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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 13.12.2000
Aktenzeichen: 11 W 136/00
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO


Vorschriften:

ZPO § 78 Abs. 1
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 3
BRAGO § 53
1. Auch nach dem Wegfall des Lokalisationsprinzips sind Reisekosten eines zwar postulationsfähigen, aber beim Prozessgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalts nicht generell erstattungsfähig.

2. Die kosten eines unterbevollmächtigten Rechtsanwalts sind nur unter dem Gesichtspunkt ersparter anderer (fiktiver) Parteikosten erstattungsfähig.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 13.12.2000 - 11 W 136/00 - rechtskräftig


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 11. Zivilsenat

11 W 136/00 1 O 79/00

Karlsruhe, 13. Dezember 2000

In der Kostensache

wegen Forderung

hier: Kostenbeschwerde

Gründe

I.

Die Klägerin ist ein bundesweit tätiges Mietwagenunternehmen mit Sitz in Hamburg. Sie hat eine eigene Rechtsabteilung. Im Erkenntnisverfahren verlangte sie von dem Beklagten Schadensersatz i. H. v. 29.265,00 DM. Zur Begründung trug sie vor, der Beklagte habe sich - als Ferienarbeiter bei der Niederlassung eines großen PKW-Herstellers - in den Besitz eines ihrer Mietfahrzeuge gebracht und bei einer Schwarzfahrt schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht.

Nachdem die Klägerin selbst Mahnbescheid beantragt und der Beklagte Widerspruch eingelegt hatte, ließ sie den Anspruch vor dem Landgericht Baden-Baden durch ihre Hamburger Prozessbevollmächtigten begründen. Diese ließen sich im Termin zur mündlichen Verhandlung - in Untervollmacht - durch Baden-Badener Rechtsanwälte vertreten. Antragsgemäß erging Versäumnisurteil gegen den Beklagten.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin für ihre Prozessbevollmächtigten eine 10/10-Prozessgebühr und eine 3/10-Verhandlungsgebühr, für die Unterbevollmächtigten eine 5/10-Prozessgebühr und eine 5/10-Verhandlungsgebühr jeweils nebst 40,00 DM Auslagenpauschale angemeldet. Die Rechtspflegerin hat die Kosten antragsgemäß festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, "die Kosten für die Beauftragung eines Korrespondenzanwalts (seien) anstelle fiktiver Informationsreisekosten der klägerischen Partei ... erstattungsfähig". Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.

1. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung trifft den vorliegenden Fall nicht. Es geht nicht um geltend gemachte Korrespondenzanwaltskosten, sondern um die Kosten für unterbevollmächtigte Rechtsanwälte (§ 53 BRAGO), die neben den Prozessbevollmächtigten tätig geworden sind.

2. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung (OLG Köln JurBüro 1996, 94; OLG München JurBüro 1993, 485; OLG Bamberg JurBüro 1985, 130; OLG Stuttgart Justiz 1979, 99), der sich der Senat anschließt, handelt es sich bei den Kosten für einen unterbevollmächtigten Rechtsanwalt um Mehrkosten, die nach § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO (Kosten mehrerer Anwälte) zu beurteilen sind. Grundsätzlich sind demnach nur die Kosten eines Rechtsanwalts erstattungsfähig, der als am Sitz des Prozessgerichts ansässiger Prozessbevollmächtigter die Vertretung der Partei wahrnimmt. Weitergehende Rechtsanwaltskosten können regelmäßig nur erstattet verlangt werden, soweit die Partei durch die Einschaltung eines weiteren Rechtsanwalts andere erstattungsfähige Kosten erspart hat. Unter diesem Gesichtspunkt fiktiver Kosten können auch die Aufwendungen für einen Unterbevollmächtigten am Sitz des Prozessgerichts erstattungsfähig sein. In Betracht kommt etwa, dass eine Erstberatung (§ 20 Abs. 1 S. 1 BRAGO) oder doch wenigstens eine (notwendige) Informationsreise zu einem Prozessbevollmächtigten am Sitz des Prozessgerichts erspart wurde.

