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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 15.06.2000
Aktenzeichen: 11 Wx 75/00
Rechtsgebiete: AuslG, AsylVfG


Vorschriften:

AuslG § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AuslG § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
AsylVfG § 14 Abs. 2
AsylVfG § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4
AsylVfG § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5
Zu den Anforderungen an die Anordnung/Verlängerung von Sicherungshaft, wenn der Betroffene erst während der Haft Asylantrag gestellt hat.
OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE 11. Zivilsenat

11 Wx 75/00 3 T 38/00 LG 6 XIV 46/00 AG

Karlsruhe, den 15. Juni 2000

In dem Freiheitsentziehungsverfahren auf Anordnung der Abschiebungshaft

Beschluß

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts vom 22. Mai 2000 - 3 T 38/00 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung - auch über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Betroffenen im Verfahren der weiteren Beschwerde - an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt - nach seinen Angaben etwa 5 Tage vor dem 16.02.2000 - ohne Pass und mit Hilfe einer Schleuserorganisation unter Umgehung der Grenzkontrollen von Polen aus in das Bundesgebiet ein, wo er am 16.02.2000 festgenommen wurde. Mit Verfügung der Stadt vom selben Tage wurde der Betroffene aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ihm die Abschiebung nach Algerien angedroht. Außerdem wurde gegen den Betroffenen mit Beschluss des Amtsgerichts vom 16.02.2000 Abschiebungshaft für die Dauer von drei Monaten festgesetzt.

Am 02.03.2000 stellte der Betroffene einen förmlichen Asylantrag. Das Asylverfahren soll nach Auskunft der Ausländerbehörde seit dem 28.03.2000 abgeschlossen sein. Zur Beschaffung eines Passes ist die Vorführung des Betroffenen vor der zuständigen Vertretung Algeriens für den 26. bzw. 27.06.2000 vorgesehen.

Auf Antrag des Regierungspräsidiums ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 12.05.2000 die Verlängerung der Abschiebungshaft um weitere drei Monate an. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen.

II.

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts und zur Zurückverweisung der Sache zum Zweck der erneuten Prüfung und Entscheidung. Zwar trifft die in der am 13.06.2000 eingegangenen Beschwerdebegründung vertretene Ansicht, die Anordnung von Abschiebungshaft sei von vornherein unzulässig gewesen, nicht zu. Die bisherigen Feststellungen tragen die Aufrechterhaltung und damit die Verlängerung der Abschiebungshaft jedoch nicht.

1. Wie sich aus dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll vom 16.02.2000 ergibt, hat der Betroffene nach seiner Festnahme, aber noch vor der Anordnung von Abschiebungshaft formlos um politisches Asyl nachgesucht. Entgegen der Ansicht der weiteren Beschwerde war damit die - zulässigerweise auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise (§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG) gestützte - Anordnung von Abschiebungshaft nicht unzulässig geworden. Zwar ist einem Ausländer, der um Asyl nachsucht, zur Durchführung des Asylverfahrens der Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich gestattet (§ 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG). Der Betroffene war jedoch unerlaubt aus Polen und damit aus einem sicheren Drittstaat (vgl. Anlage I zu § 26 a AsylVfG) eingereist. Gem. § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG erwarb er deshalb die Aufenthaltsgestattung erst mit der Stellung des Asylantrages, wofür die förmliche Antragstellung im Sinne des § 14 AsylVfG erforderlich ist (Hailbronner, Ausländerrecht, § 55 AsylVfG Rdnr. 13 m. w. N.). Am 16.02.2000 befand sich der Betroffene bereits in öffentlichem Gewahrsam, weshalb der Asylantrag bei dem Bundesamt zu stellen war (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG). Ein solcher Antrag wurde von dem Betroffenen erst am 02.03.2000 gestellt, als er sich bereits in Abschiebungshaft befand.

2. Ob die Abschiebungshaft trotz der Stellung des Asylantrags und der damit verbundenen Aufenthaltsgestattung aufrechterhalten werden durfte und darf, richtet sich demnach nach der Vorschrift des § 14 Abs. 4 AsylVfG. Die Vorinstanzen haben sich mit dieser Norm nicht befasst und daher keine Feststellungen darüber getroffenen, ob ihre Voraussetzungen vorliegen. Dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht ist es verwehrt, die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Im einzelnen:

a) Die Haftanordnung wird bisher allein auf den Haftgrund der unerlaubten Einreise (§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG) gestützt. Bei diesem Haftgrund darf die Abschiebungshaft gegen einen Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, nur dann aufrechterhalten werden, wenn er sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG). Nach den bisherigen Feststellungen liegen die Voraussetzungen dieser Norm nicht vor. Denn der Betroffene hat angegeben, er sei erst wenige Tage vor dem 16.02.2000 in das Bundesgebiet eingereist. Danach befand sich der Betroffene weder zum Zeitpunkt seiner Festnahme noch zum Zeitpunkt der Stellung seines Asylantrages länger als einen Monat im Bundesgebiet.

