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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 11.06.2003
Aktenzeichen: Ausl 27/03
Rechtsgebiete: IRG, EuRhÜbk, Value Added Tax Act 1994, Criminal Law Act 1977, AO


Vorschriften:

IRG § 30 Abs. 1
IRG § 56
IRG §§ 59 ff.
IRG § 59 Abs. 1
IRG § 59 Abs. 3
IRG § 61 Abs. 1 S. 2
IRG § 61 Abs. 1 S. 3
IRG § 66
IRG § 66 Abs. 1 Nr. 1
IRG § 66 Abs. 2 Nr. 2
EuRhÜbk Art. 3
Value Added Tax Act 1994 § 72 Abs. 1
Criminal Law Act 1977 § 1
AO § 370
Einer Prüfung der Zuständigkeit der ersuchenden Stelle bedarf es in der Regel nicht, wenn diese nach ihrem Geschäftsbereich und den Gepflogenheiten im zwischenstaatlichen Rechthilfeverkehr für die Stellung des Ersuchens befugt erscheint.

Die britische Zollbehörde "HM Customs und Excise - Solicitor`s Office"kann in dieser Eigenschaft auch Rechtshilfeersuchen erstellen.


Tenor:

Den ersuchenden britischen Behörden wird, soweit sie im Rechtshilfeverfahren die Herausgabe von Unterlagen oder deren Fotokopien beantragen, gem. §§ 61 Abs. 1 S. 3, 30 Abs. 1 IRG Gelegenheit zur Ergänzung ihrer Rechtshilfeersuchen gegeben, indem sie hierzu eine Beschlagnahmeanordnung einer nach britischem Recht zuständigen Stelle oder ersatzweise eine Erklärung einer solchen zuständigen Behörde vorlegen, dass die Voraussetzungen der Beschlagnahme vorlägen, wenn die Gegenstände sich im ersuchenden Staat befänden.

Hierzu wird den britischen Behörden eine Frist bis zum 31. August 2003 gesetzt.

Gründe:

I.

In der Zeit vom 31.10.2000 bis 7.5.2002 gingen bei den Staatsanwaltschaften Bonn und Köln zehn verschiedene Rechtshilfeersuchen der britischen Zollbehörde ein, die jeweils Rechtshilfehandlungen zum Gegenstand haben, die die Fa. F und deren Geschäftsführer N betreffen, bzw. - in dem Ersuchen vom 11.4.2002 - dem ein britisches Verfahren gegen N zugrunde liegt. Ziel dieser Ersuchen, die von der Staatsanwaltschaft Köln unter dem Aktenzeichen 24 AR 2770/02 zusammengefaßt worden sind, ist im wesentlichen die Erlangung von Auskünften über verschiedene Unternehmen, u.a. der Fa. F, insbesondere zu deren Geschäftsbeziehungen mit namentlich genannten britischen Firmen, Einsichtnahme in die Geschäftsunterlagen dieser Unternehmen einschließlich der Einsicht in Kontounterlagen, Vernehmung von Zeugen, Sicherstellung aller als Beweisstücke in Betracht kommender Unterlagen und die Verbringung dieser Beweisstücke, ggfs. in Form von Kopien in das Vereinigte Königreich zwecks Verwendung in einem Strafprozess. Dem Rechtshilfeersuchen liegen britische Ermittlungsverfahren gegen verschiedene Unternehmen und Personen wegen des Verdachts der Umsatzsteuerhinterziehung in erheblichem Umfang zugrunde.

Mit Schriftsatz seines Beistandes vom 21.8.2002 hat der Betroffene N beantragt, den Vorgang dem zuständigen Gericht vorzulegen, falls die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im Rahmen des Rechtshilfeersuchens nicht einstellt, da nach seiner Meinung die Durchführung des Rechtshilfeersuchens nicht zulässig sei. Die Staatsanwaltschaft, die die weitere Durchführung des Rechtshilfeersuchens beabsichtigt, hat daraufhin die Akten der Generalstaatsanwaltschaft zugeleitet. Diese hat die zusammengefaßten Rechtshilfeersuchen dem Senat mit dem Antrag vorgelegt, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung der Rechtshilfe gegeben sind.

II.