3. Hier können die Kosten für die als Unterbevollmächtigte tätig gewordenen Baden-Badener Rechtsanwälte aber weder als fiktive Verkehrsanwaltskosten noch als ersparte Informationsreisekosten in Ansatz gebracht werden. Dass die Klägerin als bundesweit tätige Autovermietung mit eigener Rechtsabteilung der Hilfe eines Verkehrsanwalts nicht bedurfte, liegt auf der Hand. Aber auch eine Informationsreise zu einem Prozessbevollmächtigten am Sitz des Prozessgerichts wäre nicht erforderlich gewesen, weil die Klägerin die Information hätte schriftlich erteilen können. Zwar ist von dem Grundsatz auszugehen, dass jede Partei das Recht hat, ihren Prozessbevollmächtigten in einem persönlichen Gespräch zu informieren, und daher verlangen kann, die damit verbundenen Kosten vom Gegner erstattet zu bekommen, doch gilt dies ausnahmsweise dann nicht, wenn es sich - wie hier - bei dem Rechtsstreit um eine Routineangelegenheit aus dem täglichen Geschäftskreis der Partei handelt (OLG Hamm OLGR 2000, 49; OLG Rostock OLGR 2000, 140; OLG Zweibrücken OLGR 1997, 95; OLG Karlsruhe - 13. Zivilsenat - Justiz 1983, 229). Die schadensersatzrechtliche Abwicklung eines Verkehrsunfalls, bei dem die Schuldfrage durch ein vorangegangenes Strafverfahren geklärt ist, stellt für die als Autovermieterin bundesweit tätige Klägerin eine Routineangelegenheit dar, die keine persönliche Information des Prozessbevollmächtigten vor Ort erfordert.

4. Schließlich hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erstattung der Gebühren ihrer unterbevollmächtigten Rechtsanwälte unter dem Gesichtspunkt ersparter Reisekosten für ihre Hamburger Prozessbevollmächtigten; denn die Kosten für eine Reise nach Baden-Baden zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung am 09.08.2000 wären nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen (§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO). Der Senat teilt nicht den Standpunkt des Oberlandesgerichts Frankfurt

(Beschluss vom 31.07.2000, MDR 2000, 1215), wonach die Fahrtkosten und das Tage- u. Abwesenheitsgeld eines am Prozessgericht nicht zugelassenen, aber seit 01.01.2000 gemäß § 78 Abs. 1 ZPO postulationsfähigen Rechtsanwalts grundsätzlich erstattungsfähig sind.

a) Auch nach dem Wegfall der örtlichen Beschränkung der Postulationsfähigkeit kann nur die Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten verlangt werden. Die Frage der Notwendigkeit ist aus der Sicht einer verständigen, kostenbewussten Partei zu beantworten. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hat jede Partei ihre Kosten so niedrig zu halten, wie sich dies mit der vollen Wahrung ihrer berechtigten prozessualen Belange vereinbaren lässt (vgl. z. B. Zöller, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rn. 12).

b) Es mag sein, dass - wie das OLG Frankfurt meint - eine "vernünftige" Partei einen in ihrer Nähe praktizierenden Rechtsanwalt beauftragt und diesem sowohl die vorgerichtliche als auch die anschließende gerichtliche Vertretung überträgt. Von dieser Vorstellung ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, als er das Lokalisationsprinzip des § 78 ZPO a. F. aufgegeben hat (vgl. Begründung des Entwurfs zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte, BT-Drs. 12/4993, S. 53; Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, BT-Drs. 14/1958, S. 3). Daraus ist jedoch nicht zwangsläufig zu folgern, dass die im Prozess entstehenden Reisekosten des Rechtsanwalts stets erstattungsfähig seien. Vorprozessual angefallene Kosten sind grundsätzlich keine solchen der Rechtsverfolgung im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nur ausnahmsweise, wenn sie prozessbezogen, also im Hinblick auf die Führung eines bestimmten Rechtsstreits notwendig angefallen sind, werden sie von der Kostengrundentscheidung erfasst und können dann im Kostenfestsetzungsverfahren gegen

