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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 02.12.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 123/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 263 Abs. 3 Nr. 1 | |
StPO § 318 | |
StPO § 297 | |
StPO § 302 |
2. Bestehen für das Berufungsgericht - hier auf Grund eines Schreibens des Mitangeklagten - Anhaltspunkte dafür, dass eine vom Verteidiger erklärte Beschränkung der Berufung nicht vom Willen des Angeklagten getragen und von der Ermächtigung nach § 297 StPO, auch ein nur beschränktes Rechtsmittel einzulegen, gedeckt ist, darf die Beschränkung bis zu einer Klärung zum gewollten Umfang der Anfechtung durch Rücksprache beim Angeklagten und/oder seinem Verteidiger nicht beachtet werden.
3. Der Weg zu einer Neubeurteilung des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit (hier: § 263 Abs.3 Ziffer 1 StGB) durch das Berufungsgericht eröffnet sich nur über eine Berufung, die nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist (im Anschluss an BayObLGSt 2002, 152).
1 Ss 123/03 8 Ns 14 Js 39871/99
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Beschluss vom 2. Dezember 2003
wegen Betrugs u.a.
Tenor:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts K. vom 16.05.2003 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts K. zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 17.03.2003 wurde der Angeklagte M. H. wegen Betrugs im besonders schweren Fall in 86 Fällen, davon in 58 Fällen gemeinschaftlich handelnd und in drei Fällen in Tateinheit mit Missbrauch von Titeln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte H. B. wurde wegen gemeinschaftlichen Betrugs im besonders schweren Fall in 58 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Nach Auffassung des Amtsgerichts ergab sich bei beiden Angeklagten die besondere Schwere der Betrugstaten aus der gewerbsmäßigen Begehungsweise (§ 263 Abs. 3 Ziff. 1 StGB). Auf die Berufung der Angeklagten änderte das Landgericht K. durch Urteil vom 16.05.2003 das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend ab, dass es den Angeklagten H. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten B. zu einer solchen von zwei Jahren und drei Monaten verurteilte. Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt.
II.
Die von den Angeklagten erhobene Sachrüge führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils, weil es die Kammer versäumt hat, eigene Feststellungen zum Schuldspruch und hier insbesondere zur Frage der gewerbsmäßigen Begehungsweise zu treffen. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft war insoweit eine Teilrechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils durch eine Beschränkung der Berufungen der Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch nicht eingetreten. Die Berufung des Angeklagten H. war erkennbar nicht auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Berufung des Angeklagten B. hätte als unbeschränkt behandelt werden müssen, da die von seinem Verteidiger erklärte Beschränkung unwirksam war.
III.
Nach Verkündung des amtsgerichtlichen Urteils am 17.03.2003 legte für den Angeklagten H. dessen Pflichtverteidiger durch Schreiben vom 18.03.2003, eingegangen beim Amtsgericht am 20.03.2003, Berufung ein, die er durch Schreiben vom 20.03.2003, eingegangen beim Amtsgericht am 24.03.2003, auf das Strafmaß beschränkte. Für den Angeklagten B. legte dessen Pflichtverteidiger durch Schreiben vom 18.03.2003, eingegangen beim Amtsgericht am 21.03.2003, Berufung ein, die er zugleich auf das Strafmaß beschränkte. Nähere Ausführungen zum Ziel der Berufungen enthielten die Schriftsätze der Verteidiger nicht.
