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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Karlsruhe
Urteil verkündet am 20.11.2003
Aktenzeichen: 12 U 89/03
Rechtsgebiete: VVG


Vorschriften:

VVG § 61
Leistungsfreiheit des Kfz-Kaskoversicherers bei Rotlichtverstoß (hier: Rotlichtverstoß eines Fahrers, der bei Rot anhält , dann aber doch in die Kreuzung einfährt, weil er irrtümlich annimmt, die Ampel zeige nun grün)
Oberlandesgericht Karlsruhe 12. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 12 U 89/03

Verkündet am 20. November 2003 In dem Rechtsstreit

wegen Zahlung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 20. November 2003 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Zöller Richterin am Oberlandesgericht Lampel-Meyer Richter am Landgericht Dr. Stecher

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 15. Juli 2003 - 2 O 205/03 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger fuhr mit seinem Pkw bei starkem Schneefall und schneebedeckter Fahrbahn in eine Kreuzung ein, obwohl die für ihn maßgebliche Ampel Rotlicht zeigte. Im Kreuzungsbereich stieß er mit einem anderen PKW, der von der Gegenfahrbahn aus links abbog, zusammen. Am PKW des Klägers entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden, der er von seinem Kaskoversicherer erstattet haben möchte.

Der Kläger trägt vor, er habe zunächst an der roten Ampel angehalten. Nachdem er etwa 60 bis 90 Sekunden gestanden sei, sei er trotz roter Ampel wieder angefahren, weil er versehentlich geglaubt habe, dass die Ampel zwischenzeitlich auf grün umgesprungen sei. Seine Beifahrerin habe ihn zwar noch auf die rote Ampel aufmerksam gemacht; in diesem Moment sei er jedoch bereits in den Kreuzungsbereich eingefahren gewesen. Er habe noch gebremst, jedoch sei aufgrund der schneebedeckten Fahrbahn eine Kollision nicht mehr zu verhindern gewesen.

Der Kläger meint, ihm sei subjektiv keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er lediglich für einen kurzen Moment irritiert gewesen sei und geglaubt habe, dass die Ampel bereits wieder auf grün umgesprungen sei. Ihm falle insofern nur ein bloßes Augenblicksversagen zur Last.

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten, seinem Kaskoversicherer, aus einem Verkehrsunfall Schadensersatz in Höhe von 11.755 €.

Der Kläger befuhr mit seinem am 11.12.2002 erworbenen Pkw Ford Focus am 30.01.2003 gegen 16.00 Uhr in Begleitung seiner Lebensgefährtin bei starkem Schneefall und schneebedeckter Fahrbahn die B 45 zwischen N und S. Beim Abzweig in Richtung B fuhr er in die Kreuzung ein, obwohl die für ihn maßgebliche Ampel Rotlicht zeigte. Im Kreuzungsbereich stieß er mit einem anderen Fahrzeug, das von der Gegenfahrbahn aus links abbog, zusammen. Am Fahrzeug des Klägers, das dieser am 11.12.2002 zum Preis von 22.965 € erworben hatte, entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden.

Mit Schreiben vom 28.03.2003 (Anl. K 1) lehnte die Beklagte die Schadensregulierung ab, da das Verhalten des Klägers grob fahrlässig gewesen sei.

Der Kläger trägt vor, er habe zunächst an der roten Ampel angehalten. Nachdem er etwa 60 bis 90 Sekunden gestanden sei, sei er trotz roter Ampel wieder angefahren, weil er versehentlich geglaubt habe, dass die Ampel zwischenzeitlich auf grün umgesprungen sei. Seine Beifahrerin habe ihn zwar noch auf die rote Ampel aufmerksam gemacht; in diesem Moment sei er jedoch bereits in den Kreuzungsbereich eingefahren gewesen. Er habe noch gebremst, als er das entgegenkommende abbiegende Fahrzeug bemerkt habe, jedoch sei aufgrund der schneebedeckten Fahrbahn eine Kollision nicht mehr zu verhindern gewesen. Zwar könne ein solches Verhalten objektiv grob fahrlässig sein. Bei der Bestimmung grober Fahrlässigkeit sei jedoch auch die subjektive Seite zu berücksichtigen. Ihm sei subjektiv keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da er lediglich für einen kurzen Moment irritiert gewesen sei und geglaubt habe, dass die Ampel bereits wieder auf grün umgesprungen sei. Ihm falle insofern nur ein bloßes Augenblicksversagen zur Last. Der Kläger ist der Ansicht, er könne gem. § 13 Abs. 6 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden AKB seinen Fahrzeugschaden auf Basis der kalkulierten Reparaturkosten abrechnen, weil diese unterhalb der 70 %-Grenze des Wiederbeschaffungswerts lägen.

