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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 11.04.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 506/04
Rechtsgebiete: StVollzG, VwVfG


Vorschriften:

StVollzG § 14 Abs. 2
StVollzG § 41 Abs. 1 Satz 1
StVollzG § 50 Abs. 1 Satz 1
StVollzG § 88 Abs. 2 Nr. 3
StVollzG § 102
StVollzG § 103 Abs. 1 Nr. 7
StVollzG § 116
VwVfG § 49 Abs. 2 Nr. 3
1. Sollen einem Strafgefangenen Haftkosten wegen schuldhafter Nichterfüllung seiner Arbeitspflicht in Rechnung gestellt werden, so hat die Anstalt in diesem oder in einem gesonderten Bescheid die tragenden Gründe hierfür darzulegen.

2. a. Wird ein Strafgefangener aufgrund der Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen zeitweise von der Arbeit abgelöst, so kann bei einem Arbeitswilligen nicht ohne weiteres von einer schuldhaften Nichterfüllung seiner Arbeitspflicht ausgegangen werden.

b. Dies ist nur anzunehmen, wenn der faktische Ausschluss des Gefangenen von der ihm zugeteilten Arbeit sich als am Sicherungszweck gemessen notwendige und für den Gefangenen ohne weiteres vorhersehbare Folge der Sicherungsmaßnahme darstellt.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 1. Strafsenat

1 Ws 506/04

Strafvollzugssache des

Rechtsbeschwerde nach § 116 StVollzG

hier: Haftkostenbeitrag

Beschluss vom 11. April 2005

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts -Strafvollstreckungskammer - U. vom 29. Oktober 2004 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts U. zurückverwiesen

Der Gegenstandswert wird auf 500 € festgesetzt (§§ 52, 60 GKG).

Gründe:

I.

Nach den - im gerichtlichen Verfahren nicht in Frage gestellten - Feststellungen des angefochtenen Beschlusses hat der Beschwerdeführer, der bereits mehrfach wegen Gewalttätigkeiten im Strafvollzug aufgefallen ist, am 23.7.2004 während des allgemeinen Hofgangs dem Mitgefangenen Z. nach einer vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung ohne rechtfertigenden Grund einen Schneidezahn ausgeschlagen. Nachdem der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Anhörung zu dem Vorfall weitere Drohungen gegen den Verletzten ausgesprochen hatte, ordnete die Vollzugsbehörde an, dass sein Haftraum (bis auf weiteres) nur zur Essensausgabe geöffnet werde und er nicht am allgemeinen Hofgang, sondern am sog. "roten Hof" teilnehmen sollte. Diese Entscheidung, die die Strafvollstreckungskammer nicht beigezogen hat, wurde dem Beschwerdeführer am 23.7.2004 mündlich eröffnet.

Da der Beschwerdeführer infolge der angeordneten Absonderung seinen Arbeitplatz nicht aufsuchen konnte, setzte die Vollzugsbehörde gegen ihn mit Rechnung vom 10.8.2004 für die Zeit vom 26. bis 31.7.2004 einen Haftkostenbeitrag in Höhe von 71,46 € fest. Gegen diese Rechnung wandte sich der Beschwerdeführer mit dem am 24.8.2004 bei der Strafvollstreckungskammer eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung.

Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag mit Beschluss vom 29. Oktober 2004 als unbegründet verworfen. Dagegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Gefangenen. Das Rechtsmittel, das zur Fortbildung des Rechts zuzulassen ist, hat Erfolg.

II.

Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ist der Gefangene verpflichtet, die ihm zugewiesene Arbeit - unter hier nicht näher interessierenden Voraussetzungen - auszuüben. Nach dem durch Gesetz vom 10.12.2001 (BGBl. I 3422) neu gefassten und am 11.12.2001 in Kraft getretenen § 50 Abs. 1 Satz 1 StVollzG erhebt die Vollzugsbehörde von jedem Gefangenen grundsätzlich ein Haftkostenbeitrag. Nach Satz 2 der Vorschrift unterbleibt die Erhebung bei einem Gefangenen, der ohne sein Verschulden nicht arbeiten kann. Mit anderen Worten: Ein Haftkostenbeitrag wird nur von dem Gefangenen erhoben, der schuldhaft nicht arbeiten kann. Ob diese Voraussetzung von der Vollzugsbehörde rechtsfehlerfrei bejaht wurde, ist somit allein Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

III.