§ 297 StPO konstituiert für gewählte oder vom Gericht bestellte Verteidiger eine begrenzte Befugnis, im eigenen Namen für den Angeklagten Rechtsmittel einzulegen (BGHSt 12, 370; LR-Hanack, StPO, § 297 Rn 1). Die Vorschrift begründet zugleich - solange keine gegenteilige Erklärung des Angeklagten vorliegt - eine entsprechende Vermutung für diese Befugnis, von welcher der Verteidiger auch dergestalt Gebrauch machen kann, dass er die Berufung - von vornherein oder durch nachträgliche Konkretisierung einer zunächst unbeschränkt eingelegten Berufung - auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Da eine Beschränkung der Berufung - sofern Gegenteiliges nicht ersichtlich ist - jedenfalls innerhalb der Berufungseinlegungsfrist weder als Teilverzicht noch als Teilrücknahme angesehen werden kann, bedarf es hierfür einer besonderen Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht (BGHSt 38, 4, 5; 366 f.; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 302 Rn 29 ff.; einschränkend OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, 247, für den Fall, dass die Beschränkung des Rechtsmittels vom Verteidiger erst nach Ablauf der Frist zur Begründung der Berufung erklärt wird). Das Berufungsgericht darf bei Beschränkung der Berufung durch Erklärung des Verteidigers grundsätzlich davon ausgehen, dass diese im Bewusstsein ihrer Tragweite in Bezug auf die eintretende Teilrechtskraft abgegeben wurde und vom Willen des Angeklagten gedeckt ist.
Bei der Berufung des Angeklagten H. hat das Berufungsgericht jedoch nicht beachtet, dass der Angeklagte persönlich durch Schreiben vom 18.03.2003, eingegangen beim Amtsgericht am 20.03.2003, zum Ausdruck gebracht hat, dass es der Absprache beider Angeklagter mit ihren Verteidigern entsprach, die Frage der gewerbsmäßigen Begehungsweise einer neuen Beurteilung durch das Berufungsgericht zuzuführen. Der Weg zu einer Neubeurteilung des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit eröffnet sich indes nur über eine unbeschränkte Berufung, da im Falle der Beschränkung die Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts zur gewerbsmäßigen Begehung in Rechtskraft erwachsen (BGHSt 29, 359, 368; OLG Celle, B. v. 14.09.2000, 32 Ss 103/000; BayObLGSt 2002, 152). Die auf den ersten Blick eindeutige Erklärung des Verteidigers des Angeklagten H. zur Beschränkung des Rechtsmittels vom 20.03.2003 musste daher unbeachtlich bleiben, soweit sie dem zum Ausdruck gekommenen Willen des Angeklagten H. widersprach. Dieser wollte sich mit seinem Rechtsmittel erkennbar gegen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts wenden, welche auch den Schuldspruch betreffen. Gehen innerhalb der Frist zur Einlegung der Berufung zu deren Umfang divergierende Erklärungen ein, gebührt derjenigen des Angeklagten grundsätzlich der Vorrang (OLG Düsseldorf, MDR 1983, 512; LR-Hanack, StPO, § 297 Rn 8). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch, wenn sich die Divergenz erst aus der zeitlich später eingehenden Erklärung des Verteidigers ergibt, da die Vermutung des § 297 StPO dann nicht mehr greift (vgl. OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2000, 148). Die Erklärung des Verteidigers durfte daher nicht isoliert, sondern nur im Zusammenhang mit der vom Angeklagten abgegebenen Erklärung gewürdigt werden.
Anders als beim Angeklagten H. ging vom Angeklagten B. innerhalb der Frist zur Einlegung der Berufung keine Erklärung ein, welche zu der seines Verteidigers in Widerspruch stand. Auf Grund des Schreibens des Angeklagten Heise vom 18.03.2003 bestand jedoch für das Berufungsgericht Anlass zur Annahme, dass die Verteidigererklärung vom 18.03.2003 in Unkenntnis der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Eintritt "horizontaler Teilrechtskraft" bei sog. doppelrelevanten Tatsachen (oder jedenfalls in Verfolgung eines anderen Rechtsstandpunktes) abgegeben wurde, vom Willen des Angeklagten Beck nicht getragen und daher von der allgemeinen Ermächtigung nach § 297 StPO nicht gedeckt war (OLG Koblenz, VRS 68, 51, 52; OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 289; KK-Ruß, § 297 Rn 2). Das Berufungsgericht hätte das Schreiben des Angeklagten H. zum Anlass nehmen müssen, eine eindeutige Erklärung zum Umfang der Urteilsanfechtung herbeizuführen (LR-Hanack, § 297 Rn 8, SK-Frisch, § 297 Rn 13; Meyer-Goßner, § 297 Rn 4), auch wenn sich die Anhaltspunkte für eine bestehende Unklarheit aus der Erklärung eines "Dritten" ergaben. Die ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls getroffene Feststellung, dass die Berufungen auf das Strafmaß beschränkt seien, war im Hinblick auf den offensichtlich bestehenden Irrtum hinsichtlich der Tragweite einer solchen Beschränkung nicht geeignet, die bestehende Unklarheit zu beseitigen, weshalb es auch unschädlich ist, dass die Angeklagten und ihre Verteidiger dieser Feststellung nicht widersprochen haben.
