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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 09.10.2007
Aktenzeichen: 15 U 105/07
Rechtsgebiete: ZPO, EGZPO, BGB, StGB, PflVG


Vorschriften:

ZPO § 263
ZPO § 267
ZPO § 287
ZPO § 313
ZPO § 511
ZPO § 513 Abs. 1
ZPO § 513 Abs. 1 Alt. 1
ZPO § 513 Abs. 1 Alt. 2
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2
ZPO § 533
ZPO § 540
ZPO § 543
ZPO § 544
ZPO § 545
ZPO § 546
ZPO § 559
EGZPO § 26 Nr. 8
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 11 Satz 2
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 2
StVG § 18 Abs. 1
StVG § 18 Abs. 3
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 286 Abs. 2 Nr. 3
BGB § 288 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 847 a. F.
StGB § 229
PflVG § 3 Nr. 1
PflVG § 3 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26.04.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 21. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 21 O 493/94 - teilweise abgeändert und werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger über die vorgerichtlich gezahlten 1.000,00 € und über die in dem vorbezeichneten Urteil zuerkannten weiteren 2.500,00 € hinaus weitere 6.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.09.2004 zu zahlen.

Die im ersten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen dieser selbst zu 48 %, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 32 % und die Beklagte zu 2) darüber hinaus zu 20 %. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) zu 50 % und die der Beklagten zu 2) zu 39 %.

Die im zweiten Rechtszug entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

Im Übrigen tragen die Parteien die ihnen entstandenen außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfallereignisses vom 22.03.2003 auf der Q-Straße in I auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung von deren Ersatzpflicht für alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden als Gesamtschuldner in Anspruch, und zwar den Beklagten zu 1) als Halter und Fahrer und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer des auf das von dem Kläger geführte Fahrzeug auffahrenden PKW. Die Einstandspflicht der Beklagten für alle dem Kläger aus dem Unfallereignis erwachsenen Ansprüche dem Grunde nach ist unstreitig.

Erstinstanzlich haben die Parteien darüber gestritten, ob der Kläger bei dem Unfall über eine HWS-Distorsion hinaus, auf die die Beklagte zu 2) vorgerichtlich ein Schmerzensgeld von 1.000,00 € zahlte, einen Larynx-Bandabriss mit bleibenden Folgen erlitten hat und ob ihm deswegen eine billige Entschädigung in Höhe weiterer 4.000,00 € zusteht.

Mit am 26.04.2007 verkündetem Urteil hat der Einzelrichter der 21. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 21 O 493/04 -die Beklagten als Gesamtschuldner unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an den Kläger ein weiteres Schmerzensgeld von 2.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.09.2004 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 131,00 € nebst Zinsen seit dem 12.04.2005 zu zahlen, und festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen hat, der ihm aus dem Verkehrsunfall mit dem Beklagten zu 1) am 22.08.2003 auf der Q-Straße in I noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist. Die Kosten des Rechtsstreits hat es dem Kläger zu 7/10 und den Beklagten als Gesamtschuldnern zu 3/10 auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, auf der Grundlage des schriftlichen HNO-ärztlichen Gutachtens des Dr. med. O. H-M, Leitender Oberarzt der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Universität zu L, vom 24.01.2006 (Bl. 92 ff. GA) und des schriftlichen verkehrstechnischen Gutachtens des Dr.-Ing. L U vom 07.09.2006 (Bl. 172 ff. GA) sei davon auszugehen, dass der Unfall über die HWS-Distorsion hinaus zu einem Larynx-Bandabriss mit bleibender Dehnung oder zu einer Verletzung der im Kehlkopf ansetzenden Muskulatur und deren Schädigung und funktionell zu einer bleibenden Beeinträchtigung in der Weise geführt habe, dass es beim Kläger zu einem verzögerten Schluckakt komme und ein häufiges Nachschlucken erforderlich sei, da der Rachen bei einmaligem Schlucken nicht vollständig von Nahrung gereinigt werde. Zu dieser Verletzung sei es dadurch gekommen, dass der Kopf des Klägers während des Unfalls kurzzeitig zwischen Kopfstütze und Dach des Fahrzeugs bei dorsal flektiertem Kopf festgesteckt habe. Unter weiterer Würdigung der Gesamtumstände, insbesondere der in dem medizinischen Gutachten dokumentierten Folgebeschwerden im Einzelnen, hat es ein Schmerzensgeld für alle unfallbedingt erlittenen Verletzungen in der Gesamthöhe von 3.500,00 DM für angemessen erachtet.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt und begründet, soweit das Landgericht hinter seinem erstinstanzlich zuletzt gestellten Antrag auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe weiterer 4.000,00 € um die Differenz von 1.500,00 € zurückgeblieben ist. Klageerhöhend verlangt er darüber hinaus die Zahlung von weiteren 5.000,00 €, also über den vorgerichtlich von der Beklagten zu 2) gezahlten Betrag von 1.000,00 € und den von dem Landgericht zuerkannten weiteren Betrag von 2.500,00 € hinaus weitere 6.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.09.2004. Er rügt, das Landgericht habe den ihm gebührenden Schmerzensgeldbetrag zu gering bemessen. Er meint, wenn man berücksichtige, dass er zum Unfallzeitpunkt 33 Jahre alt gewesen und damit von einer weiteren Lebenserwartung von 40 Jahren auszugehen sei, ergebe sich bei einem Schmerzensgeld von lediglich 3.500,00 € auf die restliche Lebenserwartung umgerechnet lediglich ein Jahresbetrag von 87,50 € ohne Verzinsung. Das werde dem von ihm erlittenen Dauerschaden in Anbetracht der 100fachen Schluckbeschwerden am Tag nicht gerecht. Das Landgericht habe auch außer Betracht gelassen, dass die Beklagten nur äußerst verzögert reguliert hätten. Offensichtlich unberücksichtigt gelassen habe es auch, dass allein für die HWS-Distorsion bereits ein Schmerzensgeld von 1.000,00 € angemessen sei.

