem Gutachten in beiden Instanzen des Arzthaftungsprozesses inhaltlich auseinandergesetzt hat. I hat hinsichtlich der Annahme der Fraktur keine eigene Diagnose gestellt, auch keine Röntgenbilder selbst in Augenschein genommen, sondern diesen Befund Bl. 89, 101 GA aus fremden Befundberichten, dem OP-Bericht zur 2. OP und eigenen Aufzeichnungen des Klägers abgeleitet und die Kausalität für die Schmerzen nur "in der Regel" bejaht. Demgegenüber hat der Beklagte bei seiner Begutachtung dargelegt, dass eine Fraktur des Querfortsatzes aus den ausgewerteten Röntgenbildern nicht zu befunden, vielmehr ein fachgerechtes Abfräsen des Fortsatzes anzunehmen ist, das die geklagten Beschwerden nicht verursacht haben könne. Die Wahl der Operationsmethode "Frykholm" hat er bei seiner zweitinstanzlichen mündlichen Gutachtenergänzung als aus der ex-ante-Beurteilung vertretbar angesehen, darüber hinaus sie jedenfalls nicht als Auslöser einer Verschlimmerung der Beschwerden festgestellt. Eine Myelopathie liege nicht vor.

b) Es kann auch dahinstehen, ob die Entscheidung des Arzthaftungsprozesses gerade auf den vom Kläger als unrichtig angeführten Punkten des Gutachtens des Beklagten beruht oder auf seinen anderen sachverständigen Feststellungen, namentlich zur fehlenden Ursächlichkeit der vermeintlichen Behandlungsfehler für den Schaden, weil die Klage aus einem anderen Grund keinen Erfolg hat (Nachfolgend c)).

c) Das Landgericht hat die Klage zu Recht wegen jedenfalls unzureichender Darlegung einer dem Beklagten vorzuwerfenden groben Fahrlässigkeit bei der Bewertung der Operationsmethode oder dem "Übersehen" der Querfortsatzfraktur abgewiesen.

Deren abstrakten Voraussetzungen sind in dem angefochtenen Urteil zutreffend umschrieben: Der Beklagte müsste bei der Erstellung seines Gutachtens die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige nicht beachtet haben, was im vorliegenden Fall jedem einleuchten musste. Dabei muss ihn auch in subjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden treffen. Nicht diese rechtliche Wertung, sondern die sie ausfüllenden Tatsachen musste der Kläger für die Schlüssigkeit seiner Klage substanziiert vortragen. Mit dem Gutachten I hat er jedoch nur vermeintliche Fehler des Gutachtens des Beklagten dargelegt, nicht, dass sie jenem unterlaufen seien, weil er bestimmte, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellte, und auch nicht, wodurch er seine Sorgfaltspflicht in besonders schwerem Maß verletzte. Die vom Kläger reklamierte Herabsetzung der Substanziierungspflicht insoweit entsprechend den Rechtsprechungsgrundsätzen für Arzthaftungsprozesse, ist nicht veranlasst. Die Rechtfertigung für eine maßvolle Herabsetzung im Arzthaftungsprozess besteht darin, dass vom Patienten regelmäßig keine genaue Kenntnis der medizinischen Vorgänge erwartet und gefordert werden kann; BGH MDR 2004, 1184/1185. Soweit es aber nicht mehr um detaillierte Kenntnis von medizinischen Vorgängen geht, sondern um anzuwendende Untersuchungsmethoden und Begutachtungskriterien, kann von einem Kläger erwartet werden, dass er die vermeintlichen Nachlässigkeiten oder Unterlassungen des Sachverständigen benennt und nicht nur auf bloße Abweichungen des Ergebnisses zu einem anderen Gutachten hinweist. Dass Sachverständigengutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, ist nicht ungewöhnlich und rechtfertigt allein nicht den Schluss auf eine auch subjektiv grobe Sorgfaltslosigkeit eines Gutachters. Zu bezeichnen, was an dem Vorgehen des angegriffenen Gutachters als das was jedem einleuchtet entgegenstehend beanstandet oder welche ganz naheliegende Überlegung vermisst wird, überfordert die Partei selbst dann nicht, wenn es um medizinische Begutachtungen geht. Zu Recht weist die Berufungserwiderung darauf hin, dass die Herabsetzung der Substanziierungslast im Arzthaftungsprozess die Fragen des objektiven Behandlungsfehlers betrifft, während es hier um die Ausfüllung von Verschuldensmaßstäben geht. Anders als bei einem Behandlungsfehler ist dazu keine Kenntnis von medizinischen Vorgängen im Detail gefordert.

III. Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels trägt der Kläger gemäß § 97 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

Ende der Entscheidung

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