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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 01.10.1999
Aktenzeichen: 19 U 34/99
Rechtsgebiete: StVO, StVG, ZPO


Vorschriften:

StVO § 9 Abs. 1 S. 4
StVO § 9 Abs. 5
StVO § 5 Abs. 3 Ziff. 1
StVG § 17 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Leitsatz:

Die Regeln des gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweises greifen nicht ein, wenn unstreitig ist, dass der Vorausfahrende nach links auf ein Grundstück abbiegen wollte, so dass die Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 4 und § 9 Abs. 5 StVO Platz greift.

Genügt der Abbiegende einerseits nicht seiner doppelten Rückschaupflicht und überholt der Nachfolgende andererseits bei unklarer Verkehrslage, so rechtfertigt dies eine Haftungsverteilung von 50 : 50.


19 U 34/99 21 O 447/97 LG Köln

Anlage zum Protokoll vom 1. Oktober 1999

Verkündet am 1. Oktober 1999

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

OBERLANDESGERICHT KÖLN

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 1999 durch die Richter am Oberlandesgericht Pütz und Gedig und die Richterin am Oberlandesgericht Caliebe

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 15.1.1999 - 21 O 447/97 - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 22.288,11 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Juli 1997 abzüglich am 18.3.1999 gezahlter 14.858,74 DM zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Klägerin zu 50 % und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu 50 % zu tragen; die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin zu 60,49 %, den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 39,51 % auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg; statt der vom Landgericht erkannten Haftungsquote von 80 % zu Lasten der Beklagten sind sie nur verpflichtet, der Klägerin 50 % des ihr anläßlich des Unfallgeschehens vom 8.7.1997 entstandenen Schadens zu ersetzen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin handelte es sich um keinen typischen Auffahrunfall. Denn es ist unstreitig, dass der Geschäftsführer der Klägerin nach links auf ein Grundstück (Parkstreifen) abbiegen wollte, als es zur Kollision mit dem nachfolgenden Fahrzeug der Beklagten zu 2) kam. Damit greift die Vorschrift des § 9 Abs. 1 S. 4 und Abs. 5 StVO ein. Hiernach trifft den nach links Abbiegenden eine doppelte Rückschaupflicht und er hat sich zudem so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dass ihr Geschäftsführer sich so verhalten hat, hat die Klägerin schon nicht überzeugend dargelegt und schon gar nicht bewiesen. Ihre Darstellung des Fahrverhaltens ihres Geschäftsführers ist widersprüchlich. Während sie in der Klageschrift behauptet hat, er habe nach links geblinkt, sich zur Straßenmitte eingeordnet und die Geschwindigkeit auf 10 km/h verlangsamt, der Beklagte zu 2) sei noch vor Beginn des Abbiegevorgangs aufgefahren, behauptet sie im nachfolgenden Schriftsatz erstmals zusätzlich, ihr Geschäftsführer habe nicht in einem Zuge abbiegen können, weil Gegenverkehr gekommen sei. Nachdem der Sachverständige Hülser in seinem Gutachten vom 3.8.1998 festgestellt hatte, dass die Sachdarstellung der Klägerin nicht zutreffen könne, der Anstoß vielmehr von schräg hinten links mit einem Kollisionswinkel von 30( bis 40( erfolgt sein müsse, was sich mit der Darstellung der Beklagten vereinbaren lasse, das klägerische Fahrzeug sei ursprünglich langsam rechts auf der Fahrbahn gefahren und dann kurz vor dem Unfall nach links geschwenkt, behauptet die Klägerin nachfolgend, ihr Geschäftsführer habe offensichtlich schon die Lenkung nach links eingeschlagen gehabt, weil er mit keinem Überholvorgang habe rechnen können, er habe seine Geschwindigkeit auf 10 km/h verringert gehabt, als der Beklagte zu 1) aufgefahren sei; von Gegenverkehr, den die Beklagten auch bestritten hatten, ist in diesem Schriftsatz keine Rede mehr. Diese Behauptung wird erst in der Berufungserwiderung wieder aufgegriffen; jetzt soll der Geschäftsführer nicht sogleich abgebogen sein, weil er den Gegenverkehr abwarten musste, sein Fahrzeug habe sich allenfalls in einer minimalen Schrägfahrt befunden und der Beklagte zu 2) sei zum Überholen auf die Gegenfahrbahn geschwenkt, habe dann aber wegen des Gegenverkehrs abrupt nach rechts lenken müssen, so dass er in einem Winkel von 30( bis 40( aufgeprallt sei. Diese neuerliche Darstellung des Unfallgeschehens lässt sich zwar ebenfalls mit den festgestellten Beschädigungen, die auf einen schrägen Anstoß hinwiesen, vereinbaren. Sie ist aber so erkennbar auf das Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens abgestellt, dass der Senat sie - auch im Hinblick auf die zuvor aufgezeigten Widersprüchlichkeiten im Sachvortrag der Klägerin für unglaubhaft hält. Demgegenüber lassen sich die Feststellungen des Sachverständigen Hülser mühelos mit der Sachdarstellung der Beklagten vereinbaren, die vorprozessual und prozessual gleich geblieben ist; hiernach soll das klägerische Fahrzeug unvermittelt vom rechten Fahrbahnrand zum Zwecke des Abbiegens nach links gelenkt worden sein soll, wenn auch nicht in dem von den Beklagten behaupteten rechten Winkel, sondern weniger schräg. Der Senat sieht es aufgrund der vom Sachverständigen vorgenommenen Auswertung der Sachdarstellung beider Parteien daher als erwiesen an, dass der Geschäftsführer der Klägerin deren Fahrzeug um abzubiegen bereits schräg nach links gelenkt hatte, als das vom Beklagten zu 1) gesteuerte, parallel zum Fahrbahnrand fahrende Wohnmobil auffuhr. Dass Gegenverkehr, der zum Halten zwang, herrschte, hat die Klägerin nicht bewiesen, desgleichen nicht, dass ihr Geschäftsführer als unstreitig nach links Abbiegender den sonstigen Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO (rechtzeitiges Einordnen, doppelte Rückschaupflicht) hinreichend genügt hat. Der Unfall war für die Klägerin damit nicht nur nicht unabwendbar (§ 7 Abs. 2 StVG), sie trifft auch ein Verschulden am Unfallgeschehen.

