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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 26.03.2004
Aktenzeichen: 11 Wx 13/04
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1896
BGB § 1901
FGG § 67 Abs.1
1. Eine Entscheidung des Betreuers gegen eine lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung des Betreuten und die vormundschaftsgerichtliche Zustimmung kommen auch dann in Betracht, wenn das Leiden des Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf angenommen hat, ohne dass der Tod in kurzer Zeit bevorsteht.

2. In Verfahren, deren Gegenstand die vormundschaftsgerichtliche Zustimmung zu der Entscheidung des Betreuers gegen eine lebenserhaltende oder -verlängernde Behandlung des Patienten ist, muss dem Betreuten zwingend ein Verfahrenspfleger bestellt werden.


11 Wx 13/04

OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 11. Zivilsenat Beschluss

Karlsruhe, den 26. März 2004

In der Betreuungssache

hier: weitere Beschwerde

Tenor:

1. Auf die weitere Beschwerde des Betreuers der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Heidelberg vom 22. Dezember 2003 - 2 T 71/03 - aufgehoben und die Sache zur neuen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.

2. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf € 3.000,00 festgesetzt.

Gründe:

I.

Die 96 Jahre alte Betroffene lebt seit 1993 in Pflegeheimen. Für sie ist seit 1997 ihr Neffe mit den Wirkungskreisen Vermögenssorge und Gesundheitsfürsorge als Betreuer bestellt. Sie befindet sich im Endstadium einer Demenz mit einer völligen Reduktion der sprachlichen und psychischen Leistungen, sie ist ständig bettlägerig und voll pflegebedürftig, zu einer mündlichen Kommunikation nicht mehr fähig. Seit einer Klinikeinweisung im August 2003 ist sie wegen unzureichender Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme mit einer durch die Nase eingeführten Magenverweilsonde versorgt.

Mit Schreiben vom 8. September 2003 hat der Betreuer beim Amtsgericht Heidelberg den Antrag gestellt, seine Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Zwangsernährung zu genehmigen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 03.11.2003 den Antrag auf Genehmigung des Abbruchs der künstlichen Zwangsernährung zurückgewiesen. Der dagegen eingelegten Beschwerde des Betreuers hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht Heidelberg vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betreuer mit seiner weiteren Beschwerde, mit der er insbesondere eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes der Betroffenen sowie die Fehlerhaftigkeit der vom Amtsgericht eingeholten ärztlichen Gutachten rügt.

II.

Die zu Protokoll der Rechtspflegerin des Landgerichts Heidelberg eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1, Abs. 4, 21 Abs. 2 S. 1 FGG).

Sie hat auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Das Landgericht hat die materiellen Voraussetzungen, unter denen es die Rechtsordnung gestattet, lebensverlängernde Maßnahmen zu unterlassen oder nicht fortzusetzen, zu eng gesehen.

a) Zutreffend ist das Landgericht zwar davon ausgegangen, dass der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 17. März 2003 (NJW 2003, 1588-1594) im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung für die Verweigerung der Einwilligung des Betreuers in eine lebensverlängernde oder -erhaltende Behandlung oder Weiterbehandlung eines nicht einwilligungsfähigen Betroffenen eine vormundschaftsgerichtliche Prüfungszuständigkeit eröffnet hat. Wie vom Landgericht weiter zutreffend dargelegt, hat der Bundesgerichtshof die Genehmigungsfähigkeit von der Einwilligungsunfähigkeit des Betroffenen, vom Vorliegen eines Grundleidens, das einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat, und einer Entsprechung im Willen des Betroffenen, bei mangelnder Feststellbarkeit im mutmaßlichen Willen, abhängig gemacht.

b) Das Landgericht hat aber fälschlich angenommen, dass ein Leiden mit einem irreversiblen tödlichen Verlauf nur vorliege, wenn der Tod in kurzer Zeit bevorsteht.

Den Ausführungen des Bundesgerichtshofes ist dies nicht zu entnehmen. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr unter Bezugnahme auf das Urteil des ersten Strafsenates vom 13. September 1994 (BGHSt 40, 257 = NJW 1995, 204-207) zwischen Hilfe beim Sterben, kurz: Sterbehilfe, und Hilfe zum Sterben oder Sterbehilfe im weiteren Sinn differenziert. Sterbehilfe setzt danach voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird. Doch auch in dem Fall, in dem der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt hat, ist danach der Abbruch einer einzelnen lebenserhaltenden Maßnahme bei entsprechendem Patientenwillen als Ausdruck der allgemeinen Entscheidungsfreiheit und des Rechts auf körperliche Unversehrtheit grundsätzlich anzuerkennen. Nach den weiteren Ausführungen des Bundesgerichtshofs sind dann jedoch an die Annahme des mutmaßlichen Willens erhöhte Anforderungen zu stellen gegenüber der Sterbehilfe im eigentlichen Sinn (vgl. BGHSt 40, 257 [260]). Aus der Differenzierung der Sterbehilfe folgt demnach nicht, dass dann, wenn das Kriterium des "unmittelbar bevorstehenden Todes" fehlt, die Genehmigung der Einwilligung in den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen nicht erteilt werden darf, sondern es werden lediglich höhere Anforderungen an die Ermittlung und Annahme des mutmaßlichen Willens gestellt. Dass der Bundesgerichtshof das Kriterium des unmittelbar bevorstehenden Todes nicht für maßgeblich erachtet, erhellt die Feststellung, dass das Vormundschaftsgericht der Entscheidung des Betreuers zustimmen müsse, wenn feststehe, dass die Krankheit des Betroffenen einen irreversiblen tödlichen Verlauf genommen habe und die ärztlicherseits angebotene Behandlung dem früher erklärten und fortgeltenden Willen des Betroffenen, hilfsweise dessen (individuell-) mutmaßlichen Willen widerspreche (vgl. BGH NJW 2003, 1588 [1593]).