Das Bayerische Oberste Landesgericht ist allerdings der Ansicht, ein Asylantrag stehe der Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft auf der Grundlage von § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG unabhängig von der Aufenthaltsdauer des Ausländers im Bundesgebiet nicht entgegen, wenn der Ausländer nicht, wie von § 13 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG gefordert, unverzüglich nach der Einreise um Asyl nachgesucht, sondern den Antrag erst aus der Sicherungshaft heraus gestellt habe (BayObLGZ 1999, 97). Der Senat folgt dieser Ansicht nicht. Er ist vielmehr mit dem OLG Düsseldorf (Beschluss vom 21.01.2000, NVwZ 2000, Beilage 14, 47 f) der Auffassung, dass bereits der Wortlaut des Gesetzes eine derartige Auslegung nicht zulässt. Das OLG Düsseldorf hat wegen der abweichenden Auffassung des Bayerischen Obersten Landesgerichts die Sache gem. § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 10.02.2000 (VZB 5/00, in Juris dokumentiert) die Vorlagefrage nicht entschieden, sondern ausdrücklich offengelassen. Einer erneuten Vorlage gem. § 28 Abs. 2 FGG durch den Senat bedarf es derzeit nicht, da es, wie noch auszuführen ist, für die Senatsentscheidung hierauf beim jetzigen Sachstand nicht ankommt.

b) Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG steht die Stellung eines Asylantrages auch bei einem kürzeren als einmonatigen unerlaubten Aufenthalt des Ausländers der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen, wenn die Haftanordnung auf einen der Haftgründe des § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 - 5 AuslG gestützt werden kann. Nach den bisherigen Feststellungen ist der Betroffene ohne Pass mit Hilfe einer Schleuserorganisation über Tunesien, Italien, die Tschechische Republik und Polen in das Bundesgebiet eingereist. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat er angegeben, er habe der Schleuserorganisation 2.000,00 Francs (gemeint sind anscheinend französische Francs) bezahlt. Bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht hat er zudem erklärt, er wolle in Deutschland bleiben, weil er in Algerien große Probleme habe und außerdem krank sei. Der Betroffene verfügt nicht nur über keine Ausweispapiere, er hat auch weder soziale Bindungen, noch verfügt er über finanzielle Mittel. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 10.02.2000, V ZB 5/00) können solche Umstände im Einzelfall den Schluss zulassen, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen will (§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG). Da dieser Haftgrund im bisherigen Verfahren keine Rolle gespielt hat, ist dem Betroffenen hierzu rechtliches Gehör zu gewähren.

c) Selbst wenn nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 oder Nr. 5 AsylVfG die Abschiebungshaft trotz der Stellung eines Asylantrages und der damit verbundenen Aufenthaltsgestattung aufrecht erhalten werden durfte, endet die Abschiebungshaft mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes, spätestens jedoch vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt, es sei denn, der Asylantrag wurde als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet abgelehnt (§ 14 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG). Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 09.05.2000 lediglich vorgetragen, das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge habe am 26.04.2000 mitgeteilt, dass das Asylverfahren des Betroffenen seit dem 28.03.2000 rechtskräftig abgeschlossen sei. Dies genügt nicht. Der Senat hat jedoch auf Anfrage die Auskunft erhalten, der Asylantrag des Betroffenen sei als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden.

d) Die Anordnung bzw. Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft ist nur dann verhältnismäßig, wenn sich die Ausländerbehörde mit der gebotenen Beschleunigung bemüht, die Voraussetzungen für einen Vollzug der Abschiebung zu schaffen. Die bisherigen Feststellungen lassen diesen Schluss entgegen der Ansicht der angefochtenen Entscheidung nicht zu.

Die Ausländerbehörde hat in ihrer Antragschrift vom 09.05.2000 vorgetragen, während der Dauer des Asylerstverfahrens sei eine Passbeschaffung nicht zulässig gewesen. Das Asylverfahren sei seit dem 28.03.2000 rechtskräftig abgeschlossen, wie das Bundesamt mit Schreiben vom 26.04.2000 mitgeteilt habe. Die Vorführung des Betroffenen sei für den 26. bzw. 27.06.2000 vorgesehen.

Die Behauptung der Ausländerbehörde, während des Asylerstverfahrens sei eine Passbeschaffung unzulässig, ist in dieser Pauschalität nicht richtig. Es mag sein, dass dem Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens nicht aufgegeben werden kann, sich zum Zweck der Passbeschaffung an Behörden oder Stellen seines Heimatstaates in Deutschland zu wenden, und deshalb auch seine Vorführung bei diesen Stellen unzulässig ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass während des Bestehens des vorläufigen Bleiberechtes keinerlei Maßnahmen ergriffen werden dürfen, welche die Aufenthaltsbeendigung für den Fall eines Erlöschens des Bleiberechtes vorbereiten - etwa in dem der ausländischen Botschaft die Passantragsunterlagen übersandt werden (vgl. VGH Baden-Württemberg VBIBW 1999, 229; Senatsbeschluss vom 03.02.2000 - 11 Wx 5 I 00). Unabhängig davon hat die Antragstellerin nicht mitgeteilt, was nach dem Abschluss des Asylverfahrens unternommen wurde, um schnellstmöglich Ausweispapiere für den Betroffenen zu erhalten.

3. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts muss daher aufgehoben werden. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Da sich der Betroffene bereits seit vier Monaten in Abschiebungshaft befindet und auch seit der Stellung des Asylantrags mehr als drei Monate vergangen sind, wird die Antragstellerin unter besonderer Beschleunigung diejenigen Umstände darzulegen haben, die die gesetzmäßige Verlängerung bzw. Aufrechterhaltung der Abschiebungshaft rechtfertigen sollen.

Ende der Entscheidung

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