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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 25.05.2003
Aktenzeichen: 13 U 105/02
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

13 U 105/02

Verkündet am 25.05.2003

In dem Berufungsrechtsstreit

hat der 13. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 26. Februar 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Eßer, den Richter am Oberlandesgericht Hartlieb und den Richter am Amtsgericht Dr. Krieg

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 03.04.2002 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 17/01 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte mit einer auf Zahlung von 51.129,19 € (entspricht 100.000,- DM) gerichteten Teilklage aus einer Bürgschaft in Anspruch, die die Beklagte als einzelvertretungsberechtigte, einen Gesellschaftsanteil von - zu diesem Zeitpunkt - 15,96 % haltende Geschäftsführerin der inzwischen insolventen S. Industrieböden GmbH am 01.12.1999 für Forderungen der Klägerin aus einem der Gesellschaft gewährten und seit dem 19.07.2000 (Zeitpunkt der klägerischen Kündigung) in Höhe von mindestens 389.978,25 DM (entspricht 199.392,71 €) zur Rückzahlung offenen Kontokorrentkredit (Kontonr. xxx xxx xx) bis zum Höchstbetrag von 160.200,- DM (entspricht 81.908,96 €) übernommen hat (Bl. 10 GA). Die Beklagte beruft sich auf die Sittenwidrigkeit der Bürgschaftsverpflichtung.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz einschließlich der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Das Landgericht hat der Klage mit der Begründung stattgeben, der von der Beklagten erhobene Einwand der krassen finanziellen Überforderung greife nicht durch, weil auf die - von der Beklagten selbst nicht als überfordernd dargestellten - Verhältnisse zum Zeitpunkt ihrer vorausgegangenen inhaltsgleichen Bürgschaft vom 16.07.1997 (Bl. 54 GA) abzustellen sei.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Sie hält das landgerichtliche Abstellen auf die frühere Bürgschaft schon deswegen für verfehlt, weil die Klägerin mit dem - unstreitigen - Schreiben vom 14.07.1999 (Bl. 79 GA) ausdrücklich bestätigt habe, dass mit Unterzeichnung der neuen Bürgschaftserklärung die vorausgegangene Bürgschaftserklärung vom 16.07.1997 gegenstandlos werde. Zudem behauptet die Beklagte unverändert, sie habe die streitgegenständliche Bürgschaft erst nach "massivem Druck" der Klägerin und deren Versicherung, dass es sich um eine "Formsache" handle, unterschrieben (S. 3 der Berufungsbegründung = Bl. 129 GA).

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des am 03.04.2002 verkündeten Urteils der 4. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 4 O 17/01 - abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags. Sie ist insbesondere der Ansicht, eine etwaige krasse finanzielle Überforderung der Beklagten sei im Hinblick auf deren Funktion als geschäftsführende Gesellschafterin unerheblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivortrags wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Bei der Begründung hat es die vorliegend allein problematische Frage einer möglichen Sittenwidrigkeit der Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten jedoch ausschließlich unter dem letztlich unerheblichen Gesichtspunkt geprüft, ob auf die finanziellen Verhältnisse der Bürgin zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Bürgschaftserklärung vom 01.12.1999 oder ihrer vorausgegangenen Bürgschaft vom 16.07.1997 (Bl. 54 GA) abzustellen ist.

Im Einzelnen ist eine Sittenwidrigkeit der streitgegenständlichen Bürgschaftsverpflichtung aus folgenden Gründen zu verneinen:

1. krasse finanzielle Überforderung der Beklagten

Vom Landgericht ist verkannt worden, dass die höchstrichterlich entwickelten Grundsätze zur Sittenwidrigkeit von Mithaftung und Bürgschaft finanziell überforderter Familienangehöriger bei Gesellschafter-Bürgschaften grundsätzlich nicht gelten (BGH, Urteil vom 10.12.2002 - XI ZR 82/02, BKR 2003, 155, 156; Urteil vom 17.09.2002 - XI ZR 306/01, GmbHR 2002, 1234, 1235; Urteil vom 28.05.2002 - XI ZR 199/01, BKR 2002, 716, 718; Urteil vom 15.01.2002 - XI ZR 98/01, BKR 2002, 220, 221 f.). Die gängige Bankpraxis, bei der Gewährung von Darlehen an eine GmbH o.Ä. derartige Bürgschaften zu verlangen, entspringt einem berechtigten Interesse des Kreditinstituts an der persönlichen Haftung der maßgeblich beteiligten Gesellschafter. Selbst bei krasser finanzieller Überforderung und/oder emotionaler Verbundenheit des Bürgen mit einem die Gesellschaft beherrschenden Dritten wird hier angesichts des bei Gesellschaftern regelmäßig gegebenen wirtschaftlichen Eigeninteresses (zu möglichen - vorliegend aber nicht in Rede stehenden - Ausnahmen bei "Strohmännern": BGH, Urteile vom 15.01. und 28.05.2002, jeweils a.a.O.) die Sittenwidrigkeit der Bürgschaftsübernahme nicht vermutet. Dies gilt auch für nicht geschäftsführende Minderheitsgesellschafter, die die Hauptverbindlichkeit nicht maßgeblich beeinflussen können. Ausnahmen zieht der Bundesgerichtshof nur bei unbedeutenden Bagatell- und Splitterbeteiligungen in Betracht (Urteil vom 10.12.2002, a.a.O., wo der BGH für die Anwendung von Ausnahmeregeln bei einem 10 %igen GmbH-Anteil noch keine Veranlassung gesehen hat). Insoweit ist bei der Beklagten, die zum Zeitpunkt ihrer Bürgschaftserklärung einen Gesellschaftsanteil von immerhin 15,96 % hielt, zusätzlich zu berücksichtigen, dass sie - neben S. M. - einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin der S. Industrieböden GmbH war.

