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Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 07.03.2002
Aktenzeichen: 12 U 290/01
Rechtsgebiete: ARB 2000, InsO


Vorschriften:

ARB 2000 § 3 Abs. 3 c
InsO § 103
1. Eine Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO gegenüber dem Rechtsschutzversicherer lässt dessen Gefahrtragungspflicht für vergangene Versicherungsperioden nicht entfallen, wenn für den zurückliegenden Zeitraum die Versicherungsprämien geleistet worden sind.

2. Von ursächlichen Zusammenhang im Sinne von § 3 Abs. 3 c ARB 2000 kann nur dann die Rede sein, wenn das Insolvenzverfahren oder zumindest der Entschluss, ein solches förmlich einzuleiten, Anlass zu der Maßnahme gegeben hat, die den konkreten Rechtsschutzfall ausgelöst hat.


Tatbestand:

Der klagende Insolvenzverwalter und der beklagte Rechtsschutzversicherer streiten darum, ob dem Kläger gegen die Beklagte Zahlungsansprüche aus einem Rechtsschutzversicherungsvertrag zustehen. Die B.GmbH fasste am 27.12.2000 den Entschluss, ihren Betrieb wegen schlechter Zukunftsaussichten einzustellen. Am 28.12.2000 kündigte sie ihren Arbeitnehmern. Für die anschließenden 42 Kündigungsschutzverfahren begehrt sie Deckungsschutz. Am 1.4.2001 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 3.4.2001 teilte der Insolvenzverwalter der Beklagten u.a. mit, er gehe davon aus, dass das Vertragsverhältnis gemäß § 103 InsO erloschen sei.

Die Beklagte lehnte die Übernahme von Deckungsschutz unter Hinweis auf § 3 Abs. 3c ARB 2000 ab. Das Landgericht hat die Zahlungsklage mit der Begründung abgewiesen, der Kläger könne vertragsgemäß allenfalls Freistellung verlangen.

Gründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung der unstreitig angefallenen Rechtsverteidigungskosten verlangen.

I.

Der Anspruch des Klägers stützt sich auf die mit Kündigung der Arbeitnehmer vom 28.12.2000 ausgelösten Rechtsschutzfälle (§ 4 Abs.1 c ARB 2000), für die sich der Leistungsumfang nach § 5 Abs. 1 a ARB 2000 ergibt.

Die Auffassung des Landgerichts, dem Kläger stehe aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag mit der Beklagten kein Zahlungsanspruch, sondern lediglich ein Freistellungsanspruch zu, vermag die Klagabweisung nicht zu rechtfertigen. Dabei lässt das Landgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens außer Betracht. Der Schuldbefreiungsanspruch des Versicherungsnehmers gegenüber dessen Rechtsschutzversicherer hinsichtlich der von ihm seinem Anwalt geschuldeten Anwaltskosten verwandelt sich nämlich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers in einen entsprechenden Zahlungsanspruch des Insolvenzverwalters gegen die Rechtsschutzversicherung. Insoweit hat die Einführung der Insolvenzordnung die Rechtslage gegenüber der Regelung nach der Konkursordnung nicht geändert (vgl. OLG Köln OLGR 1998, 255; MünchKomm-Luvowsk; Insolvenzordnung; § 35 Rdn 399). Der Befreiungsschuldner hat den vollen Betrag in die Masse zu zahlen, während der Drittgläubiger Leistung nur in Höhe der Insolvenzquote erhält (BGH WM 1965, 1054).

II.

Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Leistungen des Versicherers für Versicherungsfälle vor Eintritt des Insolvenzverfahrens nicht in Wegfall. Der Anspruch fällt in die Insolvenzmasse (MünchKomm-Luvowski; Insolvenzordnung; § 35 Rdn. 410). Hieran ändert auch eine Erfüllungsablehnung des Insolvenzverwalters nach § 103 Abs. 2 InsO nichts, soweit nicht weitere Umstände hinzukommen.

Der zwischen der Beklagten und dem Versicherungsnehmer geschlossene Versicherungsvertrag fällt unter die Vorschrift des § 103 Abs. 2 InsO. Die InsO sieht für derartige Versicherungsverträge keine von § 103 Abs. 2 InsO abweichende Regelung vor. Auch § 14 VVG enthält für die Insolvenz des Versicherungsnehmers keine abweichende Regelung. Der Versicherungsvertrag war zur Zeit der Insolvenzeröffnung von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllt, weil der Versicherungsnehmer noch künftige Prämien zu zahlen und der Versicherer die Gefahr zu tragen hatte, vor dem Ende des Vertragsverhältnisses Deckungsschutz gewähren zu müssen.

