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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 31.03.2006
Aktenzeichen: 40 HEs 10/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 120
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

40 HEs 7/06 40 HEs 8/06 40 HEs 9/06 40 HEs 10/06

In der Strafsache

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln im Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg sowie die Richter am Oberlandesgericht Scheiter und Dr. Schmidt

am 31.03.2006

beschlossen:

Tenor:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus wird mit der Maßgabe angeordnet, dass der Angeklagte C. O. hinsichtlich 13 Taten (Fälle 6 bis 18 der Anklage) und der Angeklagte R. hinsichtlich sechs Taten (Fälle 14 bis 19 der Anklage) dringend verdächtig ist.

Die weitere Haftprüfung wird für die Dauer von drei Monaten dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.

1. Zur Begründung der Entscheidung kann im wesentlichen auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen werden, die den Angeklagten und ihren Verteidigern mitgeteilt worden ist. Inzwischen wurde die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen, die ab dem 27.04.2006 stattfinden wird.

2. Soweit die Verteidigung des Angeklagten N. O. darauf hinweist, dass dieser nur mit einer relativ geringen Bestrafung zu rechnen habe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, und von der Kammer erwogen worden sei, das Verfahren gegen ihn abzutrennen und bereits am 17.02.2006 die Hauptverhandlung durchzuführen, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung. Auch unter Berücksichtigung dieser Umstände besteht Fluchtgefahr, ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verhältnismäßig und wurde nicht gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen verstoßen.

a) Die Fluchtgefahr ergibt sich daraus, dass der Angeklagte mit einer Bestrafung in Deutschland zu rechnen hat. Er hat keine nachvollziehbare Veranlassung, sich dieser Bestrafung zu stellen. Er ist rumänischer Staatsangehöriger und lediglich zur Begehung der nunmehr angeklagten Tat in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Eine irgendwie geartete Aufenthaltsberechtigung oder auch nur legale Aufenthaltsmöglichkeit besteht für ihn nicht. Von daher muss davon ausgegangen werden, dass er sich im Falle seiner Freilassung unmittelbar zurück nach Rumänien begeben wird. Dort wäre er auch vor einer Auslieferung sicher, denn Rumänien liefert eigene Staatsangehörige nur an solche Länder aus, die umgekehrt auch eigene Staatsangehörige an Rumänien ausliefern würden. Dies ist im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht der Fall, denn hier ist nach gegenwärtiger Rechtslage die Auslieferung eigener Staatsangehöriger nicht zulässig. Der Senat vermag auch keine Auflagen zu erkennen, die das Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung auch für den Fall seiner Verschonung vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft gewährleisten würden.

b) Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Angeklagte hat gemäß §§ 30, 152b Abs. 2 StGB eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu elf Jahren und neun Monaten zu erwarten. Nach Aktenlage erscheint eine Strafe von bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug nicht ausgeschlossen, deren Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Auch, wenn man eine solche Strafe der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde legt, ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verhältnismäßig.

Die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft kann unverhältnismäßig werden, wenn sie zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht. Dies wird man aber allenfalls - von anderen Kriterien abgesehen - dann annehmen können, wenn die Dauer der Untersuchungshaft die Länge der zu verhängenden Strafe zumindest erreicht oder sie diese gar übersteigt.

Das Verhältnis von Dauer der Untersuchungshaft zu der Höhe der zu erwartenden Strafe unter Berücksichtigung etwaiger Strafrestaussetzungen gemäß § 57 StGB, das nach der Rechtsprechung der 3. Kammer des Bundesverfassungsgerichts in Haftentscheidungen zu berücksichtigen ist (Beschluss vom 16.03.2006 (2 BvR 1700/06, Rdnr. 32), hat zunächst einmal Bedeutung für die Frage des Haftgrundes. Es liegt auf der Hand, dass die Fluchtgefahr um so geringer ist, je geringer das tatsächliche Übel ist, dass der Beschuldigte im Falle seiner Verurteilung noch zu erwarten hat. Insoweit kann schon der Umstand, dass die Vollstreckung einer etwa zu verhängenden Freiheitsstrafe mit hoher Wahrscheinlichkeit zur Bewährung ausgesetzt werden wird oder jedenfalls der ganz überwiegende Teil der Strafe bereits durch Anrechnung der Untersuchungshaft vollstreckt wäre, den Haftgrund der Fluchtgefahr entfallen lassen.

