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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.04.2003
Aktenzeichen: 5 U 218/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3
ZPO § 543 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 9. Oktober 2002 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 11 O 374/00 - abgeändert.

Die auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes gerichtete Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche zukünftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aufgrund der ärztlichen Behandlung vom 13. Mai 1998 entstehen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer behaupteten Fehlbehandlung bei einer Facetteninfiltration am 13. Mai 1998 in Anspruch. Er hat ferner behauptet, vom Beklagten vor der Behandlung nicht ordnungsgemäß über die Risiken des Eingriffs sowie über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden zu sein.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 9. Oktober 2002, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), abgewiesen. Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger stützt sein Begehren im Berufungsrechtszug nicht mehr auf Behandlungsfehler des Beklagten; geltend gemacht wird lediglich noch eine nicht erfolgte Aufklärung über die Risiken der Injektionsbehandlung sowie über Behandlungsalternativen.

Der Kläger behauptet weiterhin, eine Risikoaufklärung sei nicht erfolgt. Jedenfalls habe der Beklagte nicht auf das Risiko einer dauerhaften Nervschädigung hingewiesen. Der Beklagte sei selbst davon ausgegangen, dass ein solches Risiko nicht bestehe. So habe er sich auch bei seiner Anhörung vor dem Landgericht geäußert; dort habe er nicht angegeben, über das Risiko einer bleibenden Schädigung aufgeklärt zu haben. Darüber hinaus sei der Beklagte auch verpflichtet gewesen, ihn über Behandlungsalternativen (insbes. eine medikamentöse Behandlung) aufzuklären. Es sei rechtlich unzutreffend, wenn das Landgericht eine solche Aufklärungspflicht mit der Begründung verneine, die Erfolgsaussichten und die Risiken der in Betracht kommenden Behandlungsmethoden seien etwa gleichwertig. Bei den hier in Rede stehenden Alternativen seien zwar gleichwertige Erfolgsaussichten anzunehmen, jedoch unterschiedliche Risiken. Daher habe eine Aufklärung erfolgen müssen. Wäre er entsprechend aufgeklärt worden, hätte er sich für die medikamentöse Behandlung entschieden.

Der Beklagte behauptet demgegenüber, das in der Dokumentation und auch bei seiner Anhörung erwähnte Risiko einer Nervverletzung beziehe sich auf strukturelle und damit bleibende Funktionsveränderungen. Entsprechend sei der Kläger auch aufgeklärt worden. Er behauptet weiter, der Kläger hätte sich bei unterstellt ordnungsgemäßer Aufklärung für eine Injektionsbehandlung entschieden, weil er bereits mit einem erheblichen Leidensdruck seine Praxis aufgesucht habe und die Injektionsbehandlung ein Routineeingriff sei, den noch keiner seiner Patienten verweigert habe.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als die auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gerichtete Klage dem Grunde nach gerechtfertigt ist; ferner ist dem Feststellungsantrag stattzugeben.

Der Beklagte haftet dem Kläger wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken der Injektionsbehandlung sowie wegen unterlassener Aufklärung über Behandlungsalternativen. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte den Kläger - wie es das Landgericht als erwiesen angesehen hat - überhaupt über die Risiken der Behandlung aufgeklärt hat. Jedenfalls war der Beklagte gehalten, den Kläger auf das - wenngleich seltene - Risiko einer dauerhaften Nervschädigung als mögliche Folge der Injektionstherapie hinzuweisen. Dass diese Aufklärung erfolgt ist, steht nicht zur Überzeugung des Senats fest. Die computerunterstützt geführten Krankenunterlagen geben dazu ebenso wenig her wie die mündliche Anhörung des Beklagten vor dem Landgericht. Dort hat er ausgeführt:

"Ich habe ihm erklärt, dass normalerweise eine solche Injektion ungefährlich sei, dass es aber auch bestimmte Risiken gäbe, wie etwa das Entstehen eines Blutergusses oder einer Infektion, die dann schon gefährlicher sei, oder auch von Gefäß- oder Nervverletzungen."

