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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Beschluss verkündet am 31.07.2007
Aktenzeichen: 12 U 286/01
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 119 S. 2
BGB § 839
Trotz § 119 S. 2 ZPO ist eine Prüfung der Erfolgsaussicht geboten, wenn eine Änderung der tatsächlichen Grundlagen des Verfahrens eingetreten ist, die einer einstweilige Kostenbefreiung für den Rechtsmittelzug nicht mehr zu rechtfertigen vermag.
Oberlandesgericht Karlsruhe

12. Zivilsenat

Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 286/01

31. Juli 2007

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz

Tenor:

Dem Kläger wird die für die Aufnahme des Verfahrens und Durchführung des Berufungsverfahrens nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt.

Gründe:

Eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den jetzigen Kläger kommt mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht in Betracht. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO steht dem nicht entgegen.

Die Klage war ursprünglich darauf gestützt, dass der vormalige Kläger wegen Amtspflichtverletzungen der mit seiner Klage befassten Richter gehindert war, in angemessener Zeit seine Schadensersatzansprüche gegen die Stadt S durchzusetzen und ihm deshalb ein nicht bezifferbarer Schaden bis zum Verlust seines gesamten Vermögens in Höhe von ca. 1 Milliarde DM drohe. Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben, weil durch die nach der im Jahr 1989 erfolgten Zurückverweisung des Rechtsstreits durch den Bundesgerichtshof zwischen dem vormaligen Kläger und der Stadt S eingetretene Verzögerung ein solcher Schaden verursacht werden könne. Es liege auf der Hand, dass ein Schaden in Millionenhöhe sich vergrößere, wenn nicht in angemessener Zeit darüber entschieden werde.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 02.05.2002 darauf hingewiesen, dass nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20.07.2000 - 1 BvR 352/00 - lediglich feststeht, dass das Verfahren zulange gedauert hat und der Kläger deshalb in seinen Grundrechten verletzt ist, darüber hinaus aber für die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruches die Darlegung eines bestimmten auf einer pflichtwidrigen und schuldhaften Amtsführung beruhenden Verzögerungszeitraums oder mehrerer erforderlich ist. Andernfalls nämlich liefe die Feststellung ins Leere, weil der geltend gemachte Verzögerungsschaden teilweise auch entstehen kann durch den nicht amtspflichtwidrigen Zeitablauf, den die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens mit sich brachte, und auch der allein dem vormaligen Kläger zuzurechnende Zeitablauf durch unbegründete Rechtsbehelfe und Rechtsmittel. Ein rechtliches Interesse besteht nur für die Feststellung, dass eine Verpflichtung zum Ersatz des Schadens besteht, der durch Nichtbeendigung des Berufungsverfahrens bis zum einem gewissen Zeitpunkt, in dem bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung das Berufungsverfahren zu einem Abschluss gekommen wäre, nach diesem Zeitpunkt eingetreten ist (wobei der Zeitraum eines daran anschließenden Revisionsverfahrens der haftungsfreien Zeit hinzu zu rechnen wäre).

Der Senat hat dem vormaligen Kläger auf dessen Antrag Gelegenheit eingeräumt, seinen Vortrag im Hinblick auf die Rechtsauffassung des Senats zu ergänzen. Eine solche Ergänzung ist allerdings nicht erfolgt. Vor Ablauf der zuletzt bis zum 03.02.2004 gesetzten Frist ist der Rechtstreit durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochen worden.

Der Senat hat dem ursprünglichen Kläger und jetzigen Insolvenzschuldner trotz der im Senatstermin vom 02.05.2002 und der Verfügung vom 08.05.2006 geäußerten - in der nachfolgenden Zeit vom Kläger nicht ausgeräumten - Bedenken nach Maßgabe von § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren bewilligt. Eine Bindungswirkung für den Antrag des jetzigen Klägers ergibt sich hieraus nicht.

