Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Köln
Beschluss verkündet am 20.06.2003
Aktenzeichen: Ausl 152/03 - 28/03
Rechtsgebiete: IRG, StGB


Vorschriften:

IRG § 10 Abs. 1 S. 2
IRG § 35 Abs. 2 Satz 2
IRG § 41 Abs. 4
StGB § 78 Abs. 3 Nr. 3
StGB § 258 Abs. 1
StGB § 274 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 267 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
- Ausl 152/03 - 28/03 -

OBERLANDESGERICHT KÖLN BESCHLUSS

In dem Auslieferungsverfahren

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Doleisch von Dolsperg, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Ahn-Roth und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Schmidt

am 20.06.2003

beschlossen:

Tenor:

1. Die Auslieferung des polnischen Staatsangehörigen G aus Deutschland nach Polen zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem Antrag auf Verfolgungsgenehmigung der Bezirksstaatsanwaltschaft in Wroclaw vom 10.April 2003 ( OZ 70 /03) zur Last gelegten Taten der Strafvereitelung bzw. Begünstigung (Nr. II des Antrags), der Urkundenunterdrückung (Nr. III des Antrags) und der Urkundenfälschung (Nr. VI des Antrags) wäre zulässig.

2. Die Auslieferung zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem Antrag zur Last gelegten Taten der Nichtrückkehr in die Strafvollzugsanstalt (Nr. I des Antrags) und der unerlaubten Grenzüberschreitungen ( Nr. IV und V des Antrags) wäre unzulässig.

Gründe:

I.

Der Verfolgte ist polnischer Staatsangehöriger. Auf Ersuchen der zuständigen polnischen Behörden ist seine Auslieferung zur Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe von vier Jahren und zweiundvierzig Tagen aus dem Urteil des Landgerichts Wroclaw vom 16. Februar 1999 (III K 151/97) wegen zweifachen (schweren) Raubes unter Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität bewilligt worden. Gegen ihn war zuvor durch Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 2001 und 2. November 2003 ( Ausl 1166/01 - 29-) Auslieferungshaftbefehl erlassen und die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet worden. Der Verfolgte hatte sich mit der Auslieferung im vereinfachten Verfahren einverstanden erklärt, ohne auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität zu verzichten. Er ist den polnischen Behörden am 19. November 2001 überstellt worden.

Das Ministerium für Justiz der Republik Polen ersucht nunmehr mit Schreiben vom 25. April 2003 um Zustimmung zur Strafverfolgung des G wegen der ihm in dem Antrag auf Verfolgungsgenehmigung der Bezirksstaatsanwaltschaft in Wroclaw vom 10. April 2003 ( OZ 70 /03) zur Last gelegten Taten. Der Antrag hat in deutscher Übersetzung folgenden Wortlaut:

(wird ausgeführt)

Dem Ersuchen sind die angeführten gesetzlichen Bestimmungen des polnischen Strafgesetzbuchs im Wortlaut beigefügt. Das ebenfalls beigefügte Protokoll zur Annahme der Erklärung der Staatsanwältin D bei dem Amtsgericht Wroclaw Fabryczna vom 27. März 2003 (Ds 603/03) führt die in dem Antrag auf Verfolgungsgenehmigung enthaltenen Strafvorwürfe auf und gibt folgende Erklärung des Verfolgten wieder:

"Ich bin von der Staatsanwältin über die Absichten der Staatsanwaltschaft gegenüber meiner Person hinsichtlich der Verfolgung wegen der Straftaten, über deren Inhalt ich auch benachrichtigt wurde, in Kenntnis gesetzt. Ich erkläre, dass ich mit der Verfolgung meiner Person einverstanden bin. Ich habe zu dem Fall nichts mehr zu erklären. "

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt festzustellen, dass die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Strafvereitelung/Begünstigung, der Urkundenunterdrückung und der Urkundenfälschung (Nr. II, III, VI des Ersuchens) zulässig und hinsichtlich der Vorwürfe der "Selbstbefreiung" und der unerlaubten Überschreitung der polnischen Staatsgrenze unzulässig wäre.

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist zu entsprechen.

1. Der Senat ist nach § 35 Abs. 2 Satz 2 IRG für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung wegen der weiteren Taten zuständig, die Gegenstand des Ersuchens um Erweiterung der Auslieferungsbewilligung sind. Es bedarf einer Entscheidung über die Zulässigkeit, weil der Verfolgte auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Paderborn am 27. September 2003 nicht verzichtet hat und die Erklärung des Verfolgten bei der Anhörung durch die Staatsanwältin D als Einverständnis mit der Erweiterung der Auslieferungsbewilligung nicht gewertet werden kann. Dazu hätte es einer Belehrung gemäß § 41 Abs. 4 IRG bedurft, dass das Einverständnis den Verzicht auf gerichtliche Prüfung und damit auf Rechtsschutz bedeutet (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 35 IRG Rn. 16). Eine solche Aufklärung des Verfolgten bei seiner Anhörung durch die Staatsanwältin am 27. März 2003 lässt sich dem vorliegenden Protokoll nicht entnehmen.