Soweit der Beklagte vorträgt, mit der Erwähnung von Nervverletzungen habe er dauerhafte Funktionsstörungen gemeint, ist dies unzureichend, denn davon kann ein Patient nicht ohne weiteres und ohne nähere Erläuterung ausgehen; auch die bloße Erklärung, es könne zu "Funktionsausfällen mit Muskellähmungen in den entsprechenden Muskeln kommen" (GA 259), ist für einen Patienten nicht hinreichend klar. Der Beklagte hätte dem Kläger unmissverständlich verdeutlichen müssen, welche konkreten (dauerhaften) Folgen eine Nervverletzung haben kann. Davon kann weder aufgrund seiner Angaben bei der Anhörung vor dem Landgericht noch aufgrund seines ergänzten Vorbringens im Berufungsrechtszug ausgegangen werden.

Darüber hinaus war der Beklagte verpflichtet, den Kläger über mögliche Behandlungsalternativen aufzuklären. Entgegen dem unzutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt des Landgerichts hat eine Aufklärung über Behandlungsalternativen dann zu erfolgen, wenn eine andere gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethode zur Verfügung steht, die vergleichbare Erfolgschancen, aber andersartige, unterschiedliche Risiken hat (vgl. BGH, NJW 2000, 1788, 1789; OLG Hamm, VersR 1992, 610); darauf, ob die Risiken gleichwertig sind oder nicht, kommt es nicht an. Behandlungsalternativen mit in etwa gleichwertigen Erfolgsaussichten haben nach den klaren und unzweideutigen Feststellungen des Sachverständigen Prof. H. bestanden, nämlich eine orale Medikamentengabe, die intramuskuläre Verabreichung von Medikamenten, eine intravenöse Infusion oder eine Blockade der Nervwurzeln. Die Medikamentengabe hat - wie der Beklagte selbst vorträgt - andere Risiken (Unverträglichkeit im Magenbereich; Schockgefahr) als die Injektionstherapie. Mithin musste der Beklagte den Kläger über die insoweit bestehenden Alternativen aufklären, damit dieser eigenständig entscheiden konnte, auf welche Risiken er sich einzulassen bereit war. Dies hat der Beklagte unterlassen; er hat den Kläger - wie er eingeräumt hat - sofort auf die Injektionstherapie verwiesen (GA 204).

Auf eine hypothetische Einwilligung kann sich der Beklagte nicht berufen. Ob der Beklagte mit diesem erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Einwand schon nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen ist, mag dahingestellt bleiben (vgl. hierzu OLG Köln, OLGR 2003, 81). Selbst wenn man die Rechtsverteidigung insoweit zulässt, ist der Senat aufgrund der Ausführungen des Beklagten nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich in jedem Fall der Injektionsbehandlung unterzogen hätten. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass der Kläger - auch bei dem insoweit sicher bestehenden Leidensdruck - bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre, weil er die unterschiedlichen Risiken der jeweiligen Behandlung gegeneinander hätte abwägen müssen. Dass der Beklagte bislang noch keinen Patienten erlebt hat, der sich bei ihm geweigert hat, sich einer Facetteninfiltration zu unterziehen, mag darin begründet sein, dass er die notwendige Aufklärung nicht mit hinreichender Sorgfalt betrieben hat. Jedenfalls kann nicht angenommen werden, dass sich der Kläger auf jeden Fall zu einer Injektionstherapie entschlossen hätte. Bei dieser klaren Sachlage erscheint eine mündliche Anhörung des Klägers zum Entscheidungskonflikt nicht mehr angezeigt.

Bei der Infiltrationsbehandlung ist es nach den überzeugenden und vom Beklagten insoweit auch nicht weiter angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen Prof. H. zu einer irrevisiblen Schädigung der 4. Lendennervenwurzel gekommen. Dies hat auch der im Verfahren vor der Gutachterkommission tätige Sachverständige Prof. H. in seinem Gutachten vom 14. Januar 2000 bestätigt.

Der Kläger haftet somit dem Grunde nach auf Zahlung eines Schmerzensgeldes. Um dessen Höhe abschließend bestimmen zu können, bedarf es allerdings weiterer Sachaufklärung, die der Senat mit dem heute zugleich verkündeten Beweisbeschluss angeordnet hat.

Stattgegeben werden kann bereits jetzt dem auf Feststellung des Ersatzes künftiger materieller Schäden gerichteten Antrag. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem Kläger künftig ersatzfähige Nachteile aus der Nervenwurzelverletzung entstehen, für die der Beklagte einzustehen hat.

Die Kostenentscheidung ist dem Schlussurteil vorzubehalten.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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