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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.05.2005
Aktenzeichen: 9 U 244/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 a.F.
Stürzt ein Kurierfahrer bei einer versuchten Warenanlieferung bei Dunkelheit (gegen 18.00 Uhr und also) nach dem zeitlichen Ende der geschäftsüblichen Ladetätigkeit von einer Laderampe, weil er die auf dem Hinweg benutzte Treppe in der Nähe einer unbeleuchteten Eingangstür verfehlt, steht einem Anspruch aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht gegen das Unternehmen ein überragendes Eigenverschulden des Verletzten entgegen.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 04. November 2004 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe: A. Die Parteien streiten über Hergang und Verantwortlichkeit eines bzw. für einen Unfall, den der Kläger am 16. November 2000 auf dem Betriebsgelände der Beklagten in M-W erlitten hat. Der Kläger hat vorgetragen, er habe am Unfalltag gegen 18.40 Uhr als selbständiger Kurierfahrer bei der Beklagten eine Sendung mit Prägefolien abliefern wollen. Hierbei habe er zunächst den Versandbereich der Beklagten betreten, wobei er über eine ca. 1,1 m breite und etwa 1 m hohe Stahltreppe auf die Laderampe gestiegen und dort durch die - zur Treppe leicht nach rechts versetzte - Eingangstür in diesen Bereich gelangt sei. Auf dem Rückweg sei er dann in einen zwischen Treppe und seitlich verlaufender Mauer vorhandenen 40 cm breiten und ungesicherten Zwischenraum oder in den entgegengesetzten Bereich neben der Treppe getreten und hinuntergestürzt. Die Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten. Sie hat den behaupteten Unfallhergang sowie das Fehlen einer Beleuchtung im Treppenbereich bestritten . Das Landgericht hat die Klage wegen weit überragenden Eigenverschuldens des Klägers im Ergebnis verneint. Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine bisherigen Anträge in vollem Umfang weiter, wobei er nicht ausreichende Beleuchtung als entscheidende Unfallursache ansieht und sich ein hälftiges Eigenverschulden entgegenhalten lässt. B. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach §§ 823, 847 BGB zu Recht verneint. I. Der Senat hat dem Kläger durch Beschluss vom 23. Januar 2004 in dem Prozesskostenhilfeverfahren (9 O 299/01 LG Bielefeld = 9 U 52/02 OLG Hamm) wegen desselben Unfalles für eine Schadenersatzklage Prozesskostenhilfe verweigert und dabei u.a. Folgendes ausgeführt wobei es sich bei dem dortigen Antragsteller um den Kläger des vorliegenden Prozesses und bei der dortigen Gegnerin hier um die Beklagte handelt: "1. Dem Antragsteller ist zwar zuzugeben, dass die Gegnerin Treppe und angrenzenden Bereich der Verladerampe zur Unfallzeit nicht hinreichend gesichert und beleuchtet hatte und damit schuldhaft gegen die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen hat. Insbesondere zur Beleuchtung war sie verpflichtet, solange Lieferanten, Kunden oder sonstige befugte Personen Zutritt zu dem Betriebsgelände hatten und die Möglichkeit bestand, dass sie über die Verladerampe den Versandbereich betreten wollten. ... 2. Das Landgericht hat aber zu Recht ein Eigenverschulden des Antragstellers für gegeben erachtet und ihm ein so erhebliches Gewicht beigemessen, dass demgegenüber bei der nach § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeitrag der Gegnerin vollständig zurücktritt. Indem der Antragsteller sich nach Verlassen des Versandbereiches trotz der für ihn herrschenden Dunkelheit gewissermaßen "auf Verdacht" zu dem Rand der Verladerampe hin bewegte, wo er die Treppe vermutete, hat er gegen seine eigenen Sicherheitsbelange verstoßen und muss sich daher ein Mitverschulden im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB entgegenhalten lassen. Dieses Eigenverschulden des Antragstellers wiegt besonders schwer, da dieser sich "blind" ins Dunkle bewegt hat, obwohl er sich bei der ersten Wahrnehmung von Dunkelheit ohne weiteres in den Versandbereich hätte zurückbegeben und den dort tätigen Mitarbeiter C der Gegnerin um Hilfe beim Verlassen dieses Bereiches hätte bitten können und müssen. Diese Vorsichtsmaßnahme lag hier besonders nahe, weil der Antragsteller erst kurz zuvor - nämlich auf dem Hinweg - die Treppe zur Rampe benutzt hatte und daher von dem Höhenunterschied wusste, den er naturgemäß auch auf dem Rückweg überwinden musste. Es kommt hier hinzu, dass Treppe und Verladerampe in der Nähe der Eingangstür zu dem Versandbereich nicht vollständig im Dunkel gelegen haben können, da der Antragsteller sie bei gleichen objektiven Beleuchtungsverhältnissen auf dem I-Weg wahrgenommen und problemlos bewältigt hatte. Daher lässt sich seine subjektive Empfindung vollständiger Dunkelheit nur aus der auch vom Landgericht erörterten und allgemein bekannten verzögerten Adaptionsfähigkeit der Augen bei extremer Änderung der Lichtverhältnisse erklären. Er hätte mithin nur einen gewissen Zeitraum