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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 01.08.2005
Aktenzeichen: 5 W 92/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 485 II
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

5 W 92/05

In dem selbständigen Beweisverfahren

pp.

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger sowie die Richter am Oberlandesgericht Ring und Mangen

am 1. August 2005

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachens vom 30. Mai 2005 - 9 OH 7/05 - abgeändert.

Es soll im Wege des selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff. ZPO durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben werden über folgende Fragen:

1. Ist die im Bereich des linken Schultergelenks des Antragstellers bestehende Impingementsymptomatik (Funktionsbeeinträchtigung des Schultergelenks) Folge des vom Antragsteller am 4.11.2002 erlittenen Arbeitsunfalles?

2. Ist die bestehende Impingementsymptomatik Folge der zur Behebung der nach dem Unfall aufgetretenen Gesundheitsstörungen durchgeführten Operation (Neer'sche Acromioplastik)?

3. Besteht eine als Folge des Unfalls bzw. der danach durchgeführten Operation eingetretene dauernde Einschränkung der Leistungsfähigkeit? Wenn ja, wie hoch ist der Grad der Invalidität?

Die weiteren erforderlichen Anordnungen werden dem Landgericht übertragen.

Gründe:

Die gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat in der Sache Erfolg.

Der Antragsteller kann die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens zur Feststellung seines gesundheitlichen Zustandes, der Unfallursächlichkeit und der Höhe des unfallbedingten Invaliditätsgrades durch Einholung eines Sachverständigengutachtens verlangen. Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 485 Abs. 2 ZPO können grundsätzlich auch Tatsachenfeststellungen zur Vorbereitung von Ansprüchen aus einer privaten Unfallversicherung sein (OLG Köln, OLGR 2002, 35). Voraussetzung ist lediglich ein rechtliches Interesse des Antragstellers an den zu treffenden Feststellungen. Ein solches Interesse ist nach § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO anzunehmen, wenn die Feststellungen der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen können. Die Führung eines Rechtsstreits ist hier nicht schon deshalb unvermeidlich, weil die Antragsgegnerin unter Hinweis auf ein von ihr eingeholtes fachorthopädisches Gutachten Leistungen aus der Unfallversicherung abgelehnt hat. Die Feststellungen eines in einem selbständigen Beweisverfahren beauftragten Sachverständigen können bei negativem Ergebnis für den Antragsteller durchaus dazu führen, dass er von der Einleitung eines Rechtsstreits Abstand nimmt; andererseits kann auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin für den Fall, dass der beauftragte Sachverständige zu anderen Ergebnissen als der von ihr beauftragte Gutachter kommt, zumindest zu außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen bereit ist (vgl. Senatsbeschl. v. 21. Mai 2003 - 5 W 86/02; OLG Hamm, MDR 1999, 184; OLG Saarbrücken, NJW 2000, 3439; OLG Düsseldorf, MDR 2001, 50).

Das rechtliche Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens kann auch nicht unter Hinweis darauf, dass sich der Antragsteller nicht substantiiert mit den Feststellungen des von der Antragsgegnerin beauftragten Gutachters auseinandergesetzt hat, verneint werden. Zwar ist anerkannt, dass in einem Rechtsstreit die Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens ausnahmsweise entbehrlich sein kann, wenn eine Partei ein außergerichtlich von ihr eingeholtes Gutachten vorgelegt hat. Ein solches Privatgutachten kann als qualifizierter Parteivortrag verwertet werden und eine eigene Beweisaufnahme des Gerichts entbehrlich machen, wenn die Beweisfrage allein schon aufgrund dieses substantiierten Parteivortrags zuverlässig beantwortet werden kann (OLG Köln, VersR 2001, 755 unter Hinweis auf BGH, NJW 1993, 2382, 2383; OLG Köln, Urt. v. 7. Juni 2000 - 5 U 255/99 [Revision mit Beschl. des BGH v. 26. September 2001 - IV ZR 182/00 - nicht angenommen] und Urt. v. 28. Juli 2004 - 5 U 2/04), was dann anzunehmen ist, wenn der Privatgutachter sachkundig und unabhängig ist, seine Feststellungen erschöpfend, nachvollziehbar und widerspruchsfrei sind und die gegnerische Partei keine substantiierten Einwendungen gegen die gutachterlichen Feststellungen vorbringt. Diese Grundsätze sind indes nicht auf das selbständige Beweisverfahren übertragbar. Dem Gericht ist es nämlich verwehrt, bereits im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Ein rechtliches Interesse an der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens kann nur dann verneint werden, wenn evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann (BGH, NJW 2004, 3488; NJW 2000, 960, 961; OLG Köln, NJW-RR 1996, 573, 574; OLG Hamm, NJW-RR 1998, 68; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2001, 1725, 1726). Davon kann hier unabhängig davon, ob die Feststellungen des von der Antragsgegnerin beauftragten Sachverständigen in sich schlüssig und überzeugungskräftig sind, nicht ausgegangen werden. Es ist jedenfalls nicht von vornherein sicher und ohne jeden Zweifel auszuschließen, dass ein anderer Sachverständiger zu abweichenden, für den Antragsteller günstigeren Feststellungen kommen kann.

