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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 29.06.2005
Aktenzeichen: 1 U 247/04
Rechtsgebiete: BGB, StVG
Vorschriften:
BGB § 276 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
StVG § 7 | |
StVG § 18 |
Oberlandesgericht Karlsruhe 1. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 1 U 247/04
Verkündet am 29. Juni 2005
In dem Rechtsstreit
wegen Schadensersatz
hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe im schriftlichen Verfahren nach dem Sach- und Streitstand vom 08. Juni 2005 unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Kürschner Richter am Oberlandesgericht Kämmerling Richter am Landgericht Schäfer
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 18. November 2004 - 1 O 36/04 - im Kostenpunkt aufgehoben, im übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger, Eigentümer des Anwesens ..., verlangt Schadensersatz wegen der Beschädigung einer an seinem Haus angebrachten Markise. Der Beklagte zu 1 stellte am Abend des 1.9.2003 ein - von der Zweitbeklagten angemietetes - Wohnmobil auf einem Privatparkplatz vor dem Haus des Klägers ab. Er hatte zuvor den Pächter der Erdgeschossräume, den Zeugen S., der dort eine Kunstgalerie betreibt, telefonisch um Erlaubnis gefragt und diese erhalten. Am nächsten Morgen fuhr die über dem Schaufenster der Galerieräume montierte Markise aufgrund der Sonneneinstrahlung automatisch aus und traf auf den Alkoven des geparkten Wohnmobils. Während dieses keine Schäden erlitt, wurde die Markise erheblich beschädigt. Im ersten Rechtszug wurde die Klage gegen den erstbeklagten Fahrer, die zweitbeklagte Halterin und den drittbeklagten Haftpflichtversicherer des Wohnmobils gerichtet. Auf die Feststellungen des Landgerichts wird im übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs.1 S. 1 ZPO).
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 5.096,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.11.2003 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landgericht Heidelberg hat nach Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholen eines Sachverständigengutachtens der Klage gegen den Beklagten zu 1 stattgegeben. Zur Begründung führt es aus, dass der Beklagte zu 1 für die Beschädigung der Markise verantwortlich sei. Er habe das Wohnmobil so nah am Haus geparkt, dass die Markise bei Sonneneinstrahlung nicht mehr habe ausfahren können, wodurch sie beschädigt worden sei. Der Beklagte zu 1 habe fahrlässig gehandelt, da ihm hätte bekannt sein müssen, dass die Markise bei Sonneneinstrahlung automatisch ausfahre. Der Kläger müsse sich die vom Zeugen Prof. Schwarzkopf erteilte Erlaubnis nicht zurechnen lassen. Ansprüche gegen die Beklagten zu 2 und 3 seien nicht gegeben, da die Beschädigung nicht beim Betrieb eines Fahrzeugs erfolgt sei.
Hiergegen wendet sich der Beklagte zu 1 mit seiner Berufung. Er ist der Ansicht, ihm sei kein Schuldvorwurf zu machen. Er habe nicht gewusst und nicht wissen können, dass die Markise automatisch ausfahre, da ein entsprechendes Hinweisschild am Parkplatz nicht vorhanden gewesen sei. Der Kläger müsse sich jedenfalls ein Mitverschulden seines Pächters S. zurechnen lassen. Im übrige bestreite er die Höhe des geltend gemachten Schadens.
Der Beklagte zu 1 beantragt,
in Abänderung des Urteils des Landgerichts Heidelberg vom 18.11.2004 (1 O 36/04) die Klage gegen den Beklagten Ziffer 1 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 18.11.2004 (1 O 36/04) zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Es habe kein Grund bestanden, auf das automatische Ausfahren der Markise aufmerksam zu machen, da es sich bei der vom Beklagten zu 1 zum Abstellen benutzten Fläche um keinen ausgewiesenen Privatparkplatz gehandelt habe. Dem Beklagten zu 1 hätte als Mitmieter im klägerischen Anwesen bekannt sein müssen, dass die Markise automatisch ausfuhr. Der Beklagte hätte sein Wohnmobil so abstellen müssen, dass ein Kontakt mit einer ausfahrenden Markise unmöglich gewesen wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 1 keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 823 Abs. 1 BGB. Den Beklagten zu 1 trifft kein Verschulden an der Beschädigung der Markise.
a) Nach § 276 BGB hat derjenige für einen verursachten Schaden einzustehen, der entweder vorsätzlich oder fahrlässig handelte. Ein vorsätzliches Verhalten des Beklagten zu 1 scheidet von vorneherein aus.