Ist das - wie hier - jedoch nicht der Fall, kann nur ein krasses Missverhältnis zwischen der Dauer der Untersuchungshaft und der Länge der zu erwartenden Strafe zur Unverhältnismäßigkeit der weiteren Untersuchungshaft führen. In diesem Fall ist in die Abwägung neben dem Grundrecht des Beschuldigten auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) das ebenfalls im Grundgesetz verankerte Legalitätsprinzip einzustellen. Dieses gebietet die Aufklärung und Ahndung von Straftaten. Es ist für den Rechtsstaat ein genauso wichtiger Grundsatz wie der Freiheitsanspruch des Beschuldigten und die Unschuldsvermutung (BVerfG, a. a. O., Rdnr. 21). Ist eine Aburteilung der Tat ohne den Vollzug der Untersuchungshaft nicht möglich, kann ein Zurücktreten des Legalitätsprinzips nur dann hingenommen werden, wenn der Freiheitsanspruch des Beschuldigten aufgrund einer- im Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe - besonders langen Untersuchungshaft eindeutig überwiegt. Dies ergibt sich auch daraus, dass das Urteil nicht nur die Grundlage für die Vollstreckung einer Strafe bildet - dieser Gesichtspunkt tritt mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft naturgemäß in den Hintergrund -, sondern auch für weitere Rechtsfolgen wie Nebenstrafen, Verfallsentscheidungen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, die Kostentragungspflicht, Bewährungsüberwachung oder Führungsaufsicht. Hinzu kommt die Bedeutung des Urteils für künftige Strafverfahren, unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessung oder Sicherungsverwahrung, aber auch als Vorfrage für zivil- oder verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Diese Voraussetzung der Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft wegen eines Missverhältnisses zu der zu erwartenden Strafe ist im Fall des Angeklagten N. O. bislang und auf absehbare Zeit nicht erfüllt. Die Dauer der Untersuchungshaft - er wird sich zu Beginn der Hauptverhandlung seit ca. acht Monaten in Haft befinden - bleibt deutlich hinter der zu erwartenden Strafe zurück, die nach Lage der Akten die Dauer von zwei Jahren - wenn überhaupt - allenfalls geringfügig unterschreiten wird. Die Möglichkeit, dass die Vollstreckung dieser Strafe (vielleicht) zur Bewährung ausgesetzt werden wird, kann in diesem Zusammenhang keine besondere Bedeutung beigemessen werden. Anders als die Höhe der zu erwartenden Strafe besagt dieser Umstand nichts über das Maß des begangenen Unrechts und damit auch über das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung und Ahndung der begangenen Tat. Maßgeblich hierfür sind allein prognostische Erwägungen. Anderenfalls wäre auch - unabhängig von der Bedeutung dieser Prognose für den Haftgrund der Fluchtgefahr - die Vollstreckung von Untersuchungshaft in Fällen, in denen eine Strafaussetzung zur Bewährung ernsthaft in Betracht kommt, immer unverhältnismäßig. Es kann jedoch nicht angenommen werden, dass dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht oder verfassungsrechtlich geboten ist.

c) Auch die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor. Das Beschleunigungsgebot wurde nicht verletzt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht haben das Verfahren mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert. Das Landgericht war auch nicht verpflichtet, von der - theoretisch bestehenden - Möglichkeit Gebrauch zu machen, das Verfahren gegen den Angeklagten N. O. abzutrennen und bereits anlässlich des Haftprüfungstermins im Februar 2006 die Hauptverhandlung durchzuführen. Eine entsprechende Zusage ist der Verteidigerin des Angeklagten nach der Erklärung des Kammervorsitzenden, an deren Richtigkeit zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat, nicht erteilt worden. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass der Vorsitzende die insoweit angestellten Überlegungen letztlich verworfen hat. Gegen ein solches Vorgehen sprach, dass ein Geständnis des Angeklagten- soweit für den Senat erkennbar - bis heute nicht vorliegt. Angesichts dieses Umstandes, hätte die Kammer die Abtrennung "ins Blaue hinein" vornehmen müssen. Sie konnte weder sicher sein, dass es überhaupt zu dem angekündigten Geständnis kommen würde, noch - und dieser Umstand hat besonderes Gewicht -, dass dieses ausreichen würde, allein hierauf eine Verurteilung zu stützen. Die Kammer wäre somit Gefahr gelaufen, statt einer zwei aufwändige Hauptverhandlungen durchführen zu müssen, was letztlich die Durchführung anderer Verfahren beeinträchtigt hätte.

III.

Die Übertragung der Haftprüfung auf das nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Gericht beruht auf § 122 Abs. 3 S. 3 StPO.

Ende der Entscheidung

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