Die Beklagten, die auf Zurückweisung der Berufung antragen, verteidigen das angefochtene Urteil als rechtsfehlerfrei. Sie meinen, die Festsetzung des Schmerzensgeldes durch das Landgericht sei für das Berufungsgericht bindend. Insoweit beruhe die angefochtene Entscheidung auf der gemäß § 287 ZPO eröffneten Ausübung von Ermessen, die nur auf Ermessensfehler hin überprüfbar sei. Solche seien nicht gegeben. Vielmehr habe das Landgericht die von dem Kläger in der Berufung angesprochenen Gesichtspunkte insgesamt und ausdrücklich in seine Begründung aufgenommen. Über die Ausführungen des Landgerichts hinaus sei allerdings zu ihren Gunsten zu berücksichtigen, dass der Sachverständige auch eine Verbesserung der Schluckbeschwerden durch eine Schlucktherapie bei einem Logopäden festgehalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 148 ff. GA) und die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst den zur Akte eingereichten Unterlagen verwiesen.

Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 313, 540 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist statthaft gemäß § 511 ZPO, da der Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich des von dem Kläger erstinstanzlich zuletzt begehrten Schmerzensgeldes von weiteren 4.000,00 € um die die Erwachsenheitssumme übersteigende Differenz von 1.500,00 € zurückbleibt. Soweit der Kläger mit seiner Berufung darüber hinaus gehend weitere 5.000,00 € begehrt, liegt eine Klageerhöhung vor, die als Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO zu werten und auch insoweit gemäß § 533 ZPO zulässig ist. Die Beklagten haben der Klageerhöhung durch rügelose Verhandlung zur Sache gemäß § 267 ZPO zugestimmt. Die zur Beurteilung des der Klageerhöhung zugrunde liegenden Anspruchs des Klägers zu berücksichtigenden Umstände beruhen auf Tatsachen, die bereits erstinstanzlich vorgetragen und von dem Landgericht zu berücksichtigen waren.

Die Berufung ist auch begründet.

Dem Kläger steht gegenüber dem Beklagten zu 1) gemäß § 11 Satz 2 i. V. m. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 1 und 3 StVG wie auch gemäß § 253 Abs. 2 i. V. m. § 823 Abs. 1 BGB und i. V. m. §§ 823 Abs. 2 BGB, 229 StGB ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 6.500,00 € zu, für dessen Erfüllung die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer gemäß § 3 Nr. 1 und 2 PflVG gesamtschuldnerisch mit einzustehen hat.

