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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 04.12.2000
Aktenzeichen: 16 U 56/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 288
BGB § 291
ZPO § 91
ZPO § 92
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

16 U 56/00 3 O 113/00 - LG Köln -

Anlage zum Protokoll vom 04.12.2000

Verkündet am 04.12.00

Luckau, JHS als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 13.11.2000 durch seine MitgliE. Dr. Schuschke, Jennissen und Reinemund

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das 24.5.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Köln - 3 O 113/00 - teilweise abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 7.418,23 DM nebst 4% Zinsen seit dem 3.3.2000 zu zahlen.

Die Kosten der ersten Instanz haben die Klägerin zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet.

Der Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin den von ihr erstatteten, dem Versicherungsnehmer (VN) der Klägerin erwachsenen materiellen Unfallschaden wegen seines schuldhaften und unfallursächlichen gewichtigen Fehlverhaltens zu 1/3 zu erstatten (§§ 823, 254 BGB, 37 II Nr. 1 und 2 sowie 17 I StVO).

Der Senat ist anders als das Landgericht der Ansicht, dass die Kausalität des Fehlverhaltens des Beklagten, das eine Fahrzeugkolonne zum plötzlichen Abbremsen zwingt, für den Auffahrunfall des VN der Klägerin trotz des kollisionsfreien Anhaltens des dem VN unmittelbar vorausfahrenden Fahrzeugs des Zeugen H. fortwirkt und der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang nicht ausscheidet.

Es steht außer Zweifel, dass den VN der Klägerin wegen des Auffahrens auf das vor ihm fahrende Fahrzeug im Wege des nicht erschütterten Anscheinsbeweises ein Unfallverschulden trifft (Verstoß gegen § 4 StVO - unzureichender Sicherheitsabstand, Unaufmerksamkeit oder unzulängliche Reaktion). Lediglich mit nicht vorausschaubarem, ruckartigem Anhalten braucht der nachfolgende Verkehrsteilnehmer nicht zu rechnen. Ein solches ruckartiges Anhalten, d.h. ein Stillstand des vorausfahrenden Fahrzeuges fast auf der Stelle mit der dabei einhergehenden Bremswegverkürzung, behauptet die Klägerin indes selbst nicht. Der Umstand, dass das vom VN der Klägerin geschädigte Fahrzeug über ein ABS-System verfügte, bedingt keine solche Bremswegverkürzung.

Andererseits ist es keine Frage, dass das verkehrswidrige Verhalten des Beklagten (Verstoß gegen §§ 37 II Nr. 1 und 2 sowie 17 I StVO) das trotz Abbremsens nicht verhinderte Auffahren des Fahrzeugs des VN des Klägerin mitverursacht hat: Ohne das verkehrswidrige Verhalten des Beklagten wäre es nicht zu den verschiedenen Bremsmanövern und dem Auffahrunfall gekommen.

Deshalb geht es allein um eine etwaige Mithaftung des Beklagten für den dem VN der Klägerin erwachsenen Schaden und hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob die Kausalität des Fehlverhaltens des Beklagten durch das unfallverhütende Anhalten des dem VN der Klägerin unmittelbar vorausfahrenden Fahrzeugs unterbrochen wurde, d.h. ob dadurch der Auffahrunfall nicht mehr in einem adäquatem Kausalzusammenhang zum haftungsbegründenden schuldhaften Fehlverhalten des Beklagten steht. Das ist entgegen der Auffassung des Landgerichts und des Beklagten zu verneinen. Für die Haftung eines Schädigers ist es ohne Belang, ob er den Schaden unvermittelt und selbst bewirkt hat oder ob dieser im Wege der Kettenreaktion eingetreten ist oder ob den Geschädigten eine Mitschuld trifft. In solchen Fällen ist die Zurechnungsfrage und dabei vor allem die Adäquanz des Zusammenhangs sorgfältig zu prüfen. Der "Filter der Adäquanz" ist heute allgemein als Ausgrenzung derjenigen Kausalverläufe anerkannt, die dem Verantwortlichen billigerweise rechtlich nicht mehr zugerechnet werden können. Adäquat ist eine Bedingung dann, wenn das Ereignis im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, einen Erfolg dieser Art herbeizuführen (vgl. BGH MDR 1995, 268). Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang entfällt (früher "Unterbrechung des Kausalzusammenhangs" BGH NJW 82, 573) anerkanntermaßen daher immer dann, wenn der weitere Schaden durch ein völlig ungewöhnliches und unsachgemäßes Verhalten des Dritten ausgelöst worden ist, da unter solchen Voraussetzungen zwischen den beiden Schadensbeiträgen bei wertender Betrachtung nur ein äußerlicher, gleichsam "zufälliger" Zusammenhang besteht und dem Erstschädiger ein Einstehenmüssen auch für diese Folgen deshalb billigerweise nicht mehr zugemutet werden kann, also das schädliche Verhalten bloßer äußerer Anlaß für das Verhalten des Dritten gewesen ist (vgl. beispielsweise BGH MDR 2000, 263 mwN; Jagusch/Hentschel (35.Aufl.) Straßenverkehrsrecht E 110 mwN). So liegt der Fall hier indes nicht, denn ein solches völlig ungewöhnliches Fehlverhalten des VN der Klägerin steht nicht fest. Es ist keineswegs völlig ungewöhnlich, dass in dem Fall, dass ein bestimmtes Fehlverhalten wie das des Beklagten eine Fahrzeugkolonne zum plötzlichen starken Abbremsen zwingt, ein in der Kolonne mit grundsätzlich zulässig verkürztem Sicherheitsabstand fahrendes Fahrzeug auf das vor ihm abbremsende Fahrzeug wegen eines nicht hinreichenden Sicherheitsabstandes, Unaufmerksamkeit oder unzulänglicher Reaktion des Fahrers trotz Abbremsens auffährt, auch wenn dieses selbst, dessen Fahrer das Geschehen vor ihm ersichtlich besser im Blickfeld hatte, noch gerade unfallverhütend anhalten konnte. Der streitige Auffahrunfall kann deshalb nicht als ein so ungewöhnliches und grobes Fehlverhalten des VN der Klägerin gewertet werden, dass es den Ursachenzusammenhang mit dem Fehlverhalten des Beklagten unterbricht.

Ebenso wenig ist die Hilfserwägung des Landgerichts zu teilen, dass das Verschulden des VN der Klägerin so sehr überwiege, dass demgegenüber ein etwaiger Mitverursachungsbeitrag des Beklagten nicht ins Gewicht falle und gänzlich zurücktrete, und jedenfalls deshalb seine Mithaftung ausscheide. Die Abwägung der beiderseitigen Unfallverursachungsbeiträge (§ 254 BGB) ergibt vielmehr, dass das Fehlverhalten des Beklagten den Auffahrunfall des VN, wie mit der Berufung nunmehr beantragt, zu einer Quote von zumindest 1/3 mitverschuldet und -verursacht hat, d.h. diesen an dem Auffahrunfall ein entsprechend gewichtiger Unfallbeitrag trifft. Den Beklagten belastet nicht nur ein schwerwiegender Rotlichtverstoß sondern auch ein Verstoß gegen die Beleuchtungsvorschriften (§§ 37 II Nr. 1 und 2 sowie 17 I StVO). Der zum Unfallzeitpunkt 11 1/2-jährige Beklagte hat frühmorgens bei Dämmerung mit seinem unbeleuchteten Fahrrad eine beampelte Fußgängerfurt bei für ihn geltendem Rotlicht überquert, wodurch die sich bei Grünlicht der Fußgängerfurt nähernde Wagenkolonne zum plötzlichen Abbremsen gezwungen war. Der Beklagte hat mithin in schwerwiegender Weise gegen die verkehrserforderliche Sorgfalt verstoßen, wobei indes das Unfallverschulden des VN der Klägerin grundsätzlich stärker ins Gewicht fällt, weil er durch entsprechend verkehrsgerechtes Fahrverhalten in der Lage gewesen sein musste, seiner Verpflichtung zu genügen, einen solchen Auffahrunfall zu vermeiden.

Die Höhe des Schadens ist nicht mehr im Streit, nachdem der Beklagte im Prozess das Schreiben des RA E. vom 11.1.00 erhalten hat, in dem der durch das Auffahren des VN der Klägerin verursachte und von dieser ausgeglichene Schaden des Vordermanns im einzelnen aufgelistet ist (Bl. 9, 42 GA). Einwände dazu sind vom Beklagten nicht mehr erhoben worden, so dass er der Klägerin den geltendgemachten Schadensbetrag von insgesamt 22.254,70 DM zu 1/3, also 7.418,23 DM zu ersetzen hat.

Die verlangten Rechtshängigkeitszinsen folgen aus den §§ 288, 291 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 92, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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