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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 20.06.2002
Aktenzeichen: 12 U 15/02
Rechtsgebiete: VVG
Vorschriften:
VVG § 61 |
Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil vom 20.06.2002
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Kaskoleistung für ein angeblich abhanden gekommenes Motorrad, das er an einem Donnerstag Nachmittag auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz in einem Industriegebiet abgestellt und bei seiner Rückkehr am Samstag nicht mehr vorgefunden haben will. Die beklagte Versicherung bestreitet das Vorliegen eines Diebstahls und meint, sie sei in jedem Fall gemäß § 61 VVG leistungsfrei geworden, weil des mehrtägige Abstellen dem Kläger als grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne erfolg geblieben.
Gründe:
....
I.
Die Beklagte stellt im Berufungsrechtszug klar, dass ihr - insoweit missverständlich formuliertes - erstinstanzliches Vorbringen auch ein Bestreiten der klägerischen Behauptung enthält, dass der Kläger sein Motorrad am 16.11.2000 auf dem Parkplatz im Industriegebiet B. abgestellt und bei seiner Rückkehr am 18.11.2000 nicht mehr vorgefunden hat. Gleichwohl vermag diese Klarstellung ihrer Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Grundsätzlich muss der Versicherungsnehmer den Diebstahl seines Fahrzeuges im Bestreitensfall unter Beweis stellen. Beim Nachweis des Versicherungsfalls Diebstahl in der Kfz-Kasko-Versicherung kommen dem Versicherungsnehmer - was das Landgericht im Grundsatz zutreffend berücksichtigt hat - Beweiserleichterungen zugute. Da sich der Versicherungsnehmer im Fall der Entwendung seines Fahrzeugs typischerweise in Beweisnot befindet, entspricht es nach ständiger Rechtsprechung (BGHZ 130; BGH VersR 1996, 575) einer verständigen Auslegung des Versicherungsvertrags, dass die Vertragsparteien den versicherten Entwendungsfall schon dann als nachgewiesen ansehen wollen, wenn Tatsachen feststehen, die nach ihrem äußeren Bild mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Wegnahme gegen den Willen des Versicherungsnehmers schließen lassen. Dem Versicherungsnehmer kommt deshalb eine Beweiserleichterung insoweit zugute, als er seiner Beweislast schon genügt, wenn er das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung des Fahrzeugs darlegt und beweist. Die Beweislast bezieht sich auf ein Mindestmaß an Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen (BGH NJW 1996, 993). Ohne diese Beweiserleichterung wäre der Wert einer Kaskoversicherung in Frage gestellt. Der Versicherungsnehmer bliebe in vielen Fällen der Entwendung schutzlos, obwohl er sich durch den Abschluss des Kaskoversicherungsvertrages gerade auch für Fälle schützen wollte, in denen die Umstände der Entwendung nicht umfassend aufgeklärt werden können (BGH VersR 1981, 684). Das äußere Bild eines Diebstahls ist danach gegeben, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug an einer bestimmten Stelle zu einem bestimmten Zeitpunkt abgestellt und es später dort gegen seinen Willen nicht wieder vorgefunden hat (Senat OLGR 1997, 51; BGH NJW 1995, 2069).
Vorliegend hat der Kläger allerdings keinen Beweis für diejenigen Tatsachen angeboten, die den äußeren Tatbestand eines Diebstahls erfüllen. Angesichts des - hier gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässigen - Bestreitens mit Nichtwissen durch die Beklagte ist der Kläger gehalten, das Abstellen des Motorrads an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit und das spätere Nichtauffinden am selben Ort - vorrangig durch Zeugen - unter Beweis zu stellen oder darzulegen, dass und warum ihm hierfür keine Zeugen zur Verfügung stehen. Auch dieser auf die Beweismittel bezogenen Darlegungslast ist der Kläger nachgekommen. Stehen dem Versicherungsnehmer - wie hier - keine Beweismittel zur Verfügung, kommt seine mündliche Anhörung durch das Gericht nach § 141 ZPO bzw. eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO in Betracht (vgl. BGH VersR 1997, 691). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH (BGH VersR 1996, 575) kann den Angaben und Behauptungen des Versicherungsnehmers im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses (§ 286 ZPO) auch dann geglaubt werden, wenn dieser deren Richtigkeit sonst nicht beweisen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht der unredliche, sondern der redliche Versicherungsnehmer der Regelfall ist (Senat OLGR 2002, 139).
Der Senat hat den Kläger im Termin angehört. Dabei hat er den bestrittenen Vortrag zum äußeren Bild der Entwendung seines Motorrades bestätigt. Der Senat hat keinen hinreichenden Anlass, an der Redlichkeit des Klägers zu zweifeln. Auch die durchaus erwägendenswerten Einwände der Beklagten vermögen solche Bedenken letztlich nicht zu begründen. Dabei hat der Senat insbesondere erwogen, dass das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit dem Abstellen des Motorrades als ungewöhnlich anzusehen ist. Allerdings liefert der Kläger hierfür eine noch plausible Erklärung unter Hinweis auf den unerwarteten Zeitdruck, der seine Absicht, vor Antritt der Fahrt nach Italien zum Parkplatz zurückzukehren und sein Motorrad nach Hause zu bringen, durchkreuzte. Berücksichtigt hat der Senat auch, dass das Schicksal des Original-Kraftfahrzeugbriefs bis zu dessen Auffinden im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung bei einem Dritten ungeklärt ist. Da im Rahmen dieser polizeilichen Maßnahme aber keine Verbindung zu dem verschwundenen Motorrad ersichtlich wurde, vermag hieraus letztlich nichts gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers hergeleitet zu werden.
II.
Die Beklagte ist auch nicht nach § 61 VVG leistungsfrei geworden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Abstellen eines auffälligen Motorrades der Marke H. auf einem abgelegenen Parkplatz über eine oder mehrere Nächte als grob fahrlässig anzusehen ist - wofür allerdings einiges spricht.
Die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 61 VVG setzt nämlich voraus, dass der Schaden durch das grob fahrlässige Verhalten verursacht worden ist (BGH r+s 95, 288). Diesen ihr obliegenden Nachweis (Senat vom 9. 5. 1996 - 12 U 49/96 -; Knappmann r+s 95, 128) hat die Beklagte - wie bereits das Landgericht zutreffend erkannt hat - nicht erbracht. Der Zeitpunkt des Diebstahls steht nicht fest. Damit kann auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Entwendung des Motorrades bereits in den ersten Stunden nach dem Abstellen am 16.11.2000 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem zweifelsfrei dem Kläger kein Vorwurf grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann.
Zwar fördert ein mehrtägiges Abstellen eines Fahrzeugs die Möglichkeit, dass ein Dieb durch längere Beobachtung Anhaltspunkte dafür gewinnen kann, dass es erst nach längerer Zeit abgeholt werden wird. Selbst wenn man hieraus zugunsten der Beklagten einen Anscheinsbeweis herleiten wollte, müsste dieser im konkreten Fall als entkräftet angesehen werden. Als ernsthafter abweichender Geschehensablauf kommt hier nämlich in Betracht, dass das Motorrad alsbald nach dem Abstellen, noch am 16.11.2000, entwendet wurde. Die Beklagte selbst trägt insoweit unter Antritt von Sachverständigenbeweis vor, dass Motorräder wie das des Klägers auch schon bei kürzerem Abstellen besonders diebstahlsgefährdet seien. Das schlichte gesicherte Abstellen eines Motorrads auf einem öffentlichen Parkplatz begründet den Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit jedoch nicht (Senat VersR 1998, 94).
Die Unaufklärbarkeit des Kausalzusammenhangs geht zu Lasten der Beklagten. Ihre diesbezügliche Beweislast kann weder umgekehrt noch eingeschränkt werden. Auch eine Interessenabwägung erfordert hier keine Änderung der Beweislast. Die Beweisnot, in der sich der Versicherer in solchen Fällen des Diebstahls eines Fahrzeugs während einer längeren Parkdauer hinsichtlich der Ursächlichkeit einer groben Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers befinden mag, könnte zwar zu einer entsprechenden Nachlässigkeit der Versicherungsnehmer führen. Ob dies bei Berücksichtigung der Interessenlage der Versicherungsnehmer wirklich in nennenswertem Umfang zu befürchten ist, kann indes dahinstehen. Die Versicherer stünden einer solchen - unerwünschten - Entwicklung jedenfalls nicht schutzlos gegenüber. Sie könnten sich gegen derartige Fälle durch eine entsprechende Vertragsgestaltung angemessen absichern (BGH VersR 1980, 180). Letzteres ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.
....
Ende der Entscheidung
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