abwarten müssen, um seine Augen an die veränderten Sichtbedingungen zu gewöhnen. Bei der Abwägung des Gewichtes der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge ist auch von wesentlicher Bedeutung, dass die Gegnerin zwar durch das Nichtanbringen einer Lampe, die die Treppe und den an sie angrenzenden Rampenbereich gezielt beleuchtet hätte, die zeitlich erste Ursache für den Unfall gesetzt hatte, der Schadenseintritt aber erst durch das sorgfaltswidrige Verhalten des Antragstellers in einer von ihm beherrschbaren Situation grundlegend befördert worden ist. Durch das Fehlen einer hinreichenden Beleuchtung in dem Treppenbereich war für den Unfallzeitpunkt (18.40 Uhr) lediglich ein gewisses abstraktes Gefahrenpotential geschaffen worden, das von den auf dem Betriebsgelände hauptsächlich tätigen Mitarbeitern der Gegnerin offenbar ohne weiteres bewältigt werden konnte und auch für betriebsfremde Personen wegen der zu dieser späten Tageszeit im allgemeinen abgeschlossenen Ladetätigkeit kaum Schädigungen erwarten ließ. Diese bei genereller Prognose als eher geringfügig zu bewertende Risikolage ist erst durch die Nichtbeachtung der Eigensorgfalt des Antragstellers in einer atypischen Situation grundlegend verschlechtert worden und in eine Schädigung umgeschlagen. Dem Antragsteller musste sich - im Gegensatz zu der Gegnerin - die aktuelle Gefahrenlage geradezu aufdrängen und er hatte es auch in der Hand, diese Lage durch eine situationsangepasste Reaktion selbst zu beherrschen und Schäden zu vermeiden. Insbesondere aufgrund dieses deutlich unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsgrades der ex ante zu erwartenden Schadenseignung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge wiegt der Verschuldens- und Verursachungsanteil des Antragstellers ungleich schwerer als das Versagen der Gegnerin, so dass es sachgerecht erscheint, deren Anteil bei der gebotenen wertenden Betrachtung vollständig zurücktreten zu lassen". II. An dieser eingehend begründeten und nicht nur kursorisch vorgenommenen Gewichtung hält der Senat nach nochmaliger kritischer Überprüfung seines bisherigen Standpunkts auch in dem vorliegenden Rechtsstreit fest. Der Kläger hat mit seiner Berufungsbegründung keine entscheidungserheblichen neuen Gesichtspunkte vortragen können und diese sind auch aus dem sonstigen Akteninhalt nicht ersichtlich. Soweit er Verstöße gegen Unfallverhütungsvorschriften - insbesondere §§ 32 und 33 BGV A1 - und die Arbeitsstättenverordnung - insbesondere § 7 ArbStättV - vorträgt, ändert dies an der vom Senat vorgenommenen Gewichtung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nichts. Das auch vom Senat ausdrücklich bejahte Verschulden der Beklagten wiegt weniger schwer, da die Anlieferung des Klägers im November gegen 18.40 Uhr und damit außerhalb der Hauptgeschäftszeit sowie in einem für den allgemeinen Kundenverkehr nicht bestimmten Bereich erfolgt ist. Dagegen wiegt das Verschulden des Klägers deshalb besonders schwer, weil er ganz selbstverständliche Regeln für die Wahrnehmung seiner eigenen Sicherheitsbelange massiv verletzt hat. Er hätte in Anbetracht der unzureichenden Beleuchtung den für ihn nicht überschaubaren und damit besonders gefährlichen Rampenbereich von vornherein gar nicht betreten dürfen, sondern die für Kunden und Zulieferer üblicherweise vorgesehene Kontaktstelle in dem Betrieb der Beklagten aufsuchen müssen oder wäre, falls er diese trotz sorgfältiger Suche nicht fand, gehalten gewesen, seine Lieferung zurückzustellen. Dabei hätte er sich nicht mit der Auskunft irgendeines auf dem Betriebsgelände anwesenden LkW-Fahrers begnügen dürfen. Auch die Eilbedürftigkeit seiner Lieferung ändert nichts daran, dass er deshalb keinesfalls seine Gesundheit aufs Spiel setzen durfte. Den Kläger trifft desweiteren deshalb ein schwerwiegendes Eigenverschulden, weil er sich beim Verlassen der Produktionshalle nach seinem eigenen Vorbringen nicht viele Gedanken um seine Sicherheit gemacht und sich auch insoweit äußerst leichtsinnig verhalten hat. Soweit er vorträgt, nach dem Verlassen der Produktionshalle sei ihm ein erneutes Betreten nicht mehr gestattet gewesen und habe sich der Mitarbeiter C zudem bereits auf dem Weg zu der von ihm angegeben Entladestelle befunden, ist auch dies nicht geeignet, sein Eigenverschulden zu mindern. Es versteht sich von selbst und kann auch für den Kläger nicht zweifelhaft gewesen sein, dass er bei Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit die Produktionshalle nochmals betreten durfte und nach dem Mitarbeiter C rufen konnte. Dass er dies nicht getan hat, begründet gleichfalls den Vorwurf des Eigenverschuldens. Danach und aus den in dem Prozesskostenhilfebeschluss angeführten Gründen wiegt das Eigenverschulden des Klägers so schwer, dass demgegenüber das Verschulden der Beklagten vollständig zurücktritt. C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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