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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 12 U 192/06
Rechtsgebiete: AVB, BGB


Vorschriften:

AVB § 12
AVB § 12 Abs. 3
AVB § 16 Abs. 6
BGB § 315 Abs. 3
BGB § 315 Abs. 3 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 02.08.2006 - 5 O 349/05 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Der Kläger nimmt die Beklagte, bei der er mit Wirkung vom 01.10.1977 einen Rentenversicherungsvertrag mit Überschussbeteiligung geschlossen hat, auf Zahlung gekürzter Überschussanteile in Anspruch und begehrt die Feststellung, dass auch für die Zukunft der ungekürzte Betrag zu zahlen ist.

Aus dem Versicherungsvertrag zahlt die Beklagte seit dem 01.11.2002 Renten an den Kläger. Die garantierte Rente beträgt EUR 702,05; als Überschussanteil wurden zunächst EUR 210,07 gezahlt, so dass sich eine monatliche Rente von EUR 919,12 ergab.

Mit Schreiben der Beklagten vom 21.09.2004 (Anlage K 3) kündigte diese eine Kürzung der Überschussbeteiligung ab dem 01.10.2004 an, die zu einer monatlichen Gesamtrente in Höhe von EUR 884,20 führt. Zur Begründung wurde auf die wegen der geänderten Kapitalmarktlage gesunkenen Zinserträge verwiesen. Zum 01.10.2005 wurde eine weitere Kürzung der Überschussanteile vorgenommen, nach der die Gesamtrente EUR 763,33 beträgt.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Anspruch auf Zahlung einer garantierten Leistung in Höhe von 919,12 EUR zu. Er hat in erster Instanz beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständige Rentenbeträge in Höhe von 574,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus jeweils 34,92 EUR seit jeweils des Ersten der Monate Oktober 2004 bis einschließlich September 2005 sowie aus 155,79 EUR seit 01.10.2005 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 01.11.2005 eine monatliche Rente in Höhe von 919,12 EUR zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Zulässigkeit der Kürzung der Überschussanteile ergebe sich aus § 12 Abs. 3 AVB, vor allem aber § 16 Abs. 6 AVB. Vertrauensschutz stehe einer Kürzung nicht entgegen.

Das Landgericht hat die Klage im angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Die Kürzung sei im Rahmen der geltenden Versicherungsbedingungen erfolgt, die auch hinsichtlich der Tatbestandsmerkmale für eine Kürzung nicht zu unbestimmt seien. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen wiesen auch hinreichend klar darauf hin, dass die Überschussanteile in Zukunft nicht garantiert werden könnten. Die Beklagte habe keinen entsprechenden Vertrauenstatbestand geschaffen, so dass auch im Wege des Schadensersatzes keine Fortzahlung der ursprünglichen Überschussanteile verlangt werden könne. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Versicherungsbedingungen eine Überschussbeteiligung entsprechend dem jeweiligen von der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan vorsehen, bestehe kein zivilrechtlicher Anspruch des Versicherungsnehmers auf individuelle Überschussbeteiligung. Die Bindung an die Genehmigung des Geschäftsplans durch die Aufsichtsbehörde stehe auch einer Bestimmung einer Leistung durch Urteil nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB entgegen. Nichts anderes ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2005 (Az. 1 BvR 80/95); diese habe den Gesetzgeber zwar zu einer Neuregelung der Überschussbeteiligung verpflichtet, zugleich aber klargestellt, dass es bis dahin bei der geltenden Rechtslage bleibe.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlich gestellten Anträge weiter. Er vertritt weiterhin die Auffassung, die Bezugnahme auf eine "ungünstige Entwicklung des Kapitalmarkts" in § 12 Abs. 6 AVB sei zu unbestimmt, um Wirkung zu entfalten. Auch die Bezugnahme auf Vorschriften des VAG und des HGB sei nicht geeignet, die Kürzung für den Kläger als rechtlichen Laien nachvollziehbar zu machen; diese habe ihn vielmehr verwirrt. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Fortgeltung des bisherigen Rechts bis zu der dem Gesetzgeber aufgegebenen Neuregelung zugelassen habe, mache es keinen Sinn, an den Grundsätzen einer bald überholten Rechtsprechung festzuhalten. Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe jedenfalls mit dem Schreiben vom 31.07.2002 (Anlage K 2) einen Vertrauenstatbestand geschaffen, weil der Kläger nach seinem Empfängerhorizont davon habe ausgehen dürfen, dass die als "Kombi-5-Überschussrente" bezeichnete Rente in den ersten fünf Jahren in gleich bleibender Höhe ausgezahlt werde. Er ist ferner der Auffassung, nach den AVB der Beklagten müssten die erzielten Überschüsse für eine konstante Auszahlung der Überschussanteile von fünf Jahren sorgen; ein fester zur Verfügung stehender Betrag könne in eine fünf Jahre lang zu zahlende Rente umgerechnet werden, die keiner Änderung unterliege. Die Einschränkung "solange genügend Überschüsse erwirtschaftet werden" in § 12 Abs. 6 AVB habe der Kläger darauf beziehen müssen, dass bis zum Auszahlungsbeginn ausreichend Überschussanteile erwirtschaftet werden müssen und anschließend der bei Auszahlungsbeginn errechnete Betrag auf fünf Jahre konstant bleibe. Dies ergebe sich aus dem systematischen Zusammenhang. Jedenfalls sei der vom Landgericht erteilte Hinweis auf seine abweichende rechtliche Beurteilung nicht ausreichend gewesen.

Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des erstinstanzlichen Urteils die Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche bestehen nicht, weil die Beklagte - wie vom Landgericht zu Recht ausgeführt - zur Kürzung der ausgezahlten Überschussanteile berechtigt war und ist.

1. Die Beteiligung des Versicherungsnehmers an Überschüssen ist in § 12 der AVB nach Anlage K 1 geregelt. In Absatz 1 wird das Prinzip dargestellt: Primär muss der Versicherungsschutz zu jedem Zeitpunkt der Versicherungsdauer gesichert sein. Für die dafür erforderlichen Rückstellungen werden Mittel angelegt und erbringen Kapitalerträge. Soweit aus Kapitalerträgen, angelegten Mitteln und Beiträgen nach Erbringung der zugesagten Versicherungsleistungen und Deckung der Abschluss- und Verwaltungskosten ein Überschuss verbleibt, werden die Versicherungsnehmer hieran beteiligt. Verdeutlicht wird das Prinzip mit dem Satz

"Je größer die Erträge aus den Kapitalanlagen sind, je weniger Versicherungsfälle eintreten und je kostengünstiger wir arbeiten, um so größer sind dann entstehende Überschüsse, an denen wir Sie und unsere anderen Kunden beteiligen."

Die Höhe der Überschüsse wird nach den Vorschriften des VAG und des HGB und den dazu erlassenen Rechtsvorschriften (insbes. RVO zu § 81c VAG) ermittelt.

Nach Absatz 2 ist in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtslage für die Frage, ob die Feststellung der Überschussanteile ordnungsgemäß erfolgt ist und die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen eingehalten wurden, die Aufsichtsbehörde - AGB-rechtlich unbedenklich - die vertraglich bestimmte Kontrollinstanz und der vertraglich vorgesehene Auskunftsempfänger zugunsten aller Versicherungsnehmer. Die Absätze 2 und 3 erläutern ferner die Art und Weise, nach der die gesetzlich vorgegebenen Grundsätze der Überschussbeteiligung von der Beklagten umgesetzt werden. So wird der "Gewinnverband", auf den die Überschussermittlung bezogen ist und innerhalb dessen die Versicherungsnehmer in Bezug auf die Überschlüsse gleich behandelt werden, ebenso in Grundzügen dargestellt wie der Umstand, dass die Höhe der Überschussanteile vom Vorstand der Beklagten auf Vorschlag des verantwortlichen Aktuars unter Beachtung der maßgebenden aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen jährlich festgelegt wird. Bereits in Absatz 3 wird klargestellt, dass in einzelnen Versicherungsjahren eine Zuteilung von Überschlüssen ganz entfallen kann, sofern dies sachlich gerechtfertigt ist.

Weitere Einzelheiten der Überschussbeteiligung sind in den Absätzen 4 bis 7 geregelt. Der für die auf die mit den Renten ausgezahlten Überschussanteile maßgebliche Absatz 6 lautet:

"Wir bilden aus den Überschußanteilen eine sogenannte "Kombi-5-Überschußrente". Das heißt, wir verwenden jedes Jahr einen Teil der Überschußanteile für eine zusätzliche lebenslange Rente (Bonusrente) und die verbleibenden Überschußanteile für eine zusätzliche einjährige Rente. Solange ausreichend Überschüsse erwirtschaftet werden, zahlen wir die Kombi-5-Überschußrente in den ersten fünf Jahren in gleichbleibender Höhe. Ab Beginn des sechsten Versicherungsjahres wird sie sich voraussichtlich langsam erhöhen. Da aber die künftige Überschußentwicklung nicht vorhersehbar ist, kann auch eine Herabsetzung erforderlich werden (z.B. wenn die allgemeine Lebenserwartung in Zukunft weiter steigen oder der Kapitalmarkt sich ungünstig entwickeln sollte)." (Hervorhebung hinzugefügt)

2. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der die AVB aufmerksam liest und verständig würdigt (zu diesem Maßstab vgl. z.B. BGH VersR 2003, 236 sub II.3.a), kann nach diesen Bestimmungen kein Zweifel daran bestehen, dass eine gleichbleibende Höhe der Überschussanteile - auch für die ersten fünf Jahre der Rentenauszahlung - nicht garantiert wird. Eine gleichbleibende Auszahlung in den ersten fünf Jahren wird zwar als Ziel formuliert, das aber ausdrücklich von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, dass ausreichend Überschüsse erwirtschaftet werden. Das vom Kläger vorgetragene abweichende Verständnis ist mit Wortlaut und Sinn der klar formulierten AVB unvereinbar; auch aus der Bezeichnung "Kombi-5-Überschussrente" lässt sich nicht herleiten, dass eine gleichbleibende Höhe der Überschussanteile in den ersten fünf Jahren garantiert wird. Es trifft ferner nicht zu, dass für die Überschussanteile bei Beginn der Auszahlung ein fester Betrag zur Verfügung stünde, der lediglich auf fünf Jahre umgelegt werden müsse. Vielmehr geht aus den Regelungen des § 12 auch mit der gebotenen Klarheit hervor, dass die Überschüsse und damit die Überschussanteile der Versicherungsnehmer für jedes Versicherungsjahr neu ermittelt und festgelegt werden. An der AGB-rechtlichen Wirksamkeit einer solchen Abhängigkeit der Anteile von den erwirtschafteten Überschüssen bestehen keine Zweifel.

3. Die Beklagte hat nicht durch individualvertragliche Abreden die gleichbleibende Höhe der Überschussbeteiligung versprochen; ihr ist es auch nach Treu und Glauben nicht verwehrt, sich auf die aus den AVB folgende Kürzungsmöglichkeit zu berufen. Das Schreiben nach Anlage K 2, auf das sich der Kläger insoweit beruft, unterscheidet deutlich zwischen der Überschussbeteiligung und der garantierten Rente und wiederholt die Formulierung aus den AVB:

"Solange ausreichend Überschlüsse erwirtschaftet werden, zahlen wir die Kombi-5-Überschußrente in den ersten fünf Jahren in gleichbleibender Höhe."

Schutzwürdiges Vertrauen darauf, dass eine Verminderung der Überschussbeteiligung unter den im Schreiben genannten Wert ausgeschlossen ist, wird durch dieses Schreiben ebenso wenig begründet wie durch die von der Beklagten im Schreiben nach Anlage K 6 erteilte Auskunft.

4. Richtig ist, dass sich die Höhe der Überschussanteile und damit auch das Ausmaß einer Kürzung aus den AVB selbst nicht ersehen lässt. Der Versicherungsnehmer ist insoweit nach dem derzeitigen System darauf verwiesen, dass die Aufsichtsbehörde ihre Befugnis zur Überwachung der Versicherungsunternehmen ordnungsgemäß ausübt. Die Kalkulation der Versicherungsunternehmen sowie die Überschussermittlung unterliegen öffentlichem Recht; die Einhaltung dieser Vorgaben wird nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) durch die Aufsichtsbehörde überwacht. Auf dieses vorgelagerte öffentlich-rechtliche Regelungswerk nimmt § 12 der AVB nach Anlage K 1 Bezug; dies ist AGB-rechtlich unbedenklich (vgl. BGH NJW 1995, 589 ff.).

Die Feststellung des Überschusses selbst unterliegt somit nicht dem Versicherungsvertrag; die entsprechenden Bestimmungen in den AVB haben nur klarstellenden Charakter. Da der Versicherungsvertrag allenfalls die Verteilung des Überschusses an die Versicherten regelt, kann der Kläger weder geltend machen, dass die Ermittlung der Überschussbeteiligung anders als geschehen hätte erfolgen müssen, noch dass die Beklagte oder deren Rechtsvorgängerin durch eine verständigere Anlagepolitik die Überschussbeteiligung auf gleich bleibend hohem Niveau hätte halten können. Denn auch die Kontrolle der Anlagepolitik nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsrechts obliegt - bei weiten unternehmerischen Gestaltungsspielräumen für den Versicherer - der Aufsichtsbehörde. Eine bestimmte Anlage oder Verwaltung der Rückstellungen ist vertraglich jedenfalls nicht geschuldet.

Das aktuelle Regelwerk mit seinem Ineinandergreifen von öffentlichem und privaten Recht ist abschließend und lässt für weitergehende zivilrechtliche Beteiligungsansprüche keinen Raum. Auch wenn die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, ist der verfassungsgemäße Ausgleich der beteiligten Interessen Sache des Gesetzgebers und bleibt es bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, spätestens aber bis zum 31.12.2007, bei dem bislang geltenden Recht (vgl. Urteil des BVerfG vom 26.07.2005, Az.: 1 BvR 80/95, BVerfGE 114, 73 ff., sub C.II.2., 3.). Der gebotene Ausgleich ist komplex und vielschichtig. Er kann nicht durch die vom Kläger begehrte punktuelle Zuerkennung zivilrechtlicher Beteiligungsansprüche im Wege der Kontrolle allgemeiner Geschäftsbedingungen oder der ergänzenden Vertragsauslegung durch die Zivilgerichte vorweg genommen werden. Das schließt auch Ansprüche aus § 315 Abs. 3 BGB aus; im übrigen fehlt es - wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat - an der Befugnis der Beklagten zur Bestimmung der Leistung nach billigem Ermessen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

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