Der ursprüngliche Kläger hat im ersten Rechtszug obsiegt. Dem jetzigen Kläger, der Kraft seines Amts als Insolvenzverwalter berufen ist, das Verfahren im zweiten Rechtszug in gesetzlicher Prozessstandschaft an Stelle des ursprünglichen Klägers fotzzusetzen, wäre daher bei Vorliegen der wirtschaftlichen Voraussetzungen Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn hier § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Anwendung gelangen müsste. Die Vorschrift gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Sie hindert das Versagen von Prozesskostenhilfe dann nicht, wenn - was hier nicht angenommen werden kann - das angegriffene Urteil offensichtlich falsch ist (Brandenburgisches OLG NJW-RR 2004, 581), oder wenn der Antragsteller in vorwerfbarer Weise ein Urteil herbeigeführt hat (OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 726), wovon hier ebenfalls nicht die Rede sein kann. Eine Ausnahme vom Grundsatz des § 119 S. 2 ZPO gebietet aber auch der Fall, dass in der Zwischenzeit eine Änderung der tatsächlichen Grundlagen des Verfahrens eingetreten ist, die die Rechtswohltat einer einstweiligen Kostenbefreiung für den Rechtsmittelzug nicht mehr zu rechtfertigen vermag (BGH NJW-RR 1989, 702; BGHZ 36, 281; OLG Bamberg FamRZ 1989, 111; OLG Hamm FamRZ 1995, 747). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der Kläger stützt sein Feststellungsbegehren in einem wesentlichen Teil auf einen völlig neuen Klagegrund. Der Feststellungsantrag kann nur Erfolg haben, wenn dem Kläger infolge der Amtspflichtverletzung unstreitig oder nachweislich ein Schaden entstanden ist. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des OLG S vom 20.11.2001 stand bereits im Zeitpunkt des Eingangs des PKH-Antrags des Klägers fest, dass derjenige Schaden, den das Landgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat, nicht eintreten kann. Schadensersatzansprüche, die der vormalige Kläger gegen die Stadt S in angemessener Zeit hätte durchsetzen können, bestanden nicht. Aus der "Vorenthaltung" dieser Ansprüche konnte dem vormaligen Kläger daher auch kein Schaden erwachsen. Der Kläger begründet sein Feststellungsbegehren dementsprechend nunmehr mit dem Streitwerterhöhungsschaden. Er stützt somit - aufgrund einer ihm ungünstigen zwischenzeitlichen Klärung der Rechtslage - seine Behauptung, infolge der Amtspflichtverletzung sei ihm ein Schaden entstanden, auf einen völlig neuen Lebenssachverhalt. In einem solchen Falle ist § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO jedoch nach seinem erkennbaren gesetzgeberischen Sinn und Zweck nicht einschlägig. Denn hier ist die an das Urteil der Vorinstanz geknüpfte Vermutung einer hinreichenden Erfolgsaussicht nicht gerechtfertigt.

Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist für das Begehren des Klägers zumindest beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht auszumachen.

Wer sich eines nicht bestehenden Anspruchs berühmt, hat die wirtschaftlichen Nachteile einer erfolglosen Durchsetzung regelmäßig selbst zu tragen. Daran ändert sich zumindest im System der Amtshaftung auch nichts, wenn der Anspruchsteller sich durch von ihm teilweise nicht zu vertretenden Zeitablauf veranlasst sieht, von vermeintlichen weiteren Ansprüchen auszugehen. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass bereits dieser Gesichtspunkt dem Begehren des Klägers entgegen steht.

Jedenfalls aber fehlt es für die positive Beurteilung der Erfolgsaussicht der Geltendmachung eines Streitwerterhöhungsschadens an der oben dargestellten Darlegung eines Zeitpunkts, zu dem der Schadensersatzprozess bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung abgeschlossen gewesen wäre bzw. kein Anlass mehr zur Klagerweiterung bestanden hätte. Für die Kausalität von Amtspflichtverletzungen für einen bestimmten Schaden ist stets zu fragen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Beamten (Richters) genommen hätten und wie die Vermögenslage des Verletzten wäre, wenn der Beamte (Richter) die Amtspflichtverletzung nicht begangen, sondern pflichtgemäß gehandelt hätte (BGH NJW 1986, 2829). Nur wenn festgestellt werden kann, dass nach einem solchen Zeitpunkt noch Klagerweiterungen mit Kostenfolge vorgenommen worden sind, könnte überhaupt ein der Rechtskraft fähiger Feststellungsausspruch erfolgen, wobei allerdings ein solcher Schaden wohl auch bezifferbar wäre.



Ende der Entscheidung

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