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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 20.02.2003
Aktenzeichen: 12 U 205/02
Rechtsgebiete: VVG, ALB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 169
ALB 94 § 9
ALB 86 § 8
ZPO § 286
Im Rahmen der Selbsttötungsklausel (VVG § 169, ALB 94 § 9) sind an das Beweismaß für den Nachweis eines Zustands krankhafter Störung der Geistestätigkeit keine zu strengen Anforderungen zu stellen.

Das Gericht hat keine Befugnis, einen Privatgutachter, der nicht als sachverständiger Zeuge oder als gerichtlicher Sachverständiger in Betracht kommt, zu einem Gerichtstermin zu laden.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE Im Namen des Volkes Urteil

12 U 205/02

Verkündet am: 20.2.2003

In Sachen

wegen Forderung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 20.02.2003 durch

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 9.8.2002 - 6 O 309/01 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen

Gründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

I. (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)

Die Klägerin begehrt als Begünstigte einer Lebensversicherung die Auszahlung der Versicherungssumme (994.691,00 DM abzüglich geleisteten Rückkaufswert in Höhe von DM 117.431,76 = 877.259, 24 DM bzw. 448.535,52 €)

Der Versicherte, Ehemann der Klägerin, beging am 19.07.2000 Selbstmord. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 15.05.2001 unter Berufung auf § 10 der zum Inhalt des Versicherungsvertrages gemachten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung (ALB) die Auszahlung der Versicherungssumme ab (sog. Selbsttötungsklausel). Die Klägerin vertritt die von einem Privatgutachten gestützte Auffassung, ihr Ehemann habe unter Depressionen gelitten und sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit umgebracht. Das Landgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei für ihren Vortrag beweisfällig geblieben. Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochten Urteils wird Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Sie greift die Beweiswürdigung des Landgerichts an, meint, ihr Privatgutachter müsse im Rahmen einer Beweisaufnahme gehört werden und benennt zwei in erster Instanz verhinderte Zeugen.

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat den Privatgutachter Prof. Dr. S. als sachverständigen Zeugen vernommen und die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. K. erneut angehört.

II. (§ 540 Abs. 1 Nr.2 ZPO)

A.

Die Berufung rügt Verfahrensfehler des Landgerichts im Zusammenhang mit den Tatsachenfeststellungen.

Zum einen beanstandet die Klägerin, das Landgericht habe den Privatgutachter Prof. Dr. S. nicht angehört, obwohl sie dies beantragt habe. Insoweit liegt jedoch kein Verfahrensfehler vor. Es ist jeder Partei unbenommen, die fehlende eigene Sachkunde in der mündlichen Verhandlung dadurch auszugleichen, dass sie sich eines Privatgutachters als Erklärungs-, Befragungs- und Darlegungshelfers bedient. Die Gerichte haben in Fällen fehlender eigener Sachkunde auf einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen zurückzugreifen. Soweit ins Wissen des Privatgutachters strittige Befundtatsachen gestellt werden, hat das Gericht allerdings den Privatgutachter als sachverständigen Zeugen zu hören. Verhält es sich so nicht, eröffnet die Zivilprozessordnung, die insoweit auch in der letzten umfangreichen Novellierung die bekannte Problematik nicht abweichend geregelt hat, keine Befugnis, am Verfahren nicht beteiligte Personen, die weder Zeuge noch Sachverständige noch Dolmetscher sind, zu einem Gerichtstermin zu laden (vgl. auch OLG Karlsruhe VersR 1990, 53). Für den hoheitlichen Akt einer Ladung des Privatgutachters fehlt es somit an einer Ermächtigungsgrundlage. Dass das Landgericht im Gegensatz zum Senat die ins Wissen des Privatgutachters gestellten Befundtatsachen für unerheblich gehalten hat, begründet keinen Verfahrensfehler.