Über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft kann derzeit noch nicht abschließend entschieden werden, da die für die Herausgabe von Unterlagen an die britischen Behörden erforderlichen Beschlagnahmeanordnungen der zuständigen britischen Stelle bisher nicht vorliegen, § 66 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 IRG.

1.

Aufgrund der Vorlage der Generalstaatsanwaltschaft vom 5.2.2003 hat das Oberlandesgericht nach § 61 Abs. 1 S. 2 IRG darüber zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Leistung der Rechtshilfe gegeben sind.

2.

Dem Antrag auf Entscheidung über die Zulässigkeit der Rechtshilfehandlungen fehlt nicht schon deshalb das Rechtsschutzinteresse, weil sich die Rechtshilfe auf deutscher Seite bereits erledigt hätte. In einem solchen Fall wäre für eine nachträgliche Sachentscheidung nur unter engen Voraussetzungen Raum (dazu OLG Düsseldorf, NStZ 02, 108).

Zwar sind im vorliegenden Fall bereits Rechtshilfehandlungen erfolgt, auch sollen Unterlagen, zumindest als Kopien an britische Behörden weitergeleitet worden sein. Die Staatsanwaltschaft hat in ihrem Antrag indes deutlich gemacht, dass die Rechthilfe noch nicht abgeschlossen ist, vielmehr weitere Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanträge beabsichtigt sind. Deshalb besteht ein berechtigtes Interesse an einer Feststellung im Rahmen des § 61 Abs. 1 S.2 IRG.

3.

Die Zulässigkeit der Rechtshilfeersuchen beurteilt sich nach §§ 59 ff IRG, Artt. 3 ff EuRhÜbk, da sowohl die Bundesrepublik Deutschland wie das Vereinigte Königreich Vertragsstaaten des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen sind (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl, Übersicht vor dem EuRhÜbk).

a.

Die Rechtshilfeersuchen sind von einer zuständigen Stelle des britischen Staates gestellt worden, § 59 Abs. 1 IRG.

Als zuständige Stellen sind Gerichte und Behörden ausländischer Staaten anzusehen, in deren Zuständigkeit nach nationalem Recht die Durchführung von Maßnahmen in strafrechtlichen Angelegenheiten fällt, für die das Ersuchen gestellt ist. Einer Prüfung der Zuständigkeit der ersuchenden Stelle wird es in der Regel nicht bedürfen, wenn diese nach ihrem Geschäftsbereich und den Gepflogenheiten im zwischenstaatlichen Rechthilfeverkehr für die Stellung des Ersuchens befugt erscheint (Grützner/Pötz/Wilkitzki, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., § 59 Rdn. 12).

Das ist hier der Fall. Die Ersuchen sind ersichtlich von britischen Behörde, nämlich dem "HM Customs and Excise - Solicitor`s Office" angebracht worden, die offensichtlich als Zollbehörde tätig ist und in dieser Eigenschaft auch Rechtshilfeersuchen erstellen kann. Dies wird auch von der gutachtlichen Stellungnahme vom 7.2.2003, die der Beistand des Betroffenen N vorgelegt hat, nicht in Frage gestellt. Ob die Person, die das Rechthilfeersuchen unterzeichnet hat, nach dortigen innerstaatlichen Vorschriften zuständig ist, was mit Schriftsatz des Beistandes vom 26.3.2003 in Zweifel gezogen wird, ist für die Zulässigkeit des Rechtshilfeersuchens im ersuchten Staat grundsätzlich ohne Belang. Entscheidend ist, dass das Ersuchen von einer zuständigen Stelle auf diplomatischen oder ministeriellem Geschäftsweg angebracht wird, mithin in der Übermittlung auf diesem Weg grundsätzlich die Bestätigung der Zuständigkeit der ersuchenden Behörde zu sehen ist ( Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Auflage, § 2 Rdn. 31 ).

Das ist hier der Fall. Sämtliche Rechtshilfeersuchen sind vom britischen Innenministerium ( Home Office ) an Landesministerien deutscher Bundesländer gestellt worden.

b.

