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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Urteil verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 5 U 72/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 818
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 72/04

Anlage zum Protokoll vom 29. September 2004

Verkündet am 29. September 2004

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 8. September durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Rosenberger sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Thurn und Mangen

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 12. März 2004 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 573/03 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen, soweit die Klage mit dem Hauptvorbringen (nochmalige Zahlung des Rückkaufswertes) unter Verneinung eines zu Lasten der Beklagten bestehenden Aufrechnungsverbotes abgewiesen worden ist.

Gründe:

I.

Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Lebensversicherung. Sie kündigte die Versicherung und vereinbarte mit der Beklagten, dass der Rückkaufwert per Scheck ausgezahlt werden solle. Die Beklagte überwies den Rückkaufwert in Höhe von 9.128,30 € jedoch aufgrund eines Versehens auf das im Soll stehende Girokonto der Klägerin bei der X-Bank O e.G., die den Betrag mit Forderungen gegen die Klägerin verrechnete. Eine von der Klägerin geforderte nochmalige Auszahlung des Rückkaufswertes durch Verrechnungsscheck lehnte die Beklagte ab.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, durch die Überweisung auf das Konto der X-Bank O e.G. sei keine Erfüllung eingetreten, so dass die Beklagte nach wie vor zur Zahlung des Rückkaufswertes verpflichtet sei. Die Weisung, den Betrag per Scheck auszuzahlen, habe sie - so hat die Klägerin zunächst vorprozessual und auch noch in der Klageschrift vorgetragen - deshalb erteilt, weil sie "dringende Verpflichtungen und Verbindlichkeiten bei Sozialkassen" zu erfüllen gehabt habe. Mit Schriftsatz vom 20. Januar 2004 hat sie vorgetragen, sie hätte den Rückkaufswert an Herrn W L als Abfindungsbetrag für ihm gegenüber bestehende Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 150.000,- € gezahlt; mit einer solchen Abfindungszahlung sei Herr L einverstanden gewesen. Mit Schriftsatz vom 9. März 2004 hat sie dargelegt, mit dem Rückkaufswert hätten sowohl Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialkassen als auch die Forderungen des Herrn L befriedigt werden sollen. Zunächst wären rückständige Sozialbeiträge beglichen worden; der Restbetrag hätte als Abfindung für die Forderungen des Herrn L gedient. Mit Rücksicht darauf, dass die beabsichtigte Abfindungszahlung an Herrn L nicht erbracht werden konnte, hat die Klägerin hilfsweise von der Beklagten Schadensersatz in Höhe des eingeklagten Betrages verlangt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 9.128,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat hilfsweise Widerklage erhoben mit dem Antrag,

die Klägerin zu verurteilen, an sie 9.354,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. Dezember 2002 zu zahlen.

Die Beklagte hat gemeint, die Forderung der Klägerin sei durch die Überweisung auf deren Konto erloschen. Zumindest aber könne sie gegen einen Anspruch der Klägerin auf nochmalige Zahlung mit einem Anspruch auf Rückerstattung des bereits durch Überweisung geleisteten Rückkaufswertes aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung aufrechnen; sie hat mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2003 die Aufrechnung erklärt.