Zum anderen beanstandet die Klägerin, dass das Landgericht die Zeugen nicht in Gegenwart der gerichtlichen Sachverständigen angehört habe; eine umfassende Exploration der beteiligten Personen habe nicht stattgefunden. Die von ihr zum Beleg herangezogene Entscheidung des BGH in NJW-RR 1997, 664 gibt allerdings nur den Hinweis, dass ein solches Vorgehen sinnvoll sei, und beschränkt im Einklang mit der Zivilprozessordnung die Beweisaufnahme durch Zeugenbeweis auf die bestrittenen Befundtatsachen. Dabei geht der Senat davon aus, dass zwar an das Vorbringen, der Versicherte habe sich in einem seine freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit getötet, ein unzulässig strenger Maßstab angelegt wird, wenn eine von vornherein umfassende und in sich stimmige Schilderung aller in Betracht kommenden Indiztatsachen verlangt wird, eine solche jedoch nachgeholt werden muss, wenn der gerichtliche Sachverständige erkennen lässt, dass er in bestimmten Punkten weiteres und für den Anspruchsteller verfügbares Tatsachenmaterial benötigt. So verhält es sich hier jedoch nicht.

Eine Exploration im eigentlichen Sinn findet in der mündlichen Verhandlung nicht statt. Für eine derartige umfassende Tatsachenerhebung bietet der Zivilprozessordnung nicht die geeigneten Mittel. Dies belegt schon der vorliegende Fall. Ein Blick in die beigezogenen Strafakten zeigt, dass die Parteien weitere für eine umfassende Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehende Zeugen gar nicht benannt haben. In den Strafakten befinden sich Stellungnahmen der Verwandten des Versicherten zu dessen seelischer Situation, die über den verwertbaren Text hinaus weitergehende Erkenntnisse zumindest möglich erscheinen lassen. Als Beweismittel werden diese Personen jedoch von keiner Partei angeboten. Die Gründe hierfür können nur vermutet werden. Die Auswahl der Zeugen obliegt allein dem Dafürhalten der Parteien. Das Gericht darf im Bereich des Zeugenbeweises nur die angebotenen Zeugen vernehmen.

Richtig ist allerdings, dass das Gericht sich mit den Einwendungen einer Partei gegen ärztliche Gutachten auch eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sorgfältig auseinander zusetzen hat. Das gilt erst recht, wenn die Partei sich auf ein von ihr vorgelegtes ärztliches Privatgutachten stützt, das im Gegensatz zu den Erkenntnissen des gerichtlichen Sachverständigen steht. Der Tatrichter muss daher die Gründe darlegen, warum er einem Gutachten den Vorzug gibt. Deshalb muss der gerichtliche Sachverständige auch zu den aus den Privatgutachten ergebenden Einwänden und Zweifeln Stellung nehmen. Letztlich sind die Gründe darzulegen, warum einem Gutachten der Vorzug gegeben wird (BGH VersR 1994, 162). Hieran fehlt es im ersten Rechtszug, weshalb der Senat dies nachzuholen hat.

B.

Der Selbstmord des Ehemanns der Klägerin fällt innerhalb des Zeitraums der ersten drei Jahre nach Einlösung des Erstbeitrags, weshalb die Beklagte vereinbarungsgemäß nur dann zur Leistung verpflichtet wäre, wenn die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Diesen ihr obliegenden Nachweis hat die Klägerin nicht erbracht.

