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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 10.06.2005
Aktenzeichen: 9 UF 141/04
Rechtsgebiete: BGB, BSHG, SGB II


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 1365
BGB §§ 1601 ff
BGB § 1602 Abs. 1
BSHG § 91
SGB II § 19
SGB II § 22
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Lemgo vom 29.9.2004 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Der klagende Kreis nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Elternunterhalt für ihre am 1.12.1915 geborene, seit Oktober 1995 im Krankenheim lebende und am 22.2.2005 verstorbene Mutter U, die vom Kläger Sozialhilfe in einer die Klageforderung überschreitenden Höhe erhalten hat, in Anspruch. Die Beklagte hat sich auf mangelnde Leistungsfähigkeit berufen und geltend gemacht, sie hafte allenfalls anteilig neben ihren beiden Geschwistern. Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 108.251,03 € nebst Zinsen gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei nicht leistungsfähig. Die Einkünfte seien unstreitig zu niedrig und die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, ihren hälftigen Miteigentumsanteil an einem unbebauten Grundbesitz zu verwerten. Insbesondere sei sie hierzu auf die Zustimmung des Ehemannes angewiesen, die dieser verweigere. Ein Antrag auf Teilungsversteigerung der Beklagten verstoße gegen ihre Pflichten aus den ehelichen Lebensverhältnissen und ihr Ehemann könne seine Widerspruchsrechte aus § 1365 BGB ausüben. Dagegen wendet die Berufung des Klägers, der seine erstinstanzlichen Ansprüche weiter verfolgt, ein, das addierte Einkommen der Beklagten und ihres Ehemannes liege weit über ihrem Existenzminimum und ihr addiertes Vermögen betrage 1.300.000 DM. Die Beklagte bewohne in dem ihrem Ehemann gehörenden Haus eine Wohnung von 130 m², die einen Wohnwert von 5,20 €/m² habe, nebst 2,50 €/m² Nebenkosten. Für die weitere, dem Sohn unstreitig unentgeltlich überlassene Wohnung in dem Haus seien den Eheleuten fiktiv 770 € (100 m² x 7,70 €) zuzurechnen. Die Bewirtschaftung der Ackerfläche des zum Wohnhaus gehörenden Grundstücks führe zu einem Ertrag von mindestens 3.200 € pro Jahr. Der formal im Alleineigentum des Ehemannes stehende Grundbesitz in C habe einen Wert von mindestens 200.000 €, werde landwirtschaftlich genutzt und müsse dazu führen, daß der Selbstbehalt der Beklagten nicht schematisch auf 1.250 € festgesetzt werden könne, sondern als gedeckt angesehen werden müsse. Das Amtsgericht habe zudem den Wert der vermieteten Immobilie nicht berücksichtigt und unbeachtet gelassen, daß es auf eine rentable Nutzung ankomme. Das unbebaute Grundstück müsse verwertet werden. Eine Verweigerung der Zustimmung des Ehegatten verstoße gegen § 242 BGB, sei zudem nicht erforderlich, da nicht das ganze Vermögen betroffen sei. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und behauptet, die selbst genutzte Wohnung sei kleiner als vom Kläger vorgetragen und der Sohn erziele mit der sich auf sechs Hektar beschränkenden Bewirtschaftung des dem Vater gehörenden Grundstücks keinen Gewinn. II. Die Berufung ist unbegründet. 