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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 11.04.2000
Aktenzeichen: 2 Ws 166/00
Rechtsgebiete: JGG, StPO, GVG, StGB


Vorschriften:

JGG § 103 Abs. 3
JGG § 112 Satz 1
JGG § 103
JGG § 103 Abs. 1
JGG § 41 Abs. 1 Nr. 3
JGG § 108 Abs. 3
StPO § 304 Abs. 1
StPO § 210 Abs. 2
StPO § 311
StPO § 270 Abs. 1
StPO § 309 Abs. 2
GVG § 24 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 38 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

2 Ws 166/00 92 Js 86/99 StA Bonn

In der Strafsache

gegen

pp.

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die Beschwerde der Strafanwaltschaft Bonn gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Bonn (22 Y 1/00) vom 18. März 2000 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, den Richter am Oberlandgericht Heidemann und den Richter am Landgericht Conzen am 11. April 2000

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Bonn vom 5. Januar 2000 - 92 Js 86/99 - wird zur Hauptverhandlung zugelassen.

Das Hauptverfahren wird gegen sämtliche Angeklagten vor der 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Bonn eröffnet.

Gründe:

I.

Unter dem 5. Januar 2000 hat die Staatsanwaltschaft Bonn gegen den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten zu 1) und die erwachsenen Angeklagten zu 2) bis 4) die öffentliche Klage zur 2. großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Bonn erhoben. Den vier Angeklagten wird ein am 23. Dezember 1998 mittäterschaftlich begangener erpresserischer Menschenraub in Tateinheit mit Geiselnahme und einem Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie eine zwischen dem 27. Dezember 1998 und 4. Januar 1999 mittäterschaftlich begangene versuchte räuberische Erpressung vorgeworfen. Ferner wird den erwachsenen Angeklagten ein am 29. Dezember 1998 mittäterschaftlich begangener räuberischer Angriff auf Kraftfahrer zur Last gelegt. Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe wird auf die Konkretisierung in der Anklageschrift Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 18. Februar 2000 hat die Jugendkammer die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren bezüglich des Angeklagten zu 1) vor dem Amtsgericht Bonn - Jugendschöffengericht - und bezüglich der Angeklagten 2) bis 4) vor dem Amtsgericht Bonn - Schöffengericht - eröffnet.

Gegen diese am 29. Februar 2000 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 1. März 2000 bei Gericht eingegangene Beschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der sie die von dem Antrag in der Anklageschrift abweichende Eröffnung vor dem Amtsgericht rügt und die gemeinsame Hauptverhandlung gegen alle Angeklagten vor der Jugendkammer des Landgerichts Bonn erstrebt.

II.

1.

Das Rechtsmittel ist statthaft.

Mit der einheitlich erhobenen, in der Sache aber verschiedene Gegenstände betreffende Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft zum einen gegen die von der Strafkammer gemäß § 103 Abs. 3 JGG durch die Eröffnung vor dem Jugendschöffengericht bzw. vor dem Schöffengericht vorgenommene Trennung des bis dahin einheitlich gegen sämtliche Angeklagten geführten Verfahrens. Sie rügt zum andern, dass das Hauptverfahren nicht vor dem Landgericht, sondern vor dem Amtsgericht eröffnet worden ist.

Soweit die Kammer die Verfahrenstrennung gemäß § 103 Abs. 3 JGG angeordnet hat, steht der Staatsanwaltschaft gegen diese Entscheidung die - einfache - Beschwerde gemäß § 304 Abs. 1 StPO zu (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1991, 145 f.). Soweit abweichend von der Anklageschrift das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht eröffnet worden ist, ist gegen diese Entscheidung die sofortige Beschwerde gemäß § 210 Abs. 2, 311 StPO statthaft.

Beide Rechtsmittel unterliegen auch in sonstiger Beziehung keinen Zulässigkeitsbedenken.

2.

Die Beschwerde führt in der Sache zum Erfolg, da die Anklage gegen die sämtliche Angeklagten einheitlich vor der Jugendkammer zu verhandeln ist.

a)

Soweit die Kammer mit der Eröffnung das bis dahin einheitlich geführte Verfahren gegen den heranwachsenden Angeklagten zu 1) abgetrennt hat, widerspricht dies § 103 Abs. 1 JGG. Danach können Strafsachen gegen Jugendliche und Erwachsene nach den Vorschriften des allgemeinen Verfahrensrechts verbunden werden, wenn es zur Erforschung der Wahrheit und aus weiteren wichtigen Gründen geboten ist. Die Vorschrift gilt auch im Verfahren gegen Heranwachsende (§ 112 Satz 1 JGG).

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin, die im vollem Umfang - also auch bezüglich des ausgeübten Ermessens - zur Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung durch den Senat führt, ist die ursprüngliche Verbindung wieder herzustellen, da die Voraussetzungen für eine einheitliche Verhandlung vorliegen.

Zwar ist nach Nr. 1 der zu § 103 JGG ergangenen Richtlinie die Verbindung von Strafsachen gegen Jugendliche (Heranwachsende) und Erwachsene im Allgemeinen nicht zweckmäßig. Auch in der Kommentarliteratur wird insbesondere aus Gründen des Schutzes der Betroffenen eine eher restriktive Anwendung der Vorschrift vertreten (vgl. Eisenberg, JGG, 8. Aufl., § 103 Rdnr. 10 ff.; Brunner/Dölling, JGG, 10. Aufl., § 103 Rdnr. 8 ff.). Vorliegend sind jedoch gewichtige und im Rahmen der Abwägung ausschlaggebende Gründe gegeben, die die jugendgerichtliche Verbindung der - nach allgemeinen Vorschriften (§ 2, 3 StPO) bereits zusammenhängenden - Strafsachen geboten sein lassen.

Die einheitliche Verhandlung dient zum einen zur Erforschung der Wahrheit. Der Angeklagte zu 1) war an dem Tatkomplex vom 23. Dezember 1998 beteiligt und hat zu diesem Tatvorwurf überwiegend geständige - wenn auch im Vergleich zu den Aussagen der Geschädigten beschönigende - Angaben gemacht. Diese sind neben den Bekundungen der Zeugen jedenfalls auch geeignet, die Überführung der übrigen Angeklagten, von denen F. und Y. sich bislang nicht eingelassen haben, zu ermöglichen. Die zu erwartenden Angaben des heranwachsenden B. in der Hautverhandlung dürften vor allem auch Rückschlüsse auf den weiteren Tatkomplex zuzulassen, an dem er unmittelbar nicht beteiligt war. Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen den Angeklagten einerseits und den Geschädigten P., M. und Ma. andererseits war nämlich das Eindringen der Zeugen in das im Bereich B.-D. von den Angeklagten organisierte und offenbar gut florierende Drogengeschäft, welches nach Aktenlage durchaus bereits bandenmäßige Züge aufgewiesen hat. Nach den bisherigen Erkenntnissen muss davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte zu 1) nicht unmaßgeblich in dieses Absatzsystem eingebunden war. Um Licht in die Struktur und Organisation des lokalen Rauschgifthandels zu bringen, ist daher eine einheitliche Beweisaufnahme vorliegend sachgerecht und geboten. Im übrigen trägt im Falle der Verurteilung der Angeklagten eine Verhandlung der Sache vor demselben Gericht, auch wenn hinsichtlich des anzuwendenden Rechts zu differenzieren sein sollte, wesentlich zur Verhängung im Ergebnis schuldangemessener Sanktionen für die einzelnen Mittäter bei. Denn die Abwägung und Gewichtung der jeweiligen Tatbeiträge liegt "in einer Hand". Das stellt einen weiteren wichtigen Grund im Sinne von § 103 Abs. 1 JGG dar.

b)

Die nach dem Vorgesagten notwendige einheitliche Hauptverhandlung hat gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 JGG vor der Jugendkammer stattzufinden, da für die Aburteilung der den erwachsenen Angeklagten vorgeworfenen Taten nach den allgemeinen Vorschriften eine große Strafkammer zuständig wäre. Damit ist die 2. Strafkammer insgesamt in der Sache zur Entscheidung berufen. Auch insoweit hat daher das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg.

Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand kann im Rahmen der bei Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffenden Prognoseentscheidung nicht davon ausgegangen werden, dass die Strafgewalt des Amtsgerichts von 4 Jahren gemäß § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG ausreichend ist. Diese Vorschrift wäre auch für den - hier nicht fern liegenden - Fall der Anwendung von Erwachsenenstrafrecht gegenüber dem Angeklagten zu 1) maßgeblich (§ 108 Abs. 3 JGG).

Entscheidend für die Frage der Eröffnung ist die Rechtsfolgenerwartung im Falle der Verurteilung, wobei im Grundsatz vom Regelstrafrahmen der angeklagten Straftatbestände auszugehen ist. Dabei ist nicht die zum Zeitpunkt der Eröffnung wahrscheinlichste Strafe, sondern die unter den konkreten Umständen den oberen Rand der Straferwartung bildende Strafe maßgeblich, damit das zuständige Gericht bei der Rechtsfolgenbemessung einen ausreichenden Spielraum hat (vgl. OLG Karlsruhe, wistra 1997, 198) und spätere Rückverweisungen nach § 270 Abs. 1 StPO nach Möglichkeit vermieden werden. Hier beträgt der Regelstrafrahmen für sämtliche in Rede stehenden Delikte des erpresserischen Menschenraubes (§ 239 a StGB), der Geiselnahme (§ 239 b StGB) und des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316 a StGB) jeweils in Verbindung mit § 38 Abs. 2 StGB zwischen 5 und 15 Jahren Freiheitsstrafe. Eine Abweichung vom Regelstrafrahmen ist allerdings dann gerechtfertigt und demzufolge in die Entscheidung hinsichtlich der Eröffnungszuständigkeit einzubeziehen, wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen ein hinreichender Tatverdacht lediglich bezüglich eines minder schweren Falles gegeben ist und daher aller Voraussicht nach nur von der Anwendung eines reduzierten Strafrahmens auszugehen sein wird. Dafür liegen aber zur Zeit entgegen den Stellungnahmen der Verteidigung keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich bei den Tatvorwürfen um die Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen vor dem Hintergrund erheblicher Betäubungsmittelstraftaten, wenngleich letztere nur im geringen Umfang zur Anklage gelangt sind. Bei den von den Geschädigten gestörten Rauschgiftgeschäften waren hohe Umsätze im Spiel, deren finanzieller Ausgleich von den Angeklagten eingefordert worden ist. Die Tatbegehungen als solche, bei denen auch Waffen eingesetzt und massive Drohungen geäußert worden sind, sprechen für eine ganz erhebliche kriminelle Energie. Hinzu kommt, dass die Angeklagten bereits teilweise nicht unerheblich strafrechtlich in Erscheinung getreten sind. Der Umstand, dass von der Staatsanwaltschaft nach polizeilicher Ausermittlung des Sachverhalts im Frühjahr 1999 nicht zeitnah Anklage erhoben oder Anlass zu verfahrensichernden Maßnahmen gesehen worden ist, ist nicht geeignet, die angeklagten Taten in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Die Frage, ob in Abweichung von den gesetzlichen Regelstrafrahmen von jeweils minder schweren Fällen auszugehen ist, muss daher der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

c)

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung wie aus dem Beschlusstenor ersichtlich abzuändern, wobei der Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch die gebotene Sachentscheidung, nämlich die Eröffnung des Hauptverfahrens vor der Jugendkammer - zu treffen hatte.

d)

Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf das von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel nicht veranlasst.



Ende der Entscheidung

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