Dem Beklagten zu 1) ist nach seinem eigenen Vortrag ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO, wonach das Überholen bei unklarer Verkehrslage unzulässig ist, zu Last zu legen. Denn die Beklagten haben behauptet, der Geschäftsführer der Klägerin habe sein Fahrzeug verlangsamt und sei langsam am rechten Fahrbahnrand entlang gefahren, er habe durch die sehr unsichere Fahrweise den Eindruck erweckt, als wenn er das Fahrzeug rechts anhalten wolle; deshalb habe sich der Beklagte zu 1) entschlossen zu überholen. Damit herrschte für den Beklagten zu 1) eine unklare Verkehrslage, als er zum, Überholen ansetzte; denn er konnte aufgrund der auch ihm als unsicher erscheinenden Fahrweise nicht verlässlich beurteilen, was der Vorausfahrende sogleich tun werde (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 31. Aufl. § 5 StVO, Rn. 34 m.w.N.).

Bei der nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung, inwieweit der Schaden überwiegend von der Klägerin oder den Beklagten verursacht worden ist, ist zu Lasten der Klägerin davon auszugehen, dass ihr Geschäftsführer nach links auf einen der auf der anderen Straßenseite befindlichen Parkplätze abbiegen wollte und dabei sein Fahrzeug in der Geschwindigkeit verlangsamend nach links verschwenkt und mit den Abbiegevorgang begonnen hat, ohne hinreichend auf den nachfolgenden Verkehr zu achten (vor den Abbiegen noch einmal nach hinten geschaut hat er nach eigenem Vortrag nicht); damit hat er schuldhaft gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Andererseits hat der Beklagte zu 1) bei unklarer Verkehrslage zum Überholen angesetzt, was nach § 5 Abs. 3 Ziff. 1 StVO unzulässig war. Beide Verursachungsbeiträge erscheinen gleichwertig, so dass eine Haftungsquote von 50 : 50 gerechtfertigt ist.

Die Klageforderung in Höhe von 44.576,21 DM ist zwischen den Parteien unstreitig, hiervon 50 % ergeben den zuerkannten Betrag von 22.288,11 DM. Soweit die Klägerin ihre Forderung zunächst hilfsweise erweitert und auf die Erstattung der Gutachter- und Mietwagenkosten gestützt hat, hat sie dieses Begehren in diesem Verfahren fallen lassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Beschwer für beide Parteien: unter 60.000,-- DM

Berufungsstreitwert: 18.802,23 DM (33.660,97 DM - 14.858,74 DM)

Ende der Entscheidung

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