Der von der Beklagten geltend gemachte Einwand einer krassen finanziellen Überforderung ist daher hinsichtlich ihrer Bürgschaft letztlich genauso unerheblich wie bei einer Eingehung der Hauptverbindlichkeit selbst. Folglich kommt es auf die vom Landgericht (allein) erörterte Frage, ob auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Bürgschaft vom 16.07.1997 oder erst der ablösenden Bürgschaftserklärung vom 01.12.1999 abzustellen ist, bereits im Ansatz nicht an.

2. sonstige die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft begründende Umstände

Die die Beklagte finanziell belastende Bürgschaftsübernahme kann demnach nur aufgrund besonders erschwerender, der Klägerin zurechenbarer Umstände sittenwidrig sein. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa der Fall, wenn das Kreditinstitut die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen ausgenutzt oder dessen Willensbildung und Entschließungsfreiheit durch Irreführung, Schaffung einer seelischen Zwangslage oder die Ausübung unzulässigen Drucks beeinträchtigt hat (Urteil vom 17.09.2002, a.a.O., S. 1236; Urteil vom 28.05.2002, a.a.O., S. 718 f.; Urteil vom 15.01.2002, a.a.O., S. 222). Der Vortrag der Beklagten bietet insoweit zwei Ansatzpunkte:

a) unzulässige Druckausübung

Die Berufung beklagt pauschal, der Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung vom 01.12.1999 sei "massiver Druck" der Klägerin vorausgegangen (S. 3 der Berufungsbegründung = Bl. 129 GA). Auch erstinstanzlich findet sich diesbezüglich im Vortrag der Beklagten lediglich ein Satz: "Der Mitarbeiter Q. der Klägerin erwiderte daraufhin in einem unterkühlten, unmißverständlichen Ton, daß die Einreichung der Bürgschaften zwingende Voraussetzung für eine Aufrechterhaltung der Liquidität, d.h. der Barlinie auf dem bei der Klägerin geführten Konto, sei." (S. 3 des Schriftsatzes vom 21.09.2001 = Bl. 74 GA). Durch diese Aussage mag sich die Beklagte zwar unter Druck gesetzt gefühlt haben; warum es sich dabei aber um eine unzulässige Druckausübung gehandelt haben soll, erschließt sich nicht. Auch hierzu sei nochmals das überzeugende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.12.2002 zitiert: "Die Tatsache, dass ein Gesellschafter der Hauptschuldnerin von der kreditgebenden Bank vor die Alternative gestellt wird, entweder eine ihn wirtschaftlich ruinierende Bürgschaft zu übernehmen oder aber die Nichtgewährung eines Geschäftskredits und die sich daraus ergebenden rechtlichen und wirtschaftlichen Nachteile hinzunehmen, stellt für sich genommen keine unzulässige Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit dar ..." (a.a.O., S. 156).

b) Verharmlosung des Haftungsrisikos

Schließlich verhilft der Beklagten auch ihre schriftsätzliche Behauptung, die Klägerin (wohl deren Mitarbeiter H.-P. Q.) habe versichert, die Bürgschaft sei nur eine "Formsache" und man wisse, dass man daraus keine Zahlung von ihr würde erhalten können (S. 4 und 9 der Klageerwiderung = Bl. 25, 30 GA; S. 3 der Berufungsbegründung = Bl.129 GA), nicht zum Erfolg. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (siehe etwa Urteil vom 24.02.1994 - IX ZR 227/93, NJW 1994, 1341, 1343 f.; Urteil vom 28.05.2002 - XI ZR 199/01, BKR 2002, 716, 719) kann eine Täuschung des Bürgen durch eine erhebliche Verharmlosung des Haftungsrisikos seitens des Gläubigers zwar durchaus den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen. Vorliegend hat die Beklagte bei ihrer informatorischen Anhörung im Senatstermin vom 26.02.2003 jedoch selbst eingeräumt, die Bürgschaftsübernahme nach dem vorangegangenen Gespräch mit der Klägerin keineswegs für eine reine Formsache gehalten zu haben. Danach hat sie der Mitarbeiter der Klägerin zur Abgabe der Bürgschaftserklärung mit dem Hinweis aufgefordert, die Gesellschafter sollten dadurch zeigen, dass sie zur Gesellschaft stehen. Auf ausdrückliche Nachfrage des Senats, ob sie die Übernahme der Bürgschaft nur als einen formalen Akt ohne die Gefahr einer tatsächlichen Inanspruchnahme ("nur für die Bücher") angesehen habe oder aber von einem wirklichen Haftungsrisiko ausgegangen sei, hat die Beklagte erklärt: "Ich wusste schon, dass die Bürgschaft Bedeutung hat." Demnach kann von einer erheblichen Irreführung der Beklagten keine Rede sein. Sie hat die Bürgschaftserklärung vielmehr in dem Bewußtsein einer möglichen Inanspruchnahme abgegeben.

Sonstige Anhaltspunkte für die Sittenwidrigkeit der streitgegenständlichen Bürgschaftsverpflichtung bestehen nicht. Die gesicherte Hauptverbindlichkeit ist - wie bereits unter Ziff. I. dargelegt - zwischen den Parteien nach Grund und Höhe unstreitig.

3. prozessuale Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10., 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO n.F. ersichtlich nicht erfüllt sind.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Beklagten durch dieses Urteil: 51.129,19 € (entspricht 100.000,- DM).

Ende der Entscheidung

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