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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.05.2008
Aktenzeichen: 9 W 11/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
Zur Schmerzensgeldbemessung im Falle einer Schwangerschaft eines geistig behinderten Kindes durch sexuellen Missbrauch seines Vaters.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die gemäß § 127 Abs.2 S. 2 ZPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Landgericht hat dem Beklagten zu Recht Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Verteidigung gegen die Schadensersatzklage seiner Tochter mangels hinreichender Erfolgsaussicht i. S. v. § 114 ZPO versagt. Auch unter Berücksichtigung seines Vorbringens steht der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 7.500,00 €, wie es das Landgericht ins Auge gefasst hat, zu. Seine Verpflichtung, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus seiner Tat zu ersetzen, bestreitet der Beklagte zu Recht dem Grunde nach ausdrücklich nicht. Seine Einwände gegen den Schmerzensgeldbetrag greifen nicht. Selbst wenn man im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren zu seinen Gunsten nach derzeitiger Aktenlage unterstellen muss, dass die Klägerin weder die Verletzung ihres Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung noch die Austragung des dabei gezeugten Kindes als solche verstandesmäßig überhaupt wahrgenommen hat, und aus dem Erhalt eines Schmerzensgeldes keine Genugtuung empfinden kann, ist ihr ein immaterieller Schaden gleichwohl entstanden, der einen Ausgleich erfordert. Ungeachtet ihrer massiven geistigen Behinderung blieb die Klägerin Trägerin des aus ihrer Menschenwürde begründeten Selbstbestimmungsrechtes jedenfalls soweit, dass sie trotz ihrer Widerstandsunfähigkeit nicht als Objekt für sexuelle, noch weniger für inzestuöse Übergriffe zur Verfügung stand. Die durch den sexuellen Missbrauch unmittelbar zugefügte Einbuße an personaler Würde stellt schon für sich einen auszugleichenden immateriellen Schaden dar, unabhängig davon, ob der Betroffene die Beeinträchtigung so empfindet. Eine ähnliche Auffassung vertritt der BGH in NJW 1993, 781 für den Fall fast völliger Zerstörung der Persönlichkeit, die das Empfinden des Geschädigten gerade ihres Verlustes wie auch des Ausgleichs und der Genugtuung hindert, wobei allerdings diese Empfindungseinbuße selbst vom Schädiger herbeigeführt und nicht - wie hier bei der Klägerin - schon vorgegeben war.

Die aus der Erfahrung bekannten allgemeinen körperlichen Beschwerlichkeiten einer Schwangerschaft hat die Klägerin ebenfalls empfinden müssen, selbst wenn sie die Schwangerschaft als deren Ursache nicht rational hat begreifen können. Auch die in Vollnarkose durchgeführte Schnittentbindung ist körperlich belastend und jedenfalls nach dem Ende der Betäubung eine Zeit lang schmerzhaft.

Eine Kompensation dafür ist nicht deshalb sinnentleert, weil die Klägerin deren Bedeutung nicht erfassen würde. Auch ohne dies ist es ihrer Betreuerin möglich, der Klägerin, die nicht empfindungsunfähig ist, mit dem Schmerzensgeld Annehmlichkeiten und so ein Mehr an Lebensfreude zu verschaffen, die ihr in dem gewöhnlichen Lebensablauf im Pflegeheim sonst nicht zur Verfügung stehen und die zumindest die körperlichen Beschwerden von Schwangerschaft und Entbindung ausgleichen können.

In der veröffentlichten Schmerzensgeldjudikatur ist ein Fall mit einem annähernd gleichartigen Sachverhalt bislang nicht entschieden; eine schematische Übernahme verböte sich ohnehin. Die von der Klägerin vorgestellte und vom Landgericht mit seinen Prozesskostenhilfebeschlüsse zugunsten der Klägerin und zu Lasten des Beklagten akzeptierte Größenordnung fügt sich aber jedenfalls in den Betragsrahmen, der in der überwiegenden Spruchpraxis für Fälle mit vergleichbaren Teilkomponenten des Verletzungsbildes - bei einer Summierung - zuerkannt wurde.

Eine verständige Partei, die die Prozesskosten selbst aufbringen müsste, würde sich auch gegen den Feststellungsantrag der Klage nicht verteidigen, nachdem sie die Schadensersatzpflicht dem Grunde nach eingeräumt hat. Die Beschwerdebegründung erinnert auch nichts mehr gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe zur Abwehr der Feststellungsklage. Zwar spricht der psychisch-geistige Allgemeinzustand der Klägerin dagegen, dass in Zukunft auch noch immaterielle Schäden als Tatfolge bei ihr festzustellen sein werden. Gerade das würde aber eine wirtschaftlich denkende Partei in der Position des Beklagten von der Verteidigung gegen die nur den Anspruchsgrund betreffende Feststellung dieser Ersatzpflicht absehen lassen.

Die Kostenentscheidung dieses Beschlusses beruht auf §§ 97 Abs. 1, 127 Abs. 4 ZPO, 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1811 KV.

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