Die gebotene Nachfrage beim Angeklagten B. und seinem Verteidiger unter Hinweis auf die Rechtslage hätte - was dem Revisionsvorbringen entnommen werden kann - ergeben, dass die Erklärung des Verteidigers zur Beschränkung der Berufung mit den genannten Folgen nicht vom Willen des Angeklagten B. getragen und von der allgemeinen Ermächtigung, auch ein beschränktes Rechtsmittel einzulegen, gedeckt war, was die Unwirksamkeit der Beschränkung zur Folge hat. Ob im Revisionsverfahren eine behauptete Beschränkung der Befugnis des Verteidigers gemäß § 297 StPO auch dann beachtlich ist, wenn sich dem Berufungsgericht eine entsprechende Annahme nicht aufdrängen musste, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
IV.
Für die neue Berufungshauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin:
1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt gewerbsmäßige Begehensweise voraus, dass die Taten - hier die Betrügereien - von der Absicht getragen sind, sich durch eine auf Fortsetzung gerichtete Tätigkeit eine auf gewisse Dauer berechnete Einnahmequelle von einigem Umfang zu schaffen (Schönke-Schröder-Stree, StGB, 26. Aufl., Vorbem. § 52 Rn 95 mit zahlr. Nachweisen). Dabei muss das Gesamtbild der zu beurteilenden Tätigkeit den allgemeinen Vorstellungen eines Gewerbes entsprechen und hinsichtlich des Gewinnstrebens eine gewisse Intensität aufweisen, die in der Höhe des erstrebten Gewinns oder der Nachhaltigkeit des Tätigwerdens zum Ausdruck kommen kann (BGHSt 29, 189). Auch beim gewerbsmäßigen Betrug kann sich die rechtswidrige Bereicherungsabsicht grundsätzlich auf geldwerte Leistungen beziehen, wenn es dem Täter darauf ankommt, sich durch Ersparung entsprechender eigener Aufwendungen eine Einnahmequelle zu verschaffen. Stets Voraussetzung hierfür ist eine Absicht im Sinne zielgerichteten Wollens (Schönke-Schröder-Stree a.a.O.), die dann näherer Begründung bedarf, wenn auch andere prägende Motive für die betrügerischen Handlungen in Betracht kommen. Da sich die Angeklagten nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils ab Mitte Juli 1999 bis zu ihrer Festnahme am 27. September 2002 auf der Flucht befanden (UAS 8, 11) und in ständiger Angst vor Entdeckung lebten (UAS 25 f, 27), wird die Strafkammer näher prüfen müssen, von welchem bestimmenden Motiv das betrügerische Einmieten in die verschiedenen Hotels getragen war.
2. Hinsichtlich der vom Amtsgericht unter IV. 15. - 28. (UAS 9 ff.) festgestellten Betrügereien des Angeklagten H. fehlen im erstinstanzlichen Urteil erforderliche Feststellungen dazu, wie der Angeklagte in den Besitz der Scheckformulare gelangt ist (recht- oder unrechtmäßig), und ob die Schecks - möglicherweise auf Grund einer nach außen fortbestehenden Kontovollmacht des Angeklagten - zur Einlösung gelangten oder den Einreichern - dem Vorsatz des Angeklagten entsprechend - rückbelastet wurden.
3. Bei Feststellung einer gewerbsmäßigen Begehungsweise begegnet die strafschärfende Berücksichtigung des Umstandes, dass die Angeklagten über einen erheblichen Zeitraum eine Vielzahl von Straftaten begangen haben (vgl AS 6 und 7 des angefochtenen Urteils), innerhalb des erhöhten Strafrahmens des § 263 Abs. 3 StPO im Hinblick auf § 46 Abs. 3 StGB Bedenken (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 46 Rn 82).
Ende der Entscheidung
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