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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.02.2006
Aktenzeichen: 9 U 62/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GG, StrWG NW


Vorschriften:

ZPO § 92
ZPO § 93
BGB § 254
BGB § 839
GG Art. 34
StrWG NW § 9a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25. Februar 2005 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert und so neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 1.600,00 Euro nebst 5 % Zinsen seit dem 24. Juni 2004 zu zahlen abzüglich am 12. März 2005 gezahlter 725,00 Euro.

2.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen materiellen und immateriellen Zukunftsschaden zu ersetzen aus dem Unfall vom 8. November 2003 vor dem Haus M-Straße in T2, hinsichtlich der materiellen Ansprüche jedoch nur insoweit, als die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden der Beklagten zu 2/3 und der Klägerin zu 1/3 auferlegt. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

(gem. § 540 ZPO)

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht geltend.

Die Klägerin besuchte am 8.11.2003 gegen 14.00 Uhr ihre Eltern im Haus M-Straße in T2. Vor der Haustür befinden sich zwei Treppenstufen. Als die Klägerin gegen 17:45 Uhr das Haus verließ, herrschte bereits Dunkelheit. Dabei trat die Klägerin in ein Loch im Teer des Bürgersteigs, das sich in Form eines Dreiecks mit einer Kantenlänge von jeweils 30 cm unmittelbar am seitlichen Fuß der Treppe vor der Eingangstür befand. Hierbei knickte die Klägerin um und zog sich unter anderem eine Abrissfraktur des Würfelbeins zu.

Erstinstanzlich hat die Klägerin ein Schmerzensgeld in vorgestellter Höhe von 5000 € abzüglich von der Beklagten vorgerichtlich gezahlter 1900 € sowie Feststellung der künftigen Ersatzpflicht begehrt. Das Landgericht hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 3500 € als angemessen angesehen, davon jedoch der Klägerin unter Berücksichtigung eines 25prozentigen Mitverschuldens und unter Abzug der vorgerichtlichen Zahlung 725 € zugesprochen. Den Feststellungsantrag hat das Landgericht in Höhe von der Beklagten anerkannter Haftung zu 75% zugesprochen, wobei es bei der Kostenfolge insoweit von einem sofortigen Anerkenntnis gemäß § 93 ZPO ausgegangen ist.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie akzeptiert die Schmerzensgeldhöhe von 3500 €, begehrt aber davon unter Berücksichtigung einer nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils erfolgten Zahlung der Beklagten iHv 725 € weiterhin 100%. Zudem macht die Klägerin bezüglich der Feststellung weitere 25% geltend. Außerdem ist die Klägerin hinsichtlich des Feststellungsantrags der Ansicht, dass die Beklagte wegen der erstinstanzlich anerkannten 75% Veranlassung zur Klageerhebung gegeben hätte.

II.

Die Berufung hat Erfolg.

1. Die Einstandspflicht der Beklagten aus § 839 BGB, Art. 34 GG, § 9a StrWG NW ist zwischen den Parteien außer Streit.

2. Entgegen der Auffassung des Landgerichts muss sich die Klägerin auf ihren Schmerzensgeldanspruch kein Mitverschulden gemäß § 254 BGB anrechnen lassen.

a) Es ist bereits nicht ersichtlich, inwieweit der Klägerin im vorliegenden Fall ein Verschuldensvorwurf gemacht werden könnte. Mit dem unmittelbar vor der untersten Treppenstufe befindlichen Loch im Asphalt und der davon ausgehenden Gefahr musste die Klägerin nicht rechnen. Zwar hat sie das Haus ihrer Eltern noch bei Helligkeit betreten, jedoch ist die Aufmerksamkeit eines Fußgängers vor einer Haustür regelmäßig auf die Haustür, die Klingel und gegebenenfalls auf die bevorstehende Begrüßung durch öffnende Personen gerichtet. Die Klägerin hatte im vorliegenden Fall auch keine besondere Veranlassung, den Bereich unmittelbar vor der Haustür als gefährlich einzustufen und daher auf schadhafte Stellen zu untersuchen. Wie sich aus den zur Akte gereichten Fotos ergibt, wies der Asphalt im weiteren Bereich, in dem die Klägerin auf die Haustür zugegangen ist, zwar einige Risstellen auf, insgesamt vermittelte der Asphalt aber den Eindruck einer ebenen und intakten Fläche.

Als sodann die Klägerin das Haus verließ, war es unstreitig dunkel. Die Straßenbeleuchtung wurde durch geparkte Fahrzeuge beeinträchtigt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Bereich vor der Haustür durch die hinter der Klägerin eingeschaltete Beleuchtung im Hausflur erhellt worden wäre, hätte dieses Licht die schadhafte Stelle nicht erfasst, da insoweit die Kanten der Treppenstufen ihren Schatten auf das Loch im Asphalt geworfen hätten.

