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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 04.10.2007
Aktenzeichen: 1 AK 51/07
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 15 Abs. 1
IRG § 41 Abs. 1
IRG § 83a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Der am ... in ... geborene italienische Staatsangehörige A. - nach vorläufiger Festnahme nach § 19 IRG am 28. August 2007 in der Justizvollzugsanstalt B. befindlich aufgrund vorläufigen Auslieferungshaftbefehls des Senates vom 31. August 2007 - ist zum Zwecke seiner Auslieferung nach Italien zur Strafvollstreckung in Auslieferungshaft zu nehmen.

2. Es wird festgestellt, dass das am 11. September 2007 vor dem Amtsgericht B. erklärte Einverständnis des Verfolgten mit der Durchführung der vereinfachten Auslieferung nicht wirksam erteilt worden ist.

Gründe:

1. Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 2.10.2007 auf Erlass eines Auslieferungshaftbefehls konnte gemäß §§ 83a Abs.1, 15 IRG entsprochen werden.

Nach Inkrafttreten des Europäischen Haftbefehlsgesetzes vom 20.07.2006 (BGBL. I, 2006, 1721) am 2.8.2006 richtet sich der Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nunmehr nach dem neu eingeführten Achten Teil des IRG, wobei die übrigen Bestimmungen des IRG Anwendung finden, soweit dieser Teil keine abschließende Regelung enthält (78 IRG). Danach liegen die formellen Voraussetzungen zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls nach § 83a Abs. 1 IRG vor. Gegen den Verfolgten besteht ein Europäischer Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft in C. vom 8.8.2007, wonach dieser durch Urteil des Appellationsgerichts in C. vom 3.11.2006 (im Folgenden: Urteil unter a), rechtskräftig seit 1.3.2007, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Gerichts in D. vom 16.11.2000 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, durch Urteil des Untersuchungsrichters beim Gericht in D. vom 12.7.1994 (im Folgenden: Urteil unter b), rechtskräftig seit 30.7.1994, zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten und durch Urteil des Appellationsgerichts in E. vom 20.1.2006 (im Folgenden: Urteil unter c), rechtskräftig seit 21.12.2006, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Gerichts in D. vom 9.3.2004 zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt wurde, wovon noch insgesamt eine Strafe von 6 Jahren, 5 Monaten und 21 Tagen zur Verbüßung ansteht.

Die Art und rechtliche Würdigung der Straftaten einschließlich der gesetzlichen Bestimmungen sind im Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft in C. vom 8.8.2007 wie folgt dargestellt:

"Urteil unter a): Gemeinschaftlich mit F. beraubte die gesuchte Person G. der persönlichen Freiheit und nötigte ihn mit Gewalt, in einen Fiat ... einzusteigen. Das Opfer wurde zu einem entlegenen Ort geführt, wo es mit Gewalt wiederholt geschlagen und dazu genötigt wurde, ihnen LIT 200.000 zu übergeben, wobei sie sich einen rechtswidrigen Vorteil verschafften.

Tatort: H.

Tatzeit: 20.03.1997

Artikel 110, 61 Z 2, 605 und 629 StGB

Urteil unter b): Gemeinschaftlich mit ... eignete sich die gesuchte Person mit Gewalt einige Musikkassetten und eine Uhr an, die ... zum Verkauf ausstellte. Dabei handelten sie mit Gewalt und fügten dem Opfer Körperverletzungen zu, die später als in 10 Tagen heilbar bezeichnet wurden.

Tatort: I.

Tatzeit: 21.06.1994

Artikel 61 Z. 5, 110 und 628 Abs. 2 und 3 Z. 1 StGB

Urteil unter c):

1) Gemeinschaftlich mit ... war die gesuchte Person Mitglied einer kriminellen Vereinigung geworden, um sich durch den Ankauf, die Beförderung und die Veräußerung von Heroin einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen.

Tatort: H.

Tatzeit: Fortdauernd seit 1994

2) Gemeinschaftlich mit F. kaufte die gesuchte Person 2 Jagdgewehre in Kenntnis dessen, dass sie durch Diebstahl erlangt worden waren, und besaß und verbrachte sie an einen öffentlichen Ort.

Tatort: I.

Tatzeit: September 1993

Artikel 81 Abs. 2, 73, 74 Abs. 1-2-3-4 und 82 Abs. 1 des Dekrets des Präsidenten der Republik Nr. 309/90 sowie Artikel 110 und 648 StGB, Artikel 110 StGB 10-12-14 des Gesetzes Nr. 497/74."

