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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 04.04.2000
Aktenzeichen: 11 Wx 28/00
Rechtsgebiete: FGG, BGB


Vorschriften:

FGG § 70 h Abs. 1 Satz 2
FGG § 69 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
FGG § 69 f Abs. 1 Nr. 1
FGG § 70 m Abs. 3
FGG § 69 g Abs. 5 Satz 1
FGG § 69 g Abs. 5 Satz 3
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 11. Zivilsenat

11 Wx 28/00 2 T 8/00

Karlsruhe, 04. April 2000

Unterbringungssache

wegen Genehmigung der Unterbringung durch einstweilige Anordnung

hier: sofortige weitere Beschwerde

Beschluß

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluß des Landgerichts Heidelberg vom 13. März 2000 - 2 T 13/00 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht Heidelberg zurückverwiesen.

Gründe

Durch Beschluß des Amtsgerichts - Vormundschaftsgericht - Sinsheim vom 05.01.2000 wurde für den Betroffenen eine Betreuung für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge und Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Zuführung zu freiheitsentziehenden Maßnahmen eingerichtet (AS 209). Auf Antrag des Betreuers (AS 243) genehmigte das Vormundschaftsgericht durch einstweilige Anordnung vom 17.01.2000 die Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Abteilung des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden für längstens sechs Wochen (AS 251). Durch weitere einstweilige Anordnung vom 25.02.2000 wurde die Verlängerung der Unterbringung bis 07.04.2000 genehmigt (AS 521). Die gegen diesen Beschluß gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen (AS 571) ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben (AS 585). Mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde wendet sich der Betroffene weiterhin gegen die Genehmigung der Verlängerung seiner Unterbringung bis 07.04.2000 (AS 595).

Die sofortige weitere Beschwerde hat - vorläufigen - Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

1. Der angefochtene Beschluß ist schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht den Betroffenen nicht persönlich angehört und sich von ihm auch keinen unmittelbaren Eindruck verschafft hat. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar, auf dem die Beschwerdeentscheidung beruhen kann.

a) Nach §§ 70 h Abs. 1 Satz 2, 69 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 FGG hat das Vormundschaftsgericht den Betroffenen vor Erlaß einer einstweiligen Anordnung, durch die eine Unterbringung genehmigt wird, persönlich anzuhören.

b) Das gilt, wie sich aus §§ 70 m Abs. 3, 69 g Abs. 5 Satz 1 FGG ergibt, grundsätzlich auch für das Beschwerdeverfahren. Die Anhörung des Betroffenen dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern soll das Gericht vor allem auch in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber Gutachter und Zeugen wahrzunehmen (Senatsbeschluß vom 16.10.1998 unter Hinweis auf die Motive des Gesetzgebers; vgl. dazu BT-Drs. 11/4528, S. 172).

Zwar erlaubt § 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG ausnahmsweise von der Wiederholung der Anhörung in der Beschwerdeinstanz abzusehen, wenn von einer erneuten Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind, doch wird dies - wie aus § 69 g Abs. 5 Satz 2 FGG folgt nur dann der Fall sein können, wenn es bei der tatrichterlichen Würdigung nicht auf einen eigenen Eindruck der Beschwerdekammer von dem Betroffenen ankommt. Im Regelfall gebietet die Schwere des mit einer Unterbringung verbundenen Eingriffs die persönliche Anhörung des Betroffenen (auch) in der Beschwerdeinstanz (Senatsbeschluß, a.a.O.).

Die Gründe, die das Beschwerdegericht veranlassen, ausnahmsweise auf eine persönliche Anhörung zu verzichten, sind in der Entscheidung näher darzulegen (st. Rechtsprechung des Senats, z.B. Beschluß vom 12.01.2000 - 11 Wx 152/99 -, für ein Freiheitsentziehungsverfahren auf Anordnung von Abschiebungshaft). Es versteht sich von selbst, daß formelhafte Anwendungen oder die Wiederholung des Wortlauts von § 69 g Abs. 5 Satz 3 FGG nicht ausreichen, um den Verzicht auf Eine persönliche Anhörung zu begründen. Auch die hier vom Landgericht genannten Gesichtspunkte, daß der Betroffene zeitnah ausführlich vom Amtsgericht angehört worden sei und über seinen Rechtsanwalt weiter vorgetragen habe, rechtfertigen keinen Verzicht. Sie erklären nicht, warum das Landgericht seine Kontrollfunktion wahrnehmen konnte, ohne sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen.

2. Die Entscheidungen der Vorinstanzen begegnen aber auch noch aus einem anderen Grunde rechtlichen Bedenken.

Das Amtsgericht hat die Genehmigung der weiteren Unterbringung in Form einer einstweiligen Anordnung erteilt. Dies setzt nach §§ 70 h Abs. 1 Satz 2, 69 f Abs. 1 Nr. 1 FGG u.a. voraus, daß die Voraussetzungen für die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung gegeben sind (a) und mit dem Aufschub der Maßnahme Gefahr verbunden wäre (b).

a) Das Amtsgericht hat - vom Landgericht gebilligt - angenommen, es bestünden dringende Gründe für die Annahme, daß die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gegeben sind. Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen.