Die Beklagte trägt vor, aus dem schriftlichen Anerkenntnis, das der Kläger -wie unstreitig ist - gegenüber seinem Unfallgegner abgegeben habe, sei zu schließen, dass er vor dem Unfall nicht an der Ampel gehalten habe, sondern stattdessen ohne Halten in den Kreuzungsbereich trotz roter Ampel eingefahren sei. Auch die Schadensanzeige enthalte hierauf keinen Hinweis. Vorsorglich bestreitet die Beklagte, dass der Kläger nach dem Anhalten an der roten Ampel nur versehentlich angefahren sei. Eine Irritierung, etwa durch andere Lichtzeichen, sei an dieser Kreuzung nicht möglich, da die Ampelanlage nur eine Signalampel aufweise. Das Verhalten des Klägers sei grob fahrlässig gewesen. Im Übrigen ergebe sich ein Anspruch aus § 13 AKB nur in Höhe von 10.500 €, da eine fachgerechte Reparatur an dem Fahrzeug des Klägers nicht durchgeführt und nachgewiesen worden sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt habe. Besondere Umstände, aufgrund derer die objektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit fehlen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Kläger habe auch keine besonderen Umstände dargelegt, die das Überfahren der roten Ampel in subjektiver Hinsicht nicht mehr als grob fahrlässig erscheinen ließen. Bei seiner mündlichen Anhörung habe er lediglich angegeben, zunächst an der Ampel angehalten und sich mit seiner Lebensgefährtin unterhalten zu haben. Er habe sie dabei angeschaut. Dann habe er wieder zur Ampel gesehen und bemerkt, dass diese grün gewesen sei. Deshalb sei er angefahren. Er könne sich nicht erklären, warum er davon ausgegangen sei, die Ampel sei grün. Da der Kläger sich nur auf ein sogenanntes Augenblicksversagen berufe und zur Ursache und den sonstigen Umständen nichts vorgetragen habe, sei es gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gerechtfertigt, das objektiv grob fahrlässige Missachten des Rotlichts auch subjektiv als unentschuldbares Fehlverhalten zu werten.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Seiner Auffassung nach unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt nicht wesentlich von dem in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 29.01.2003 (VersR 2003, 364). Daher sei in rechtlicher Hinsicht keine andere Beurteilung angebracht. Keinesfalls habe sich der Kläger in Bezug auf das versicherte Interesse völlig sorglos verhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Das Gericht hat den Kläger mündlich angehört. Auf das Sitzungsprotokoll vom 20.11.2003 wird verwiesen.

II.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Es kann dahinstehen, ob der Kläger vor dem Unfall zunächst - wie er behauptet und vom Landgericht zugrunde gelegt wurde - längere Zeit bei Rotlicht angehalten hatte und erst dann losgefahren ist. Selbst wenn man von dieser Behauptung ausgeht, ist die Beklagte gemäß § 61 VVG von ihrer Leistungspflicht frei geworden. Denn ausgehend von den nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geltenden Maßstäben ist festzustellen, dass der Kläger den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.

1. Das Nichtbeachten des roten Ampellichts war - wie der Kläger selbst nicht bestreitet - in objektiver Hinsicht grob fahrlässig. Wegen der besonderen Gefährlichkeit von Rotlichtverstößen ist das Überfahren einer roten Ampel grundsätzlich als schwerwiegender Sorgfaltsverstoß und damit als grob fahrlässig anzusehen (vgl. BGH VersR 2003, 364 unter II 3 b). Das ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn der Verkehrsteilnehmer zunächst vor der roten Ampel angehalten hat und erst dann wieder angefahren ist, da auch in dieser Situation eine aufmerksame Beachtung des Signalzeichens unbedingt geboten ist. Umstände, die den Verstoß im vorliegenden Fall als objektiv weniger schwerwiegend erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH VersR 2003, 364 unter II 2; VersR 1997, 351 unter II 2 c). Diese Begriffsbestimmung berücksichtigt den Grundgedanken des § 61 VVG. Danach soll der Versicherungsnehmer, der sich in bezug auf das versicherte Interesse völlig sorglos oder sogar unlauter verhält, keine unverdiente Vergünstigung erhalten. So hat § 61 VVG ähnlich wie § 162 BGB den Gedanken von Treu und Glauben übernommen (BGH aaO).

