Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.01.2005
Aktenzeichen: 9 U 38/03
Rechtsgebiete: BGB, StrWG, GG


Vorschriften:

BGB § 9
BGB § 839
StrWG NW 9a
GG Art. 34
Eine scharfkantige in Fahrtrichtung verlaufende Spurrille vor einer Kreuzung mit einer Tiefe von 6,8 cm stellt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar, weil sie für Motorradfahrer eine erhebliche Sturzgefahr begründet.

Bei fehlendem Unabwendbarkeitsbeweis (§ 7 Abs. 2 StVG a. F.) muss sich der wegen der Rille gestürzte Motorradfahrer eine Anspruchsminderung von 20 % gefallen lassen.


Tenor:

Die Berufung des Beklagten (Fiskus) gegen das am 16. Oktober 2002 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtmittels - das vorgenannte Urteil abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.704,12 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz von 10.087,90 Euro seit dem 25. Januar 2001 und aus weiteren 616,22 Euro seit dem 3. Mai 2002 zu zahlen.

Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges tragen die Klägerin 1/3 und der Beklagte 2/3. Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden zu 1/4 der Klägerin und zu 3/4 dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Am 14. Oktober 2000 gegen 17.00 Uhr kam der bei der Klägerin gesetzlich krankenversicherte Zeuge B mit seinem Motorrad auf der B xxx in Fahrtrichtung K vor der Kreuzung Z/ Auffahrt BAB auf einer längs zur Fahrtrichtung verlaufenden ca. sechs Meter langen Spurrille zu Fall und zog sich Verletzungen zu. Die Tiefe der Spurrille und ihre Erkennbarkeit bei der unstreitig vier Tage zuvor durchgeführten Kontrolle sind zwischen den Parteien streitig. In der polizeilichen Unfallaufnahme ist von dem aufnehmenden Beamten vermerkt: "Zustand der Fahrbahn: Auf der U Straße in Fahrtrichtung K vor dem Kreuzungsbereich Z/BAB-Auffahrt, befindet sich auf der rechten Geradeausspur, eine Spurrille, die parallel zur dortigen Rechtsabbiegerspur verläuft. Diese Spurrille hat auf einer Länge von 6 Meter einen Höhenunterschied bis zu 10 cm"

Die Klägerin behauptet, die Spurrille sei an der Sturzstelle 10 cm tief gewesen und hätte bei der zuvor erfolgten Fahrbahnkontrolle von dem Straßenbegeher auch erkannt werden können. Hingegen habe der mit ca. 40 km/h auf die Kreuzung zufahrende Zeuge B diese Unebenheit nicht wahrnehmen können. Mit der vorliegenden Klage begehrt sie - aus übergegangenem Recht - Ersatz ihrer unfallbedingten Aufwendungen, die sie mit 15.925,80 Euro beziffert.

Der Beklagte (Fiskus) tritt diesem Begehren entgegen und bestreitet die behauptete Höhe der Spurrille zum Unfallzeitpunkt wie auch ihr Vorliegen und ihre Erkennbarkeit zum Zeitpunkt der vier Tage zuvor erfolgten Straßenkontrolle.

Das Landqericht hat nach Vernehmung von Zeugen der Klägerin 70 % des geforderten Schadenersatzes zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Es hat eine Tiefe der Spurrille von zehn cm und ein Vorhandensein dieser Unebenheit bereits zum Zeitpunkt der letzten Kontrolle vor dem Sturz als bewiesen angesehen und dies als schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten in Form mangelhafter Kontrolle bewertet. Zugleich hat es einen der Klägerin anzurechnenden Eigenverantwortungsanteil von 30 % wegen der Betriebsgefahr des Motorrades anspruchsmindernd berücksichtigt.

Gegen diese Entscheidung wenden sich heide Parteien mit der Berufung. Der Beklagte verfolgt seinen Klageabweisungantrag weiter und greift die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Tiefe der Spurrille im Zeitpunkt des Unfalles und zu deren Erkennbarkeit bei der vorangegangenen Kontrolle an. Die Klägerin begehrt weiterhin vollen Schadenersatz und beanstandet das vom Landgericht erkannte Mitverschulden des bei ihr Versicherten.

II.

Die zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet, das Rechtsmittel der Klägerin hat zu einem geringen Teil Erfolg. Die Klägerin kann von dem Beklagten gemäß § 839 BGB in Verb. mit §§ 9, 9a StrWG NW, Art. 34 GG, § 116 SGB X aus übergegangenem Recht Schadenersatz in Höhe von 10.704,12 Euro verlangen.

1.

Der Beklagte hat die für die B xxx unstreitig ihm obliegende Straßenverkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt und dadurch den Sturz des bei der Klägerin versicherten Zeugen B verursacht.

