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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: 12 U 180/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 284
Zu den Voraussetzungen, unter denen ein heimlich aufgenommenes Videoband als unverwertbares Beweismittel anzusehen ist.

Besteht hinsichtlich eines heimlich aufgenommenen Videobandes ein Verwertungsverbot, so scheidet auch die Vernehmung von Zeugen zu ihren Erkenntnissen aus dem Betrachten des Videobandes aus.


Oberlandesgericht Karlsruhe

12 U 180/01

Urteil vom 8.11.2001

Tatbestand:

Die Parteien sind beide Bewohner einer größeren Wohnanlage mit gemeinschaftlicher Tiefgarage. Der dort abgestellte PKW des Klägers wurde mehrfach mutwillig beschädigt. Einen Täter konnte der Kläger nicht ausfindig machen, weshalb er verdeckt eine Videoüberwachungsanlage installierte. Nachdem der Kläger sein Fahrzeug hatte reparieren lassen, musste er eine erneute mutwillige Beschädigung feststellen. Die Tat war auf einem Videoband festgehalten. Hierauf glaubte der Kläger die Beklagte als Täterin ausmachen zu können. Mehrere andere Personen haben das Videoband ebenfalls angesehen, das noch vor Klagerhebung teilweise beschädigt wurde.

Das Landgericht hat die Klage auf Ersatz des Sachschadens und der Kosten der Videoüberwachung abgewiesen, nachdem in erster Instanz das Videoband in Augenschein genommen und mehrer Zeugen zu ihren Eindrücken bei Betrachten des Videobands vernommen wurden. Das Landgericht führte zur Begründung aus, aufgrund der schlechten Bildqualität des Bandes könne der Augenschein nicht die Überzeugung begründen, dass die Beklagte die Täterin sei. Aus ähnlichen Erwägungen seien auch die Zeugenaussagen nicht überzeugend.

Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg.

Gründe:

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Im Endergebnis zutreffend hat das Landgericht die Klage auf Zahlung von Schadensersatz mit der Begründung abgewiesen, der Kläger habe den ihm obliegenden Nachweis nicht erbracht, dass die Beklagte die Beschädigungen an seinen in der Tiefgarage des von beiden Parteien mitbewohnten Mehrfamilienanwesens abgestellten PKW verursacht hat. Die in 1. Instanz durchgeführte Beweiserhebung, nämlich die Inaugenscheinnahme der vom Kläger heimlich aufgenommenen Videobänder sowie die Vernehmung von Zeugen über deren Wahrnehmung beim Betrachten eben dieser Videobänder, war allerdings nicht veranlasst, da der Kläger sich insoweit auf unverwertbare Beweismittel stützt.

I.

Der Kläger hat sein primäres Beweismittel, die Videoaufzeichnung, in rechtswidriger Weise erlangt.

1. Das im Rahmen einer heimlichen Videoüberwachung aufgezeichnete Videoband und dessen Verwertung verletzt das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der Beklagten. Allerdings unterliegen diese Rechte keinem schrankenlosen Schutz, sofern dadurch nicht die unantastbare Intimsphäre der Beklagten betroffen ist. Die Rechte der Beklagten treten insoweit in Konflikt mit dem berechtigten Interesse des Klägers an einem Schutz vor weiteren Beschädigungen seines Fahrzeugs sowie seinem anerkennenswerten Bestreben, den Verantwortlichen für die früheren Beschädigungen ausfindig zu machen. Diese Belange sind bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Klägers gegeneinander abzuwägen (OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 241). Der Abwägungsprozess ist dabei entscheidend geprägt von den besonderen Umständen des Einzelfalls. Regelmäßig stellt der Einsatz verdeckter Videokameras zur Kontrolle eines bestimmten Personenkreises einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, wenn keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen dies rechtfertigen (BGH NJW 1995, 1955). Dabei wird das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen nicht nur im Fall einer "Bildniserschleichung" verletzt, in dem die Abbildung einer Person in deren privaten Bereich gefertigt wird in der Absicht, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vielmehr kann auch die Herstellung von Bildnissen einer Person, insbesondere die Filmaufzeichnung mittels Videogerät, in der Öffentlichkeit oder in einer beschränkten Öffentlichkeit zugänglichen Bereichen selbst ohne Verbreitungsabsicht einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen darstellen. Ob und in welchem Umfang bereits die Fertigung derartiger Bilder rechtswidrig und unzulässig ist oder aber vom Betroffenen hingenommen werden muss, kann nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und durch Vornahme einer unter Berücksichtigung aller rechtlich, insbesondere verfassungsrechtlich geschützten Positionen der Beteiligten durchgeführten Güter- und Interessenabwägung ermittelt werden (BGH NJW 1995, 1955).

2. Der Kläger hat nach seiner eigenen Darstellung eine gezielte heimliche Videoüberwachung eines bestimmten Teilbereichs der auch von ihm benutzten Tiefgarage über längere Zeiträume und mit Regelmäßigkeit betrieben. Die Überwachung war darauf angelegt, die Benutzer dieses Teils der Tiefgarage in einer Vielzahl von Fällen abzubilden und aufzuzeichnen. Notwendigerweise werden damit alle - auch mit den Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers in keinem Zusammenhang stehenden - Vorgänge und Verhaltensweisen der Nutzer der Tiefgarage mit aufgezeichnet. Die Videobänder dokumentieren einen nicht unerheblichen Bereich des Privatlebens der Mitbenutzer der Tiefgarage, wobei die Verwertung des Materials, insbesondere auch der Zusammenschnitt von Aufzeichnungen ganz privaten Inhalts dem Belieben des Aufzeichners überlassen bleibt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Kläger selbst die Absicht hatte oder gar umsetzte, dieses Material in anderer Weise als zur Aufklärung der Beschädigungen seines Fahrzeugs zu verwenden.