2. Die Voraussetzungen für die Erweiterung der Auslieferungsbewilligung nach Art. 14 Abs. 1 lit. a) des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk ) liegen nicht vor, soweit sie wegen der Verfolgung von Handlungen begehrt wird, die nach deutschem Recht nicht strafbar sind und deshalb nicht der Verpflichtung zur Auslieferung nach Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk unterliegen. Dies betrifft die dem Verfolgten in dem Antrag auf Verfolgungsgenehmigung der Bezirksstaatsanwaltschaft in Wroclaw vom 10. April 2003 zur Last gelegten Taten der Nichtrückkehr in die Strafvollzugsanstalt (Nr. I des Antrags) und der unerlaubten Grenzüberschreitungen (Nr. IV und V des Antrags). Insoweit ist antragsgemäß festzustellen, dass die Auslieferung unzulässig wäre.

3. Im übrigen sind die Voraussetzungen für die Erweiterung der Auslieferungsbewilligung nach Art. 14 Abs. 1 lit. a) EuAlÜbk gegeben.

a) Die Auslieferungsfähigkeit wegen der dem Verfolgten in dem Antrag auf Verfolgungsgenehmigung der Bezirksstaatsanwaltschaft in Wroclaw unter Nr. II, III und IV angelasteten Taten ergibt sich aus Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk. Das dem Verfolgten unter Nr. II des Antrags zum Vorwurf gemachte Tatgeschehen der Beseitigung von Tatspuren erfüllt nach polnischem Recht den Tatbestand der Strafvereitelung bzw. Begünstigung gemäß Art. 239 § 1 des polnischen Strafgesetzbuchs (StGB), nach deutschen Recht den Tatbestand der Strafvereitelung nach § 258 Abs. 1 StGB. Das unter Nr. III des Antrags aufgeführte Verstecken eines fremden Passes fällt unter den Tatbestand der Urkundenunterdrückung nach Art. 276 des polnischen StGB bzw. nach § 274 Abs. 1 Nr. 1 des deutschen StGB. Das unter Nr. VI des Antrags beschriebene Tatgeschehen der Passfälschung und Benutzung des verfälschten Passes fällt unter Art. 270 § 1 des polnischen StGB und unter § 267 Abs. 1 des deutschen StGB .

Gründe, die der Zulässigkeit einer Auslieferung nach den Artikeln 3 bis 10 EuAlÜbk entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist weder nach polnischen Recht, noch nach deutschem Recht Strafverfolgungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist beträgt bei den nach polnischem Recht jeweils mit Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten gemäß Art. 101 § 1 des polnischen StGB mindestens fünf Jahre, nach deutschem Recht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB mindestens drei Jahre. Die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten datieren erst aus dem Jahr 2001.

b) Die förmlichen Voraussetzungen für die Erweiterung der Auslieferungsbewilligung liegen ebenfalls vor. Die polnischen Behörden haben die nach Art. 14 Abs. 1 lit. a) in Verbindung mit Art. 12 Abs. 2 EuAlÜbk erforderlichen Unterlagen sowie ein Protokoll über die Erklärungen des Ausgelieferten vorgelegt. Insbesondere enthält der Antrag auf Verfolgungsgenehmigung der Bezirksstaatsanwaltschaft in Wroclaw vom 10. April 2003 eine Sachverhaltsdarstellung, die den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 lit. b) EuAlÜbk genügt.

Der Umstand, dass den Unterlagen der polnischen Behörden eine Anordnung über die Inhaftnahme des Verfolgten nicht beigefügt ist, steht dem Erfolg des Ersuchens nicht entgegen. Zwar setzt Art. 12 Abs. 2 lit. a) EuAlÜbk die Vorlage eines Haftbefehls oder einer vergleichbaren Urkunde voraus, die die Anordnung der Inhaftnahme des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen einer bestimmten nach Zeit, Ort sowie Art und Weise der Begehung hinreichend individualisierten Straftat enthält und zur Inhaftnahme berechtigt (vgl. Schomburg/Lagodny, a.a.O., Art. 12 EuAlÜbk Rn. 9). Im Hinblick auf § 10 Abs. 1 S. 2 IRG genügt es im vorliegenden Fall jedoch, dass eine Urkunde einer zuständigen Stelle des ersuchenden Staates vorliegt, aus die sich die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat ergibt.