(1) Die Haftung der Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach für alle dem Kläger infolge des Unfallereignisses vom 22.08.2003 entstandenen und entstehenden materiellen und immateriellen Schäden, bei dem der Beklagte zu 1) mit seinem von ihm gesteuerten Pkw auf das von dem Kläger geführte und stehende Fahrzeug auffuhr, ist unstreitig und steht rechtskräftig fest, nachdem die Beklagte zu 2) nicht ihrerseits gegen den in dem Urteil des Landgerichts vom 26.04.2007 enthaltenen Feststellungstenor Rechtsmittel eingelegt hat. Aufgrund dieses Urteils steht ferner fest, dass der Kopf des Klägers bei dem Unfall zeitweise zwischen der Kopfstütze des Fahrersitzes und dem Fahrzeugdach festgesteckt hat und der Kläger infolge dessen einen Larynx-Bandabriss mit bleibender Dehnung oder jedenfalls eine Verletzung der am Kehlkopf ansetzenden Muskulatur mit bleibenden, auch äußerlich sichtbaren und sogar leicht vernehmbaren Schluckbeschwerden erlitten hat. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der insoweit von dem Landgericht auf der Grundlage der schriftlichen Gutachten, insbesondere des medizinischen Gutachtens im Rahmen seiner Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen i. S. v. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Rechtsverteidigung der Beklagten beanstandet diese denn auch nicht.

(2) Mit seiner Berufung beanstandet der Kläger gemäß §§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO letztlich mit Erfolg, dass ihm das Landgericht nicht ein höheres Schmerzensgeld zuerkannt hat.

(2.1) Allerdings geht die Rüge des Klägers, das Landgericht habe bei der Festsetzung des angemessenen Schmerzensgeldes wesentliche Gesichtspunkte zu seinen Gunsten außer Acht gelassen, fehl. Insoweit rügt er in der Sache eine fehlerhafte Feststellung der von dem Landgericht im Rahmen seiner gemäß §§ 11 Satz 2 StVG, 253 Abs. 2 BGB i. V. m. § 287 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung i. S. v. §§ 513 Abs. 1 Alt. 2, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Diese Rüge ist unbegründet. Das Landgericht hat das Alter des Klägers zum Unfallzeitpunkt und die voraussichtlich bis zu seinem Lebensende bestehenden Unfallfolgen, insbesondere seine Schluckbeschwerden unter In-Bezugnahme des medizinischen Gutachtens ausdrücklich in seine Billigkeitserwägungen aufgenommen. Die unfallbedingte HWS-Distorsion hat es ebenfalls in den Tatbestand des angefochtenen Urteils als unstreitig aufgenommen und diesen Gesichtspunkt in seiner Entscheidung zur Höhe des Schmerzensgeldes ausdrücklich als Bemessungstatsache angeführt. Von einer verzögerten Regulierung durch die Beklagte zu 2) kann entgegen der Auffassung des Klägers nicht ausgegangen werden. Soweit es um die Anerkennung der Haftung dem Grunde nach, den Ersatz von Sachschäden und die Zahlung einer billigen Entschädigung für die unstreitige HWS-Distorsion ging, hat der Kläger selbst bereits in der Klageschrift eine umfängliche Regulierung eingeräumt, ohne dies in zeitlicher Hinsicht einzuschränken. Was die auf der Grundlage beider von dem Landgericht eingeholten Gutachten feststehenden weiteren unfallbedingten Verletzungen und Folgen anbetrifft, ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten diese einschließlich deren Dauerhaftigkeit von Anfang an bestritten haben und bestreiten durften. Die insoweit von dem Kläger erlittenen Verletzungen nebst Folgewirkungen stellen sich als eher seltene und untypische Schädigungen aufgrund eines Auffahrunfalles dar.