Ein Ausschluss der freien Willensbestimmung liegt vor, wenn jemand nicht imstande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist dabei darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung äußere Einflüsse den Willen übermäßig beherrschen (BGH WM 1996, 104; BGH NJW 1970, 1680, 1681 BGH WM 1984, 1063, 1064). Als krankhafte Störung der Geistestätigkeit i. S. von § 169 VVG (dem insoweit § 10 der maßgebenden ALB entspricht) können alle Störungen der Verstandestätigkeit sowie des Willens, des Gefühls und des Trieblebens in Betracht kommen (BGH NJW 60, 1393.). Das Vorliegen einer Geisteskrankheit ist nicht erforderlich (OLG Hamm VersR 1977, 928; OLG Stuttgart VersR 1989, 794). Voraussetzung ist nur, dass eine freie Entscheidung aufgrund einer nachvollziehbaren Abwägung von Für und Wider ausgeschlossen ist und eine sachliche Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte nicht möglich ist (BGH NJW 1970, 1680; BGH NJW 53, 1342; KG VersR 2000, 86). Dafür kommt es vornehmlich darauf an, ob der Versicherte imstande war, seinen Willen unbeeinflusst von der vorliegenden Störung zu bilden, ob ihm also eine freie Willensentscheidung möglich war oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil die Willensbestimmung von unkontrollierten Trieben und Vorstellungen gesteuert worden ist (BGH VersR 1994, 162).

Die Beweislast für das Vorliegen eines derartigen Zustands im Zeitpunkt der Tat trifft den Anspruchsteller (Senat RuS 1995, 79; BGH VersR 1994, 162; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. § 169 Rdn.10). Allein die Tatsache, dass ein Selbstmörder "nicht normal" ist, reicht für den Nachweis der Unzurechnungsfähigkeit nicht aus. Es lässt sich nicht von vornherein sagen, dass jeder, der sich das Leben nimmt, krankhaft in seiner Geistestätigkeit gestört gewesen sein muss (Senat VersR 78, 657). Dass die Tat unerklärlich scheint, dass ein bestimmter und ausreichender Beweggrund nicht dargetan werden kann, reicht allein ebenfalls nicht aus (OLG Köln OLGR 2002, 25; OLG München VersR 1955, 610).

Erhebliche psychische Störungen des Verstorbenen in der Zeit vor seiner Tat erlauben für sich genommen keine sicheren Schlüsse darauf, dass der Suizid begangen wurde im Zustand einer krankheitsbedingten Willensstörung, die eine freie Willensentscheidung unmöglich gemacht hat. Gegen die Annahme, dass ein Selbstmörder von unkontrollierbaren Trieben und Vorstellungen in den Tod getrieben wurde, spricht es, wenn seine Tat als "Bilanzselbstmord" nachfühlbar ist. Die nicht hinreichend auszuschließende Möglichkeit nachfühlbarer Motive für eine Selbsttötung wird von der Rechtsprechung als Zeichen dafür angesehen, dass der Verstorbene nicht in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit gehandelt hat, sondern dass der von einfühlbaren Motiven gelenkte Wille noch Einfluss auf die Entscheidung des Verstorbenen hatte (OLG Stuttgart VersR 1989, 794; OLG Frankfurt/M. VersR 62, 821 m. w. Nachw.; OLG Nürnberg VersR 69, 149).

