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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.02.2007
Aktenzeichen: 9 W 9/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 93 d
ZPO § 269 Abs. 3
ZPO § 269 Abs. 3 S. 2
Die Ausnahmeregelung des § 269 Abs. 3 S. 2, 2. Alt. ZPO, die nach Klagerücknahme die Überbürdung der Kosten des Rechtsstreits auf den Beklagten "aus einem anderen Grund" erlaubt, betrifft grundsätzlich nur die Fälle des § 93 d ZPO (insoweit Übernahme von BGH NJW 2004, 223). Ein solcher "anderer Grund" ist nicht schon deshalb gegeben, weil der Beklagte erstmals im Rechtsstreit einen Sachverhalt vorträgt, dessen vorherigen Kenntnis den Kläger von der Erhebung der Klage abgehalten hätte. Die Frage einer analogen Anwendung von § 93 d ZPO bleibt offen.
Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Dessen Streitwert wird auf bis zu 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Der klagende gesetzliche Träger der Sozialversicherung hatte die Beklagten als Geschäftsführer einer insolvent gewordenen GmbH wegen Nichtabführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung gemäß § 823 II BGB ivm § 266 a StGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen und hat die Klage zurückgenommen, nachdem die Beklagten - erst auf gerichtliche Hinweisverfügung nach § 139 ZPO - zur Insolvenzeröffnung führende Zahlungsschwierigkeiten der GmbH in der Zeit der Fälligkeit der erfolgten Lohnzahlungen substanziiert dargetan hatte. Seine sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Versagung der beantragten Überbürdung der Verfahrenskosten auf die Beklagten nach der Ausnahmeregel des § 269 III S. 2, 2. Alt. ZPO.

B.

Die gemäß § 269 V S. 1 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Landgericht nach der Klagerücknahme eine von der gesetzlichen Regel abweichende Überbürdung der Prozesskosten auf die Beklagten gemäß § 269 III S. 2, 2. Alt. ZPO nicht vorgenommen, weil sie diesen nicht "aus einem anderen Grund" aufzuerlegen sind.

" ... Nach dieser Vorschrift hat der Kläger bei einer Klagerücknahme diejenigen Kosten nicht zu tragen, die dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Anlass für diese Ausnahmeregelung war die Neufassung des § 93 d ZPO durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz) vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666). Danach können die Kosten des Rechtsstreits abweichend von § 269 Abs. 3 ZPO der beklagten Partei auferlegt werden, wenn sie zu einem Unterhaltsprozess Anlass gegeben hat, indem sie ihre Auskunftspflicht nicht oder nicht vollständig erfüllt hat. Damit verbunden war eine Ergänzung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO dahingehend, dass von der Kostentragungspflicht des Klägers im Falle der Klagerücknahme die Kosten ausgenommen waren, die "dem Beklagten aufzuerlegen" waren. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Kindesunterhaltsgesetz war damit allein der Fall des § 93 d ZPO gemeint (BT-Drucks. 13/7338, S. 33). Eine sachliche Änderung über diesen Bereich hinaus war nicht beabsichtigt.

Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (ZPO-Reformgesetz) vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) hat sich an dieser Rechtslage nichts geändert. Vielmehr ist § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nur redaktionell geändert worden. Von der Kostenlast des Klägers sind danach die Kosten ausgenommen, die dem Beklagten "aus einem anderen Grund" aufzuerlegen sind. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum ZPO-Reformgesetz sollte damit klargestellt werden, dass dem Kläger die Kosten nicht auferlegt werden können, wenn einer der schon bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle vorliegt (BT-Drucks. 14/4722, S. 80).

Durch diese Gesetzesänderung ist dagegen nicht die Möglichkeit geschaffen worden, bei der Kostenentscheidung nach Klagerücknahme auch die materiell-rechtliche Kostenerstattungspflicht zu. Die Kostenvorschriften der ZPO befassen sich nach wie vor nur mit dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch. Die Kostenpflicht muss sich aus der Prozesssituation ergeben. Materiell-rechtliche Erwägungen dürfen dabei grundsätzlich keine Rolle spielen. Das Gericht soll nicht gezwungen sein, im Rahmen der Kostenentscheidung - von den gesetzlich begründeten Ausnahmefällen abgesehen - materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen zu prüfen. ..."

Den vorstehend zitierten Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 27.10.2003 - Az. II ZB 38/02 -, veröffentlicht u. a. in NJW 2004, 223, schließt der erkennende Richter sich an.

Danach käme im vorliegenden Fall eine Anwendung des § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO nur noch in Betracht, wenn die Klagerücknahme in einer der von § 93 d ZPO geregelten vergleichbaren Prozesslage erfolgt wäre, mithin § 93 d ZPO analog angewendet werden könnte. Eine solche Prozesssituation, in der erst die verspätete Erteilung vom Beklagten geschuldeter Auskünfte die Unbegründetheit der Klageforderung zu Tage treten lässt, war hier nicht gegeben.

Zum Einen bestand für die Beklagten eine gesetzliche Auskunftspflicht, so wie sie für den Unterhaltsschuldner in §§ 1605, 1580 BGB normiert ist, gegenüber der Klägerin über die insolvenzrechtlich beachtliche Zahlungsunfähigkeit der GmbH nicht.

Insbesondere aber konnte der Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 20.11.2006 nicht der entscheidende Anlass für die Rücknahme einer schlüssigen und bis dahin begründet erscheinenden Klage sein:

Soweit die Beklagten erstmals substanziiert geltend gemacht haben, die N GmbH sei bei Fälligkeit der von der Klägerin reklamierten Sozialversicherungsbeiträge - im Sinne des § 17 II InsO - zahlungsunfähig gewesen, war dies für sich allein unerheblich. Selbst wenn die GmbH den wesentlichen Teil ihrer Zahlungsverbindlichkeiten nicht mehr befriedigen konnte, blieben die Beklagten als deren Geschäftsführer zumindest verpflichtet, bei der unstreitig noch erfolgten Auszahlung der Löhne für September und Oktober 2003 entsprechende Kürzungen vorzunehmen, mit deren Erträgen sie die Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen abführen musste und konnte. Hierauf weist die Klägerin selbst mit der Beschwerdegründung unter Bezugnahme auf die einschlägige Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.9.2006 in NJW 2006, 3573 zutreffend hin.

Erheblich war dagegen der Einwand, eine pflichtgemäße Abführung der Beitragsanteile bei deren Fälligkeit hätte den Schaden der Klägerin nicht verhindert, weil diese Zahlungen der Insolvenzanfechtung - hier gemäß § 130 I Ziffer 1. InsO - unterlegen hätten. Die Anfechtbarkeit nach der genannten Vorschrift setzte indessen voraus, dass die Klägerin im Herbst 2003 die insolvenzrechtliche Zahlungsfähigkeit der GmbH, bzw. Umstände, die darauf zwingend schließen ließen (§ 130 II InsO), kannte. Hatte aber die Klägerin solche Kenntnis, so war für sie nach zutreffender rechtlicher Prüfung schon bei Erhebung der Klage deren Unbegründetheit ersichtlich, dies um so mehr als sie sich mit der Anspruchsbegründung auf die einschlägige Entscheidung des BGH vom 14.11.2000, veröffentlicht in NJW 2001, 967, berufen hat. Hatte sie solche Kenntnis nicht, brauchte entgegen ihrer Argumentation der Vortrag der Beklagten in dem Schriftsatz vom 20.11.2006 sie nicht zur Klagerücknahme veranlassen.

Die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels hat die Klägerin gemäß § 97 I ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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