(2.2) Auch sonstige konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vorliegend zu berücksichtigenden Tatsachen begründen könnten, sind nicht ersichtlich, § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO. Das Landgericht ist ersichtlich von dem ihm eröffneten Ermessen ausgegangen und hat alle relevanten Gesichtspunkte des vorliegenden Einzelfalls, insbesondere das Maß der unfallbedingten Lebensbeeinträchtigung des Klägers und den Grad des Verschuldens des Beklagten zu 1) in Entsprechung der hierzu höchstrichterlich entwickelten Grundsätze (grundlegend: BGH, GS f. Zivilsachen, Beschluss vom 06.07.1955 - GSZ 1/55 - BGHZ 18, 149 ff.), die zu § 847 BGB a. F. aufgestellt und auch heute noch im Rahmen der §§ 253 Abs. 2 BGB, 11 Satz 2 StVG uneingeschränkt fortgelten (vgl. nur: Staudinger-Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 253 Rdnrn. 34 ff.; MünchenerKommentar-Oetker, BGB, 5. Aufl., § 253 Rdnrn. 36 f.), berücksichtigt. Zur Orientierung geeignete Entscheidungen, in denen aufgrund vergleichbarer Schädigungen ein Schmerzensgeld zugesprochen worden ist, hat auch der Senat nicht aufzufinden vermocht. Soweit die Beklagten anführen, das Schmerzensgeld mindernd müsse sich die von dem medizinischen Sachverständigen gesehene Möglichkeit der Besserung der Schluckstörungen durch logopädische Therapie auswirken, hat das Landgericht auch diesem Gesichtspunkt ersichtlich durch In-Bezugnahme des medizinischen Gutachtens Rechnung tragen wollen.

(2.3) Zum Erfolg der Berufung führt indes die verbleibende Rüge des Klägers, das Landgericht habe auf der Grundlage der in die Billigkeitserwägungen einbezogenen Gesichtspunkte ein höheres Schmerzensgeld für angemessen erachten müssen. Die Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes stellt sich nicht selbst als Tatsache im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dar, sondern als Ergebnis einer umfassenden Würdigung der den Billigkeitserwägungen zugrunde liegenden Umständen des Einzelfalls. Insoweit rügt der Kläger eine entscheidungserhebliche Rechtsverletzung, die der Senat für begründet hält.

(2.3.1) Die Auffassung der Beklagten, der Senat sei als Berufungsgericht an die von dem Landgericht im Wege des Ermessens gemäß § 287 ZPO festgelegte Schmerzensgeldhöhe gebunden, teilt der Senat nicht. Mit ihrer Ansicht vertreten sie letztlich den Standpunkt, die Prüfungskompetenz der Berufungsgerichte bestehe seit dem Inkrafttreten der Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001 (Zivilprozessreformgesetz = ZPO-RG, BGBl I, 1887) nur noch in den Grenzen, denen auch das Revisionsgericht unterliege. Richtig ist insofern, dass mit der Revision die Ausübung des Ermessens als solche nicht angreifbar ist. Das Revisionsgericht hat lediglich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorgelegen haben, ob das Ermessen überhaupt ausgeübt worden ist und ob die Grenzen der Ermessensausübung eingehalten wurden (vgl. etwa: Zöller-Gummer, ZPO, 25. Auflage, § 546 Rdnr. 14; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 25. Auflage, § 546 Rdnr. 13; jew. m. BGH-Rspr.-Nachw.). Hiermit tragen sie der den Berufungsgerichten weiterhin zugewiesenen Funktion der Kontrolle und Beseitigung von Fehlern der erstinstanzlichen Entscheidung nicht hinreichend Rechnung. Die eingeschränkte Prüfungsbefugnis des Revisionsgerichts folgt nicht etwa aus § 546 ZPO, sondern aus dem Gesamtregelungsgehalt der §§ 545, 546 und 559 ZPO (§§ 549, 550, 561 ZPO a. F.) und der hieraus fließenden und durch §§ 543, 544 ZPO besonders betonten Funktion der Revision, im Interesse der Fortbildung des Rechts und der Wahrung der Rechtseinheit zu prüfen, ob das Berufungsgericht über seinen Bezirk hinausreichendes Recht nicht oder nicht richtig angewendet hat. Eine solche "Leitbildfunktion" über seine Grenzen hinaus kommt einem Berufungsgericht ungeachtet dessen, dass § 513 Abs. 1 nur auf § 546 ZPO und nicht die weiteren revisionsrechtlichen Vorschriften Bezug nimmt, auch von seiner ihm von dem Gesetzgeber zugedachten Funktion, einen Rechtstreit einer dem konkreten Fall gerecht werdenden Lösung zuzuführen, nicht zu. Zweck der Reform war es u. a., dass das Berufungsgericht von solchen Tatsachenfeststellungen entlastet werden sollte, welche die erste Instanz bereits vollständig und überzeugend getroffen hat, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO (BT-Dr 14/4722, S. 61). Nur "überzeugende Urteile (sollen) möglichst bald in Rechtskraft erwachsen" (BT-Dr 14/4722, S. 59). Dementsprechend ist die Berufungsinstanz wie bei der Überprüfung der Auslegung von Individualvereinbarungen durch das Vordergericht (vgl.: BGH, Urteil vom 14.07.2004 - VIII ZR 163/03 - NJW 2004,2751 ff.) auch im Fall einer auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung berufen, den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO berücksichtigungsfähigen, insbesondere erstinstanzlich festgestellten Tatsachen selbstständig nach allen Richtungen von Neuem zu prüfen (so ausdrücklich auch: Eichele/Hirtz/Oberheim-Hirtz, Handbuch Berufung in Zivilsachen, 2006, S. 188; vgl. auch: BGH, Urteil vom 18.11.2004 - IX ZR 229/03 - NJW 2005, 291 ff., 293; BGH, Urteil vom 09.03.2005 - NJW 2005, 1583 ff.; Gaier, NJW 2004, 2041 ff., 2041; Musielak-Ball, ZPO, 5. Aufl., § 529 Rdnr. 24).