Sie hat ferner mit Nichtwissen bestritten, dass Herrn L Forderungen gegen die Klägerin in einer Gesamthöhe von 150.000,- € zustünden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Hilfswiderklage abzuweisen.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 12. März 2004, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Zwar sei der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des Rückkaufswertes nicht durch die Überweisung des Betrages auf das Konto der Klägerin bei der X-Bank O e.G. erfüllt worden, weil die Zahlung nicht abredegemäß per Scheck erfolgt sei. Allerdings habe die von der Beklagten erklärte Aufrechnung zum Erlöschen der Forderung der Klägerin geführt. Den Einwand der Entreicherung könne die Klägerin insoweit nicht erheben, weil sie durch die Überweisung in Höhe von 9.128,- € von ihren Verbindlichkeiten gegenüber der X-Bank O e.G. befreit worden sei. Schadensersatz könne sie von der Beklagten nicht verlangen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihren Klageantrag weiterverfolgt. Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Beklagten ein unmittelbarer Bereicherungsanspruch gegen die X-Bank O zustehe. Zumindest habe sie den Versuch unternehmen müssen, die Zahlung von dort zurückzufordern; dies habe sie unterlassen. Einem Anspruch der Beklagten aus § 812 Abs. 1 BGB stehe der Einwand nach § 818 Abs. 3 BGB entgegen. Hierzu trägt sie nunmehr wieder vor, sie hätte Herrn L den gesamten Rückkaufswert zur Abgeltung seiner Forderungen in Höhe von 150.000,- € überlassen. Jedenfalls stehe ihr insoweit ein Schadensersatzanspruch zu, den das Landgericht mit rechtirrigen Ausführungen abgelehnt habe. Durch die Art und Weise der Auszahlung habe die Beklagte eine vertragliche Nebenpflicht verletzt.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Beklagte ist, wie das Landgericht im Ergebnis zu Recht erkannt hat, zur nochmaligen Zahlung des Rückkaufswertes nicht verpflichtet. Allerdings ist die Beklagte nicht durch die Überweisung des Rückkaufswertes auf das im Soll stehende Konto der Klägerin bei der X-Bank O e.G. von ihrer Zahlungspflicht befreit worden. Zahlt eine Versicherung entgegen einer klar anderslautenden Weisung auf ein im Soll stehendes Konto des Versicherungsnehmers, gilt folgendes: Hat der Versicherungsnehmer für Zahlungen des Versicherers ein bestimmtes Konto angegeben, so tritt mit der Überweisung geschuldeter Leistungen auf dieses Konto Erfüllungswirkung ein (vgl. BGHZ 98, 24, 30; NJW 1985, 2700; NJW 1999, 210). Erfolgte hingegen die Zahlung auf das Konto weisungswidrig, hat sie im Verhältnis zum Versicherungsnehmer keine Erfüllungswirkung (vgl. BGHZ 128, 135, 137; BGHZ 98, 24, 30; NJW 1985, 2700), so dass dieser grundsätzlich von der Versicherung weiterhin Zahlung der geschuldeten Versicherungsleistungen verlangen kann. Entgegen einer in der Literatur gelegentlich vertretenen Auffassung kann der Versicherungsnehmer die Gutschrift auf dem Konto, auf das versehentlich gezahlt wurde, jedenfalls dann nicht zurückweisen, wenn ein wirksames Valutaverhältnis (hier zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer) bestand (vgl. BGHZ 128, 135, 138). Der Versicherung steht in diesem Fall allerdings gegen den Versicherungsnehmer - und nur gegen diesen - ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu; die Bank, an die die Zahlung erfolgte, ist lediglich Zahlstelle des Versicherungsnehmers (vgl. BGHZ 128, 135, 137; NJW 1985, 2700).

Mit diesem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung hat die Beklagte vorliegend wirksam die Aufrechnung gegen die Forderung der Klägerin auf nochmalige Auszahlung des Rückkaufswertes erklärt, so dass die Forderung erloschen ist. Allerdings wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur teilweise die Auffassung vertreten, nach dem Sinn und Zweck der Festlegung eines bestimmten Zahlungsweges bestehe ein Aufrechnungsverbot, weil sonst der erstrebte Erfolg - die ungehinderte Verfügung über den geschuldeten Betrag - vereitelt werde. Es sei nicht sachgerecht, den Versicherungsnehmer in einem solchen Fall auf einen Schadensersatzanspruch gegen die Versicherung zu verweisen, weil ein messbarer Schaden häufig nicht gegeben sei. Vielmehr sei es Sache des Schuldners (hier der Versicherung), zunächst einmal seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen; er müsse sich dann gesondert mit seinem Gläubiger hinsichtlich der rechtsgrundlos erfolgten Zahlung auseinandersetzen (vgl. vor allem Schimansky, in: Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 50, Rn. 10; MK-HGB/Häuser, ZahlungsV, Rn. B 330 und B 344; im Ergebnis ebenso [Rückforderung verstößt gegen Treu und Glauben]: LAG Stuttgart, NJW 1985, 2727, 2728; ausdrücklich bislang offen gelassen von BGHZ 128, 125, 137 und BAG, NZA 1999, 977, 978).

Der Senat vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Zwar kann die Befugnis zur Aufrechnung nach dem besonderen Inhalt des zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnisses stillschweigend ausgeschlossen sein, wenn der Zweck der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lässt (vgl. etwa BGHZ 95, 109, 113; 113, 90, 93; BGH, NJW-RR 1999, 1192). Selbst wenn man davon ausgeht, dass mit der Weisung, den Rückkaufswert auf ein bestimmtes Konto auszuzahlen, bewirkt werden soll, dem Versicherungsnehmer den auszukehrenden Betrag zur freien Verfügung zu überlassen und dies auch für den Versicherer erkennbar war, ändert dies zunächst nichts daran, dass dem Versicherer bei Nichtbefolgung der Weisung und Zahlung auf ein im Soll stehendes Konto des Versicherungsnehmers das Recht zusteht, den gezahlten Betrag, der keine Erfüllung bewirkt hat, vom Versicherungsnehmer zurückzuverlangen. Es ist nicht ohne weiteres einsichtig, warum insoweit ein Aufrechnungsverbot als stillschweigend vereinbart angenommen werden sollte. Soweit dem Versicherungsnehmer aus der Nichtbefolgung der Weisung ein Schaden entsteht, kann er diesen grundsätzlich vom Versicherer erstattet verlangen. Fehlt es an einem messbaren Schaden, macht es wenig Sinn, dem Versicherer gleichwohl die Möglichkeit der Aufrechnung mit einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gegen den Anspruch auf Zahlung der Versicherungsleistungen zu versagen. Dies liefe letztlich auf eine reine Sanktion für ein vertragswidriges Verhalten des Versicherers hinaus. Auch eine solche Sanktion würde indes weitgehend leer laufen: Der Versicherer kann seinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung ohne weiteres im Klagewege (etwa - wie auch hier geschehen - im anhängigen Rechtsstreit durch Erhebung einer Hilfswiderklage) verfolgen und zudem den Anspruch des Versicherungsnehmers auf (nochmalige) Zahlung der Versicherungsleistungen pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen (vgl. insoweit nur Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 829, Rn. 12); das kommt wirtschaftlich den Wirkungen einer Aufrechnung weitgehend gleich. Bei dieser Sachlage erscheint es dem Senat wenig interessengerecht, ein stillschweigendes Aufrechnungsverbot anzunehmen. Der Versicherungsnehmer ist vor den Folgen der Rückforderung einer fehlerhaften, nicht zur Erfüllung der Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag führenden Zahlung hinreichend dadurch geschützt, dass er Schadensersatzansprüche gegen den Versicherer geltend machen oder ggf. auch den Einwand der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) erheben kann. Ist ihm kein wirtschaftlicher Nachteil entstanden, besteht auch kein zureichender Anlass, ihn vor einer Aufrechnung des Versicherers gegen den fortbestehenden Anspruch auf Auszahlung der Versicherungsleistungen zu schützen.