Dem Beklagten zu 1 ist aber auch kein Fahrlässigkeitsvorwurf zu machen. Fahrlässig handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Dabei gilt im Zivilrecht kein individueller, sondern ein auf die allgemeinen Verkehrsbedürfnisse ausgerichteter objektiver Sorgfaltsmaßstab (vgl. BGH NJW 2000, 2812). Maßstab für das Verschulden ist, welche Sorgfalt von einem Handelnden in der Lage des Beklagten zu 1 erwartet werden konnte. Welches Verhalten im Konkreten verlangt werden kann, bestimmt sich nach dem Maß von Umsicht und Sorgfalt, das nach dem Urteil besonnener und gewissenhafter Angehöriger des in Betracht kommenden Verkehrskreises, hier also eines ein Wohnmobil auf einem Privatparkplatz abstellenden Fahrers, zu fordern ist (vgl. BGH NJW 1972, 151).
b) Der Beklagte zu 1 hat vor dem Abstellen seines Wohnmobils den nutzungsberechtigten Zeugen S., um Erlaubnis gefragt. Dieser Zeuge, der einen Teil der Kosten der Markise bei deren Erstmontage im Jahr 2002 getragen hatte, hat dem Beklagten zu 1 das Parken ausdrücklich gestattet. Er hat keinen Hinweis auf die ihm bekannte wetterbedingte Ausfahrautomatik der Markise eine daraus folgende Kollisionsgefahr erteilt.
Am Haus befand sich auch kein Warnhinweis auf die sich selbst bewegende Markise. Ohne eine solche Warnung braucht im Allgemeinen niemand damit zu rechnen, dass der Ausfahrvorgang automatisch erfolgt und deshalb bei dem Parken vor dem Haus ein größerer Abstand zu wahren ist.
Automatisch sich nach der Wetterlage regulierende Sonnenschutzeinrichtungen sind nicht so weit verbreitet, dass von jedermann verlangt werden könnte, mit deren Vorhandensein zu rechnen.
c) Entgegen der Ansicht des Klägers musste der Beklagte zu 1 auch nicht aufgrund seiner Mieterstellung im klägerischen Haus wissen, dass die Markise automatisch ein- und ausfuhr. Ihn trifft keine Beobachtungspflicht hinsichtlich der vom Zeugen S. betriebenen Galerie. Er musste daher auch nicht bemerken, auf welche Weise die Markise bewegt wurde. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es für einen Außenstehenden, wie den Beklagten zu 1, nicht erkennbar ist, ob die Markise beim Ausfahren sich selbst bewegt oder ob möglicherweise jemand im Innern diesen Vorgang mittels eines Schalters steuert.
2. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zu 1 besteht auch nicht nach § 18 StVG. Eine Einstandspflicht scheitert - ungeachtet der Verschuldensfrage - schon daran, dass der Schaden, wie das Landgericht Heidelberg mit zutreffender Begründung der - inzwischen rechtskräftigen - Abweisung der gegen die zweitbeklagte Halterin und den drittbeklagten Pflichtversicherer gerichteten Ansprüche aus § 7 StVG, § 3 PflVG ausgeführt hat, nicht beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs eingetreten ist. Allerdings ist das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfasst daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe. Es genügt, dass sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (vgl. BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86 und BGH VersR 2005, 566, 567). Ob dies der Fall ist, muss mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden. An diesem erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (BGH Urt. v. 26.04.2005 - VI ZR 168/04 m.w.N.).
Ansprüche nach dem Straßenverkehrsgesetz sind nur dann gegeben, wenn sich bei dem Schaden die spezifischen Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs ausgewirkt haben (vgl. dazu Wussow/Baur, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl. Kap 17 TZ 6 m.w.N.; vgl. auch BGH Urt. v. 26.04.2005 - VI ZR 168/04 - m.w.N.). Zwar kann ein sich im Verkehrsraum befindendes Kraftfahrzeug (oder ein Anhänger) noch dem Schutzbereich des § 7 StVG unterfallen. So gelten beispielsweise ordnungswidrig im Verkehrsraum abgestellte Fahrzeuge (z.B. unerlaubt in der zweiten Reihe oder auf der falschen Seite haltend oder in eine Fahrbahn hinein ragend) als "im Betrieb" (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. § 7 StVG Rdnr 5 m.w.N.; OLG Karlsruhe NZV 1990, 189). Mit dem verkehrsmäßig ordnungsgemäßen Abstellen eines Kraftfahrzeugs auf einem Privatgrundstück endet jedoch der Betrieb (vgl. Geigel/Kunschert, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., Rn. 56 m.w.N.). Der Erstbeklagte hat das Wohnmobil am späten Abend des 1. September 2003 von der öffentlichen Straße entfernt und vollständig auf dem Privatgrundstück des Klägers abgestellt. Als in den Morgenstunden des 2 September die Markise ausfuhr, parkte das Fahrzeug dort noch immer bei abgestelltem Motor.
Aufgrund der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere der überzeugenden schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen (für das Rollladen- und Jalousiebauerhandwerk) W. , steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Schaden ausschließlich dadurch herbeigeführt wurde, dass die wetterabhängig automatisch gesteuerte Markise ausgefahren und auf den Alkoven des ruhenden Wohnmobils aufgetroffen ist. Durch das spätere Entfernen des Wohnmobils - und damit dessen neuerlichen Betrieb - ist kein (weiterer) Schaden verursacht worden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging gem. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
5. Gründe, die Revision zuzulassen, lagen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Ende der Entscheidung
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