Das Europäische Auslieferungsübereinkommen - wie auch andere Rechtshilfeabkommen - regelt entsprechend seiner völkerrechtlichen Natur, unter welchen Voraussetzungen der ersuchende Staat Anspruch auf Rechtshilfe hat und unter welchen Voraussetzungen der ersuchte Staat dementsprechend zur Gewährung von Rechtshilfe verpflichtet ist. Jedenfalls soweit das Übereinkommen oder ein anderes Abkommen nicht materielle Verfolgungshindernisse oder sonst ersichtlich abschließende Regelungen enthält (vgl. zur Frage der Verjährung BGH St 35, 67 = NStZ 1988, 277, 278), sind die Vertragsstaaten nicht gehindert, über ihre völkerrechtliche Verpflichtung hinaus Rechtshilfe zu leisten, wenn dies nach ihrem innerstaatlichen Recht zulässig ist (ebenso BGHSt 32, 314, 319f.; OLG Karlsruhe Justiz 84, 347, 348; NJW 1985, 2906; NStZ 1989, 235; OLG Düsseldorf, JMBl. NRW 2003, 138, 139; Vogel, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., § 1 IRG Rdnr. 25). Der abweichenden Auffassung von Lagodny (in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., 1998 § 1 Rdnr. 20) vermag der Senat nicht zu folgen, weil diese zwischen der Bedeutung des Übereinkommens bzw. Abkommens als völkerrechtlicher Verpflichtung einerseits und - über die Transformation in das innerstaatliche Recht - Ermächtigungsgrundlage im Verhältnis zum Verfolgten andererseits nicht hinreichend differenziert. Soweit sich aus den völkerrechtlichen Verträgen keine Anhaltspunkte ergeben, kann nicht angenommen werden, dass durch die darin enthaltenen Verfahrensregelungen die Gewährung von Rechtshilfe gegenüber dem vertragslosen Zustand, bei dem allein das IRG maßgeblich ist, erschwert werden soll. Dies entspräche nicht dem Sinn der Verträge, die Rechtshilfe gegenüber den vertragslosen Zustand möglichst zu erweitern und zu vereinfachen.

Nach § 10 Abs. 1 S. 2 IRG bedarf es im vorliegenden Fall keines Haftbefehls. Diese Norm betrifft ausdrücklich zwar nur den Fall, dass um die Auslieferung zur Verfolgung mehrerer Taten ersucht wird, wobei nicht für alle ein Haftbefehl vorliegt. Für diesen Fall ist eine Anordnung der Inhaftnahme wegen der weiteren Straftaten entbehrlich (vgl. Beschluss des Senats vom 26.11.1999 - 2 Ausl 320/99 - 21 -). Bei der Erweiterung der Auslieferungsbewilligung wegen weiterer zu verfolgender Straftaten können aber keine höheren Anforderungen an die zu beachtenden Förmlichkeiten gestellt werden als bei der Bewilligung der Auslieferung wegen mehrerer Straftaten, von denen nur eine oder einzelne im Haftbefehl erwähnt sind.

Der Erweiterung der Auslieferungsbewilligung steht auch nicht entgegen, dass das Protokoll über die Erklärungen des Ausgelieferten von einer Staatsanwältin aufgenommen worden ist. Für ein "gerichtliches" Protokoll (englische Fassung: "legal record") in Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. a) EuAlübk bedarf es nicht zwingend der Gewährung rechtlichen Gehörs durch ein Gericht. Sofern das Recht des ersuchenden Staates es zulässt, reicht es aus, dass ein zuständiger Staatsanwalt in einem justizförmig geregelten Verfahren den Verfolgten zur Frage der Erweiterung der Strafverfolgung anhört (BGHSt 28, 285, 288; von Bubnoff, Auslieferung, 1989, S. 32). Dem Protokoll der Staatsanwältin beim Amtsgericht Wroclaw Fabryczna D vom 27. März 2003 ist zu entnehmen, dass die Anhörung des Verfolgten in einem justizförmigen Verfahren durchgeführt worden ist. Ihre Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 298 § 1 der polnischen Strafprozessordnung, wonach das Vorverfahren vom Staatsanwalt geleitet wird, i. V. m. Art 300 der polnischen Strafprozessordnung, der die Belehrung des Verdächtigen über seine Rechte regelt. Dazu gehört auch die Belehrung über den Grundsatz der Spezialität gemäß Art. 596 der polnischen Strafprozessordnung.

Ende der Entscheidung

Zurück