Mit größerem zeitlichen Abstand zum Todesfall sollen sich die Anforderungen an die Ermittlung des die Behandlung bzw. Nichtbehandlung bestimmenden Patientenwillens erhöhen (vgl. Stackmann, NJW 2003, 1568).

c) Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung durfte demnach nicht mit der Begründung, eine akute lebensbedrohliche Erkrankung liege nicht vor - so das Amtsgericht - oder der Tod aufgrund der Erkrankung stehe nicht in zeitlicher Nähe bevor - so das Landgericht - versagt werden. Bereits deshalb kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben.

d) Auch die Feststellung des Landgerichts, ein auf den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen gerichteter Wille der Betroffenen sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar, kann die Entscheidung nicht stützen. Da auch die Möglichkeit einer Entsprechung im mutmaßlichen, nicht nur im explizit geäußerten Willen für den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen genügen kann, hätte es vorliegend für die Beurteilung des Willensmomentes weiterer Sachaufklärung bedurft, bei der frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen der Betroffenen ebenso zu berücksichtigen sind wie ihre religiöse Überzeugung, ihre sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, ihre altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen (BGHSt 40, 257<263> = NJW 1995, 204 ff.).

2. Amtsgericht und Landgericht haben es unterlassen, der Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Gemäß § 67 Abs. 1 FGG ist jedoch in Verfahren, deren Gegenstand die vormundschaftsgerichtliche Zustimmung zu der Entscheidung des Betreuers gegen eine lebenserhaltende oder - verlängernde Behandlung des Patienten ist, dem Betreuten zwingend ein Verfahrenspfleger zu bestellen.

Zwar hat der Bundesgerichtshof diesen Gesichtspunkt bei der Erörterung des vormundschaftsgerichtlichen Verfahrens unerörtert gelassen (vgl. BGH NJW 2003, 1588 [1593]), daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Verfahrenspflegerbestellung nicht erforderlich ist. Zwar ist lediglich in § 67 Abs. 1 S. 5 FGG für das Verfahren zur Genehmigung einer Einwilligung des Betreuers in die Sterilisation die Bestellung eines Verfahrenspflegers zwingend vorgegeben, doch ergibt sich aus der dem Verfahrenspfleger durch das Gesetz zugedachten Rolle und der Bedeutung der Entscheidung, die den Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und dem Recht auf Leben lösen soll, zwingend die Notwendigkeit, dem einwilligungsunfähigen Betroffenen für ein solches Genehmigungsverfahren einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs dienen, sondern auch verhindern, dass der Betroffene zum Objekt des Verfahrens wird (vgl. Bienwald, Betreuungsrecht, 3. Aufl., § 67 FGG Rn. 10). Da es bei der Entscheidung über Abbruch oder Weiterführung lebenserhaltender Maßnahmen um einen massiven Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen geht, der als erheblicher zu bewerten ist als der Eingriff in die persönliche Unversehrtheit des Betroffenen durch eine Sterilisation, ergibt sich bereits aus der Auslegung des § 67 Abs. 1 FGG ihre zwingende Notwendigkeit (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2002,488 <490>; Senat, Beschluss vom 27.11.2001 11 Wx 64/01). Im Sinne der vom Bundesgerichtshof angestrebten Entlastung des Betreuers, aber auch zum Schutz des Betroffenen ist es deshalb geboten, eine allein den Interessen des Betroffenen verpflichtete Person in den Entscheidungsprozess einzubeziehen, um beispielsweise zu weiterer Aufklärung und kritischer Hinterfragung der Gutachten anzuregen, gegebenenfalls Interessenkonflikte zwischen Betreuer und Betroffenen aufzuzeigen oder insbesondere die Ermittlung des mutmaßlichen Willens kritisch zu begleiten (vgl. Stackmann a.a.O. NJW 2003, 1569; Meier FGPrax 2003, 167 <168>).

3. Die Entscheidung des Landgerichts ist aufzuheben, da sie auf den dargelegten Rechtsfehlern beruht (§ 27 Abs. 1 FGG) bzw. auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruhen kann und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt.

Für das weitere Verfahren ist darauf hinzuweisen, dass das vorliegende internistische Gutachten vom 21.10.2003 die maßgebliche Frage, ob ein irreversibles Grundleiden mit tödlichem Verlauf - ohne Todesnähe - besteht, nicht beantwortet. Nach dem Gutachten lag im Anschluss an eine Krankenhauseinweisung im August 2003 wegen fiebriger Infekte nach Ausheilung der Infekte und ausreichender Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr mittels intravenöser Ernährungstherapie sowie nachfolgender Einführung einer Magenverweilsonde eine akute lebensbedrohliche Erkrankung der Betroffenen nicht mehr vor. Der Gutachter stellt jedoch fest, dass eine eigenständige Nahrungsaufnahme schon vor dem Krankenhausaufenthalt kaum möglich war. Die dann folgenden Ausführungen zu ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten der künstlichen Ernährung und deren Abbruch haben andere Fragestellungen als die hier maßgebliche im Blick. Den Inhalt des Gutachtens der Nervenärztin des Gesundheitsamts wird das Landgericht im Hinblick auf die Ausführungen unter II 1 a und b erneut zu würdigen haben.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 3 S. 1 Abs. 2 S. 1 KostO.

Ende der Entscheidung

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