Allerdings ist es erforderlich, diese Merkmale nicht isoliert, sondern in einer Gesamtschau in die Überzeugungsbildung einfließen zu lassen. Insbesondere muss dem Zusammentreffen von vorherigen gewichtigen psychischen Störungen und dem Fehlen nachvollziehbarer Beweggründe hohes indizielles Gewicht beigemessen werden. Dabei ist zu beachten, dass an die Beweisführung keine zu strengen Anforderungen gestellt werden dürfen. Verlangt wird keine unumstößliche Gewissheit, sondern lediglich ein brauchbarer Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 100, 214; Langheid/Römer, a.a.O., Rdn.12). Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Ausnahmebestimmung des § 169 Satz 2 VVG nur dann den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck dienen kann, wenn zum Nachweis schon eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Ausschluss der freien Willensbestimmung ausreicht (Bruck/Möller/Winter, VVG, 8.Aufl., Bd. V/2, Anm. G 129 m.w.N.). In der Begründung zu § 169 VVG (Verhandlungen des Reichstags, XII. Legislaturperiode, Bd. 241 Nr. 364, S. 170f) wird dargelegt, dass mit § 169 Satz 1 VVG keine eigenständigen gesetzgeberischen Ziele verfolgt werden, sondern lediglich einer im Grundsatz nicht zu beanstandenden Praxis der Versicherer kein Riegel vorgeschoben werden sollte. Um allerdings einer unbilligen Strenge entgegen zu wirken, müsse § 169 Satz 2 VVG zur angemessenen Ausgleichung der beiderseitigen Interessen eingeführt werden. In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass die Beklagte - wie andere Versicherer auch - mit der befristeten Selbstmordregelung ihre Leistungsfreiheit auf eine Zeit von drei Jahren verkürzt hat. Sinn der Frist von drei Jahren ist es, die Versicherer davor zu schützen, dass ein Versicherter auf ihre Kosten zugunsten von Hinterbliebenen mit seinem Leben spekuliert (BGH VersR 1991, 574; BGH VersR 1954, 281). Damit aber wird das Selbstmordrisiko insgesamt in den Versicherungsschutz eingezogen, die Karenzzeit dient allein dazu, das subjektive Risiko beim Versicherten zu begrenzen, insbesondere zu verhindern, dass Lebensversicherungen mit dem Ziel abgeschlossen werden, die finanzielle Situation der Hinterbliebenen zu verbessern (BGHZ 13, 237; Bruck/Möller/Winter, a.a.O.; G 131). Nach Auffassung des Senats entfällt im Weg der teleologischen Reduktion eine Leistungsfreiheit des Versicherers allerdings nicht schon immer dann, wenn nachgewiesen ist, dass dieses subjektive Risiko sich im konkreten Fall nicht verwirklicht hat bzw. der Versorgungsgedanke beim Suizidentschluss keine Rolle gespielt hat. Ansonsten würde im Weg des Zirkelschlusses der Zweck der Selbstmordklausel, dem eine Anerkennung nicht versagt werden kann, gänzlich vereitelt. In diesen Fällen besteht aber zumindest kein Bedürfnis für zu strenge Beweisanforderungen.

C.