Der von der Klägerin erhobene Entreicherungseinwand greift nicht durch. Die im Verhältnis der Klägerin zu ihrer Bank durch die Zahlung der Beklagten erfolgte Befreiung von der insoweit gegenüber der Bank bestehenden Verbindlichkeit stellt eine fortbestehende Bereicherung dar (vgl. BGH, NJW 1985, 2700). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Bereicherungsausgleich zu einem ungerechtfertigten Vermögensverlust des Bereicherungsschuldners führen würde (Palandt-Sprau, BGB, 63. Aufl., § 818, Rn. 38 unter Hinweis auf BGH, NJW 1979, 1597). Ob insoweit der Vortrag der Klägerin, sie habe bei Scheckauszahlung einen ihr günstigen Vergleich mit ihrem Gläubiger L abschließen können, geeignet ist, im Wege der Gesamtbetrachtung einen Wegfall der Bereicherung zu begründen, mag dahingestellt bleiben, denn der Vortrag ist in hohem Maße widersprüchlich und daher insgesamt als unschlüssig zu werten. Die Klägerin hatte noch in der Klageschrift vorgetragen, sie hätte den von der Beklagten geschuldeten Betrag (ausschließlich) zur Tilgung von dringenden Verpflichtungen und Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialkassen verwenden wollen. Damit ist der Vortrag, der Betrag wäre als Abfindungsbetrag zur Tilgung einer angeblichen Schuld bei Herrn L verwendet worden, unvereinbar. Die Klägerin hat diesen Widerspruch auch nicht hinreichend aufgelöst, sondern im Gegenteil erstinstanzlich weiter vertieft, indem sie im Schriftsatz vom 9. März 2004 abweichend von ihrer früheren Darstellung nunmehr vorgetragen hat, mit der Versicherungsleistung hätten sowohl Verbindlichkeiten bei den Sozialkassen und als auch die Forderungen des Herrn L getilgt werden sollen. Damit ist weder ihr Vortrag aus dem Schriftsatz vom 20. Januar 2004 noch ihr Vortrag aus der Berufungsbegründung in Einklang zu bringen, wonach Herr L sich vergleichsweise mit der Zahlung des gesamten Rückkaufswertes zur Abgeltung der bestehenden Verbindlichkeiten begnügt hätte, während es im Schriftsatz vom 9. März 2004 heißt, ihm wäre der - nicht bezifferte - "Restbetrag" (nach Zahlung der Verbindlichkeiten gegenüber den Sozialkassen) zur Verfügung gestellt worden. Nach letzterem Vortrag hätte die Klägerin die behauptete Vereinbarung mit Herrn L (Zahlung des vollständigen Rückkaufswertes gegen Erlass der Schulden) nicht erfüllen können. Ein ungerechtfertigter Vermögensnachteil ist damit nicht schlüssig dargetan.

Gleiches gilt für den von der Klägerin hilfsweise geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB n.F.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zur Klärung der Frage, ob in der gegebenen Situation ein Aufrechnungsverbot anzunehmen ist oder nicht, zu. Insoweit hat die Sache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Dies gilt nicht, soweit die Klägerin sich mit dem Vortrag, es sei nicht zur Durchführung eines ihr günstigen Abfindungsvergleichs mit Herrn L gekommen, auf § 818 Abs. 3 BGB sowie hilfsweise auf einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte stützt; insoweit liegen die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vor.

Berufungsstreitwert: 9.128,30 €

Ende der Entscheidung

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