aa) Eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung des Betreuten ist u.a. dann zulässig, wenn eine Untersuchung des Gesundheitszustandes oder eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen kann (§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

bb) Die Vorinstanzen haben diese Voraussetzungen rechtsfehlerfrei festgestellt. Bei Erlaß des Beschlusses vom 25.02.2000 konnte sich das Vormundschaftsgericht u.a. auf das im Betreuungsverfahren erhobene Gutachten des Arztes am Psychiatrischen Zentrum Nordbaden N vom 25.08.1999 (mitgezeichnet von der Ärztin für Psychiatrie Dr. H AS 133), auf die im Unterbringungsverfahren eingeholte gutachterliche Stellungnahme des Arztes am Psychiatrischen Zentrum N Dr. F vom 17.02.2000 (mitgezeichnet von Dr. H AS 477), auf die Ergebnisse der richterlichen Anhörungen des Betroffenen vom 08.04.1999 (AS 57), vom 19.01.2000 (AS 277) und vom 23.02.2000 (AS 503) sowie auf das Schreiben des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. J vom 10.01.2000 (AS 239) stützen. Danach bestanden dringende Gründe für die Annahme, daß die Unterbringung des Betroffenen erforderlich ist, weil eine Untersuchung seines Gesundheitszustandes oder eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen kann.

cc) Entgegen der Ansicht des Betroffenen verstößt die weitere Unterbringung auch nicht gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Richtig ist allerdings, daß eine Unterbringung nur zulässig ist, wenn und solange sie zum Wohle des Betroffenen erforderlich ist. Hierfür reicht allerdings aus, daß die Heilbehandlung geeignet ist, den Zustand des Betroffenen zu stabilisieren (Senatsbeschluß vom 20.01.2000 - 11 Wx 2/00 -; OLG Hamm, Der Amtsvormund 1997, 55, 60), insbesondere der Chronifizierung einer gewichtigen Erkrankung (BayobLGZ 1991, 269, 272) entgegenzuwirken. Diese Voraussetzung ist nach dem Inhalt der ärztlichen Gutachten erfüllt. Die Ärztin für Psychiatrie Dr. H hat in Erläuterung ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 17.02.2000 (AS 477) im Rahmen des amtsgerichtlichen Anhörungstermines nochmals bekräftigt, daß eine Verlängerung der Unterbringung um weitere sechs Wochen erforderlich sei, um abschließend zu beurteilen, ob eine Therapie mit Leponex bei dem Betroffenen die drohende Invalidisierung abwenden könne.

b) Der bislang festgestellte Sachverhalt trägt hingegen nicht die Annahme, daß mit dem Aufschub der Unterbringungsmaßnahme eine Gefahr im Sinne von § 69 f Abs. 1 Nr. 1 FGG verbunden gewesen wäre. Eine Maßnahme in Form einer einstweiligen Anordnung nach §§ 70 h, 69 f FGG setzt über die für eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche gesundheitliche Gefährdung des Betroffenen besondere Eilbedürftigkeit voraus, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache verbietet. Es muß also für den Betroffenen eine Gesundheitsgefahr bestehen, deren Abwendung keinen Aufschub duldet (Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl., §§ 69 f Rdnr. 5). Daß dies hier der Fall ist, läßt sich den Entscheidungen der Vorinstanzen ebensowenig wie dem Übrigen Akteninhalt entnehmen. Eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung ist von den medizinischen Sachverständigen wiederholt verneint worden (AS 503, 279, 151). Deshalb bleibt - soweit nach Aktenlage ersichtlich - als einzige, die Unterbringung rechtfertigende Gefahr die Befürchtung, die Krankheit des Betroffenen werde sich bei Nichtbehandlung (weiter) chronifizieren. Ob diese Gefahr so akut war, daß ihr nur auf der Stelle und nicht auch noch mit Maßnahmen in näherer Zukunft begegnet werden konnte ist bislang nicht festgestellt.

c) Die Sache ist deshalb an das Landgericht zurückzuverweisen, damit dort die Anhörung des Betroffenen nachgeholt und der Sachverhalt weiter aufgeklärt wird. Sollte sich - wie wahrscheinlich - die Hauptsache vorher durch Zeitablauf erledigen, wird das Landgericht über die Rechtmäßigkeit der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung vom 25.02.2000 zu befinden haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 10.05.1998, NJW 1998, 2432) wird das Rechtsmittel in Fällen vorläufiger Unterbringung mit einer Höchstdauer von sechs Wochen nicht unzulässig, wenn Erledigung durch Zeitablauf eintritt, vielmehr ist wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs grundsätzlich ein Interesse des Betroffenen an der Überprüfung der angegriffenen Maßnahme zu bejahen. Im Hinblick auf die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sieht sich der Senat - trotz Bedenken aus Gründen des (einfachen) Verfahrensrechts und der Praktikabilität - gezwungen, seine bisherige gegenteilige Rechtsprechung (Beschluß vom 13.10.1997, FGPrax 1998, 34) für Unterbringungen bis zu sechs Wochen aufzugeben (ebenso BayObLG NJW-RR 1999, 1604).

Vorsorglich sei aber darauf hingewiesen, daß Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nur der Beschluß vom 25.02.2000 (Verlängerung der Unterbringung) ist, so daß auch nur die Rechtmäßigkeit der Unterbringung ab diesem Zeitpunkt zu beurteilen ist.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt.

Auch der Festsetzung eines Geschäftswertes bedarf es nicht, da das Verfahren gerichtsgebührenfrei ist (§ 128 b KostO) und bei den außergerichtlichen Kosten nur Rahmengebühren (§ 112 Abs. 5 BRAGO) anfallen.

Ende der Entscheidung

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