über dem Gegner geltend gemacht werden. Die Geschäftsgebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO), die durch die vorprozessuale Tätigkeit eines Rechtsanwalts am Sitz der Partei ausgelöst wird, gehört nicht zu den erstattungsfähigen Kosten (vgl. z. B. OLG Bamberg JurBüro 1991, 704 mit zustimmender Anmerkung von Mümmler). Nach Ansicht des Senats stellt deshalb der Umstand, dass eine Partei vorprozessual einen in ihrer Nähe tätigen Rechtsanwalt beauftragt hatte, keinen Gesichtspunkt dar, der die Erstattungsfähigkeit später im Prozess entstandener Reisekosten dieses Rechtsanwalts rechtfertigt. Zu fragen ist vielmehr - bezogen auf den Zeitpunkt der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens - nach dem kostengünstigsten Weg, der die prozessualen Belange der Partei voll wahrt. Wenn - wie hier - eine schriftliche Information ausreicht, ist dies die Beauftragung eines postulationsfähigen Rechtsanwalts am Sitz des Prozessgerichts. Reisekosten fallen dann weder für den Rechtsanwalt noch für die Partei an. Sie können deshalb auch nicht als fiktive Parteikosten die (teilweise) Erstattung der durch die Einschaltung von Unterbevollmächtigten angefallenen Gebühren rechtfertigen.

c) Nach Ansicht des Senates sprechen gegen die generelle Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines postulationsfähigen Rechtsanwalts zwei Erwägungen:

Zum einen besteht ein Widerspruch zur gesetzgeberischen Wertung in § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift sind der obsiegenden Partei die Mehrkosten nicht zu erstatten, die dadurch entstehen, dass der beim Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozessgericht befindet. Bei einem vor dem Landgericht Karlsruhe zu führenden Prozess würde die vom Oberlandesgericht Frankfurt vertretene Rechtsansicht beispielsweise dazu führen, dass eine Partei aus Bruchsal (Entfernung zum Gericht 30 km, Landgerichtsbezirk Karlsruhe), die einen Anwalt an ihrem Wohnort/Sitz beauftragt, keine Reisekosten erstattet bekäme (§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO), während eine Partei aus Durmersheim (Entfernung 15 km, Landgerichtsbezirk Baden-Baden), die sich ebenso verhält, einen Erstattungsanspruch hätte. Für eine solche Differenzierung vermag der Senat keinen rechtfertigenden Grund zu erkennen (in diesem Sinne auch Bischof, MDR 2000, 1357, 1359).

Zum anderen liegt es keineswegs immer im Interesse des "rechtsuchenden Bürgers" (vgl. die Formulierung des Gesetzgebers in BT-Drs. 12/4993, S. 53), dass die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten ohne Rücksicht auf die Entfernung zum Prozessgericht erstattet werden. Gerade Prozesse des Bürgers finden meist in der Nähe seines Wohnorts statt, sei es, dass er als Beklagter beteiligt ist (§ 12 ZPO), sei es, dass er selbst klagt und einen ihm günstigen Gerichtsstand (z. B. § 21 ZPO - Niederlassung -, § 29 a ZPO - Mietsachen -, § 32 ZPO unerlaubte Handlung -, § 48 VVG - Gerichtsstand der Agentur -, § 7 HaustürWG -) in Anspruch nehmen kann. Die generelle Erstattungsfähigkeit anwaltlicher Reisekosten würde dazu führen, dass der Verbraucher seinem nicht selten wirtschaftlich überlegenen Gegner Reisekosten - ggf. in Form fiktiver Kosten - zu erstatten hätte, selbst aber derartige Kosten nicht anmelden könnte, weil sie bei ihm nicht angefallen sind. Bei einer Kostenquotelung und einem sich daran anschließenden Kostenausgleich (§ 106 ZPO) wären also auf seiten der wirtschaftlich stärkeren Partei regelmäßig höhere Kosten zu berücksichtigen als beim "rechtsuchenden Bürger". Dieser müsste dann letztlich - entsprechend der ihn belastenden Quote - die teurere Prozessführung seines Gegners finanzieren. Eine solche Entwicklung ist vor allem deshalb zu erwarten, weil sich Banken, Versicherer, Versandhäuser und andere am Wirtschaftsleben teilnehmende Großunternehmen erfahrungsgemäß ihrer "Hausanwälte" am Sitz ihrer Hauptverwaltungen bedienen und dadurch hohe Reisekosten vorprogrammiert wären.

5. Aus alledem ergibt sich, dass die Klägerin hier als notwendige Kosten nur eine 10/10-Prozessgebühr (§ 31 Abs. 1 Nr. 1 BRGO) und eine 5/10-Verhandlungsgebühr (§§ 31 Abs. 1 Nr. 2, 33 BRAGO) nebst Auslagenpauschale (§ 26 S. 2 BRAGO) beanspruchen kann.

Ende der Entscheidung

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