Für den Inhalt eines Ersuchens werden - abgesehen von dem Verlangen nach Beschlagnahme von Unterlagen und deren Herausgabe, worauf noch einzugehen ist - keine besonderen Anforderungen gestellt ( vgl. Grützner/Pötz, a.a.O. § 59, Rdn. 5 ). Die vorliegenden Ersuchen enthalten im Übrigen eine ausführliche Sachverhaltsdarstellung und die Angabe der einschlägigen britischen Straf- und Strafprozessvorschriften.

Entgegen der Ansicht des Beistandes bedarf es zur Bewilligung des Rechtshilfeersuchens nach § 59 IRG keines Anfangsverdachts oder eines hinreichenden Tatverdachts ( vgl. Grützner/Pötz/Wilkitzki, a.a.O., § 59 IRG, Rdnr. 12 ff zu den Voraussetzungen und zum Inhalt des Ersuchens ). Die Grenze bei der Bewilligung der Rechtshilfe stellt § 59 Abs. 3 IRG dar, wonach u. a. bei einer drohenden grundrechtswidrigen Behandlung die Leistung der Rechtshilfe zu versagen ist (Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 59 Rdn. 25 ). Dafür bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte.

Insoweit ist der Beschluss des LG Köln vom 23.5.2002 - 109 Qs 462/01 - , der in einem Inlandsverfahren gegen N ergangen ist, für die Entscheidung im Rechtshilfeverfahren im Ergebnis nicht von Bedeutung. Denn diese Entscheidung erging in einem Verfahren, dessen Gegenstand Steuerstraftatbestände nach deutschem Recht waren, während sich das Rechtshilfeersuchen auf britische Strafverfahren bezieht, denen Vorwürfe nach britischem Recht und begangen in Großbritannien zugrunde liegen. Hinzu kommt, dass es sich bei der von dem Beistand zitierten Entscheidung nicht um eine rechtskräftige, das Verfahren oder zumindest die Instanz abschließende Entscheidung handelt, sondern um eine Zwischenentscheidung zur Zulässigkeit einer einzelnen Ermittlungsmaßnahme. Diese Entscheidung ist im Übrigen nach dem damaligen Verfahrensstand und der Beweissituation in dem deutschen Ermittlungsverfahren getroffen worden. Sie hat mithin keine Aussagekraft für das oder die laufenden britischen Verfahren, in denen - abgesehen von dem anderen Prozeßgegenstand - andere Beweismittel vorliegen und u. U. andere Beweisvorschriften maßgeblich sein können.

c.

Allerdings unterliegen die britischen Ersuchen weiteren Voraussetzungen nach Art. 5 EuRhÜbk i.V.m. § 66 IRG, soweit in ihnen im einzelnen die "Untersuchung von Räumlichkeiten und Vermögensgegenständen", "Zugang" zu allen Kontoauszügen, Kontokarten u. a., Schriftstücken, Schriftverkehr o.ä., die "Sicherstellung" von Beweisstücken, die Gestattung zur Anfertigung von Kopien sowie die Verbringung von Beweisstücken nach Großbritannien erbeten werden. Art. 5 Abs. 1 EuRhÜbk sieht vor, dass die Vertragsstaaten einen Vorbehalt anbringen können, soweit im Rahmen der Rechtshilfe Durchsuchungen oder Beschlagnahmen erfolgen sollen. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland in der Weise Gebrauch gemacht, dass eine Durchsuchung oder Beschlagnahme nur zulässig ist, wenn die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und c EuRhÜbk vorliegen ( BGBl. 1976 II, S. 1799 ).

Die hier von den britischen Behörden erbetenen Ermittlungshandlungen sind - wenn nicht die diversen Unterlagen freiwillig herausgegeben werden, was nicht zu erwarten ist - nur durchführbar, wenn die Geschäftsräume der verschiedenen Firmen und Banken durchsucht und die erwähnten Unterlagen beschlagnahmt werden. Dies hat zur Folge, dass die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und c EuRhÜbk zu beachten sind.

aa.