Die Fahrbahn dieser Straße befand sich zum Zeitpunkt des Sturzes wegen der zu dem Unfall des Zeugen führenden Spurrille in einem objektiv verkehrswidrigen Zustand und stellte in diesem Bereich eine sicherungsbedürftige (abhilfebedürftige) Gefahrenquelle dar. Der in der Berufungsinstanz hinzugezogene Sachverständige Prof. S hat in seinem unfallanalytischen Gutachten ausgeführt, das Krad sei instabil geworden, als es sechs Meter in der Spurrille gefahren sei, da die scharfkantige gerade Führung dieser Rille der sinusförmigen Fahrweise des Krades entgegengewirkt habe. Daraufhin sei das Krad im weiteren Verlauf seiner Fahrt aus technischer Sicht gut nachvollziehbar gestürzt. Für die Instabilität sei keine Rillentiefe von 10 cm erforderlich gewesen, sondern habe die fotografisch dokumentierte Tiefe von 6,8 cm ausgereicht, zumal die Rillentiefe gegenüber der Scharfkantigkeit der Rillenführung nur zweitrangig gewesen sei. Die kritische Stelle, an der der Motorradfahrer in die Führung der Spurrille geraten war, konnte von diesem auch nicht ohne weiteres erkannt werden, wie der Sachverständige gleichfalls bestätigt hat und zudem wegen der unmittelbaren Nähe der - den Blick ablenkenden - Fahrstreifenmarkierung bereits aufgrund der bei der Unfallaufnahme gefertigten Lichtbilder einleuchtet. Der Beklagte war daher zur rechtzeitigen Beseitigung der für Zweiradfahrer bestehenden Gefahrenquelle verpflichtet.

Er hat diese gebotene Sicherung schuldhaft versäumt. Dabei muss er sich bereits eine mangelhafte Fahrbahnkontrolle vorwerfen lassen. Ein sorgfältiger Kontrolleur hätte die Spurrille bereits bei der vier Tage zuvor durchgeführten Besichtigung des Unfallbereiches erkennen können, da eine kurzfristige Entstehung der Spurrille innerhalb von vier Tagen bei lebensnaher Beurteilung, die auch von dem Sachverständigen geteilt wird, ausgeschlossen werden muss, zumal die Rille nicht im Hochsommer bei besonderer Hitzeeinwirkung auf die Fahrbahndecke, sondern im Oktober vorhanden gewesen war. Aufgrund dieser Sachlage hat der Beklagte nach Erörterung im Senatstermin hat nicht weiter auf der Einholung eines - nur weitere Kosten verursachenden - straßenbautechnischen Sachverständigengutachtens bestanden.

2.

Die Klägerin muss sich jedoch einen Eigenverantwortungsanteil des Zeugen B in Höhe von 25 % anspruchsmindernd entgegenhalten lassen. Der Beklagte hat ein Mitverschulden des Zeugen nicht bewiesen, da nicht festgestellt werden konnte, dass die betreffende Spurrille wegen ihrer bereits erörterten Nähe zu einer Fahrbahnmarkierung für den Motorradfahrer jedenfalls bei verkehrserforderlicher Sorgfalt erkennbar war. Gegen eine Erkennbarkeit spricht auch, dass der Zeuge sich vornehmlich auf den Verkehr vor einem Kreuzungsbereich mit Ampelanlage konzentrieren musste.

Der Klageanspruch ist aber infolge der bei dem Sturz mitursächlich gewordenen Betriebsgefahr des Motorrades zu kürzen. Diese ist grundsätzlich anzurechnen, da nicht feststeht, dass der Unfall für den Fahrer ein unabwendbares Ereignis nach dem Maßstab des § 7 Abs. 2 StVG (aF) dargestellt hat. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Vertiefung für den Zeugen bei Anwendung äußerster Aufmerksamkeit und Vorsicht möglicherweise doch erkennbar gewesen wäre.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Beiträge zu dem Unfall nach 254 Abs. 1 BGB bewertet der Senat die Betriebsgefahr des Motorrades mit 25 %. Dabei hat er die bauartbedingte leicht erhöhte Gefährdung des Motorrads als eines einspurigen Fahrzeugs auf längsverlaufenden Spurrillen anspruchsmindernd berücksichtigt. Jedoch hat er es ausnahmsweise für geboten gehalten, die vom Landgericht erkannte Eigenverantwortungsquote von 30 % trotz der nur geringfügigen Abweichung zu korrigieren, um einen einheitlichen Standard bei der Bemessung der Betriebsgefahr von Motorrädern in derartigen Fällen zu gewährleisten.

3.

Der nach § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangene Schadenersatzanspruch richtet sich bezüglich der Höhe nach den für Heilbehandlungsmaßnahmen erbrachten Aufwendungen und ist insoweit unstreitig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO n.F. liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück