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Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 10.12.2002
Aktenzeichen: 3 U 56/02
Rechtsgebiete: CMR
Vorschriften:
CMR Art. 29 |
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Anlage zum Protokoll vom 10.12.2002
Verkündet am 10.12.2002
In dem Rechtsstreit
pp.
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 29.10.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lampenscherf, die Richterin am Oberlandesgericht Caesar und den Richter am Landgericht Paltzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.02.2002 verkündete Grundurteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 87 O 179/00 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe:
I.
Die Klägerin, Transportversicherer der Firma A. Krawatten und Seidenweberei P. GmbH&Co KG in L., nimmt die Beklagte als Frachtführerin auf Schadensersatz i.H.v. 129.630,56 DM nebst Zinsen wegen des Verlustes von Krawattenoberstoffen durch einen in der Nacht vom 23. auf den 24. 10.1997 in M. bei Istanbul begangenen Diebstahl in Anspruch. Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Grundurteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 87 O 179/00 - (Blatt 245 ff. d.A.) Bezug genommen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren auf Klageabweisung gerichteten Antrag weiter. Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Urkunden Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Landgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. An der grundsätzlichen Haftung der Beklagten gemäss Artikel 17, 23 CMR bestehen keine Zweifel. Die Klägerin hat ausreichend zum Wert des gestohlenen Gutes gemäss Artikel 23 Abs. 2 CMR vorgetragen. Darlegungs- und beweispflichtig für die Voraussetzungen der Haftungsbeschränkung gemäss Artikel 23 Abs. 3 CMR, also das Gewicht der gestohlenen Stoffe, ist die Beklagte (vgl. Herber/Pieper, CMR, Artikel 23 Randnummer 22; Koller, Transportrecht, 4. Auflage, CMR Artikel 23 Randnummer 9). Hierzu hat die Beklagte aber nichts vorgetragen.
Der Senat bejaht übereinstimmend mit dem Landgericht auch ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten im Sinne von Artikel 29 CMR. Für die Frage, welches Verschulden dem Vorsatz gleichsteht, kommt es auf die Rechtslage an, die bis zum 30.06.1998 - vor Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes - bestanden hat, da der Frachtvertrag im Oktober 1997 geschlossen worden ist (vgl. Freymuth-Thume, Transportrecht, Artikel 29 CMR Randnummer 4 und 19a). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH stand dem Vorsatz die grobe Fahrlässigkeit gleich. Sie liegt vor, wenn die erforderliche Sorgfalt in einem besonders schweren Maße verletzt wird, bei der einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige unbeachtet bleibt, was jedem im gegebenen Fall einleuchten musste (vgl. Koller aaO, Artikel 29 Randnummer 3 ff.; KG Berlin, KG Report 95, 65 (67)). Die Beweislast hierfür trifft den Geschädigten. Nach herrschender Meinung trifft den Frachtführer aber eine sekundäre Darlegungsobliegenheit, substantiiert mit Namen und Anschrift der beteiligten Personen vorzutragen, welche Sorgfalt er bzw. seine Leute aufgewendet haben. Kommt er dieser nicht nach, ist ein qualifiziertes Verschulden zu vermuten (Koller aaO Randnummer 7).
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte ihrer diesbezüglichen Darlegungslast nicht voll genügt. Sie hat den Fahrer selbst nicht als Zeugen benannt, sondern sich auch im Berufungsverfahren nur auf das Zeugnis des Zeugen T., des Bruders ihres Geschäftsführers, berufen, der nach eigenen Angaben nicht der Fahrer des fraglichen Sattelzuges war. Dass der Fahrer über Nacht im LKW geschlafen habe, ist eine bloße Vermutung des Zeugen. Es fehlen jegliche näheren Angaben dazu, wann der Fahrer angekommen ist, wie er sich anschließend verhalten hat und wann und von wem der Diebstahl entdeckt worden ist. Aus dem Polizeiprotokoll (Blatt 23 f. d.A.) ergibt sich nur, dass der Einbruch in den Anhänger am 24.10.1997 gegen 8 Uhr gemeldet worden ist; von wem, wird nicht erwähnt, insbesondere ist der Fahrer nicht genannt. Angesichts dessen, dass die Polizei nicht ermitteln konnte, ob etwas entwendet worden war, erscheint es eher unwahrscheinlich, dass der Fahrer, der über das Ladegut bescheid wusste und die diesbezüglichen Papiere wie den CMR-Frachtbrief (Blatt 22 d.A.) hatte, den Diebstahl gemeldet hat. Im Hinblick auf die dürftigen Angaben der Beklagten zum Schadenshergang ist nicht einmal ausgeschlossen, dass der Fahrer an der Tat beteiligt war, zumal nur die wertvollen Krawattenoberstoffe, nicht aber die geringerwertigen Futterstoffe und das sonstige Zubehör gestohlen wurden und die Beute angesichts ihres Gewichts nur mit einem Fahrzeug abtransportiert worden sein kann. Es spricht somit bereits eine Vermutung für ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten.
Im übrigen teilt der Senat die Auffassung des Landgerichts, wonach der Fahrer mit dem Abstellen des LKWs in der betreffenden Nebenstrasse über Nacht, ohne für eine Bewachung der Ladung Sorge zu tragen, grob fahrlässig gehandelt hat. Auch die Beklagte trifft insoweit ein grobes Organisationsverschulden, als sie eine derartige Praxis jahrelang geduldet und offenbar ihren Fahrern keine speziellen Anweisungen zu den einzuhaltenden Sicherheitsvorkehrungen erteilt hat. Wenn es bei ihr - wie sie behauptet - bis zu dem streitgegenständlichen Fall nicht zu einem Diebstahl in der Türkei gekommen war, so hat sie einfach Glück gehabt; dies entband sie aber nicht davon, bezüglich wertvoller Ladung weitergehende Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Dass das Frachtgut wertvoll war, wusste die Beklagte. Sie hatte die Handelsrechnung der Firma J. (Blatt 91 d.A.) erhalten. Der Zeuge T. hat auch eingeräumt, dass es üblich war, den Rechnungsbetrag nach unten zu schönen, damit man nicht mit einem höheren Zollbetrag für Wochen oder Monate in Vorlage treten musste. Schon der in der Rechnung ausgewiesene Wert von 22.143,65 DM ist recht hoch, vor allem für einen möglichen Täter in einem Land mit niedrigem Lebensstandard wie der Türkei. Der Senat stimmt auch mit dem Landgericht darin überein, dass es sich bei den Krawattenstoffen um interessante Beute gehandelt hat. Es ist allgemein bekannt, dass es in der Türkei viele Textilbetriebe gibt. Allein im Bazarviertel von Istanbul befinden sich zahlreiche kleine Nähereien. Hochwertige Meterware dürfte daher leicht abzusetzen sein. Dass die Türkei generell ein Land mit erhöhter Diebstahlgefahr ist, ist allerdings nicht ersichtlich. Als besonders diebstahlgefährdet gelten Italien und osteuropäische Länder wie Russland. Die Rechtsprechung hat grobe Fahrlässigkeit in folgenden vergleichbaren Fällen bejaht:
OLG Hamm Versicherungsrecht 89,413: Abstellen eines unbewachten Trailers auf nicht eingezäuntem Grundstück übers Wochenende in Deutschland; LG Frankfurt Transportrecht 93,374: Abstellen eines LKWs auf unbewachtem Parkplatz in Polen, nur 1 schlafender Fahrer; OLG Frankfurt OLG R 96,26: Abstellen eines Planen-LKW auf unbewachtem Autobahnparkplatz in Italien, nur 1 Fahrer; OLG Hamm Transportrecht 96,237: LKW 6 Stunden im Industriegebiet in England unbewacht zurückgelassen; LG Hamburg Transportrecht 97, 232: Unbewachter Container auf öffentlicher Strasse in Deutschland abgestellt; BGH MDR 98,1422: LKW auf unbewachtem Parkplatz in Italien mit nur einem Fahrer - Raubüberfall -; OLG Hamm Transportrecht 2000, 359: LKW auf unbewachtem Parkplatz bei Industriegebiet in Norwegen 60 Km von Oslo allein zurückgelassen; LG Hamburg Transportrecht 01,79: Planen-LKW 2 Nächte unbewacht auf öffentlicher Strasse in Deutschland zurückgelassen.
Verneint wurde grobe Fahrlässigkeit in folgenden Fällen: KG OLG R 95,65 ff.: LKW auf BAB-Rastplatz abgestellt, schlafender Fahrer; OLG Köln OLG R 96,116: Abstellen eines LKW-Aufliegers übers Wochenende auf Autobahnparkplatz in Holland; OLG Hamm Transportrecht 97, 189: Abstellen eines LKW auf unbewachtem Parkplatz in Bulgarien Anfang 93, eingeschlafener Fahrer; Saarländisches OLG OLG R 01,136: Planen-LKW auf Parkplatz an der Nationalstrasse in Frankreich abgestellt. (siehe auch Koller aaO. Randnummer 4, 4a und Freymuth-Thume aaO. Randnummer 12, jeweils m.w.N.).
Der vorliegende Fall ist mit dem vom OLG Hamm (Transportrecht 2000, 359) entschiedenen Norwegen-Fall vergleichbar. Norwegen ist auch kein Land, das bisher wegen erhöhter Diebstahlsgefährdung aufgefallen wäre. Das OLG Hamm hat aber zutreffend ausgeführt, dass Industriegebiete wegen der Anhäufung wertvoller Verkehrsgüter und Maschinen für Diebe besonders interessant sind, vor allem bei Nacht, wenn diese Gebiete regelmässig menschenleer sind und Diebe davon ausgehen können, bei ihrem Tun nicht oder kaum gesehen zu werden. Bezüglich des streitgegenständlichen Industriegebiets zeige sich das u.a. daran, dass eine oder mehrere Wachgesellschaften regelmässig Kontrollen vornehmen. Zu berücksichtigen sei auch, dass das Industriegebiet in relativer Nähe zur Großstadt liege. Es sei allgemein bekannt, dass die Nähe einer Großstadt die Diebstahlsgefahr erhöhe, weil sie den Tätern eher den Schutz der Anonymität biete und bessere Absatzmöglichkeiten hinsichtlich der Diebesbeute bestünden.
Ähnlich sieht es mit dem Tatort im vorliegenden Fall aus: Es handelt sich um ein Industriegebiet in einer von der Autobahn abzweigenden Nebenstrasse 20 bis 30 Km von der Innenstadt Istanbuls entfernt. Wie die Zeugen S. und U. glaubhaft bekundet haben und aus den überreichten Fotos (Hülle Blatt 197 d.A., Anlagenhefter K 27, Skizzen Blatt 151 d.A. und Anlagenheft K 26) ersichtlich ist, handelt es sich um eine Nebenstrasse, an der einzelne Betriebe liegen; ansonsten gibt es mehrere Rohbauten und brachliegendes Gelände. Nachts ist die Gegend dunkel und menschenleer. Die Angaben des Zeugen T. bei seiner ersten Vernehmung, es gebe dort einen rund um die Uhr arbeitenden Produktionsbetrieb, eine 24Stunden am Tag geöffnete Tankstelle und einen Kiosk, sind widerlegt worden. Zwar haben die Beklagte und die Firma G. und Y. Wachhäuschen mit Nachtwächtern; der Abstellplatz des LKW gegenüber der Firma G. war von dort aus aber nicht einsehbar. Die Örtlichkeit war daher für einen möglichen Diebstahl besonders günstig, weil der oder die Täter unbestört "arbeiten" konnten; durch die in unmittelbarer Nähe gelegene Autobahn war der Tatort leicht erreichbar, ebenso war hierdurch eine schnelle Flucht gewährleistet.Im vorliegenden Fall war die Ladung besonders gefährdet, da sie nur durch eine Plane gesichert war, die schnell und geräuschlos aufgeschnitten werden konnte. Der LKW verfügte auch nicht über eine Alarmanlage. Wenn der übermüdete Fahrer tatsächlich in der Kabine des LKW geschlafen haben sollte, bedeutete er keinen Schutz für das Frachtgut. Um Diebstahlschäden vorzubeugen, hätte die Beklagte den Planen-LKW zumindest mit einer Alarmanlage ausrüsten müssen; dann wäre der Fahrer geweckt worden und hätte eingreifen können, wenn sich jemand an dem Fahrzeug zu schaffen machte. Naheliegend wäre es auch gewesen, den eigenen Nachtwächter der Beklagten über die Ankunft des LKW zu informieren und ihm aufzugeben, das Fahrzeug mit regelmässigen Rundgängen zu überwachen. Dies ist offensichtlich nicht geschehen. Die Beklagte behauptet selbst nicht, entsprechende Weisungen generell oder speziell im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf den Wert des Frachtguts erteilt zu haben. Die Beklagte hätte zudem den Transport so organisieren können, dass der Fahrer vor dem Schließen ihres Betriebes um 17 oder 18 Uhr angekommen wäre, so dass das Frachtgut noch auf das Zollager hätte gebracht werden können. Es ist auch nicht einsichtig, wieso der Sattelzug nicht auf dem Hof der Beklagten zwischen deren Bürogebäude und dem Zollager hätte abgestellt werden können. Die Argumentation des Zeugen T., er hätte dort den Zugang zum Freilager für an- und abliefernde Fahrzeuge blockiert, geht fehl, da das Gelände der Beklagten über Nacht ab 18 Uhr jedenfalls geschlossen war. Die Frachtgüter mussten ohnehin auf das Zollager verbracht werden, wofür der LKW dort vorfahren musste. Nach einer Entladung am frühen Morgen hätte er den Hof dann wieder freigemacht. Zumindest hätte sichergestellt werden müssen, dass der Fahrer auch bei einer Ankunft nach 18 Uhr noch die Pakete mit den wertvollen Stoffen ins Zollager hätte transportieren können, wenn es denn notwendig gewesen sein sollte, den LKW draussen auf der Strasse abzustellen. Dass die Beklagte grundsätzlich mit Einbrüchen in der fraglichen Gegend gerechnet hat, zeigt sich daran, dass sie einen Nachtwächter angestellt hatte. Soweit sie angegeben hat, ihr Betriebsgelände werde monatlich von 100 - 150 Fahrzeugen angefahren, besagt dies nicht, dass dort nachts ein reger Fahrzeugverkehr geherrscht hätte. Pro Tag sind dies durchschnittlich 3 - 5 Fahrzeuge, die sicherlich nicht alle in der Nacht, sondern wohl ganz überwiegend tagsüber ankommen.
Nach alledem beruht der Ladungsverlust auf qualifiziertem Verschulden der Beklagten im Sinne von Artikel 29 CMR.
Für die die Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
Ende der Entscheidung
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