Die Sachverständige Prof. Dr. K., hat in ihrem Gutachten vom 14.05.2002 ausgeführt, dass aufgrund der ihr vorliegenden Unterlagen, zu denen auch die Ergebnisse der Zeugenvernehmung, der Anhörung der Klägerin und das Privatgutachten gehörten, bei dem Verstorbenen Symptome einer depressiven Episode vorlagen, die ihrem Ausmaß nach als zumindest mittelschwer einzuschätzen sind, wenn man einbezieht, dass der Ehemann der Klägerin seine beruflichen Aufgaben offenbar nur noch unter Zuhilfenahme von Aufputschmitteln bewältigen konnte. Die anamnestisch von Zeugen geschilderten Auffälligkeiten gegenüber Freunden und Bekannten bzw. die aggressiven Impulsdurchbrüche, die offenbar nicht seiner Primärpersönlichkeit entsprachen, legten eine krankheits- bzw. zusätzlich medikamentenbedingte Einschränkung kognitiver wie affektiver Fähigkeiten in der letzten Zeit vor seinem Tode durchaus nahe. Mit diesen Einschränkungen bezüglich realitätsgerechter Kognition, der Stimmungslage und der affektiven Steuerungsfähigkeit sei der Verstorbene offenbar erneut unter Druck geraten, als er meinte, der Bekannte seiner Frau, mit der sie im Jahr vor dem Tode des Versicherungsnehmers eine außereheliche Beziehung pflegte, habe mit seiner Frau Kontakt aufnehmen wollen oder aufgenommen. Gleichzeitig seien möglicherweise starke Ängste von einem von ihm (wie schon zuvor in seinem Brief geäußert) als bedrohlich erscheinenden Scheitern der Ehe wach geworden und hätten zugleich aggressive Impulsdurchbrüche bedingt. Die in kurzem zeitlichen Abstand danach erfolgte Selbsttötung (eineinhalb bis zweieinhalb Stunden nach Beginn der angegebenen Auseinandersetzung) könnte für eine Handlung unter starkem affektiven Druck sprechen. Eine Affekthandlung mit erheblich eingeschränkten Kognition und Handlungsmöglichkeiten sei auf dem Boden eines vorbestehenden depressiven Syndroms und in Wirkung von zentral wirksamen Medikamenten nicht sicher auszuschließen. Aus psychiatrischer Sicht sei zum Zeitpunkt der Selbsttötung von einer wahrscheinlichen Beeinträchtigung des Denkens, des schlussfolgernden Handels und der Affektsteuerung auszugehen. Der Ausschluss einer freien Willensbestimmung lasse sich allerdings aus dem vorliegenden Materialien nicht belegen. Hierzu wäre der Nachweis erforderlich, dass sich der Impuls zur Suizidhandlung im gleichen Affekt und abrupt entwickelt hat, als der Verstorbene unter akutem psychischem Druck stand - gleichsam als plötzlich aufschießender Affektimpuls, und der Beweis, dass der Handlungsvorgang im gleichen Affekt vollzogen und auch nicht durch kritische Reflexion unterbrochen gewesen wäre. Für einen derartigen Nachweis reichten die vorliegenden Materialien und Informationen nicht aus. Immerhin habe der Verstorbene nach dem ehelichen Streit und den aggressiven Handlungen noch den Weg zu seiner Praxis zurücklegen und zielgerichtet die tödliche Infusionsmischung richten und sich zuführen können. Das Fehlen eines Abschiedbriefes sowie das kurze zeitliche Intervall zwischen der angegebenen, aggressiv geführten ehelichen Auseinandersetzung mit eingetretener Tür und der Selbsttötung schließe andererseits auch die Möglichkeit einer durchgängigen Affektlage mit fehlender zwischenzeitlicher kritischer Reflexion nicht aus. Im Ergebnis lasse sich der Ausschluss von freier Willensbestimmung aufgrund krankhafter Störung der Geistestätigkeit aufgrund der vorliegenden Unterlagen medizinisch nicht belegen, aber auch nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen. Für einen Bilanzselbstmord gebe es keine Hinweise. Bei der Erläuterung des Gutachtens in erster Instanz hat die Sachverständige ihr Gutachten nochmals ausdrücklich - auch unter Berücksichtigung des weiteren Sachvortrages - bestätigt. Der Verstorbene sei berufstätig gewesen. Diese Berufstätigkeit sei mit einer schweren Depression nicht vereinbar, weshalb eine schwere Depression bei dem Ehemann der Klägerin nicht nachgewiesen sei. Auch der gesamte situative Kontext lasse nicht auf Ausschluss seiner freien Willensbestimmung schließen.

In der Beweisaufnahme vor dem Senat hat der Privatgutachter Prof. Dr. S. bestätigt, dass seiner Stellungnahme durchaus auch Angaben der Klägerin zu ihrem außerehelichen Verhältnis zugrunde lagen, er dieses allerdings aus bestimmten Gründen nicht erwähnte und als belanglos für die von ihm in erster Linie als bedeutsam angesehen Feststellung einer depressiven Erkrankung einstufte. Dagegen konnte sich Prof. Dr. S. nicht daran erinnern, dass ihm die Klägerin mitteilte, dass sich der Streit vom 18.07.2000 auch daran entzündet hatte, dass der Versicherte annahm, die Klägerin habe an diesem Tag wiederum telefonischen Kontakt mit dem Partner ihrer außerehelichen Beziehung aufgenommen. Der Privatgutachter betont ferner, er habe seine Stellungnahme nicht so sehr als Gutachten verstanden, sondern als eine Möglichkeit für die Klägerin, die Vorgänge innerlich zu verarbeiten. Er habe sich auch im Rahmen dieser Tätigkeit in erster Linie als Therapeut gesehen. Der Privatgutachter betont ferner, dass er mit den Schlussfolgerungen des ihm erst jetzt bekannt gewordenen gerichtlichen Gutachtens durchaus konform gehe. Seine Beurteilung zur Frage des Ausschlusses der freien Willensbetätigung habe er eher allgemein gehalten.

