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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 11 Wx 74/02
Rechtsgebiete: GG, AuslG, FGG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
AuslG § 57 Abs. 2
FGG § 27
FGG § 29
Hat sich das Verfahren über die Anordnung von Abschiebungshaft in der Hauptsache erledigt, kann ein Interesse des Betroffenen an der Fortsetzung des Verfahrens mit dem - geänderten - Rechtsschutzziel, die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nachträglich überprüfen zu lassen, nur angenommen werden, wenn der Betroffene ausdrücklich einen entsprechenden Antrag stellt oder bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens davon auszugehen ist, dass er konkludent einen solchen Antrag stellt. Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes erfordert es nicht, den ursprünglichen Antrag des Betroffenen in jedem Fall dahin auszulegen, dass er für den Fall der Erledigung als Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung verstanden werden soll.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

11 Wx 74/02

Karlsruhe, den 18. Dezember 2002

In Sachen

hier: sofortige weitere Beschwerde gegen die Anordnung von Abschiebungshaft

Beschluss:

Tenor:

Die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landgerichts Baden-Baden vom 19. August 2002 - 2 T 71/02 - wird kostenpflichtig verworfen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist armenischer Staatsangehöriger. Mit Beschluss vom 15. Juli 2002 hat das Amtsgericht Rastatt auf Antrag der weiteren Beteiligten nach Anhörung des Betroffenen die Abschiebungshaft gegen diesen bis zum Ablauf des 3. Oktober 2002 angeordnet. Die sofortige Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht Baden-Baden, nachdem der Betroffene im Wege der Amtshilfe vom AG Rottenburg erneut angehört worden war, mit Beschluss vom 19. August 2002 zurückgewiesen. Der anwaltlich vertretene Betroffene hat sofortige weitere Beschwerde eingelegt, die am 19. September 2002 beim Beschwerdegericht eingegangen ist. Die Akten gingen am 30. September 2002 beim Oberlandesgericht ein. Nachdem das beteiligte Regierungspräsidium zur Stellungnahme aufgefordert worden war, wurde die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen auf die inzwischen durch Zeitablauf eingetretene Erledigung hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Antragstellung gegeben. Eine Reaktion hierauf ist nicht erfolgt.

II.

Das Rechtsmittel ist als unzulässig zu verwerfen.

1. Die Unzulässigkeit ergibt sich allerdings nicht daraus, dass die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Baden-Baden erst am 19. September 2002 eingelegt wurde. Da der angefochtene Beschluss nach dem Vorbringen der Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen weder diesem selbst noch ihr vollständig zugestellt worden ist, wurde der Lauf der Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt. Auf die Frage, ob die Zustellung an die Verfahrensbevollmächtigte oder an den Betroffenen persönlich hätte erfolgen müssen (vgl. Schmidt in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Auflage, § 16 Rdn. 36), kommt es daher nicht an.

2. Die sofortige Beschwerde ist aber durch den Eintritt eines erledigenden Ereignisses unzulässig geworden. In Freiheitsentziehungsverfahren tritt Erledigung u.a. durch Ablauf des Zeitraums ein, für den das Gericht Haft angeordnet hatte (Kahl a.a.O., § 19 Rdn. 87). Tritt das erledigende Ereignis in der Rechtsmittelinstanz ein, so ist das Rechtsmittel von diesem Zeitpunkt an wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses zur Hauptsache unzulässig (Kahl a.a.O., § 19 Rdn. 94).

a) Ein anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2001 (2 BvR 527/99 u.a., NJW 2002, 2456). In diesem Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, unter Berücksichtigung des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) könne trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels ein Bedürfnis nach gerichtlicher Entscheidung bestehen, wenn das Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtslage in besonderer Weise schutzwürdig sei. Das komme insbesondere dann in Betracht, wenn der Betroffene festgestellt wissen will, dass die Inhaftierung als schwerwiegender Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person zu Unrecht erfolgt sei. Daran könne gerade in Verfahren über die Rechtmäßigkeit von Abschiebungshaft ein besonderes Interesse bestehen, weil mit deren Anordnung, wie sich aus den in § 57 Abs. 2 AuslG angeführten Haftgründen ergebe, notwendig die an das zurechenbare Verhalten des Ausländers anknüpfende Feststellung verbunden sei, der Betroffene werde ohne die Inhaftierung seine Abschiebung wesentlich erschweren oder vereiteln oder werde versuchen unterzutauchen. Implizit beinhalte eine Anordnung von Abschiebungshaft damit den Vorwurf, der Betroffene habe sich in einer Weise gesetzwidrig verhalten oder drohe sich so zu verhalten, die seine Inhaftierung rechtfertige.

Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Betroffene von Verfassungs wegen die Möglichkeit haben, die Rechtswidrigkeit der gegen ihn angeordneten Haft auch dann überprüfen zu lassen, wenn sich diese durch Zeitablauf erledigt hat.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führt aber nicht dazu, dass in jedem Fall der Erledigung des Verfahrens eine solche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung durchzuführen ist. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Betroffene erkennen lässt, ihm sei an einer solchen Feststellung gelegen. Ein Interesse des Betroffenen an der Fortsetzung des Verfahrens mit dem - geänderten - Rechtsschutzziel, die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nachträglich gerichtlich überprüfen zu lassen, kann nur dann angenommen werden, wenn der Betroffene ausdrücklich einen entsprechenden geänderten Antrag formuliert oder bei einer Gesamtwürdigung seines Vorbringens davon auszugehen ist, dass er konkludent einen solchen Antrag stellt.

b) Dem entspricht die rechtliche Regelung in § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, nach der das Gericht "auf Antrag" ausspricht, dass ein Verwaltungsakt, der sich erledigt hat, rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Diese Regelung wird in der Literatur überwiegend dahin verstanden, dass es nicht genügt, wenn der Kläger nach Hinweis auf die Erledigung (§ 86 Abs. 3 VwGO) seinen ursprünglichen Antrag nicht umstellt, aber auch nicht für erledigt erklärt (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 113 Rdn. 122; Eyermann-J. Schmidt, VwGO, 11. Auflage, § 113 Rdn. 66). Soweit teilweise die Gegenauffassung vertreten wird (Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Auflage, § 113 Rdn. 30), ist das nach Auffassung des Senats nicht überzeugend. Insbesondere kann diese Auffassung nicht mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Juli 1956 (NJW 1956, 1652) belegt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat dort zum Ausdruck gebracht, dass es das Verhalten des Klägers als konkludente Antragsänderung verstanden hat. Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes erfordert es nicht, den vor dem Eintritt des erledigenden Ereignisses formulierten, ursprünglichen Antrag des Betroffenen in jedem Fall dahin auszulegen, dass er für den Fall der Erledigung als Feststellungsantrag verstanden werden soll. Auch das Bundesverfassungsgericht hat nur ausgesprochen, dass ein solches Bedürfnis bestehen kann (NJW 2002, 2456 unter C 1 3 a der Gründe). In den zugrundeliegenden Fällen hatten die Betroffenen trotz Erledigung in der Hauptsache die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung begehrt (vgl. NJW 2002, 2456 unter B).

c) Der anwaltlich vertretene Betroffene hat auf den Hinweis des Senats, dass sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat, nicht reagiert. Daher ist davon auszugehen, dass er kein Interesse an einer Fortsetzung des Verfahrens mit dem Ziel der - nachträglichen - Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung hat.

d) Mit dieser Entscheidung weicht der Senat nicht von den Beschlüssen des OLG Zweibrücken vom 23. April 2002 (3 W 76/02, OLG-Report 2002, 377, und 3 W 66/02, JURIS-Dokument KORE433442002) ab, weswegen eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht geboten ist. Das OLG Zweibrücken hat in diesen Beschlüssen ausgeführt, das Rechtsmittel bleibe mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft zulässig, ohne dass es eines ausdrücklichen Antrages bedürfe. Das entspricht - wie dargestellt - der herrschenden Auslegung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, wonach der Antrag auch konkludent gestellt werden kann. Dass das Rechtsmittel auch dann zulässig bleibe, wenn ein entsprechender Antrag des Betroffenen gänzlich fehlt, lässt sich den Entscheidungen des OLG Zweibrücken dagegen nicht entnehmen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 FEVG. Die Festsetzung eines Beschwerdewerts ist nicht veranlasst, da lediglich Rahmengebühren anfallen (§ 112 BRAGO).

Ende der Entscheidung

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