Schließlich kann der Klägerin auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie die beiden Treppenstufen schräg beziehungsweise seitlich heruntergegangen ist. Eine allgemeine Verhaltensregel, Treppenstufen nur geradlinig zu begehen, gibt es nicht; die Klägerin hatte wie soeben dargestellt auch keine Veranlassung, im konkreten Fall darin eine Gefahr zu sehen. Außerdem hat die Klägerin ihre Gehrichtung im Senatstermin nachvollziehbar damit erklärt, dass sie so zu ihrer in der Nähe wohnenden Schwester gelangen wollte.

b) Selbst wenn man aber zu Gunsten der Beklagten ein -aus den vorgenannten Gründen allenfalls geringes- Mitverschulden der Klägerin unterstellen würde, träte dieses hinter dem weit überwiegenden Verschulden der Beklagten zurück.

Wie sich aus den Fotos ergibt, haben unmittelbar vor dem Haus der Eltern der Klägerin Ausbesserungsarbeiten an dem Asphalt stattgefunden, wobei deren unbekannte Ursache dahinstehen kann. Maßgeblich ist, dass eine unmittelbar bis an die (von außen auf die Tür gesehen) rechte Ecke der unteren Treppenstufe führende, großflächige Flickstelle vorhanden war, neben der sich unerwartet unmittelbar vor der untersten Stufe das dreieckige Loch mit einer circa 30 cm langen Kantenlänge befand. Es ist für den Senat unerfindlich, und gereicht der Beklagten zu einem hohen Maß an Verschulden, warum dieser Bereich bei den Ausbesserungsarbeiten nicht ebenfalls verfüllt worden ist, beziehungsweise warum die Ausbesserungsarbeiten hier nicht ordentlich durchgeführt worden sind.

3. Auch der Feststellungsantrag ist zu 100 % begründet. Wie sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Attest des behandelnden Arztes Dr. T vom 14.9.2005 ergibt, leidet die Klägerin immer noch unter den Unfallfolgen, insbesondere unter einer belastungsabhängigen Schwellung des Fußes. Soweit die Klägerin in ihrer Anhörung im Senatstermin angegeben hat, dass das Gelenk möglicherweise später versteift werden müsse, ist dem Senat aus zahlreichen vergleichbaren Schadensfällen anderer Rechtsstreitigkeiten eine solche Möglichkeit aus eigener Sachkunde bekannt. Im übrigen muss sich die Klägerin auch bezüglich des Feststellungsantrages (entsprechend den Ausführungen oben II. 2- b)) kein Mitverschulden anrechnen lassen.

III. Die Kostenentscheidung für den ersten Rechtszug folgt gemäß § 92 ZPO dem teilweisen Obsiegen und Unterliegen.

Dabei ist der Senat davon ausgegangen, dass die Beklagte auch insoweit die Kosten zu tragen hat, als sie den Feststellungsantrag zu 75% anerkannt hat. Zwar ist dieses Anerkenntnis sogleich in der Klageerwiderung erfolgt. Trotzdem liegt kein sofortiges Anerkenntnis im Sinne des § 93 ZPO vor, da die Beklagte Veranlassung zu Klageerwiderung gegeben hat.

Zwar hat die Beklagte mit vorgerichtlichem Schreiben vom 18.3.2004 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt, dass eine Haftungsanerkennung über 75% nicht möglich sei und die Beklagte bereit sei, zur Absicherung des Feststellungsinteresses der Klägerin wegen eines eventuellen Dauerschadens "zu gegebener Zeit auf die Einrede der Verjährung zu verzichten", woraus man gegebenenfalls den Willen der Beklagten ableiten könnte, es bezüglich des Feststellungsantrages insoweit nicht zu einem Prozess kommen lassen zu wollen. Jedoch ist die Erklärung der Beklagten nicht eindeutig. Ein Verjährungsverzicht wird nicht erklärt, sondern für einen späteren -zudem unbekannten- Zeitpunkt erst in Aussicht gestellt.

Dies kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen, die diesbezüglich vor Klageerhebung bei der Beklagten keine Klarstellung erbeten hat. Vielmehr ist von einer Gemeinde, die über Volljuristen verfügt -das genannte Schreiben kam aus der Abteilung "Bereich Recht und Ordnung" der Beklagten-, zu verlangen, dass sie sich im Außenverhältnis gegenüber dem Bürger, auch wenn dieser anwaltlich vertreten ist, klar und eindeutig äußert.

2. Die Kostenentscheidung für den Berufungsrechtszug folgt aus § 91 ZPO.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.

4. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 543 Absatz 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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