Die Rechnung der Vollzugsbehörde vom 10.8.2004, gegen welche sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung richtete, enthält unter der formularmäßig vorgegebenen und handschriftlich angekreuzten Überschrift "Verschuldete Nichtarbeit" die ebenso gekennzeichnete Eintragung "verschuldet von der Arbeit abgelöst". Tatsächliche Feststellungen und rechtliche Erwägungen dazu, weshalb der Beschwerdeführer während des in der Rechnung aufgeführten Zeitraums verschuldet nicht arbeitete, enthält die Entscheidung nicht. Es spricht auch nichts dafür, dass der die Rechnung erstellende Kostenbeamte selbst tatsächliche Feststellungen getroffen und Erwägungen zu dieser Frage angestellt hat. Vielmehr ist anzunehmen, dass er sich bei Rechnungsstellung auf eine zuvor ergangene andere Entscheidung der Vollzugsbehörde hierzu bezog und diese ungeprüft übernahm. Um welche Entscheidung es sich dabei handelte, hat die Strafvollstreckungskammer allerdings nicht festgestellt. Nach Auffassung des Senats handelt es sich dabei um die Ausgangsentscheidung vom 23.7.2004, auf die im Vermerk der Vollzugsbehörde vom 27.7.2004 ("mit gesonderter Verfügung) und in der Stellungnahme der Vollzugsbehörde vom 7.9.2004 ("mit gesonderter Verfügung") zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Beschwerdeführers hingewiesen wurde. Diese zu erheben und mitzuteilen wäre aber notwendig gewesen, um verlässlich beurteilen zu können, weshalb die Vollzugsbehörde davon ausging, der Beschwerdeführer habe im genannten Zeitraum "verschuldet" nicht arbeiten können.

Da somit die Grundentscheidung, auf die sich die Prüfung der Strafvollstreckungskammer zu beziehen hatte, nicht vorliegt, kann der Senat seinerseits nicht beurteilen, ob die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Die Stellungnahme der Vollzugsbehörde vom 7.9.2004 reicht als alleinige Beurteilungsgrundlage nicht aus, da sie allenfalls eine ergänzende Begründung der Ausgangsentscheidung darstellen kann.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurück zu verweisen.

IV.

Für die neue Entscheidung sind folgende Hinweise veranlasst:

1. Dass ein Gefangener nicht arbeiten kann, kann auf unterschiedlichen vollzugsbehördlichen Maßnahmen beruhen. Sofern die Maßnahme der Vollzugsbehörde unmittelbar darauf gerichtet ist, den Gefangenen von der Arbeit abzulösen, kommt die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme nach den §§ 102, 103 Abs. 1 Nr. 7 StVollzG oder der Widerruf der Zuteilung zur Arbeit in entsprechender Anwendung der §§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 14 Abs. 2 StVollzG in Betracht. Eine Disziplinarmaßnahme wird in der Regel nur ergehen, wenn das zu disziplinierende Verhalten in einem Zusammenhang mit der Arbeit des Gefangenen steht (§ 103 Abs. 4 StVollzG). Auch kommt eine disziplinarische Ablösung nur für die Dauer von bis zu vier Wochen in Betracht. Beim Widerruf der Zuteilung zur Arbeit wird ebenso ein Zusammenhang mit dem Verhalten des Gefangenen am Arbeitsplatz oder sonst ein Bezug zur Arbeit zu fordern sein. Zudem wird diese Maßnahme in der Regel nur in Betracht kommen, wenn der Gefangene auf Dauer an dem innegehabten Arbeitsplatz nicht mehr tragbar ist.

Ist Ziel der vollzugsbehördlichen Maßnahme dagegen nicht die Ablösung von der Arbeit, sondern geht es ihr vorrangig um die Absonderung des Gefangenen von anderen Personen, um dadurch eine Gefahrsituation zu vermeiden, so wird die Vollzugsbehörde besondere Sicherungsmaßnahmen nach den § 88 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG (vgl. auch § 17 Abs. 3 Nr. 3 StVollzG) anordnen. Insoweit ist ein Bezug zur Arbeit des Gefangenen nicht zu verlangen, sondern die jeweilige Gefährlichkeit des Gefangenen wird im Vordergrund der Entscheidung stehen.

2. Diese Grundsätze bedeuten, soweit ersichtlich, für den vorliegenden Fall:

a. Da die Vollzugsbehörde in ihrem Vermerk vom 27.7.2004 ausdrücklich niedergelegt hat, dass von einer Disziplinarmaßnahme abgesehen werde, braucht auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt nicht weiter eingegangen zu werden.