Die Sachverständige Prof. Dr. K. hat bei der Erläuterung ihres Gutachtens vor dem Senat auch bei Berücksichtigung des weiteren Vortrags der Klägerin und im Hinblick auf die ins Wissen der angebotenen Zeugen T. gestellten Tatsachen - die nachvollziehbar als nicht weiterführend bezeichnet werden - nachdrücklich dargelegt, dass einerseits davon auszugehen sei, dass der Suizid des Versicherten im Rahmen einer depressiven Reaktion erfolgt sei, dass aber für die Beurteilung, ob dabei die freie Willensbestimmung ausgeschlossen gewesen sei, die notwendigen Befunde nicht vorlägen. Die Tat falle durchaus nicht aus dem Kontext und könne mit der Entwicklung der Lebensumstände des Versicherten, mit dessen seelischen Zustand, seiner familiären und ehelichen Situation, aber auch mit dem Streit am 18.07.2000 derart in einem Zusammenhang gesehen werden, dass er als Ereignis nicht als völlig fremdartig herausrage. Dass der Suizid in einem Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung begangen worden sei, könne wie der gegenteilige Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden. Eine Wahrscheinlichkeit könne aber nicht angegeben werden. Prof. Dr. S. hat hierzu erklärt, er sehe eher Anhaltspunkte dafür, dass die Tat letztlich krankhaft gesteuert war. Wahrscheinlichkeiten könne er hierzu allerdings auch nicht angeben Er meine jedoch, dass die Befunde eher für eine krankheitsbedingte Tat sprechen als gegen eine krankheitsunabhägige Tat.

Damit unterscheiden sich die Beurteilungen nur graduell. Weitergehende Aufklärung ist nicht zu erwarten. Die Voraussetzungen für die Einholung eines weiteren Gutachtens liegen nicht vor.

Der Senat hat bereits im Termin klargestellt, dass er die Frage nach dem Vorliegen eines Ausschlusses der freien Willensbestimmung nach Ausschöpfung der angebotenen Beweismittel und auf Basis der sachkundigen Unterstützung in eigener Verantwortung nach rechtlichen Kriterien zu entscheiden hat. Dazu werden keine naturwissenschaftlichen Gewissheiten benötigt, zumal solche dem Sachgebiet entsprechend kaum zu erlangen sein werden. Der Senat geht dabei davon aus, dass die freie Willensbestimmung nicht nur in den von Prof. Dr. S. angeführten Fällen wahnhafter Bestimmung als ausgeschlossen angesehen werden kann. Vielmehr kommen hier auch sonstige Sachverhalte in Betracht, in denen beim Versicherten eine seelische Erkrankung oder ein krankhafter Zustand diagnostiziert werden können. Für den Senat würde es bei solchen Sachlagen, auch wenn letzte Gewissheit über das im Zeitpunkt des Suizids vorhandene Befinden - beispielweise den von der Sachverständigen dargelegten Impulskontrollverlust - nicht zu erlangen ist, zur Überzeugungsbildung ausreichen, wenn nachvollziehbare Motive für einen Suizid außerhalb jeder beachtenswerten Wahrscheinlichkeit stünden. So verhält es sich hier jedoch nicht. Die Möglichkeit, dass der Versicherte sich unter dem Eindruck enttäuschter Erwartungen auf Besserung seiner ehelichen Situation und unter dem Eindruck der aktuellen Auseinandersetzung mit der Klägerin noch eigenverantwortlich dazu entschied, aus dem Leben zu scheiden, ist durchaus gegeben. Dafür, dass er die tatsächlichen Umstände aufgrund kognitiver Ausfälle falsch erfasste, und er somit in diesem Bereich der Willensbildung krankhaft gestört war, bestehen - wie die Sachverständige bestätigt - keine hinreichenden Anhaltspunkte.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs.1 Satz 2 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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