a) Die Darlegungs- und Beweislast auch für die subjektive Seite des Schuldvorwurfs trägt der Versicherer, der sich auf Leistungsfreiheit gemäß § 61 VVG beruft. Dabei ist weder aus einem objektiv groben Pflichtverstoß regelhaft die subjektive Unentschuldbarkeit herzuleiten noch sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises anwendbar (BGH VersR 2003, 364 unter II 4 a m.w.N.). Allerdings kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH aaO und BGHZ 119, 147,151). Es ist Sache des Versicherungsnehmers, ihn entlastende Tatsachen vorzutragen, da allein er und nicht der außerhalb des Geschehensablaufes stehende Versicherer diese maßgebenden Tatsachen kennen kann (BGH aaO).

b) Hier hat der Kläger keine Umstände vorgetragen, die sein objektiv grob fahrlässiges Missachten des Rotlichts subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allein der Hinweis auf den Irrtum darüber, dass er gemeint habe, die Ampel sei grün, nicht ausreicht. Trotz der zwischenzeitlichen Unterhaltung mit seiner Beifahrerin musste sich der Kläger über die Signalgebung der Ampel mit der gebotenen Aufmerksamkeit vergewissern. Nach seinem Vorbringen in der mündlichen Anhörung vor dem Landgericht, er könne sich nicht erklären, warum er davon ausgegangen sei, dass die Ampel grün sei, lässt sich der Unfall nur als ein echtes Augenblicksversagen erklären, das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als solches den Schluss auf ein subjektiv nicht grob fahrlässiges Verhalten nicht erlaubt (vgl. BGH VersR 2003, 365 unter II 4 b; BGHZ 119, 147 = NJW 1992, 2418 unter 3 a; vgl. auch BGH VersR 1997, 351 unter II 2 c).

c) Der vorliegende Fall unterscheidet sich damit auch etwa von demjenigen, der der Entscheidung des OLG Hamm NJW-RR 2000, 1477 zugrunde lag. Dort wurde ein auch in subjektiver Hinsicht grob fahrlässiges Fehlverhalten verneint, obwohl der Kläger zunächst vor der Ampel bei Rotlicht angehalten und dann unter Missachtung des Rotsignals in die Kreuzung eingefahren war. In jenem Fall war der Kläger jedoch durch einen hinter ihm dicht auffahrenden Pkw irritiert worden, den er im Rückspiegel beobacht hatte, so dass in ihm, als er den Blick wieder nach vorne richtete, der Eindruck aufkam, er habe das Umspringen der Ampel auf Grünlicht "übersehen", woraufhin er überhastet losfuhr. Tatsächlich hatte er versehentlich die für die benachbarte Geradeausspur Grünlicht zeigende Ampel auf seine Fahrspur bezogen. Umstände, die im Streitfall das Verhalten des Klägers in vergleichbarer Weise subjektiv in einem milderen Licht erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Ein bloßes Augenblicksversagen liegt hier deshalb besonders nahe, weil nach dem nicht (wirksam) bestrittenen Vortrag der Beklagten zugrunde zu legen ist, dass in Fahrtrichtung des Klägers lediglich eine einzige Ampel stand und die Ampelanlage für die aus Richtung B einmündende Querstraße von der von ihm befahrenen B 45 aus nicht einsehbar war. Soweit der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit erstmals etwas anderes behauptet hat, konnte dieses Vorbringen gemäß den §§ 530, 531 ZPO nicht mehr zugelassen werden. Damit erscheint auch eine Verwechslung der Lichtzeichen, die den Kläger unter bestimmten Umständen möglicherweise hätte entlasten können (vgl. auch den Sachverhalt bei BGH VersR 2003, 364), ausgeschlossen.

3. Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr.10, 713 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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