b. Eine vollzugliche Maßnahme unter dem Gesichtspunkt des Widerrufs der Arbeitszuteilung anhand der zu den §§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG, 14 Abs. 2 StVollzG entwickelten Grundsätzen wird entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Meinung der Strafvollstreckungskammer kaum zu rechtfertigen sein. Abgesehen davon, dass eine solche Maßnahme aus den bisherigen Erklärungen der Vollzugsbehörde schwerlich ableitbar ist, bestehen sachlich schon deshalb erhebliche Bedenken, weil das zu Grunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers keinerlei Bezug zu seiner Arbeit oder seinem Arbeitsplatz hat. Auch sollte er - wie die spätere Weiterbeschäftigung zeigt - nicht wegen Untragbarkeit am Arbeitsplatz auf Dauer abgelöst werden. Ihn von der Arbeit insgesamt oder auf Zeit auszuschließen, weil er während des allgemeinen Hofgangs einen anderen Gefangenen in einer sich ohne Bezug zur Arbeit aufschaukelnden Gelegenheitsbegegnung körperlich verletzt hat, wäre mit dem gesetzlichen Gebot, dass Gefangene zur Arbeit verpflichtet sind und der damit einhergehenden Verpflichtung der Vollzugsbehörde, die Gefangenen zur Arbeit anzuhalten, auch nicht zu vereinbaren. Eine solche Maßnahme würde den Ermessensrahmen verfehlen. Nach Auffassung des Senats kann auch nicht angenommen werden, dass die Vollzugsbehörde dem Beschwerdeführer keine Arbeit oder die Arbeit in der Malerei nicht zugeteilt hätte, wenn zu jenem Zeitpunkt bekannt gewesen wäre, dass es während des allgemeinen Hofgangs zu einem Gelegenheitsstreit mit einem Mitgefangenen kommen werde.

c. Nach Sachlage liegt es nahe, dass die Vollzugsbehörde gegen den Beschwerdeführer eine besondere Sicherungsmaßnahme nach § 88 Abs. 2 Nr. 3 StVollzG verhängt hat. Danach kann ein Gefangener von anderen Gefangenen abgesondert werden, wenn nach seinem Verhalten in erhöhtem Maße die Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen besteht. Dass die Vollzugsbehörde diese Voraussetzungen zu Recht angenommen hat, ist naheliegend. In diesem Zusammenhang ist allerdings für die Beantwortung der Frage, ob der Gefangene deswegen schuldhaft nicht arbeiten konnte, in Betracht zu ziehen, dass dies in erster Linie darauf beruhte, dass er - obwohl arbeitswillig- wegen der einem anderen Zweck dienenden Absonderung mittelbar gehindert war, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen. In diesen Fällen der - mittelbaren und nicht bezweckten - vorübergehenden Ablösung von der Arbeit kann ein schuldhaftes Nichtarbeiten nach Auffassung des Senats nur angenommen werden, wenn der ganztägige faktische Ausschluss des Gefangenen von der ihm zugeteilten Arbeit sich als am Sicherungszweck gemessen notwendige und für den Gefangenen ohne weiteres vorhersehbare Folge der Sicherungsmaßnahme darstellt.

Insoweit bestehen nach den bisherigen Feststellungen Bedenken, ohne dass die Sache abschließend beurteilt werden kann. Es ist nämlich offen, ob ein ganztägiger Ausschluss des Beschwerdeführers von der Arbeit nicht ohne besonderen Aufwand durch eine besondere Ausgestaltung der Absonderung möglich gewesen wäre. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass es erforderlich war, den Beschwerdeführer während mehrerer Tage ganztags von der Arbeit abzulösen, nur um zu gewährleisten, dass er nicht während des täglich zweimaligen Abrückens zur Arbeit und Anrückens von der Arbeit mit dem Mitgefangenen Emmert zusammentreffen kann. Es stehen sich hierbei täglich etwa 40 Minuten Sicherungsbedarf einerseits und verlorene Arbeitszeit von fünf oder sechs Stunden gegenüber. Es hätte nach Auffassung des Senats ausgereicht, dass der Beschwerdeführer jeweils nur kurze Zeit nach dem allgemeinen Abrücken zur Arbeit und Anrücken von der Arbeit allein oder in Begleitung seinen Weg vom Haftraum zum Arbeitsplatz und zurück angetreten hätte. Soweit er dadurch einen geringfügigen Ausfall seiner bezahlten Arbeitszeit hätte hinnehmen müssen, wäre dies als unvermeidliche Folge anzusehen gewesen.

Nur durch Beachtung des Grundsatzes des milderen Mittels erscheint sicher zu stellen, dass Sicherungsmaßnahmen nicht als Nebenfolge einen strafähnlichen Charakter erhalten, der mit einer Disziplinarmaßnahme nur unter der Voraussetzung erreicht werden kann (vgl. § 103 Abs. 4 StVollzG), dass das zu disziplinierende Verhalten einen Bezug zur Arbeit des Gefangenen hat und gleichzeitig aber auch nicht geeignet ist, die Zuteilung zur Arbeit endgültig zu widerrufen.

V.

Die Strafvollstreckungskammer wird nunmehr die gesonderte Verfügung vom 23.7.2004 über die gegen den Beschwerdeführer verhängte Maßnahme beizuziehen und anhand oben dargelegter Grundsätze zu überprüfen haben.

Sofern bei der Strafvollstreckungskammer Karlsruhe ein weiteres Verfahren betreffend die Erhebung eines Haftkostenbeitrags für den Monat August 2004 anhängig sein sollte, könnte es sich empfehlen, beide Verfahren zu verbinden.

Ende der Entscheidung

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