Auch die sachlichen Voraussetzungen, von denen die Verhängung der Auslieferungshaft abhängt, sind insoweit gegeben. Die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung nach Italien erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG). Die ihm zur Last gelegten Verfehlungen stellen sich nach deutschem Strafrecht unbeschadet des Erfordernisses der Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit nach § 81 Nr. 4 IRG als Verbrechen und Vergehen der räuberischen Erpressung und der Körperverletzung nach §§ 253, 255, 223 StGB (Urteil unter a), als Verbrechen und Vergehen des Raubes und der Körperverletzung nach §§ 249, 223 StGB (Urteil unter b) und als Vergehen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz nach § 29 BtMG (Urteil unter c) und damit als rechtswidrige und auslieferungsfähige Taten dar. Auslieferungshindernisse stehen dem Erlass eines Auslieferungshaftbefehls und der Anordnung der Haftfortdauer derzeit nicht entgegen. Es besteht auch weiterhin die erhebliche, anderweitig nicht abwendbare Gefahr, dass der Verfolgte versuchen würde, sich dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung zu entziehen.

2. Soweit der Rechtsbeistand des Verfolgten in seinem Schriftsatz vom 28.9.2007 Einwendungen gegen das vom Verfolgten am 11.9.2007 vor dem Amtsgericht B. erteilte Einverständnis mit der Durchführung der vereinfachten Auslieferung erhebt, sind diese im Ergebnis berechtigt.

a. Der Senat hält insoweit an seiner Rechtsprechung fest, dass die Entscheidung über eine wirksame Einverständniserklärung des Verfolgten nach § 41 Abs. 1 IRG und über die daraus resultierende Entbehrlichkeit einer gerichtlichen Zulässigkeitsentscheidung dem in der Sache zuständigen Oberlandesgericht jedenfalls dann obliegt, wenn der Verfolgte die Wirksamkeit seiner Zustimmung in Abrede stellt (Senat Die Justiz 1997, 533 f; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, IRG, 4. Aufl. 2006, § 41 Rn. 23). Einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung bedarf es nämlich nur dann nicht, wenn sich der Verfolgte nach Belehrung zu richterlichem Protokoll mit der Durchführung der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt (§ 41 Abs.1 IRG). Auch darf die Auslieferung, außer im Fall des § 41 IRG, nur bewilligt werden, wenn das Gericht die Auslieferung für zulässig erklärt hat. Ist das Oberlandesgericht in Falle eines fehlenden oder unwirksamen Einverständnisses aber zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung in der Sache berufen, so ist es auch befugt, auf die Notwendigkeit der Herbeiführung einer solchen Entscheidung hinzuweisen (Senat aaO).

b. Entgegen der Ansicht des Rechtsbeistandes im Schriftsatz vom 28.9.2007 steht die Wirksamkeit der Einverständniserklärung des Verfolgten mit der vereinfachten Auslieferung nicht deshalb in Frage, weil das Amtsgericht die formalen Voraussetzungen hierfür nicht eingehalten hätte. Die Anhörung ist unter Hinzuziehung einer Dolmetscherin durchgeführt worden, welche zu Beginn gemäß § 189 GVG vereidigt wurde. Anhaltspunkte, dass diese zur Übersetzung der Erklärungen des Verfolgten fachlich nicht in der Lage gewesen sein sollte, liegen nicht vor und werden vom Rechtsbeistand auch nicht vorgetragen. Allein der Umstand, dass es sich bei der vom Amtsgericht ausgesuchten Dolmetscherin um eine Auszubildende zur Justizfachangestellten handelt, steht ihrer Auswahl nicht entgegen und gibt keine Hinweise, dass ihr eine ausreichende Verständigung mit dem Verfolgten nicht möglich gewesen wäre (vgl. Karlsruher Kommentar zur StPO - Diemer 5. Aufl, § 185 GVG Rn. 7 a.E.). Auch ein Missverständnis oder ein Übersetzungsfehler erscheint ausgeschlossen. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass der Verfolgte ausweislich des gefertigten Protokolls vom 11.9.2007 (dort Seite 3) nicht nur sein Einverständnis mit der vereinfachten Auslieferung erklärte, sondern ergänzend betonte, dass er den italienischen Behörden insoweit auch vertraue, weil er zehn Jahre mit diesen zusammengearbeitet habe und für ihn besonders wichtig sei, dass er in ein speziell gesichertes Gefängnis komme.

Auch die weiteren formalen Anforderungen des § 41 IRG sind erfüllt, insbesondere wurde der Verfolgte darauf hingewiesen, dass er sich in jeder Lage des Verfahrens eines Beistandes bedienen kann, dass im Falle einer Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung eine Entscheidung des Oberlandesgericht über die Zulässigkeit der Auslieferung entbehrlich und seine Erklärung nicht widerruflich ist. Auch der Rechtsbeistand des Verfolgten ist - ohne in diesem allerdings zu erscheinen - vom Anhörungstermin in Kenntnis gesetzt worden. Schließlich bestehen auch keine zureichenden Anhaltspunkte, dass der Verfolgte zum Zeitpunkt der Anhörung verhandlungsunfähig gewesen sein und die Tragweite seiner Erklärung nicht verstanden haben könnte.