Die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a EuRhÜbK geforderte Strafbarkeit in beiden Staaten ist erfüllt. Nach britischem Recht ergibt sich die Strafbarkeit der Delikte, die den Rechtshilfeersuchen zugrunde liegen, aus den beigefügten Rechtsvorschriften, nämlich § 72 Abs. 1 Value Added Tax Act 1994 (Hinterziehung von Mehrwertsteuer), dem nicht kodifiziertem Straftatbestand des Common Law in Form des "Beschwindelns der Staatskasse" i. V. m. § 1 des Criminal Law Act 1977 ( strafbare Verabredung zur Begehung einer Straftat). Diese Vorschriften sehen Geld- oder Freiheitsstrafen vor, und zwar bei § 72 Value Added Tax Act 1994 im summarischen Verfahren Freiheitsstrafen bis höchstens 6 Monate, sonst bis zu 7 oder 10 Jahren. Im deutschen Recht ergibt sich die Strafbarkeit jedenfalls aus § 370 AO.

bb.

Weitere Voraussetzung für die Durchsuchung und Beschlagnahme von Gegenständen nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EuRhÜbK ist die Vereinbarkeit mit dem deutschen Recht.

Hierzu sind die Voraussetzungen des § 66 IRG zu beachten, wenn zugleich um die Herausgabe der sichergestellten Gegenstände ersucht wird. Das ist hier der Fall.

Dabei fällt auch die Herausgabe von Fotokopien, die von den britischen Behörden erbeten wird, unter die Regelung des § 66 IRG, da diese ebenfalls als Beweismittel in Betracht kommen, und dies zur Abwendung der Beschlagnahme der Originale erfolgt (BGHSt 33, 196, 208 ff ).

§ 66 IRG findet über Art. 5 Abs. 1 Buchst. c EuRhÜbk als subsidiäre Regelung des deutschen Rechts Anwendung ( vgl. dazu OLG München v. 13.3.1984, Eser/Lagodny/Wilkitzki, Intern. Rechtshilfe in Strafsachen, U 82 ).

Nach dieser Vorschrift ist die Herausgabe - abgesehen von der schon oben festgestellten gegenseitigen Strafbarkeit - nur zulässig, wenn eine Beschlagnahmeanordnung einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates oder eine entsprechende Ersatzerklärung vorgelegt wird, § 66 Abs. 2 Nr. 2 IRG.

Aus den Unterlagen der eingegangenen Rechtshilfeersuchen lässt sich eine solche Beschlagnahmeanordnung nicht erkennen. Zwar sind einigen Ersuchen Auszüge aus britischen Verfahrensvorschriften beigefügt, wonach eine Durchsuchung von Räumen und Beschlagnahme von Unterlagen zulässig sind, wenn der Verdacht auf eine "Betrugsstraftat" "schwerwiegender Art" vorliegt (Gesetzesanhang 11, Ziff. 10 zu Value Added Tax Act 1994 ).

Es fehlt indes die Anordnung einer Beschlagnahme der im Rechtshilfeersuchen erwähnten Gegenstände durch eine zuständige Stelle bzw. eine Ersatzerklärung dieser Stelle, dass die Voraussetzungen einer Beschlagnahme vorlägen, wenn sich die Gegenstände im ersuchenden Staat befinden. Aus den Rechtshilfeersuchen ist auch nicht ersichtlich, dass die ersuchende Stelle selbst ( HM Customs and Excise ) zu einer Beschlagnahmeanordnung befugt ist und deshalb ihr Ersuchen bereits die Ersatzerklärung zum Inhalt haben könnte. Vielmehr ist nach den vorgelegten Gesetzesvorschriften zu vermuten, dass ein Friedensrichter über diese Fragen entscheiden muss (vgl. Gesetzesanhang 11 a.a. O.).

Den ersuchenden britischen Behörden ist deshalb gemäß §§ 56, 61 Abs. 1 S. 3, 30 Abs. 1 IRG Gelegenheit zu geben, ihre Auslieferungsunterlagen entsprechend zu ergänzen. Hinzuweisen ist noch darauf, dass die Gegenstände im Beschlagnahmebeschluss so genau zu bezeichnen sind, dass sie identifizierbar sind. Ferner muß dieser Beschluss deutlich machen, dass die Gegenstände für ein bestimmtes Strafverfahren von Bedeutung sind (Schomburg/Lagodny, a.a.O., § 66 Rdn. 34 ).

§ 30 Abs. 1 IRG sieht eine Fristsetzung zur Beibringung der noch fehlenden Erklärungen vor.

Ende der Entscheidung

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