(2.3.1) Über die dem auffahrenden Beklagten zu 1) vorzuwerfende und auch der Beklagten zu 2) zuzurechnende Fahrlässigkeit hinaus sind vorliegend vor allem die Art, die Intensität und die Dauer der von dem Kläger erlittenen Rechtsgutsverletzung unter Berücksichtigung dessen Alters von damals 33 Jahren Schmerzensgeld prägend. Als Verletzungen/Verletzungsfolgen stehen aufgrund des medizinischen Gutachtens - in Konkretisierung der Feststellungen des Landgerichts - als unfallbedingt fest:

- ein Larynx-Bandabriss mit bleibender Dehnung oder jedenfalls eine Verletzung der am Kehlkopf ansetzenden Muskulatur;

- dadurch bedingte Schluckbeschwerden, die unverändert fortbestehen;

- eine Sichtbarkeit von außen für jeden Dritten, wie der Kehlkopf bei jedem Schluckakt nach links gezogen wird und verzögert wieder absinkt;

- bei bestimmten Kopfstellungen, vor allem bei extremer Kopfdrehung, kommt es zur Berührung des Kehlkopfes und/oder des Zungenbeines mit der HWS, was sich gut fühlen lässt und manchmal, wenn man sehr nah beim Kläger steht, auch dezent zu hören ist;

- nicht therapierbarer Dauerschaden, auch wenn die hieraus resultierenden Schluckstörungen durch logopädische Schlucktherapie gebessert werden könnten;

- Einschränkungen bei Sportarten mit ruckartigen Bewegungen, wie z. B. Volleyball, möglich, als es zu unangenehmen Berührungen zwischen dem Kehlkopf und der HWS bzw. dem Zungenbein kommen kann und dies unangenehm empfunden wird;

- aus denselben Gründen unangenehme Schlafpositionen, die dazu führen, dass der Kläger aufwacht oder nicht durchschlafen kann;

- deswegen kann es auch zu unangenehmen Atembeschwerden kommen;

- aus diesem Grund folgen auch unangenehme Empfindungen in bestimmten Kopfpositionen;

- die unangenehmen Empfindungen zu den letzten vier genannten Punkten werden bis zum Lebensende anhalten.

Es kommt eine HWS-Distorsion hinzu, die mit einer Schanz Krawatte behandelt werden musste und hinsichtlich der eine abschließende Kontrolle am 01.09.2003 vorgesehen war.

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände erachtet der Senat eine Entschädigung für die von dem Kläger nach dem Vorstehenden erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen von insgesamt 10.000,00 € für angemessen. Nach Abzug der bereits vorgerichtlich gezahlten 1.000,00 € und der ihm von dem Landgericht insoweit rechtskräftig zugesprochenen weiteren 2.500,00 € verbleibt der mit der Berufung insgesamt noch verfolgte Betrag von 6.500,00 €.

(2.4) Dieser Betrag ist gem. § 286 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 288 Abs. 1 BGB antragsgemäß seit dem 03.09.2004 zu verzinsen.

Die Entscheidung über die Pflicht zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits beruht bezogen auf die im ersten Rechtszug entstandenen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Beteiligung der Parteien auf §§ 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 und bezüglich der im zweiten Rechtszug entstandenen auf § 91 Abs. 1 Satz 1, jeweils i. V. m. § 100 Abs. 4 ZPO.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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