1. Die gemäß § 91 BSHG auf den Kläger übergegangen geltend gemachten Ansprüche der Mutter der Beklagten bestimmen sich nach den §§ 1601 ff BGB. 2. Die Mutter der Beklagten war zwar aufgrund der durch eigenen Einkünfte ungedeckten Kosten im Heim in der geltend gemachten Höhe bedürftig, § 1602 Abs. 1 BGB. 3. Die Beklagte war jedoch leistungsunfähig, § 1603 Abs. 1 BGB. a) Dies gilt zum einen in Anbetracht ihrer eigenen Einkünfte. Diese lagen unstreitig unter ihrem Selbstbehalt, der nach Nr. 21.3.2 der Hammer Leitlinien 1.250 € beträgt. Sie hat eine Rente in Höhe von monatlich 177 € bezogen, zusammen mit ihrem Ehemann Mieteinkünfte aus einem Haus in I in Höhe von 360 € erzielt, von denen ihr als hälftiger Miteigentümerin 180 € zustanden. Hinzu kommt der Vorteil des mietfreien Wohnens im Hause des Ehemannes. Auch bei Anrechnung des vom Kläger (zu hoch, siehe unten) geltend gemachten Betrages von 385 € als Hälfte von 770 € führt dies selbst zusammen mit fiktiven Zinseinkünften nicht zu einer Überschreitung des Mindestselbstbehalts der Beklagten. Fiktive Zinsen aus einer Geldanlage eines erzielbaren Veräußerungserlöses ihres Grundstückanteils von 140.000 € ergäben bei einer Verzinsung von 4 % Einkünfte von 5.600 € jährlich oder 467 € monatlich. Zu berücksichtigen ist, daß die Zinseinkünfte oberhalb ihres Freibetrages von derzeit 1.421 € steuerpflichtig sind. Bei einem Steuergrenzsatz von 25 % wären (5.600 - 1.421 =) 4.179 € x 25 % = 1.044,75 € oder rund 1.045 € Steuern zu zahlen. Es verblieben der Beklagten 4.566 € pro Jahr bzw. monatlich rund 380 €. Es ergeben sich maximal Einkünfte von 1.122 € (177 + 180 + 385 + 380) und damit weniger als der angemessene Mindestselbstbehalt gegenüber den Eltern in Höhe von 1.250 € (vgl. Hammer Leitlinien Nr. 21.3.2). b) Die Beklagte war auch leistungsunfähig, soweit auch auf die Einkünfte ihres Ehemannes unter dem Gesichtpunkt abgestellt wird, daß es der Beklagten möglich war, Unterhalt für die Mutter zu zahlen, soweit ihr Bedarf in der Ehe gesichert war. Denn dies ist war nicht der Fall. aa) Die gesamten Renteneinkünfte der Ehegatten betrugen 777 € (Beklagte 177, Ehemann 600). bb) Der gemeinsame Wohnvorteil kann lediglich mit der ersparten Miete der von ihnen genutzten Wohnung, nach der Behauptung des Klägers 130 m² x 5,20 €/m² = 676 €, angesetzt werden. Eine Erhöhung in Bezug auf Nebenkosten kommt nicht in Betracht. Einkommen sind lediglich die Nutzungen, die aus dem Vermögen in der Form gezogen werden, daß im eigenen Haus mietfrei gewohnt wird. Soweit der Eigentümer billiger als der Mieter lebt, ist ihm dies als Einkommen anzurechnen (BGH FamRZ 1998, 87). Da der Eigentümer seine Nebenkosten zu tragen hat, tritt bei ihm keine Ersparnis ein (wobei der BGH umgekehrt in weiterhin ständiger Rechtsprechung verbrauchsunabhängige Kosten vom Wohnwert noch abzieht). Der Hinweis des Klägers auf die Regelungen in den §§ 19, 22 SGB II erscheint abwegig, da in diesen Vorschriften die Höhe der sozialhilferechtlichen Leistungen eines Bedürftigen für Unterkunft und Heizung geregelt werden, und der Umstand, daß hier Anteile für Nebenkosten erfaßt sind, gerade zeigt, daß Nebenkosten zum Bedarf gehören und nicht vom (Selbstbehalt gleich) Eigenbedarf abgezogen werden können. cc) Die Beklagte und ihr Ehemann erzielten Mieteinkünfte in Höhe von 360 € aus einem Haus in I. dd) Unterstellte fiktive Zinseinkünfte kämen in Höhe von 380 € in Betracht (siehe oben). ee) Einkünfte aus fiktiver Vermietung der Wohnung an den Sohn des Ehemannes können nicht zugerechnet werden. Fiktives Einkommen ist einem Pflichtigen zuzurechen, soweit er gegenüber dem Unterhaltsberechtigten gehalten ist, entsprechende Einkünfte zu erzielen - etwa einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen oder das Vermögen ertragsbringend anzulegen -, dies aber nicht tut. Eine derartige Verpflichtung besteht im Verhältnis des Ehegatten der Beklagten zu seiner Schwiegermutter nicht, da er ihr nicht unterhaltspflichtig ist. Unterhaltspflichten bestehen gemäß § 1601 BGB nur im Verhältnis von Verwandten zueinander, nicht gegenüber nur verschwägerten Personen, also auch nicht im Verhältnis zur Schwiegermutter. Die Beklagte selbst kann die Wohnung nicht vermieten, da sie nicht Eigentümerin ist. ff) Einkünfte aus Landwirtschaft können ebenfalls nicht angerechnet werden. Unstreitig bewirtschaftet jedenfalls der Ehemann der Beklagten, der Jahrgang 1928 ist und also im Jahr 1997 auch schon 69 Jahre geworden ist, die Ackerflächen nicht. Ob der Sohn der Beklagten Gewinne aus der Landwirtschaft erzielt, kann dahin stehen, da diese weder der Beklagten noch ihrem Ehemann als Eigentümer der Flächen aus den Gründen zu II. 3. b) ee) zugerechnet werden können. gg) Damit ergäben sich Gesamteinkünfte allenfalls in Höhe von 2.193 €. h) Diese Einkünfte liegen unter dem angemessen Gesamtselbstbehalt der Beklagten und ihres Ehemannes, der 2.200 € beträgt (Hammer Leitlinien Nr. 22.3). Der Gesamtmindestbedarf kann auch entgegen der Auffassung des Klägers nicht mit der Begründung gesenkt werden, daß die Beklagte und ihr Ehemann offensichtlich mit geringeren Mitteln auskommen. Es handelt bei dem Gesamtselbstbehalt von 2.200 € um einen Mindestselbstbehaltssatz (BGH FamRZ 2004, 366 [367]; FamRZ 2004, 370 [373]; FamRZ 2004, 443). Es findet insofern eine objektivierte Bemessung statt. Ein bescheidenerer Lebensstandard bleibt außer Betracht. c) Vermögen Die Beklagte verfügte auch über kein einzusetzendes Vermögen. aa) Der Vortrag des Klägers, das Haus, in dem die Beklagte wohnt, gehöre "formal" ihrem Ehemann, ist unverständlich. Da es nicht ihr Eigentum war, konnte und brauchte die Beklagte es nicht zu verwerten. bb) Da ihre sonstigen Einkünfte unter dem Selbstbehalt lagen, brauchte die Beklagte das Vermögen nicht zu verwerten, soweit sie die Einkünfte aus dem Vermögen benötigte. Die vermietete Immobilie brauchte die Beklagte nicht zu verwerten, da sie Mieteinkünfte abwarf, von denen sie und ihr Mann lebten. Auch Zinseinkünfte aus einem Veräußerungserlös von 140.000 € benötigte die Beklagten zum angemessenen Leben (s.o. unter II. 3.). Daher brauchte auch diese Immobilie nicht für Unterhaltszwecke verwertet zu werden. 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. 5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 710 Nr 10, 711 ZPO. 6 Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 II S. 1 Nr. 1 ZPO. Der Rechtsstreit wirft keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordert sie nicht, § 543 II S. 1 Nr. 2, 1.Alt. ZPO; die entscheidungsrelevanten Rechtsfragen - Mindestselbstbehalt, Voraussetzungen der Zurechnung fiktiver Einkünfte - scheinen geklärt. Es ist auch nicht zu befürchten ist, daß Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, § 543 II S.1 Nr. 2, 2.Alt. ZPO. Insbesondere die vom Kläger in Bezug genommen Entscheidung des OLG München (FamRZ 2005, 299) zur Frage des Schonvermögens stellt sich hier nicht, da im Unterschied zum Fall des OLG München gar kein Vermögen vorhanden ist, das nicht für den eigenen Bedarf benötigt wird.

Ende der Entscheidung

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