Da der Kläger nicht die Erfüllung des Rechtsschutzversicherungsvertrages gewählt hat, ist der Vertrag mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens endgültig in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet worden. Diese Umgestaltung geht zwar bei den meisten Vertragsverhältnissen dahin, dass an die Stelle der beiderseitigen Erfüllungsansprüche der einseitige Anspruch des Vertragsgegners auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung tritt. Das hat aber Anspruchsverluste des Insolvenzverwalters nicht notwendig zur Folge (BGH VersR 1993, 689). Die hier vom Kläger im Hinblick auf die beiderseits noch nicht vollständig erfüllten vertraglichen Verpflichtungen gemäß § 103 Abs. 2 InsO am 3.4.2001 abgegebene Erklärung bewirkt vorab nur, dass die Gefahrtragungspflicht für die Versicherungsperiode ab 1.4.2001 entfällt und keine Verpflichtung zur Prämienzahlung für diese und zukünftige Versicherungsperioden mehr besteht. Die Gefahrtragungspflicht für die Vergangenheit entfällt lediglich, wenn nach Eröffnung des Verfahrens noch Prämienforderungen für die abgelaufenen Versicherungsperioden offen stehen und der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrages ablehnt (MünchKomm-Ehricke, Insolvenzordnung,; § 38 Rdn.106). Ist - wie hier - die Prämie für die Versicherungsperiode, in die der Versicherungsfall fällt, vollständig geleistet, so verbleibt es trotz einer Erfüllungsablehnung durch den Insolvenzverwalter bei der Leistungspflicht des Versicherers; der Entschädigungsanspruch für einen zuvor eingetreten Versicherungsfall gehört zur Masse (Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 14 Rdn.4; Römer/Langheid, VVG, § 14 Rdn.4; Bruck/Möller, VVG, 8. Aufl., § 14 Anm. 11; MünchKomm-Luvowski, Insolvenzordnung, § 35 Rdn. 410).

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann dem Schreiben des Klägers vom 3.4.2001 keine über den Regelungsgehalt von § 103 Abs. 2 InsO hinausgehende Erklärung, insbesondere kein Verzicht auf bereits angefallene Leistungsansprüche gegenüber der Beklagten entnommen werden. Der Passus "dass eine weitere Erfüllung von Ihnen nicht verlangt wird" kann aus Sicht eines verständigen Empfängers nur auf die weitere Gefahrtragung für die angelaufene Versicherungsperiode bezogen werden, nicht aber auf die bereits angemeldeten Leistungsansprüche des Klägers (§ 133 BGB), denn nach der Lebenserfahrung ist ein Verzicht auf erworbene Rechte im allgemeinen nicht zu anzunehmen (BGH VersR 1970, 617) und bei einem auf Bestandssicherung verpflichteten Insolvenzverwalter geradezu als ausgeschlossenen anzusehen.

III.

Die Leistungspflicht der Beklagten ist auch nicht nach § 3 Abs. 3 c ARB 2000 ausgeschlossen. Danach besteht kein Rechtsschutz

"für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen in ursächlichem Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren, das über das Vermögen des Versicherungsnehmers eröffnet wurde oder eröffnet werden soll."

Die bisherige Fassung der ARB sah in § 4 Abs. 1 q unter "Allgemeinen Risikoausschlüsse" vor:

"Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen im Zusammenhang mit einem über das Vermögen des Versicherungsnehmers beantragten Konkurs- oder Vergleichsverfahren."

Nach einhelliger Meinung wäre der Ausschluss nach alter Fassung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar gewesen. Dabei ist berücksichtigt worden, dass nach Stellung eines Antrags auf Konkurseröffnung über das Vermögen des Versicherungsnehmers wegen dessen bevorstehender oder schon eingetretener Insolvenz die Gefahr besteht, dass er in erheblich gesteigertem Umfang rechtliche Interessen wahrnehmen und damit Rechtskosten aufwenden muss. Dieses stark gehäufte Risiko sollte durch die Ausschlussbestimmung von der Risikogemeinschaft ferngehalten werden, die Prozesshäufung im Fall der Insolvenz sollte nicht zu Lasten des Versicherers gehen. Ausgeschlossen sollte daher jede Interessenwahrnehmung sein, die durch einen Antrag auf Konkurs oder Vergleichseröffnung ausgelöst wurde oder zumindest in sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit einem solchen bei Beginn der Interessenwahrnehmung bereits gestellten Antrag steht. Aus Gründen der Rechtssicherheit wurde der Ausschluss nur auf Streitigkeiten bezogen, die nach Stellung des Konkursantrags liegen, nicht aber auch für solche, die durch künftigen Konkurs ausgelöst worden sind (ÖOGH VersR 1994, 1375; OLG Stuttgart VersR 1989, 249; Harbauer, Rechtsschutzversicherung, 6. Aufl. Rdn 133; Prölss/Martin aaO, Rdn. 38).