c. Gleichwohl hätte die von der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe am 13.9.2007 erfolgte Bewilligung der Auslieferung des Verfolgten nach Italien zur Strafvollstreckung nicht ergehen dürfen, weil die Erklärung des Verfolgten an einem grundlegenden Mangel leidet und deshalb keine Rechtswirkungen erzeugen konnte. Wegen der erheblichen Bedeutung einer solchen Zustimmung sind an deren Wirksamkeit strenge Anforderungen zu stellen, insbesondere ist erforderlich, dass sich der Verfolgte der Trag- und Reichweite seiner Erklärung bewusst war (Senat NStZ 1999, 252; OLG Stuttgart StV 2003, 95 f). Hieran fehlt es vorliegend, denn der Verfahrensgegenstand hat sich nach der vom Verfolgten erklärten Zustimmung wesentlich geändert.

Zwar ergab sich aus der von den italienischen Justizbehörden veranlassten Ausschreibung des Verfolgten im Schengener Informationssystem (SIS), dass gegen den Verfolgten ein Europäischer Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft in C. vom 8.8.2007 besteht. Grundlage desselben sollte aber lediglich ein Urteil des Berufungsgerichts in E. vom 20.01.2006 sein, durch welches der Verfolgte wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Hehlerei von Waffen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt worden war. Hingegen ergibt sich aus dem dem Senat zwischenzeitlich vorliegenden Europäischen Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft in C. vom 8.8.2007, dass Grundlage des Auslieferungsersuchens - wie oben näher dargelegt - auch weitere Verurteilungen des Verfolgten durch das Appellationsgericht in C. vom 3.11.2006 unter teilweiser Abänderung des Urteils des Gerichts in D. vom 16.11.2000 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und durch den Untersuchungsrichter beim Gericht in D. vom 12.7.1994 zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten sind und insgesamt noch eine Strafe von 6 Jahren, 5 Monaten und 21 Tagen zur Verbüßung ansteht.

Insoweit liegt aber eine wesentlich Erweiterung des Gegenstandes des Auslieferungsverfahrens vor, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Einverständniserklärung des Verfolgten vor dem Amtsgericht B. am 11.9.2007 auch auf diese weiteren abgeurteilten Straftaten erstreckt. Dass diese auch Gegenstand des Europäischen Haftbefehls der Generalstaatsanwaltschaft in C. vom 8.8.2007 waren, war dem Verfolgten nicht bekannt, da der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 31.8.2007 lediglich aufgrund der unvollständigen Ausschreibung der italienischen Justizbehörden im Schengener Informationssystem (SIS) erging und sich deshalb die Einverständniserklärung des Verfolgten mit der vereinfachten Auslieferung nur auf die Verurteilung durch das Berufungsgericht in E. vom 20.1.2006 beziehen konnte.

d. Eine andere Beurteilung ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass der Verfolgte am 11.9.2007 vor dem Amtsgericht B. auch auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität ausdrücklich verzichtet hatte, denn er war lediglich darüber belehrt worden, dass aufgrund seines Einverständnisses eine Verfolgung oder Vollstreckung durch den ersuchenden Staat auch wegen solcher Taten zulässig ist, auf welche sich das Auslieferungsverfahren nicht erstreckt. Hiervon zu unterscheiden ist aber die gegenständliche Problematik, dass sich der Verfahrensgegenstand selbst - hier durch Aufnahme weiterer Tatvorwürfe - wesentlich ändert.

Der Senat vermag nicht davon auszugehen, dass der Verfolgte seine Zustimmung auch bei vollständiger Kenntnis des Umfangs des Auslieferungsersuchens erteilt hätte, denn dieser muss - anders als bei einer eher allgemein gehaltenen Verzichtserklärung - nunmehr mit einer konkreten zusätzlichen Strafvollstreckung aufgrund weiterer Verurteilungen rechnen. Dass die Zustimmung des Verfolgten auch diesen Fall erfassen sollte, ist seiner Einverständniserklärung nicht zu entnehmen, weshalb diese insgesamt als rechtsunwirksam angesehen werden muss. Insoweit erfasst der Mangel auch die im vorläufigen Auslieferungshaftbefehl des Senates vom 31.8.2007 aufgeführte Verurteilung durch das Berufungsgericht in E. vom 20.1.2006, weil zugunsten des Verfolgten davon auszugehen ist, dass er eine entsprechende Erklärung bei Kenntnis des wahren Umfangs des Auslieferungsersuchens nicht abgegeben und in diesem Fall auf eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Auslieferung bestanden hätte.

3. Der Senat geht davon aus, dass die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe die am 13.9.2007 erfolgte Bewilligung der Auslieferung nunmehr zurücknimmt und von der der für den 11.10.2007 vorgesehenen Überstellung des Verfolgten nach Italien absieht.

Ende der Entscheidung

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