Solche Maßnahmen bewirken eine schwerwiegende Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Mitbenutzer der Tiefgarage so auch der Beklagten. Diesem gewichtigen Eingriff in die Rechtsposition der Beklagten stehen keine überwiegenden Interessen entgegen, die sich aus rechtlich geschützten Belangen des Klägers ergeben. Zwar kann sich der Kläger auf sein verfassungsrechtlich garantiertes Recht, geeignete Schutzmaßnahmen für sein Eigentum zu ergreifen, stützen. Dies darf aber nicht - wie hier - in unverhältnismäßiger Weise auf Kosten des Eingriffs in hochrangige Rechtsgüter Dritter geschehen.

a) Der Kläger hat mit der heimlichen Videoüberwachung nach eigener Darstellung zwei Ziele verfolgt, nämlich zum einen den Täter der vorangegangenen Taten auszumachen und zu überführen und zum anderen weitere Beschädigungen seines Eigentums auf Dauer auszuschließen. Er hat dabei selbst eingeräumt, dass eine ihm ebenfalls mögliche offene Videoüberwachung des Tiefgaragenbereichs aller Voraussicht nach dazu geführt hätte, dass weitere Beschädigungen unterblieben wären. Gegenüber der verdeckten Videoüberwachung stellt jedoch die dem erfassten Personenkreis bekannte Überwachung die mildere Eingriffsform dar, insbesondere wenn - wie auch hier - der betroffene Personenkreis ohne Gefährdung des Schutzinteresses um sein Einverständnis hätte gebeten werden können (vgl. BAG JZ 1988, 108). Das Interesse des Klägers, sich vor weiteren Beschädigungen seines Eigentums zu schützen, kann daher zur Rechtfertigung der verdeckten Videoüberwachung nicht herangezogen werden.

b) Nicht geleugnet werden kann, dass der Kläger auch ein erhebliches berechtigtes Interesse an der Klärung der Verantwortlichkeit für die bereits eingetretenen Beschädigungen geltend machen kann. Grundsätzlich kann auch das Interesse an der Aufklärung einer bereits geschehenen Straftat oder Rechtsverletzung im Einzelfall den mit einer verdeckten Videoüberwachung verbundenen Eingriff in Persönlichkeitsrechte rechtfertigen. Voraussetzung ist jedoch zum einen, dass es sich um eine erhebliche Straftat handelt, deren Intensität der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen mindestens gleich kommt, und ferner, dass die Videoüberwachung überhaupt geeignet ist, hinreichend sichere Rückschlüsse auf die Verantwortlichen bereits begangener Straftaten und Rechtsverletzungen zu liefern. Diesen Anforderungen wird die vom Kläger unternommene Videoüberwachung nicht gerecht. Selbst wenn die Aufnahmen vom 26. Juni 2000 eindeutig die Beklagte als Täterin ausgewiesen hätten, wäre ein hinreichend sicherer Rückschluss auf deren Täterschaft bei den vom Kläger geschilderten 3 vorangegangenen Fällen nicht möglich. Diese könnten auch in den alleinigen Verantwortungsbereich beispielsweise des Ehemanns der Beklagten fallen, der nach Vortrag des Klägers am 27.06.2000 durch Gesten die Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug gutgeheißen haben soll. Darüber hinaus kann auch in dem beschränkten Bereich einer Wohnanlage nicht mit hinreichender Sicherheit das Phänomen von Nachahmungstätern und "Trittbrettfahrern" ausgeschlossen werden. Das Beschaffen von Beweismitteln mit derart beschränktem indiziellen Wert vermag Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des betroffenen überwachten Personenkreises nicht zu rechtfertigen (vgl. dazu auch LAG Baden-Württemberg BB 1999, 1493).

Die Rechtswidrigkeit der Beweismittelbeschaffung führt zur Unverwertbarkeit des Beweismittels (LAG Köln BB 1997, 476). Nach dem Schutzzweck des verletzten Persönlichkeitsrechts hindert hier der Verstoß gegen das Beweiserhebungsverbot die Verwertung des Beweismittels (Musielak/Foerste; ZPO; 2. Aufl.; § 284; Rn. 6 f.). Das Videoband darf deshalb nicht in Augenschein genommen und das Ergebnis einer Inaugenscheinnahme nicht zu Lasten der Beklagten verwertet werden. Darüber hinaus dürfen zu Lasten der Beklagten auch die Aussagen der Zeugen nicht verwertet werden, denen der Kläger - und später das Landgericht bei der Beweisaufnahme - die Aufzeichnungen vorgeführt hat. Anderenfalls könnte das auf einem Beweiserhebungsverbot beruhende Beweisverwertungsverbot unschwer umgangen werden (vgl. dazu Stein-Jonas/Leipold; ZPO; 21. Aufl.; § 284 Rn. 61).

II.

..........

Ende der Entscheidung

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