Ob die Neufassung mit der Erstreckung des Ausschlusses auf Insolvenzverfahren, die "eröffnet werden sollen", von dem Erfordernis der zeitlich dem Versicherungsfall vorangehenden Stellung des Insolvenzantrags absehen will, oder andererseits durch die Betonung der Ursächlichkeit den Anwendungsbereich des Ausschlusses gegenüber der früheren Regelung begrenzen soll, erschließt sich aus dem Wortlaut nur sehr eingeschränkt. Bei der Ermittlung des Regelungsgehalts von § 3 Abs. 3 c ARB 2000 ist zu beachten, dass Risikoausschlussklauseln nach ständiger Rechtsprechung eng und nicht weiter auszulegen sind, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Der Zweck der Ausschlussregelung ist nur in den Grenzen der Wortwahl berücksichtigungsfähig (BGH MDR 2000, 1131; VersR 1999, 748).

Nach dieser Maßgabe kann nicht unbeachtet bleiben, dass der in der Klausel geforderte Zusammenhang bestehen muss mit einem Insolvenzverfahren. Der Zusammenhang mit einer Insolvenz in Form von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung genügt ebenso wenig wie ein solcher mit einer aus wirtschaftlichen Überlegungen angestrebten Betriebsstilllegung oder einer außergerichtlichen Liquidation. Nicht genügen kann auch, dass das oder die Verfahren, für die Rechtsschutz gewährt wird, durch ihren negativen Ausgang die wirtschaftliche Ursache für ein Insolvenzverfahren darstellen. Damit würde der Versicherungsschutz zum einen in überzogener Weise ausgehöhlt und zum anderen von den Zufälligkeiten künftiger Entwicklungen abhängig gemacht. Eine solche Regelung entspräche auch bei sorgfältiger Lektüre der Ausschlussklausel nicht dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers. Von ursächlichen Zusammenhang im Sinne von § 3 Abs. 3 c ARB 2000 kann daher nur die Rede sein, wenn das Insolvenzverfahren oder zumindest der Entschluss, ein solches förmlich einzuleiten, Anlass zu der Maßnahme gegeben hat, die den konkreten Rechtsschutzfall ausgelöst hat.

Bei Kündigungen, die - wie hier - Wochen vor dem Insolvenzantrag aufgrund des Beschlusses "die Firma zu schließen, da keine sinnvollen Zukunftsaussichten zu erkennen waren" gegenüber sämtlichen Mitarbeitern eines Unternehmens ausgesprochen wurden, lässt sich ein derartiger Zusammenhang schon deshalb nicht annehmen, weil nicht festgestellt werden kann, dass die anderen oben erwähnten Wege zur Betriebsstilllegung bereits als Lösungsmöglichkeiten ausgeschieden waren.

Aus diesem Grund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob aus den nämlichen Erwägungen, die bei § 4 Abs. 1 q ARB a.F. zu dem Erfordernis einer erfolgten Antragstellung führten, auch bei § 3 Abs. 3 c ARB 2000 an der Voraussetzung festzuhalten ist, dass der Versicherungsfall (§ 4 Abs. 1 c ARB 2000) nach Stellung des Insolvenzantrags eingetreten ist - wobei nach Auffassung des Senats vieles dafür spricht, dass insoweit mit der Neufassung der ARB keine Änderung erfolgte. In diesem Zusammenhang wird ferner von Bedeutung sein, dass - worauf bereits Harbauer (a.a.O) hingewiesen hat - der Schutz des Versicherers vor einer durch ungewöhnliche Umstände drohenden, übermäßigen Inanspruchnahme wie in Fällen von Massenentlassungen durch die Regelung des § 5 Abs. 4 ARB 2000 hinreichend gewährleistet ist (vgl. OLG Hamm VersR 1975, 654 zu § 2 Abs. 4 Satz 2 ARB a.F.)

IV.

........

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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