Fehl geht auch der Hinweis des Landgericht darauf, dass der Antragsteller auf Kosten der Antragsgegnerin (§ 11 (I) AUB 88) ein Privatgutachten einholen kann, um sich in die Lage zu versetzen, substantiierte Einwände gegen die Begutachtung durch den von der Antragsgegnerin beauftragten Sachverständigen zu erheben. Unabhängig davon, ob die Antragstellerin tatsächlich gehalten wäre, die Kosten für ein solches Privatgutachten zu übernehmen, muss sich der Antragsteller nicht auf den vom Landgericht aufgezeigten Weg verweisen lassen, sondern kann sich des selbständigen Beweisverfahrens bedienen, um die zur Geltendmachung des Invaliditätsanspruchs notwendigen medizinischen Feststellungen zu erhalten. Das ist entgegen der Annahme des Landgerichts auch nicht als unzulässiger Ausforschungsbeweis zu werten, denn das selbständige Beweisverfahren soll es dem Antragsteller gerade ermöglichen, einen eingetretenen Schaden und dessen Ursache erst ermitteln zu lassen, was notwendig in gewisser Weise ausforschenden Charakter hat (vgl. OLG Frankfurt, MDR 2003, 772).

Das Landgericht hat schließlich zu Unrecht die Auffassung vertreten, die Frage nach der Höhe des Invaliditätsgrades sei in einem selbständigen Beweisverfahren unzulässig. Dabei hat es sich nicht mit der Bestimmung des § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO auseinandergesetzt, wonach auch der Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens festgestellt werden kann. Zwar ist die private Unfallversicherung keine Schadens-, sondern im wesentlichen eine Summenversicherung, die nach dem Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung betrieben wird (vgl. nur Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl., Vor § 1, Rn. 10). Bei einem engen Wortverständnis mag daher die Invaliditätsentschädigung nicht als Aufwand für die Beseitigung eines Personenschadens angesehen werden können, weil sie lediglich einen abstrakten Ausgleich für die Nachteile, die der Versicherungsnehmer aufgrund eines dauerhaften (und damit nicht mehr zu beseitigenden) gesundheitlichen Schadens erleidet, darstellt. Sinn der Bestimmungen des § 485 Abs. 2 ZPO ist es indes, in einem vorgezogenen Verfahren die tatsächlichen Grundlagen für die außergerichtliche Regulierung eines Sach- oder Personenschadens feststellen zu lassen, wozu notwendig nicht nur Feststellungen zum Grund (Nr. 1 und Nr. 2), sondern auch zur Schadenshöhe (Nr. 3) gehören. Deshalb ist es gerechtfertigt, die Vorschrift weit auszulegen und Tatsachenfeststellungen so weit zuzulassen, dass eine vorgerichtliche Einigung ermöglicht wird (OLG Hamm, NJW-RR 2002, 1674; OLG Koblenz, OLGR 2004, 77). Über Entschädigungsansprüche aus einer privaten Unfallversicherung zu verhandeln macht indes nur Sinn, wenn Feststellungen zum Grad der unfallbedingten Invalidität getroffen worden sind. Der Grad der Invalidität bestimmt die Höhe der Entschädigung und damit den abstrakten Schadensausgleich in der privaten Unfallversicherung. Das rechtfertigt jedenfalls die entsprechende Anwendung von § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, so dass Feststellungen zum Grad der Invalidität auch im selbständigen Beweisverfahren getroffen werden können.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers führt damit zur Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens, wobei der Senat an die vom Antragsteller vorgegebenen Beweisfragen gebunden ist (vgl. BGHZ 153, 302, 305; BGH, NJW 2000, 960, 961). Die weiteren erforderlichen Anordnungen überträgt der Senat gemäß § 572 Abs. 3 ZPO auf das Landgericht.

Eine Kostenentscheidung durch den Senat ist nicht veranlasst. Die Kostenerstattung für das selbständige Beweisverfahren hat entweder in einem sich anschließenden Hauptverfahren oder ggf. nach § 494 a Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erfolgen.

Ende der Entscheidung

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